Jedem unbefangenen Beobachter der politischen Szene muß eine Besonderheit des parlamentarischen Systems in Deutschland, den USA und in anderen westlichen Ländern auffallen. Anders als die Linke, die zu ihrer ideologischen Position steht, scheut sich die rechte Mitte, also die nicht als rechtsaußen auszugrenzende Opposition, offensiv aufzutreten. Seien es die deutschen Christdemokraten, die englischen Konservativen oder die amerikanischen Republikaner, was allen diesen als gemäßigt geltenden Parteien eigen ist, ist ihr Widerstreben gegen eine scharf abgegrenzte Kampfstellung. Der Linken dagegen haftet eine solche Zögerlichkeit nicht an, und es wäre kaum übertrieben zu behaupten, daß die deutlichsten und stärksten Provokationen in der linken Ecke entstehen.
Vor Wahlen sieht die Sache anscheinend anders aus, aber nur, wenn man Wortgefechte mit echten Schlachten verwechselt. Die Kampagnen vermögen es zwar, viele Worte über Haushaltsentwürfe und Schlagzeilen über eine vermeintliche Bestechlichkeit ihrer Wahlgegner zu machen. Letztendlich aber dient das der schieren Begleitmusik für eine routinierte Alltagspolitik.
Zur Abwehr der Beschuldigung, daß sie mit dem Faschismus liebäugeln, entschließen sich die heutigen gemäßigt rechten Parteien und deren Führung, den linken Kampf gegen jede offene oder angriffslustige Rechte zu unterstützen. In Deutschland geht dies so weit, daß sich die Union am staatlichen Kreuzzug gegen rechts mit großen Geldmengen beteiligt. Franz Walter, Göttinger Politikwissenschaftler und SPD-Mitglied, stellte in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ (Juli/August 2009) fest, wie sehr es ihn verwundert, daß die Sozialdemokraten ihren Gegenspieler als „konservativ“ bezeichnen. Fest steht, daß „die Christdemokraten es mittlerweile nicht mehr sein wollen“. Als Beleg dafür dient spätestens die Tatsache, daß die Parteiführer bereit sind, mit ehemaligen Stasi-Agenten zu kungeln.
In den USA beobachtet man das gleiche bei den ständigen Versuchen der Republikaner, auf Biegen und Brechen den Minderheiten der Schwarzen und Latinos Sondergeschenke zu machen. Auf dieser Großzügigkeit beharren die republikanischen Politiker und ihre Berater mit besonderer Verbohrtheit, auch wenn sich die Feindseligkeit der am laufenden Band hofierten Zielgruppen gegen ihre übereifrigen Wohltäter nicht leugnen läßt. Im Gegensatz zu den Republikanern hat eine zielstrebige Elite der Demokraten in den 1960er Jahren die Kräfte der Partei auf ein weit links liegendes Gleis geschoben; eine Leistung, welche die künftige Richtung des Parteiprogramms vorzeichnete. Und dabei hat man die umgeformte Partei auf Minoritäten gestützt, die soziale Veränderungen fordern und dabei die südstaatliche Führungsklasse, die früher bestimmte, gnadenlos kaltgestellt.
Der politischen Mitte gelingt es niemals, ihren medialen und publizistischen Richtern eine volle Begnadigung abzuringen, wie sehr sie sich auch bemüht. In den USA schleudern die Medien und die Fürsprecher der schwarzen Gemeinde den republikanischen Spitzenpolitikern George W. Bush und John McCain entgegen, daß sie zum Rassismus gegen Minderheiten aufhetzen, obwohl sich beide vergeblich bemüht hatten, schwarze und Latino-Wähler zu umwerben. Beide haben Scham über die rassistische Vergangenheit ihrer Heimat zum Ausdruck gebracht. Beide Parteiführer setzten sich dafür ein, für die in die USA widerrechtlich eingeströmten Latinos eine Amnestie durchzusetzen – wohlgemerkt angesichts eines landesweiten, massenhaften Protests.
