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Islam und Nationalismus

 Von Dominik Schwarzenberger

Ein Widerspruch?

Für Nationalisten in aller Welt stellt sich die Frage: Wie mit der Weltreligion Islam und immer stärker auftretenden radikal-islamischen Bewegungen umgehen? Das gilt für Nationalisten in islamisch geprägten Staaten genauso wie für Europa, das ja auch mit islamischer Einwanderung konfrontiert ist. Wie vertragen sich islamische Religion und politischer Nationalismus? Stehen sie sich diametral gegenüber oder sind sie kompatibel?

Bei dieser brisanten Frage muß zwischen islamischer Theorie und Praxis unterschieden werden. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß dies ebenso für die anderen Weltreligionen Christentum, Buddhismus und mit Einschränkungen auch für den Hinduismus gilt. Es liegt in der Natur von Weltreligionen, daß sie universelle Gültigkeit beanspruchen: Jeder Mensch kann Muslim, Christ, Buddhist oder Hindu werden; damit sind Weltreligionen klar übervölkisch. Demgegenüber ist das Judentum stark ethnisch gebunden, Konvertierungen bleiben die Ausnahme.
Dennoch kann man bei obigen Weltreligionen feststellen: Es gibt eindeutig ethnische, regionale und kulturelle Prägungen – den Islam oder das Christentum als monolithischen Block gibt es nur theoretisch. Kann es auch gar nicht geben, da der Träger nicht irgendein wurzelloser „jungfräulicher“ Mensch sein kann, sondern Angehöriger einer ihn prägenden Landschaft, Kultur, Sprache und Volksgruppe. Gleichwohl wirken die Weltreligionen durchaus universell, und zwar in einem transzendenten und moralischen Sinn, eben nicht institutionell konkret.
Mitunter spielen diese Religionen eine ganz maßgebliche Rolle bei ethnischer Identitätsbildung und sogar Nationenwerdung. So kann man klar einen polnischen vom kroatischen, bajuvarischen oder spanischen Katholizismus unterscheiden. Das alte byzantinisch-orthodoxe Christentum hat sich regelrecht in nationale Sektionen gespalten und ging eine Synthese mit der jeweiligen Nation ein. Gleiches gilt für den Buddhismus, es lassen sich burmesische, siamesische, singhalesische und andere Spielarten feststellen. Damit speisen sich Weltreligionen aus ethnischen, regionalen und kulturellen Traditionen. Theologische Besonderheiten lassen sich häufig gleichfalls darauf zurückführen. Aus diesem Grund werden sie umgekehrt auch gern zur Bestätigung nationaler Eigenarten herangezogen Der Hinduismus ist zwar auch interethnisch, integriert aber hauptsächlich die bunte Völkerschau Vorderindiens, damit gewann er den Charakter einer indischen Nationalreligion. Indische Nationalisten definieren ihre Nation häufig auch religiös als „Hindustan“.
Für den Islam soll die Frage nach dem Verhältnis zum politischen Nationalismus ausführlicher beantwortet werden. Was sagt der (theoretische) Islam zu Nationalismus, was zum Nationalstaat?
Es ist dringend darauf hinzuweisen, daß heute niemand im Namen aller Muslime sprechen darf, wie dies etwa für Papst und katholische Welt gilt! Die im „Westen“ so gefürchteten „Fatwas“ sind Rechtsgutachten und nur für die Anhänger der jeweiligen Rechtsschule bindend. Darum soll auch auf Zitate verzichtet werden.

