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Oikophobie

Von Thierry Baudet


Der Haß auf das Eigene und seine zerstörerischen Folgen


Oikophobie ist der Gegensatz zur Angst vor dem Fremden, der Xenophobie. Sie ist die Krankheit unserer Zeit. Ihre Kennzeichen sind die Abkehr von Geborgenheit und eine gegen das Eigene gerichtete Zerstörungswut. Es sind insbesondere die westlichen Eliten, die von der Oikophobie angetrieben werden. Aus diesem Grund haben sie einen Prozeß in Gang gesetzt, der die Nationalstaaten entkernt und die EU zu einem europäischen Super-Staat formen soll. Aus diesem Grund fördern sie die systematische „Verdünnung“ der einheimischen Bevölkerung durch Masseneinwanderung und leisten der Islamisierung Vorschub. Aus diesem Grund betreiben sie die Entwurzelung der ihnen anvertrauten Völker durch modernistische Kunst und Architektur, die das Heimatgefühl der Menschen zerstört und den alten Städten Europas ihre Schönheit und das Vermögen, Geborgenheit zu vermitteln, nimmt. Im Anschluß bringen wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch „Oikophobie“, dessen Autor als „neuer Star der niederländischen Konservativen“ gilt.

Kunst muß authentisch sein

Seit Jahr und Tag wird Philosophiestudenten die ebenso irritierende wie sinnlose Frage nach dem „Schiff des Theseus“ vorgelegt. Dieses berühmte philosophische Paradox resultiert aus der unlösbaren Frage, warum ein Schiff, selbst wenn alle Teile während einer umfassenden Restaurierung erneuert worden sind, noch immer als das dasselbe Schiff bezeichnet werden kann. Eine andere Frage stellt sich dann, wenn wir aus allen übriggebliebenen ursprünglichen Teilen ein neues Schiff bauen. Wäre es dann nicht eigentlich das ursprüngliche Schiff?
Vollkommen zu Recht verwies Ludwig Wittgenstein darauf, daß diese neunmalkluge Frage sich letztlich nur der Doppeldeutigkeit des Wortes „dasselbe“ bedient. Immerhin, wenn wir unter „dasselbe“ „unverändert“ verstehen, dann ist es in der Tat nicht mehr dasselbe Schiff. Verstehen wir unter „dasselbe“ hingegen „das Gleiche“, dann ist es offenbar „dasselbe“ Schiff. So nutzlos dieses Gedankenexperiment auch ist, es hat auf die Westeuropäer – jedenfalls seine moderne, dekadente Verkörperung – eine starke Anziehungskraft. Nur wenige andere Themen bewegen ihn so wie „Authentizität“.
Ich habe das am eigenen Leib zu spüren bekommen, als ich vor einiger Zeit bei einem Essen mit einigen gebildeten Kulturliebhabern ins Gespräch gekommen bin. Ich hatte zu dieser Zeit gerade eine Lithographie von Braque gekauft, die für einen Bruchteil des normalen Preises verscherbelt worden war, weil die Signatur des Meisters fehlte. Meine Gesprächspartner fanden einen solchen Preisunterschied begreiflich und vollkommen rechtmäßig. Schlimmer noch, es sei ziemlich idiotisch von mir, daß ich das Werk hatte kaufen wollen. Es wäre doch nicht „authentisch“? Was sollte man damit anfangen?