Auch das Nachrücken einer beachtlichen Zahl an schwarzen Beamten in Spitzenstellungen während der Präsidentschaft von George W. Bush hat nicht dazu geführt, das Bild eines arroganten Präsidenten und seiner Partei sowohl bei Minderheiten wie auch bei den linksgerichteten Medien abzumildern. Und ebensowenig die Tatsache, daß das Ringen um Bürgerrechte für die Schwarzen und die wachsende Einflußnahme der Vorreiter dieser Bewegung ohne die Hilfestellung der Republikanischen Partei in den 1960ern recht wenig erreicht hätte. Damals haben die Republikaner diesem im Rückblick geheiligten Anliegen die meisten Kongreßmitglieder gewonnen; während die Demokratische Partei seinerzeit eine große Menge an Abweichlern im Kongreß und in den Landesregierungen aufzuweisen hatte.
Eine Parallelerscheinung bietet die Regentschaft der deutschen Kanzlerin. Egal wie beharrlich Merkel sich abquält, die deutsche Holocaust-Schuld zu sühnen und die deutsche Erblast für jedweden erdenklichen Krieg im Verlauf der gesamten abendländischen Geschichte zu übernehmen, sie kann die Linke nicht an Antinationalismus überbieten. Angebracht wäre es wohl, die Frage zu stellen, warum die Parteien der Mitte, welche die westliche Politiklandschaft zur Zeit kennzeichnen, eine bußfertige, antinationale und der Linken stets nachgebende Politik betreiben. Oder präziser: Warum stimmen Millionen Wähler diesem Linkskurs zu, obwohl sie sich „Konservative“ nennen? Sind die Anhänger so dumm zu glauben, daß die von McCain oder Merkel gesteuerten Parteien tatsächlich „konservativ“ sind, ungeachtet der deutlichen Tatsache, daß sie zu diesem Glauben wenig Anlaß geben?
Für diesen Langmut gibt es zwei mögliche Erklärungen: Erstens, eine alles verdunkelnde Unkenntnis hindert die Basis daran auszumachen, wo und wie die Partei steht. Zweitens, die Stammwähler neigen dazu, jedes Abgleiten seitens der von ihnen bevorzugten Partei auf die bösen Medien zu schieben. Beides muß hinterfragt werden. Denn es ist schwer zu glauben, daß Stammwähler über die öffentliche Position ihrer Partei so wenig wissen. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß sie sich über Parteiprogramme und Äußerungen der Parteiführung nicht unterrichtet hätten.
Auch wenn es den Medien Freude bereitet, überall Rechtsextreme zu vermuten, ergibt das keinen zureichenden Grund für das angestrengte Schwarwänzeln der Parteien der Mitte vor den Linken und ebensowenig für den Versuch, diesen Kotau zu bemänteln. In den USA kommen die Parteianhänger, wenn sie die Kehrtwende bekannter republikanischer Politiker mitansehen, sogleich mit dem Satz: „Sie fürchten die Medien, und das mit Recht.“
Warum, ist zu fragen, muß ein Mann der Mitte vor seinen Kritikern so ängstlich zurückscheuen, daß er seine Kernüberzeugungen verrät? Hält er von seinen Grundwerten so wenig? Zu fragen ist auch, warum die Stammwähler gegenüber Merkel nachsichtig sind, wenn sie den Papst implizit als antisemitisch anprangert und darauf erpicht ist, christliche Verweise aus ihrem Parteiprogramm zu streichen? Geschweige denn, warum Merkel und ihre Riege, sobald die Journalisten drängen, Rechtsabweichler aus Führungsstellen vertreiben oder wie im Fall Hohmann von der Mitgliedsliste streichen.