Die islamische „Ummah“

Alle islamischen Konfessionen bekennen sich zur „Ummah“, der universellen übervölkischen Gemeinschaft aller Gläubigen. Ethnische Grenzen spielen keine Rolle. Da sich der Prophet Mohammed bereits gegen das arabische Stammesbewußtsein wandte, schlossen islamische Rechtsgelehrte („Ulemas“) mit Aufkommen des Nationalstaatsgedanken auf dessen Unvereinbarkeit mit der „Ummah“. Die islamische Dreiteilung der Welt in die Zonen „Dar al-Islam“ (Haus des Islam: wo Muslime die Mehrheit haben und Macht besitzen), „Dar al-Harb“ (Haus des Krieges: Muslime müssen um ihren Glauben kämpfen) und „Dar as-Sulh“ oder auch „Dar al-Ahd“ (Haus des Waffenstillstands/der Versöhnung: Muslime dürfen frei glauben, haben aber keine Macht) entstammt der frühislamischen Expansionszeit, als Muslime zu einer bedrohten Spezies gehörten. „Dar al-Islam“ ist nicht identisch mit der „Ummah“, da diese ausdrücklich alle Muslime, unabhängig von ihrer Umgebung, einschließt. So gehört ein muslimischer Forscher in der Antarktis im Kreise norwegischer Protestanten gleichsam dazu. Nach der Flucht des Propheten Mohammed aus Mekka nach Medina wurde diese die erste „islamische Nation“, die multiethnische Bevölkerung derselben zum „Volk der Überlieferung und der Gemeinschaft“ („ahl al-Sunna wa al-Jama’a“). Die „Ummah“ wäre im Falle einer weitgehenden Islamisierung die einzige „Nation“ auf Erden; politischer Nationalismus folgerichtig ein Grundübel, welches die allumfassende „Ummah“ in Staaten zerspaltet. Außerdem stehen Ethnozentrismus und möglicher Rassismus für einen „Materialismus des Blutes“ (Evola), der sich nicht mit transzendenter Universalität vereinbart.

Die islamische „Djama’a“

Ursprünglich waren „Djam’a“ und „Ummah“ identisch, mit zunehmender islamischer Expansion wurde jedoch eine Differenzierung notwendig. Der Begriff ist kein Ausdruck aus dem Koran, doch wird er schon in den ersten diplomatischen Schreiben des Propheten Mohammeds für die Gemeinde seiner Anhänger gebraucht. Für die hanbalitische Rechtsschule bedeutet „Djama’a“ die lokale Gesamtheit der als Autoritäten angesehenen Muslime, deren Glaube und religiöse Praxis den Forderungen des Islam entspricht. Teilweise wird auch jede Gruppe von Muslimen, die sich zum gemeinsamen Gebet zusammenfindet, als „Djama’a“ bezeichnet.
„Djama’a“ ist heute die lokale Gemeinschaft der Gläubigen, zeichnet sich durch personelle Übersichtlichkeit aus und nimmt die Rolle der untersten lokalen Verwaltungseinheit ein. Zwischen ihr und der „Ummah“ gibt es keine weiteren Ebenen. Der Nationalstaat stellt keine Zwischeninstanz dar, stellt er doch Volkssouveränität vor Gottesherrschaft („hakimiyat allah“); er gilt als Kind der freimaurerischen Französischen Revolution.
Inzwischen gibt es aber Strömungen, die den Nationalstaat integrieren wollen. Sie argumentieren, daß „Ummah“ nur eine geistige Einheit sei und deren Schaffung erst am „Ende aller Zeiten“ einsetzen würde. Demnach sollen Nationen friedlich zur Ehre Allahs konkurrieren, schließlich schaffen sie auch Vielfalt. Ähnliche Vorstellungen sind auch im Christentum zu finden, dessen Reichsgedanke einst auch vom Nationalismus untergraben wurde.
Alle islamischen Konfessionen zeichnen sich durch eine regelrechte Institutionsfeindlichkeit aus, das schließt Staatsgebilde mit ein. Der Nationalstaat ist also doppelt abzulehnen. Der antietatistische Grad der Ablehnung variiert zwischen dem sunnitischen und shiitischem Islam.