Ich antwortete, daß es meiner Meinung nach um die Qualität des Kunstwerks gehen müsse. Was machte es aus, wer es geschaffen hatte und ob es „authentisch“ sei oder nicht? Diese Auffassung wurde sofort vom Tisch gefegt. In der heutigen Kulturdiskussion überschattet Authentizität alles andere. Kunsthistoriker glauben, daß es so etwas wie eine „westliche Stilentwicklung“ gibt, die in groben Zügen von den Fresken Giottos aus dem 14. Jahrhundert bis zur abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts reichen würde, daß die Kunstgeschichte dazwischen von der einen zur nächsten – deutlich voneinander unterscheidbaren – Stilepoche mit immer neuem Erkenntnisgewinn fortschreitet und daß es absolut unmöglich sei, in einer Epoche Kunst im Stil einer anderen, bereits vergangenen Epoche zu schaffen. Dann würde es „Kitsch“ werden, so behaupten sie, oder „Pastiche“ (das ist dann ganz besonders schlimm).
Man glaubt auch, daß wir die Künstler vor allem wegen ihrer „revolutionären“ Einsichten bei dem Fortschritt dieser als notwendig, ja als zwingend betrachteten Entwicklung rühmen und würdigen müssen – und daß eine Beurteilung wie „schön“ hoffnungslos irrelevant sei (es geht ja um „Erneuerung“). So wird eine Lithographie von Georges Braque beispielsweise nicht wegen der tiefen psychologischen Einsicht, von der sie zeugt, angepriesen – und ausgepreist –, oder wegen ihrer großartigen Farbgebung, sondern weil es ein authentisches Produkt eines „wichtigen Vorläufers“ oder „Trendsetters“ in der Stilentwicklung ist.
In den Künsten ist ein Nachbau oder eine unsignierte Reproduktion des „Schiffs des Theseus“ – wie meine Lithographie von Braque zeigt – also ein nahezu wertloses Produkt, während alles, was „authentisch“ ist – ungeachtet dessen, wie klein der innere Wert davon auch sein mag – zu wahnwitzigen Preisen verkauft wird.
Nehmen wir das Urinal von Marcel Duchamp, das nach Aussage des Economist für bis zu 2,5 Millionen Dollar angeboten wurde. Warum kauft man nicht für neues Geld ein neues Urinal, wenn man das so gern zu Hause haben möchte? Die Antwort ist natürlich, daß es niemandem um die innere Schönheit oder Aussagekraft des Werkes geht. Es geht um die Authentizität, die einzige Daseinsberechtigung der konzeptionellen Kunst. Es ist schon schockierend, daß Menschen bereit sind, so viel Geld für eine bloße Wegmarke der Kunstgeschichte auszugeben. Wenn die Authentizität über Qualität steht, ist Kultur dekadent geworden. Wenn Urheber oder historischer Ursprung wichtiger sind als der ästhetische Wert, gibt es keine kulturellen Ideale mehr, sondern nur noch Eitelkeit.
Früher oder später wird man dieses Dilemma überwinden müssen, und die westliche Kultur, die nun schon länger als ein halbes Jahrhundert ziemlich unfruchtbar ist, wird wieder zu sich zurückfinden. Die Malereien eines Rembrandt werden in dreihundert Jahren physisch nicht mehr existieren. Einige hundert Jahre später werden die Werke Braques folgen. Unwiderruflich stehen wir damit vor der Wahl, perfekte Repliken zu erstellen, um so diese größten Schöpfungen für die Zukunft zu bewahren, oder zu akzeptieren, daß sie – wegen unserer dekadenten Auffassungen von Authentizität und individueller Urheberschaft – definitiv verschwinden.
Regelmäßig demaskierte „Meisterfälscher“ führen vor Augen, daß es durchaus möglich ist, Kunstwerke so zu imitieren, daß niemand den Unterschied mehr erkennt – selbst nicht nach ausführlicher Begutachtung. Auf den ersten Unternehmer, der sich traut, ein Replikenmuseum zu eröffnen, darf man gespannt sein. Alle Kunstwerke aus dem Louvre, nicht von echten zu unterscheiden. Anfassen erlaubt. Zu kaufen für 20.000 Euro das Stück.