Die selbsternannten Konservativen trugen es mit, als Merkel eine Linksfeministin, die mit ihren revolutionären Familienbegriffen nicht hinterm Berg hält, mit dem Geschäftsbereich Familie beauftragte. Und sie marschieren mit, ohne einen Mucks von sich zu geben, als die Kanzlerin darauf sinnt, ihren Mitbürgern die nationale Souveränität zu entziehen. Man läßt es durchgehen, wenn sie die Bereitschaft erklärt, der EU eine staatstragende Befugnis zuzugestehen, einem Machtgefüge, welchem, wenn alles planmäßig verläuft, die deutsche Bevölkerung ohne Zustimmung unterstellt wird.
Wie unvereinbar mit einer traditionsgebundenen Politik der von Merkel und ihrer Regierung gesetzte Kurs auch erscheinen mag, es kommt nichtsdestoweniger bei den nichtlinken Wählern an. Im Unterschied zu den Sozialdemokraten hat Merkel bei den jüngsten EU-Wahlen gut abgeschnitten; und was noch wichtiger ist, die rechts der Mitte liegenden Parteien, inklusive der gewiß nicht extremistischen Republikaner, rangen den Christdemokraten keinen Meter an Boden ab. Abgesehen von zwei bis drei Prozent der deutschen Wählerschaft standen die bekennenden Konservativen mehrheitlich fest hinter Merkel und ihrer Partei. Wenn die „Junge Freiheit“ am 3. Juli 2009 mit der Schlagzeile aufmacht: „Auflösung im Schleudergang: Das Wahlprogramm der CDU/CSU verzichtet auf letzte konservative Konturen“, muß klargemacht werden, daß die besagte Auflösung lediglich den konservativen Inhalt und nicht die Stammwählerschaft betrifft. Obgleich die Freien Wähler in Bayern es schafften, in die CSU-Basis einzudringen, bleibt die Merkel-Partei anderswo in Deutschland in bestem Ansehen. Und auch die Freie-Wähler-Führung, welche die in Bayern aufgedeckte CSU-Seilschaft zu ihrem Vorteil nutzte, gibt sich Mühe, keineswegs als eine rechte Partei aufzutreten.
Eine gängige Erklärung für das Fehlen einer großen deutschen Rechtspartei ist die Angst vor einer Wiederkehr des „Nazi-Alptraums“. Bei den linken Medien wächst sich diese früher vielleicht minimal berechtigte Besorgnis zu einem Kampf gegen alles aus, was nicht als politisch korrekt empfunden wird. Dem Publikum wird dauernd eingetrichtert, daß, wenn bestimmte Maßnahmen nicht sofort ergriffen werden, ein Hitler redivivus seine Urständ feiern würde. Demzufolge sollen alle zulässigen Parteien auf eine linke oder wenigstens nichtrechte Linie einschwenken. Die „demokratische“ Regierung und insbesondere gerichtliche Behörden sollten notfalls einschreiten, um die Deutschen vor klammheimlicher Nazi-Einflußnahme zu beschützen, indem sie politische Gruppierungen, welche rechtsaußen angesiedelt sind, vorsichtshalber ausgrenzen.
Ohne zu bezweifeln, daß dieser Zusammenhang eine Rolle spielt, scheint es mir, daß eine weitere Erklärung hinzutreten muß, um die Ursache im ganzen zu begreifen. Es gibt eine bemerkenswerte Gesinnungsähnlichkeit zwischen der CDU-Basis und derjenigen der amerikanischen Republikaner. Beide besitzen treue Anhänger, die nicht in Aufregung geraten, wenn die Parteiführung nach links schwenkt und wenn sie dem linken Gegner ihre Effekthascherei nachmacht.