Der sunnitische Islam

Idealerweise herrscht der Kalif global über die Gläubigen. Der Kalif ist der irdische Stellvertreter und Nachfolger des Propheten Mohammeds, jedoch hat er eher symbolische Bedeutung, da er kaum Gestaltungsmöglichkeiten besitzt – die höchste Autorität bleibt die „Ummah“. Im sunnitischen Islam gilt die Koraninterpretation nämlich als abgeschlossen, die koranische Deutung findet sich in der „Sunna“ (= Richtschnur) der vier Nachfolger des Propheten Mohammeds. Neue Rechtsfestlegungen etwa kann nur der allgemeine Konsens „Idschma“ der Religionsgelehrten („Ulemas“) beschließen, niemals aber der Kalif. Ein islamischer Klerus existiert auch nicht. Das Kalifat stellt vielmehr eine geistige und moralische Institution dar, eben kein festes Staatsgefüge. Ebenso wie die nationenlose „Ummah“, wird zunehmend auch das Kalifat als anzustrebende Utopie gesehen. Wer sollte auch heute das würdevolle Amt desselben bekleiden? Der ägyptische Theologe Ali Abdarraziq (1888–1966) machte in seinem bekannten Werk „Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft“ (al-islam wa-usul al-hukm) darauf aufmerksam: Im Koran ist gar keine Rede vom Kalifat, und dessen historische Erscheinungen waren mehr als zweifelhaft. Immer wurde die Religion mißbraucht. Das stark verklärte „Kalifat Arabischer Nation“ endete 1258 mit der mongolischen Invasion und seine Usurpation durch den osmanischen Sultan (kein religiöser Titel) offiziell 1924 mit der republikanischen Türkei. Das historische Kalifat kann treffend so charakterisiert werden: Herrscher und Staat bemächtigten sich der Religion, nicht umgekehrt. Häufig kämpften mehrere Kalifenanwärter um die Macht, zeitweise gab es derer sogar mehrere gleichzeitig. Das soll im katholischen Papsttum auch schon vorgekommen sein. Machiavelli läßt grüßen. Um solche Peinlichkeiten erneut auszuschließen, streben heute die wenigsten muslimischen Würdenträger das Kalifat an.

Der shiitische Islam

Im Gegensatz zum sunnitischen kennt der shiitische Islam durchaus geistige Ämter und damit zumindest rudimentäre Institutionen. Als Shiititen bezeichnet man die Anhänger des Propheten-Schwiegersohns Ali (Shia = Partei Alis). Die große Spaltung („Fitna“) des Islam 657 n. Chr. hat aber nicht nur personelle Folgen: Im Shiismus ist die persönliche Koraninterpretation durch ehrliches Bemühen („Idschtihad“) weiterhin möglich. Anstelle des Kalifen tritt im Shiismus der Imam (nicht mit dem Vorbeter zu verwechseln); dieser gilt als vollkommen und unfehlbar, nur die Nachkommen des Prophetenschwiegersohns Ali können diese höchste Würde erlangen. Das Imamat mit den zwölf anerkannten Imamen (bei manchen shiitischen Strömungen werden nur der sechste oder siebte anerkannt) wurde 874 urplötzlich unterbrochen, als der zwölfte Imam spurlos verschwand. Seitdem warten die Zwölfer-Shiiten auf den entschwundenen „Mahdi“ (= der Verborgene). Dieser kommt am Ende aller Zeiten wieder, um die Gottesherrschaft zu errichten. Bis zu seiner Wiederkehr ist folgerichtig keine politische Macht legitim; jedes System darf in Frage gestellt werden, da ja die Auslegung des Koran bei Shiiten niemals endet. Tatsächlich erinnert das iranische Herrschaftssystem nach dem Tode Ruholla Mussawi Heni Khomenis (1900–1989) eher dem französischen Präsidialsystem als einer Theokratie.
Fazit: Theoretisch sind Nationalstaat/politischer Nationalismus und Islam unvereinbar – doch wie sieht die Praxis aus?