Lärmende Kleinkinder und echte Kunstwerke

Alan Sokal ist Hochschullehrer für Mathematik und Naturwissenschaften in London und New York. 1996 sandte er einen Artikel an die Zeitschrift Social Text, ein bekanntes Periodikum für „cultural studies“. In dem Artikel erklärte er, daß die Schwerkraft ein „linguistisches Konstrukt“ sei. „Feministische Denker“ hätten gezeigt, so Sokal, „daß die Mathematik durch kapitalistische, patriarchalische und militaristische“ Konzepte deformiert werde. Er folgerte, daß eine „feministische Mathematik“ notwendig sei. Damit könnte eine „konkrete Handreichung“ für eine „progressive politische Praxis“ entstehen.
Der Artikel trug die Überschrift: „Grenzen übersteigen: Zu einer transformativen Hermeneutik der Quanten-Schwerkraft“. Die Redaktion der Zeitschrift sah darin den „ehrlichen Versuch“ eines Naturwissenschaftlers, auf seinem Fachgebiet „eine Bestätigung der postmodernen Philosophie zu finden“. Sie beschloß, den Artikel zu veröffentlichen. Erstaunt und empört vernahmen sie am Tag des Erscheinens, daß der Artikel kein ernsthafter Beitrag zu einer wissenschaftlichen Debatte sei, sondern ein Witz, um zu zeigen, daß die postmodernistische Soziologie einfach blödsinnig ist.
Frage: In wie vielen Disziplinen können vergleichbare Witze gemacht werden?
In dem Film Intouchables (2011; dt. Ziemlich beste Freunde) präsentieren ein eleganter alter Pariser und sein junger afrikanischer Freund Farbspritzer auf einer Leinwand als die „neueste Avantgarde“. Kunstbegeisterte Kenner bezahlen dafür beinahe so viel wie das Museum Boijmans van Beuningen, das im Dezember 2010 für den „Erdnußbutter-Boden“ („Peanut Butter Platform“) von Wim T. Schippers 30.000 Euro gezahlt hatte. Der auf dem Boden verstrichene Brotbelag wurde mit Stolz im Museum ausgestellt.
Ein paar Jahre zuvor hatte die Gemeinde Rotterdam etwa 200.000 Euro für „Kabouter Buttplug“ bezahlt, ein gigantisches Standbild eines Gartenzwerges als „Weihnachtsmann“, der ein Sexspielzeug wie einen „Weihnachtsbaum“ in seiner Hand hielt. „Es paßt so fantastisch in diese Zeit und diese Gesellschaft“, befand der Industrielle und Kunstsammler Joop van Caldenborgh, der dieses Werk für die Gemeinde angekauft hatte.
Die Wut in der Bevölkerung sorgte dafür, daß das Monument ein paar Jahre im Rotterdamer Museum Boijmans van Beuningen versteckt werden mußte. Als es später doch wieder in der Stadt aufgestellt wurde, sagte der Museumsdirektor Sjarel Ex: „Ich bin froh, daß wir zur Akzeptanz dieses Kunstwerks in der Bürgerschaft beitragen konnten.“
Die heutige atonale Musik ist mindestens genauso anfällig für Betrügereien wie die postmoderne Soziologie und Konzeptkunst. So schickte der niederländische Komponist Ed(uard) de Boer eine Komposition an den Fonds für Podiumskünste (damals noch Fonds für schöpferische Tonkunst genannt) – der über die Möglichkeit verfügte, Fördergelder für Stücke zu beantragen, die bereits geschrieben wurden. Die Komposition trug den Namen Bubbles und bestand aus fünf kurzen Sätzen.
Die Noten waren aber nicht vom Komponisten erdacht, sondern von seinen beiden Söhnen, fünf und zehn Jahre alt, erzeugt worden, die er einen Mittag lang völlig willkürlich auf seinem elektrischen Keyboard hatte spielen lassen. Das Stück klingt wirklich scheußlich – und kann sogar auf YouTube angehört werden.
Der Fonds bewilligte die Fördergelder. Dabei lagen zwei Gutachten „unabhängiger Kommissionen“ zugrunde. Diese Kommissionen hatten die „kompositorische Qualität als wichtigstes Kriterium“ aufgeführt. Im Bewilligungsschreiben konstatierte der Fonds: „Beide Kommissionen beurteilten das Werk positiv. Sie waren der Meinung, daß die relativ kurze Komposition fachkundig erstellt wurde und diese durch ihr Idiom Ihr [de ­Boers, d. Ü.] bisheriges Werk übertrifft.“
Das Idiom des Komponisten Ed de Boer, das in dieser Unsinnskomposition nach Aussage des Fonds also „übertroffen“ wurde, ist tonal, angenehm anzuhören, hat eine Melodie und eine dramatische Entwicklung – Eigenschaften, die in der heutigen Komponistenbranche mehr und mehr tabu sind.
Die „Bubbles-Affäre“ eröffnete dem niederländischen Komponisten John Borstlap 2011 die Möglichkeit, den Fonds nach der soundsovielsten Ablehnung vor den Richter zu schleppen. Borstlap gehört zu den Komponisten, die der Fonds systematisch außen vor zu halten versucht. Trotz der herrschenden Orthodoxie versucht er ernsthafte, tonale Musik zu schreiben. Sein letzter Auftrag kam von den Berliner Kammersymphonikern. Er wird international von führenden Ensembles gespielt und von deutschen und amerikanischen Dirigenten und Musikforschern gelobt. Meisterpianist Alfred Brendel sagte über ein Stück von Borstlap, daß er „auf wunderbare Weise den Geist von Liszts später Musik erfaßt und auf persönliche und überzeugende Weise weiter entwickelt“. Das ist typisch für jemanden, der nie Fördergelder erhält.
Verwaltungsrechtlich hatte die Sache wenig Aussicht auf Erfolg: Der Fond ist eingesetzt, um die „Qualität und Originalität“ einer Komposition zu beurteilen, und der Richter wird sich dort nicht einmischen. Als der Verwaltungsrichter am 6. April 2012 sein Urteil fällte, respektierte er die „Autorität“ des Fonds. Daß der Fonds zur „Bubbles-Affäre“ erklärt hatte, auch „eine Form von Zufall“ könne Kunst sein, nahm der Richter einfach hin. Dennoch: So wie die Zeitschrift Social Text ihre Redaktionspolitik nach der Sokal-Affäre grundlegend geändert hat, müßte auch der Fonds sein Scheitern erkennen und seine Politik grundlegend ändern. Wer eine Unsinnskomposition, entstanden durch Kinder, die auf eine Tastatur hämmerten, nicht mehr von einem ernsthaften Kunstwerk unterscheiden kann, hat seine Glaubwürdigkeit verloren. […]