Beide Parteien treten zu Auseinandersetzungen als die eine Kraft der politischen Mitte an. Im Fall der CSU, so Frank Bosch in „Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg, und Krise einer Erfolgspartei (1945–1969)“, hatte Adenauer beschlossen, der Parteibezeichnung das C anzufügen, um „die Mäßigkeit“ der von ihm mitgegründeten Parteiorganisation zu unterstreichen. Wie die Christdemokraten in Italien, die nach dem Umsturz der faschistischen Regierung mit amerikanischer Ermutigung und amerikanischen Fonds aufgebaut wurden, formierte sich die CDU von Anfang an als eine Partei der Mitte. Die Nachkriegspartei, die das ehemalige Zentrum aufgesogen hat, ähnelt den amerikanischen Republikanern zum Verwechseln. Beide gliederten solche Wählerschaften in das Parteigefüge ein, die auf die Vermeidung von antidemokratischen Extremen eingeschworen sind. Adenauers Erfolgspartei hat nicht nur auf die eigene Mäßigkeit geachtet, sondern auch als Hemmschuh auf Bündnispartner gewirkt. Koalitionspartner der CDU, wie die protestantischen, marktwirtschaftlich orientierten und auf die deutsche Wiedervereinigung festgelegten Freien Demokraten, mußten ihre Schwerpunkte verschieben, um sich auf die weniger nationalistische und mehr gemeinwirtschaftlich ausgerichtete CDU einzustimmen.
Adenauers Nachfolger, so Bosch, haben die immer schwächer werdende Christlichkeit ihrer Partei als „weltanschaulichen Klebstoff“ angesehen. Obwohl dieser Klebstoff anfangs zweckdienlich war, wurde er im Verlauf der Zeit immer dünner. Gleiches trifft auf die Behauptung einer deutschen nationalen Identität zu. Die Parteiführer haben diese Identität je nach Zeitumständen zurückgestellt, da sie sich an die aufkommende antinationale Grundlehre der BRD anpassen mußten. In den USA haben die Republikaner einen vergleichbaren Linkskurs gesteuert, und wie der CDU-Vorstand haben sie manövriert, ohne ihre Basis aufgeben zu wollen. Die Wähler bewiesen eine vergleichbare Langmut, als ihre Partei in bezug auf soziale Fragen nach links geschwenkt ist.
Als einige republikanische Senatoren, die später anderen Sinnes geworden sind, anfangs einer „Latina“ Sonia Sotomayor zustimmen wollten, die für die Sonderrechte der Minoritäten am höchsten Gericht zuständig sein sollte, bemühten sich die Anhänger und die parteifreundliche Presse darum, bei diesem Schritt das Gesicht zu wahren. Sicher sind die Republikaner besorgt, von den Medien abfällig beurteilt zu werden. Um dem lauernden Rufmord zu entfliehen, rücken sie angeblich mit schwerem Herzen von ihrem weltanschaulichen Kompaß ab. Tatsächlich ruderten die republikanischen Mandatsträger vor dem heraufziehenden Sturm weg, weil kein Durchhaltewille von ihnen verlangt wird. Und wenn die Republikaner der Opposition und den linken Medien weichen, so wissen sie, daß sie nicht durch einen von rechts heranbrausenden Aufstand gehindert werden können. Wenn der neokonservative Journalist Michael Barone kürzlich äußerte, daß die Republikaner „naturgemäß weitaus mehr ideologisch“ seien als deren Gegner, so wird das mit gutem Grund nicht belegt. Denn keine Aussage könnte zu den bestehenden Tatsachen in deutlicherem Gegensatz stehen.
Bei der demokratischen Partei liegt die Sache ganz anders. Ihre Senatoren standen wie eine eiserne Mauer gegen die republikanischen Kandidaten für die von Sotomayor angestrebte Instanz. Bei einer besonders eindrucksvollen Machtprobe im Jahre 1987 hielten die demokratischen Senatoren zusammen und hintertrieben die Ernennung des berühmten Gelehrten Robert Bork für das genannte Amt. Während die Republikaner umfielen und bei der Bundesrichterwahl fast alle Kandidaten der Gegenpartei durchwinkten, revanchierten sich die Demokraten in keiner Weise. Und während sich die Republikaner bei traditionell demokratischen Minderheiten angestrengt anbiedern, denken die Demokraten gar nicht daran, entsprechende konservative Lobbys wie die Waffenbesitzer- oder Antiabtreibungsorganisationen anzusprechen. Sie zeigen vielmehr eine gebührende Einsicht in die begrenzte Reichweite ihrer politischen Anziehungskraft.