Säkularer Nationalismus und islamischer Antinationalismus

Der Nationalismus als politische Ideologie kam erst Anfang des 20. Jh. in die islamischen Länder. Seine Träger waren städtische, ehemalige christliche, liberale und meist freimaurerische Intellektuelle, die den Islam für ihre technische und soziale Rückständigkeit verantwortlich machten. So erklärten sie die europäische Überlegenheit und ihr Kolonialdasein. Zahlreiche Intellektuelle orientierten sich an europäischen nationalistischen Ideen. Mustafa Kemal „Atatürk“ (1881–1938) z.B. machte einen bedingungslosen Laizismus zur Bedingung für eine türkische Modernisierung. Er ging dabei so radikal vor, daß lateinische Buchstaben, Familiennamen nach europäischem Vorbild und der christliche Kalender eingeführt wurden; zudem das Verbot öffentlicher islamischer Betätigung und eine neue Kleiderordnung. Zu solchen kulturrevolutionären Maßnahmen à la Lenin oder Mao Tsetung ließen sich vorübergehend auch Afghanistan und Iran hinreißen.
Umgekehrt wandten sich orthodoxe Muslime gegen nationalistische Ideen. Das letzte islamische – das Osmanische – Reich wurde ja durch die Nationalismen (auch arabische) zerstört. Diese antinationalistische Strömung sah den Islam ganz und gar nicht als entwicklungshemmend, sondern befürchtete im Gegenteil sein Aufweichen und Verwässern. Eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Frühislam sollte die Lösung sein, damit war die „Salafiyya-Bewegung“ (= ursprünglicher Islam der Altvorderen) geboren.
Der Verfasser lehnt die atlantischen Kampfbegriffe „Islamisten“ und „Fundamentalisten“ ab und befürwortet „orthodoxe Muslime“ und „muslimische Integralisten“.

Die islamisch-nationalistische Einheitsfront

Weder die säkular-nationalistische noch die islamisch-antinationalistische Bewegung sollten zum Durchbruch kommen, stattdessen setzte sich eine drittes Position durch: Nationalisten erkannten plötzlich den Wert des Islam als Waffe, Tradition und Identitätsstifter – orthodoxe Muslime den Nationalismus als Werkzeug gegen die Kolonialmächte. Man kann bis zum heutigen Tag von „Primärreligiösen“ und „Primärnationalisten“ sprechen, die Übergänge sind sehr fließend und das wichtigere Element lässt sich mitunter schwer ausmachen. Der Intellektuelle Jamal-ad-Din al-Afghani (1839–1897) war ein sehr früher Vertreter dieser Richtung(en). Zwar predigte er einen übernationalen Panislam, doch war dieser eher kulturell definiert: als „Einheit der Herzen“. Jede islamisch geprägte Nation von Marokko bis Indonesien sollte ihren je eigenen antikolonialen Befreiungskampf führen.
Die (relative) Einheit aus Islam und Nationalismus verbreitete sich während des Zweiten Weltkriegs und nach der Gründung Israels 1948 rasant. Ursprünglich faschistische Gruppen wie die ägyptischen „Grünhemden“ islamisierten ihr Programm (z. B. Einführung des islamischen Rechts – „Scharia“) oder gingen sogar in primärreligiöse Organisationen auf (z. B. islamisch-orthodoxe „Muslimbruderschaft“). Konstanten blieben der antikoloniale Befreiungskampf und der Antizionismus. Selbst der säkulare Nasser (1918–1970) kooperierte lange mit den orthodoxen „Muslimbrüdern“ und bediente sich islamischer Rhetorik. Deren Antiimperialismus hatte mit dem Ultranationalisten weit mehr gemeinsam als mit dem frömmelnden konservativen Königshaus.
Anfangs argumentierten säkulare Nationalisten, daß das Staatsvolk nicht nur aus Muslimen besteht, doch erkannte man den identitätsstiftenden Wert im Islam, der sich von Europa und Nordamerika abhebt. Spätestens nach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 schien der säkulare Nationalismus und Panarabismus erledigt und der politische Islam effektiver. Man wandte sich auch nicht mehr nur gegen die jüdische Nation Israel, sondern gegen die jüdische Religion als solche. Gerade der jüdische Auserwähltheitsglaube kollidierte mit dem islamischen Universalismus – wie zuvor mit dem christlichen.
Erwähnt werden muß, daß zunehmend auch nationalistische Sozialisten im Islam ihre Legitimation erkannten. Das islamische Gebot der Armenspende „Zakat“, die islamische Ausrichtung am Gemeinwohl und Gemeinschaft sowie das Zinsverbot lassen sich durchaus sozialrevolutionär interpretieren. Orthodoxe Muslime gründe(t)en häufig Genossenschaften und kämpf(t)en mit nichtmarxistischen Sozialisten gegen Feudalstrukturen.