Fuck Koolhaas!

1940 warnte der Journalist Kees Hazelzet, daß der Charakter des alten Rotterdam nach dem Krieg nicht verschwinden dürfe: „Rotterdamer, paßt auf! Jeder von uns trage das seine dazu bei, daß die Seele Rotterdams bewahrt bleibt und nicht entstellt wird.“ Er fürchtete, daß die Rotterdamer sonst „durch die Jahrhunderte hindurch auf der Suche nach der Seele ihrer Stadt“ bleiben würden.
Genau das aber, was Hazelzet befürchtet hat, ist dann aber geschehen. Wer auf der Karte Rotterdams nach den Orten sucht, auf denen sich das kulturelle Leben abspielt, der wird ausnahmslos immer an die Grenze der damals von den Bomben getroffenen Stadtmitte kommen. Dieses Orte, an denen geschmackvolle Gebäude mitfühlend ihrer modernistischen „besseren Hälfte“ gegenüberstehen, sind inzwischen als „Brandgrenze“ ausgewiesen und weisen noch einen letzten Rest von dem auf, was einstmals der Charakter der Stadt gewesen sein muß. Touristen verweist man daher auch gern an diese Brandgrenze; im „Zentrum“ hat abends nur noch „Media Markt“ geöffnet.
Der Müll, den modernistische Ideologen nach 1945 bauen ließen, hat nichts als soziales Elend, kulturellen Kahlschlag und Trauer hervorgebracht.
Wie konnte das geschehen? Lassen wir Rem Koolhaas zu Wort kommen, den großen Star der heutigen modernistischen Architektur – und daher auch „Stararchitekt“ genannt –, dem das NRC Handelsblad im Oktober 2011 ein Sonderheft gewidmet hat. Er bekannte in diesem Heft, daß er eine Aversion gegen den „Menschlichkeitsfetischismus“ habe. Die Architektur müsse keine Gebäude schaffen, in denen sich Menschen „vor allem gut fühlen könnten“, es gehe darum, „Dogmen zu durchbrechen“. Der Architekt will Dinge verändern.
In der luxuriös ausgestatteten Beilage des Sonderheftes durfte Koolhaas ausführlich Brasilia, diese modernistische Hölle, loben. Endlose Betonkolosse und Hochhäuser wie in Bijlmer stehen dort in „Flugzeugform“. Der Stararchitekt preist dies alles: „Keine einzige Sinnlosigkeit, kein einziges Detail, immer geradeaus, immer geradeaus.“ Was ihn betreffe, sei der Architekt ein „Genie“ gewesen, er besaß „Genialität“, die Gebäude seien „genial“. Die Erbauung dieser Stadt sei eine „Heldentat.“
Die Diskrepanz zwischen dem Konzept des Architekten und der Perspektive der Bewohner kann fast nicht dramatischer sein. Denn auch wenn die „Flugzeugform“ für den Architekten an seinem Zeichenbrett sehr spannend aussah, ist es dennoch nicht das, was die Bewohner dieses „Flugzeugs“ sehen: Sie sehen nur graue Masse und eintönige Häßlichkeit. Daß Brasilia 1987 in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen wurde, ist daher auch ein krasser Fehlgriff. Wir können nur hoffen, daß das Konservieren solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit uns vor einem zweiten Brasilia bewahrt.