Diese Verhaltensweisen lassen sich auf die gegensätzlichen Wesensarten der betreffenden Parteien zurückführen. Wie die deutschen Sozialdemokraten und die Linksparteien bilden die amerikanischen Demokraten eine Weltanschauungspartei. Der Parteivorstand wagt es nicht, von den ideologischen Erwartungen der Kernanhänger abzuweichen. Ob es um die Auflösung der Familie geht, das Aushebeln einer erkennbaren christlichen Moral oder die Bevorzugung der Minoritäten in Universitäten und im öffentlichen Dienst, die Handlungsrichtung der demokratischen Partei ist grundsätzlich festgelegt. Wer die Demokraten unterstützt, kann nicht darüber im Unklaren sein, was für ein Produkt er sich anschafft.
Hinzu kommt, daß die demokratischen Wähler, die vorwiegend nichtangelsächsisch und nichtprotestantisch sind, in unterschiedlichem Maße von dem betroffen sind, was Nietzsche das „giftige Auge des Ressentiments“ nennt. Von den Machtzentren fühlen sie sich, ob zu Recht oder zu Unrecht, ausgeschaltet und mutmaßen, daß die WASP-Oberschicht sie bei erster Gelegenheit diskriminieren würde, wenn sie in eine niedrigere soziale Schicht abgleiten sollten. Natürlich zeigen sich die Einwanderer aus der Dritten Welt in den USA genauso wie in Deutschland solidarisch mit der linken Frontstellung. Zur Zeit orientieren sich diese Zuwanderer am Verhalten der etablierten Mitglieder der ausgeprägten Linken, die alle, die sich minderwertig fühlen, in ihren Bann zieht. Entgegen der These der Frankfurter Schule in den 1960er Jahren, daß die Republikaner im Binnenland eine Politik des Ressentiments gegen die Oberschicht der Ostküste betrieben hätten, verhält sich die Sache genau umgekehrt. Die Demokratische Partei bildet das Sammelbecken für protestierende, verbitterte Minoritäten und für deren Nachkommen.
Auf der anderen Seite steht eine Allianz der Genügsamen, die sich keineswegs um großangelegte Ideenprojekte kümmert. Worum es hier geht, ist Verbundenheit mit anderen Gruppengenossen. Zur Urne zu gehen mit Parteiabzeichen und sich bei Parteitagen anzumelden, sind die verbindenden Riten, die den amerikanischen Republikanern ebenso wie der deutschen CDU Geltung verschaffen. Was der Parteivorstand eigentlich vertritt, scheint nebensächlich, vorausgesetzt, daß ein Wir-Gefühl genährt wird. Man hat Besseres zu tun, so lautet das allgemeine Selbstgefühl, als sich in Haarspaltereien zu ergehen.
Gerade diese Haltung zwingt die Parteien der Mitte aber dazu, dem Siegeszug der Linken hinterherzulaufen. Ihre Leitung ist nicht in der Lage, der Linken standzuhalten, da sie nicht den Grad an Reflexion aufzubringen vermag. Eine Partei, die Pfründe anbietet und den sozial vernetzten und ethnisch verwandten Mitläufern Unterhalt bietet, hat weder das Ziel noch den Mut, dem Macht-Zugriff der heutigen Linken entgegenzuwirken.
Überdies sind die tendenziell nach links treibenden Vertreter der Mitte in der Position, die von rechts herankommenden Herausforderer an den Rand zu drängen. Mit ihrem Einfluß können sie es erreichen, jedweder lästigen Opposition aus der rechten Ecke einen Strich durch die Rechnung zu machen. In Deutschland gibt es noch mehr Mittel, um der Rechtsopposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Vertreter der Mitte greifen zu gerichtlichen Verfahren, um die Angeklagten als demokratie- oder verfassungsfeindlich abzuurteilen. Und auch wenn diese Versuche nicht zum Ziel führen, erholt sich die Rechtsopposition von der Belastungsprobe nur schwer.