Länderbeispiele für islamischen Nationalismus

Arabische Welt: Arabische orthodoxe Muslime sind am wenigsten nationalistisch, Nationalisten dagegen häufiger islamisch orientiert. Dennoch ist bei den Primärreligiösen ein versteckter Ethnozentrismus enthalten: Arabisch ist die Sprache Gottes, den Koran studiert man in Arabisch, und man betet in Arabisch. Auf arabischem Gebiet liegen oder lagen alle drei Heiligen Städte des Islam (Mekka, Medina, Jerusalem), und die frühislamische Expansion ging mit einer kulturellen Arabisierung einher. Überspitzt stellte das ursprüngliche Kalifat das „Islamische Reich Arabischer Nation“ dar. Sowohl das syrische Damaskus als auch das ägyptische Kairo beanspruchen, die kulturelle Mutter der Welt („Umm al-Dunya“) zu sein.
Saudi-Arabien hat das geringste Nationalbewußtsein, die Bevölkerung ist allislamisch orientiert. Dadurch aber, daß Mekka und Medina in Saudi-Arabien liegen, sehen sich dessen Bewohner als spirituelles Zentrum der Welt. Nicht nur primärnationalistische Gruppen, auch orthodoxe Muslime forcieren die kulturelle Arabisierung gegen ihre nichtarabischen Minderheiten (z. B. Berber im Maghreb).
Iran: Im Iran leben mit Abstand die meisten Schiiten, Persertum und Schia sind zur Identitätsgemeinschaft verschmolzen. Der auf den Schiismus verpflichtete Iran denkt gar nicht daran, in der übervölkischen „Ummah“ aufzugehen, ganz im Gegenteil: seine Staatsführung knüpft an die altpersische Staatstradition an, hat Gebietsansprüche an arabische Nachbarn, legt Wert auf den „Persischen“ Golf, lehnt den „Arabischen“ Golf ab und bekämpft Autonomiestreben nichtpersischer Volksgruppen (immerhin 40 % der Gesamtbevölkerung). Wie stabil ethnische Orientierungen sind, konnte während des Ersten Golfkrieges beobachtet werden: Der schiitische Iran hoffte auf die Unterstützung der irakischen Schiiten, die 60 % der Bevölkerung stellen, doch für diese war das Bekenntnis zum Arabertum wichtiger. Außerhalb Irans werden Schiiten häufig diskriminiert, dennoch streben auch Irans schiitische Minderheiten (Aseris, Kurden, Belutschen) nach Autonomie oder Separation. Iranisch sein, heißt persisch sein.
Pakistan: Gerade Pakistan verdankt seine Existenz dem Islam: Die Britische Indische Union mit der Hindu-Mehrheit wurde entlang religiöser Fronten mit zwei Staaten in die Unabhängigkeit entlassen; es entstand das islamische Pakistan und das mehrheitlich hinduistische Indien. Doch es dauerte nicht lang, und der weit auseinander liegende muslimische Staat zerbrach in einen West-(Pakistan) und Ostteil (Bangladesh). Nicht einmal diese kleine Form von „Ummah“ überlebte. Das multiethnische Pakistan steht auch weiter vor einer Zerreißprobe, einige Volksgruppen wollen sich abspalten.
Afghanistan: Auch in diesem Vielvölkerstaat organisieren sich orthodoxe Muslime entlang ethnischer Grenzen, selbst die Taliban rekrutieren sich aus den politisch lange Zeit marginalisierten Paschtunen.