Denn in der Architektur geht es nicht um „Konzepte“. Es ist nicht die Aufgabe des Architekten, etwas zu verändern, wie Koolhaas denkt, um den Menschen eine „neue Realität“ zu zeigen und sie von „Konventionen“ zu befreien. Des menschlichen Maßes und ihres Zuhauses beraubt, werden Bewohner der Amateurphilosophie eines nebulösen Quasikünstlers unterworfen. Das grottenhäßliche Niederländische Architekturinstitut beispielsweise, ein Entwurf des modernistischen Architekten Jo Coenen, erklärt auf seiner Webseite, daß sich die „geschachtelten Formen“ dieses Gebäudes auf die „weißen Villen an der Jongkindstraße beziehen“. Darüber hinaus gäbe es durch „den Gebrauch von Laufbrücken, Relingen, Wasser, Stahl …“ auch Bezüge zur Rotterdamer Hafenarchitektur. Mindestens genausowenig nachvollziehbar ist der Hinweis, daß der viele Beton „Assoziationen mit einer Parkgarage vermeiden“ solle.
Wie konnte es nur soweit kommen? Warum hüllen Architekten ihre Machwerke in „Erklärungen“? Die Antwort ist genauso einfach wie schockierend: Weil ihre Architektur so häßlich ist, daß sie ohne „theoretische Rahmenbedingungen“ nicht mehr gutgeheißen werden können. Moderne Architekten wollen uns glauben machen, daß die traditionelle „Stilentwicklung“ ausgeschöpft sei, daß die Schönheit ihr Gesicht „verbrannt“ habe und daß es keinen Weg zurück mehr gebe. So gibt es Menschen, die – gedrillt auf diesen hochintellektuellen Schwachsinn – in einem Atemzug behaupten, daß sie Amsterdam „natürlich schön“ finden, aber daß jetzt natürlich nicht mehr so gebaut werden könne. Dann wäre es „Kitsch“, so ist ihnen gelehrt worden, oder „Pastiche“.
Daß dies Unsinn ist, beweist die Altstadt von Warschau, die 1944 zu mehr als 85 Prozent dem Erdboden gleichgemacht worden war. Nach dem Krieg wurde deren Zentrum so gut wie komplett wieder aufgebaut. Diese „Altstadt“ gehört gegenwärtig zu den großen Publikumsmagneten in Polen. Das Gleiche gilt in Deutschland für Dresden.
Die Möglichkeiten schöner Architektur beschränken sich ja nicht auf den Wiederaufbau. Die Arbeiten des Luxemburger Architekten Léon Krier zeigen, wie neue Architektur aussehen kann, wenn wir die eingebildete Notwendigkeit des „Modernismus“ durchbrechen. Auch Krier fügt moderne Elemente in sein Werk ein – an Traditionen anzuknüpfen muß ja nicht Stillstand bedeuten. Anstelle der modernistischen Unsinnsphilosophie geht er von ästhetischen Erfahrungen – und der einfachen Perspektive der Bewohner – aus und nicht von der Flugzeugperspektive am Reißbrett.
Kees Hazelzet beendete seine Gedanken 1940 mit einem Appell an die Baumeister des neuen Rotterdam. Er trug ihnen auf, „Rotterdamsch zu sein, verbunden mit der Erde, auf der es jahrhundertelang voller Lebenskraft pulsiert habe. Laßt sie nach dem Vergangenen fahnden, versuchen, etwas davon mitzunehmen und dieses in ihren neuen Schöpfungen zu bekunden …“
Dieser Rat war nicht an die Modernisten gerichtet. Mit Feuereifer haben sie ihr ideologisches Projekt auf die Stadt übertragen – und statt den Kurs zu ändern, hat Koolhaas neuerlich noch einmal drei modernistische Megaprojekte übertragen bekommen. Vielleicht werden ihm deren soziale Auswirkungen nicht viel ausmachen, denn Koolhaas hat es nicht so sehr mit den „Menschen“. „Fuck the context“, sagt er. Es ist Zeit, daß wir ihm antworten: „Fuck den Koolhaas!“

Thierry Baudet
Oikophobie
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180 Seiten, Taschenbuch
Ares Verlag, 2017
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