Zum Klebstoff der erfolgreichen Mitte zählt die konfessionelle Zugehörigkeit, eine soziologische Verankerung, die nicht notwendigerweise eine feste Glaubenslehre voraussetzt, und gewisse prägende Geschichtserlebnisse, die auch beim Nachwuchs als Bindeglied weiter funktionieren. Zur Gründungszeit gewann die CDU/CSU, welche die Rolle einer Nachfolgepartei für das Zentrum spielt, mehr als Dreiviertel der katholischen Wähler. Außerdem hat der Zugewinn von Stimmen aus den damaligen bunten norddeutschen nationalen Verbindungen dem alten Adenauer in den 1950ern und 1960ern seine Wahlsiege beschert. Hinzu kamen die Vertriebenen aus Ostdeutschland, welche, ob katholisch oder nicht, der CDU oder der ihr verbundenen bayerischen CSU ihre Stimmen gaben. Auch hier fallen institutionelle und emotionale Verbindungen zwischen der Partei Merkels und dem Bund der Vertriebenen ins Gewicht, die weiter bestehen, auch wenn sie dem Bund nicht mehr zum Vorteil gereichen. Auch die Nachkommen dieser tragenden Wählerschaft stimmen mehrheitlich für die Union ab; und daraus lassen sich gewisse Ergebnisse ableiten. Die herrschende Koalition benötigt zum Erhalt 35 bis 40 Prozent der Wählerschaft; und bis auf weiteres verfügt Merkel über die zahlenmäßige Voraussetzung, um im Amt zu bleiben.
Wie die Union weist die amerikanische Partei der Mitte, die man kaum als „konservativ“ ansehen kann, eine soziologisch beständige Substanz auf. Sie setzt sich überwiegend aus weißen Protestanten zusammen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde es zu einer Binsenweisheit, daß die Republikaner nichts anderes seien als die methodistische Kirche in politischer Gestalt.
Bis in die 1960er Jahre hinein war der Großteil der weißen Bevölkerung in den Südstaaten mit den Demokraten verbunden; eine Haltung, die von der Epoche des amerikanischen Sezessionskrieges herrührt, als die republikanische Partei gegen die abgespaltene, in den Südstaaten beheimatete Konföderation von Sklavenhaltern auftrat. Jedoch ereignete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gezeitenwechsel, als die Schwarzen, die sich früher als Republikaner bekannt hatten, zu den Demokraten überliefen. Die beiden Rassen, die sich in den Südstaaten gegenüberstanden, tauschten sozusagen ihre Feldposten aus. Trotz dieser Veränderung taten die Republikaner im Bundeskongreß mehr als die Demokraten, um die Gesetzesvorlagen über die Bürgerrechte durchzusetzen.
Der Lagerwechsel wirkte, daß die Republikanische Partei noch gleichförmiger erschien. Trotz des zeitweisen Absinkens des Anteils an weißen protestantischen Stimmen können die republikanischen Kandidaten normalerweise mehr als sechzig Prozent der Stimmen der englisch- oder deutschstämmigen Urnengänger gewinnen. Die republikanische Basis ist vorwiegend „konservativ“, aber sie versteht das Schlüsselwort als Zugehörigkeit zu einer Wahlpartei. „Konservativ“ zu sein, meint im Klartext, „republikanisch abzustimmen“, egal wie dünn oder inhaltsleer der Begriff auch sein mag.