Sudan: In der Provinz Dharfour kämpfen muslimische Araber gegen ebenfalls muslimische Schwarzafrikaner, die sich ihrerseits mit christlichen und animistischen Schwarzafrikanern aus dem Süden solidarisieren. Auch hier gilt: Die Ethnie bestimmt das Bewußtsein.
Türkei: Die Primärreligiösen unter ihrem damaligen Chefideologen Necmettin Erbakan entdeckten den türkischen Nationalismus. Erbakan nannte seine Ideologie „Milli Görüs“ (= Nationale Sichtweise). Die ehemals heidnisch-schamanistisch orientierten Primärnationalisten unter Alparslan Türkes („Graue Wölfe“) wandten sich dem Islam als wichtigstem Identifikationsmerkmal zu. Bei diesen soll ein orthodoxer Islam das Türkentum bestärken, bei jenen ein starkes Türkentum die islamische Mission voranbringen.
Bosnien und Albanien: Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Bosnien-Herzegowina besteht mehrheitlich aus der „muslimischen Nationalität“ (ein Begriff Titos), Selbstbezeichnung „Bosniake“ (Bosnier können ja auch Serben oder Kroaten sein). Die Bosniaken verdanken ihre Existenz als eigenes Volk ihrer Islamisierung im 15. Jh. Mehrheitlich gehörten die heutigen Bosniaken der christlichen Bogumilen-Sekte an. Diese wurde sowohl von katholischen als auch orthodoxen Südslawen verfolgt, weshalb die Häretiker der osmanischen Eroberung gar nicht so ablehnend gegenüberstanden. Sicher auch aus materiellen Gründen traten die Bogumilen fast geschlossen zum sunnitischen Islam über. Ohne Islam gäbe es kein Bosniakentum.
Zunehmend entdecken albanische Nationalisten die islamische Konfession für ihre Propaganda (bei immerhin 33 % Christen). Ihre Argumentation: Der Islam habe das Albanertum vor kultureller Assimilation durch Slawen und Griechen bewahrt. Der primärnationalistische Hintergrund ist zwar offensichtlich, doch dient er trotzdem der islamischen Sache, welche im einzig offiziell atheistischen Staat marxistischer Prägung litt.
Panislamische Gruppen: Gerade die beiden großen panislamischen Weltorganisationen „Liga der Islamischen Welt“ (Mitgliedschaft für nichtstaatliche Organisationen) und „Organisation der Islamischen Konferenz“ (Mitgliedschaft für islamische Staaten) lähmen ihre Aktivitäten dank ethnischer Eitelkeiten und nationalem Hegemoniestreben. Man kann nicht einmal von einer „Ummah light“ sprechen.
Einzig die in Zentralasien starke „Hizb ut-Tahrir“ (Partei der Befreiung) und „Muslimbruderschaft“ müssen als Ausnahme gesehen werden. Diese mitgliederstarken Bewegungen ignorieren weitgehend nationale Gegensätze. Ihr Erfolgsrezept ist eine föderalistische, dezentrale Struktur, die ethno-kulturelle Eigenheiten explizit duldet. Das bestätigt aber gerade das Fehlen eines „jungfräulichen“, rein islamischen Menschen. Sollte es die berüchtigte „Al-Qaida“ (Die Basis) tatsächlich als globales Netzwerk geben, gehört sie auch zu den seltenen Ausnahmen.
Der „Ummah“ verpflichtet sehen sich zwar alle orthodox-islamischen Gruppen, in der Praxis dominieren klar ethnische und kulturelle Prinzipien. Die islamische Praxis ist meistens nationalistisch – selten universell – und immer identitär.

Islamisierung Europas?

Kann von einer Islamisierung Europas überhaupt gesprochen werden? Der muslimische Bevölkerungsanteil wächst zwar stetig an, doch resultiert dies nicht aus Konvertierungen. Bereits gläubige Muslime wandern nach Europa, während der fremd anmutende Islam unter Einheimischen nicht attraktiv ist. Auch hier gilt: Der Islam garantiert nicht zuletzt das ethnische und kulturelle Überleben von Einwanderern, eine Art Schutzschild gegen Verwestlichung. Zahlreiche halbherzige Muslime bekräftigen ihr Bekenntnis zu Allah im Angesicht „westlicher Werte“ wie Disziplinlosigkeit, Familiensterben, hohe Scheidungsraten, sexuelle Freizügigkeit, Abschieben „unnützer“ Rentner in Altersheime, Abtreibung, Drogensucht, Kult um Homosexuelle usw. Umgedreht dulden oder fördern auch hierzulande orthodoxe Muslime (Primärreligiöse) nationalistische Propaganda, da die Stabilität ethnischer Orientierung eben eine kulturelle Integration verhindert; ein integrierter Muslim wäre für die „Ummah“ verloren. Integration heißt hierbei, sich an der allgemeinen Degeneration zu beteiligen.
Warum konvertieren nicht mehr Europäer zum Islam (wie im Falle der Bosniaken und Albaner)? Warum konvertiert in erster Linie nur eine kleine intellektuelle Kaste? Die Konvertiten sind – wie es sich für Konvertiten auch gehört –, besonders „theoretisch“ und orthodox und damit bedingungslos der „Ummah“ verpflichtet. Ein Konvertit hat sich ja bewußt für den neuen Glauben entschieden, ganz im Gegensatz zu den Anerzogenen, die in einem konkreten ethno-kulturellen Kontext hineingeboren wurden. Dieser Umstand läßt den Konvertiten aber besonders pharisäerhaft und auch wirklichkeitsfremd erscheinen. Damit isolieren sich Konvertiten von ihren Landsleuten. Das erwähnte hohe intellektuelle Niveau der meisten tut ein übriges: Man beschäftigt sich mit anspruchsvollen theologischen Spitzfindigkeiten, die sonst niemand interessiert und versteht. Ein Konvertit will eben beweisen, daß er angekommen ist.
Islamische Konvertiten setzen sich folgerichtig für islamische Einwanderung ein, damit man auf diese billige Weise zahlenmäßig zunimmt. Sie opfern ihre ethnische Identität zugunsten einer islamischen, die es aber eben nirgends gibt. Sie sind arabischer als jeder Araber: übernehmen arabische Begriffe, Kleidung und Nahrungsvorlieben. Irgendeine Identität muß man schließlich annehmen. Es wird übersehen, daß sich die türkischen und arabischen Einwanderer eben selbst niemals entnationalisieren würden. Es findet nur vordergründig eine Islamisierung statt, in Wirklichkeit aber eine Türkisierung und Arabisierung.
In Bosnien und Albanien konnte der Islam volkstümlich werden, weil er über einen langen Zeitraum gewachsen ist und sich slawisierte bzw. albanisierte. Das ursprünglich rein orientalische Christentum hat es schon vorgemacht und paßte sich seiner europäischen Umgebung an.

Vom Unsinn antiislamischer Agitation

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Analyse? „Den“ Islam gibt es als monolithischen Block nicht. Ein europäischer Staat könnte problemlos mit einem islamischen Staat gegen einen anderen islamischen Staat Krieg führen. Das unheimliche Gespenst des „Islamismus“ gibt es schon: als Propagandamittel und Feindbildersatz Washingtons. Wer gegen Moscheebau und Minarette kämpft, macht einen entscheidenden Fehler. Einzig da gibt es „den“ Islam, weil sich Muslime weltweit betroffen fühlen. Unnötigerweise sehen sich so auch Muslime im tiefsten Java angeklagt.
Moscheebauten werden mit einer Zementierung ausländischer Landnahme identifiziert, aber würden Einwanderer ohne Moscheen den Rückweg antreten? Müßte es in Großbritannien mit seiner großen indischen Minderheit nicht einen „Anti-Hindu-Kongreß“ geben? Antiislamische Agitation hat nur unter einem christlichen Gesichtspunkt Sinn: Eine Religion bekämpft eine andere. Würden einheimische Europäer massenhaft zu Muslimen werden, würde der Kampf gegen Moscheebauten plötzlich aufhören. So kämpft man aber gegen eine Religion, anstatt gegen die ausländische Überfremdung als solche – am besten mit Hilfe katholischer Kongolesen. Kann leider alles schon beobachtet werden! Europa sollte sich ehrlich fragen, ob es nicht Grund hat, die kämpferischen und stolzen Muslime zu beneiden. Seine Kirchen sind nämlich leer. Unser Kontinent ist moralisch bankrott. Wer weiß, vielleicht finden wir durch den Islam zu uns selbst. Unterscheiden sich islamische Moralvorstellungen so sehr von christlichen?


Besonderer Dank gebührt meinem guten Freund Scheich Hussein Abdul Fattah.

 
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