Hier sind einige Ergänzungen nötig. Karlheinz Weißmann hat in seinen „Gesprächen“ mit Götz Kubitschek genau wie der Verfasser auf die parallelen Vorgänge bei der CDU/CSU und den amerikanischen Republikanern aufmerksam gemacht. Beide Parteien präsentieren eine Reihe von Werten, welche es ihnen erlaubt, zeitgemäß und zugleich im Namen der Tradition zu sprechen. Weißmann belegt die Besonderheiten des deutschen Falles hinreichend. Die CDU-Funktionäre sind mit „demokratischen“ und „menschenrechtlichen“ Vorstellungen immer zur Stelle, seit sie sich von ihren ehemaligen deutschnationalen und christlichen Anliegen zunehmend distanzieren. Mittlerweile treiben sie aus Trägheit, oder weil sie tatsächlich bekehrt sind, nach links.
Es kann kaum verwundern, daß die Grünen vor zwei Jahren gegen Angela Merkel vorbrachten, daß jedesmal, wenn sie im Wahlkampf von „christlichen“ Grundsätzen gesprochen hätte, ihre Bezugspunkte, vorzüglich das Festhalten an der Gleichheit der Geschlechter, von den Grünen entlehnt worden seien. Entsprechend handeln die Republikaner. Die Parteiführung hantiert mit „konservativen Werten“, die eindeutig auf Minoritäten zielen. Neben dem Auftrag, „eine wuchernde Verwaltung aus unseren Leben zu verbannen“, ein Anliegen, das amtierende republikanische Präsidenten des öfteren unter den Tisch fallen lassen, eignen sich die Republikaner solch plumpe Prinzipien wie „Gleichheit für alle“ und eine „Bindung an die Vision der schwarzen Bürgerrechtsbewegung“ an.
Daraus ist ersichtlich, in welchem Maß die Republikaner die Winke und Windungen der anderen Seite verfolgen. Ihre Anhänger sind so auf den Erfolg ihrer Partei fixiert, daß sie einen Gegensatz zwischen dem heute Geltenden und den bis gestern geehrten Leitwerten zulassen. Unzufriedene Gesichter sah man nicht, als die Regierung Bush einen Krieg gegen Saddam Hussein zur Förderung der „Geschlechtergleichheit“ und einer im „befreiten“ Land aufzurichtenden säkularen Staatsform verkündete. Die Basis achtet keineswegs darauf, daß die hier propagierten Werte bis in die letzten paar Jahrzehnte keineswegs als „konservativ“ oder „bürgerlich“ galten.
Der Wechsel der Zeitzeichen begann, als die Neokonservativen vor dreißig Jahren die republikanische Partei mit ihren sogenannten Beratern besetzten. Gleich nach seinem Sieg wurde Bush zum Exponenten dieser alleinseligmachenden Heilslehre der neokonservativen Neuerer in der „grand old party“, den Republikanern. Und sein Anhang folgte ihm gern, auch wenn die neue Lehre der früheren einigermaßen widersprach.
Fazit: Was als „konservativ“ oder „bürgerlich“ zu gelten hat, hängt von wahltaktischen Forderungen und dem Wunsch ab, die Linken nicht zu sehr zu treffen. Der heute in den USA sowie in Deutschland vertretene Wertkonservatismus kommt von Parteien, die mit den linken Medien leidlich auskommen wollen. Derweil speist man die Basis mit einer Diät ab, die pauschal als „konservativ“ etikettiert wird. Damit ist die Parteibasis im Zaum gehalten, und scharfe konservative Stellungnahmen werden verhindert.
Das bedeutet keineswegs, daß die Basis in einem Vakuum frei von Ideen schwebt. Die Anhänger bekunden ihre Überzeugung dadurch, daß sie ihr Kreuzchen neben dem bekannten Parteinamen macht. Daraus ergeben sich gravierende Konsequenzen. Einer Rechtspartei die Stange zu halten, liegt der betreffenden Wählerschaft fern. Ihren Konservatismus dokumentiert sie, indem sie einen altgewohnten Gegenstand, nämlich eine nach links drängende Partei der Mitte, routinemäßig unterstützt. Schwer ist sich vorzustellen, was diesen Wählern passieren müßte, um sie zum Umdenken zu bewegen.