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„Heute bin ich natürlich rechts!“

Philosophie-Professor Dr. Günter Zehm über den Verlust von „­Deutungsdominanz“ der alten Eliten: „Die herrschenden Volksfront­politiker und ihre Leitmedien sind von richtiger Panik erfasst“

Von Günter Zehm, 84, dem „Philosophen des gesunden Menschenverstands“, als der er – nach einem seiner Buchtitel – gern apostrophiert wird, erscheint seit nunmehr über 35 Jahren auch die Zeitungskolumne „Pankraz“. Woche für Woche 6000 Zeichen. Sie gilt als Geheimtip im gehobenen deutschsprachigen Zeitungsjournalismus. Zweifellos stellt sie ein Unikat in der bundesrepublikanischen Medienwelt dar. Zehm veröffentlichte sie zunächst in der Tageszeitung DIE WELT und dann im „Rheinischen Merkur“. Seit 1995 erscheint sie in der Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Die Pankraz-Kolumne verknüpft auf schier unerschöpfliche Weise philosophische Grundfragen mit aktuellen Ereignissen aus Politik, Kunst und Kultur. Kolumnenautor Günter Zehm bezieht damit stets klare Positionen: So spricht er sich zum Beispiel gegen unkontrollierte Masseneinwanderung und ungebremsten Familiennachzug aus. Er plädiert für echte Volkssouveräntität und ist gegen Multikulti. Eine „Ehe für alle“ kommt für ihn ebensowenig in Frage wie die staatliche Anerkennung eines ominösen „dritten Geschlechts“.

Mit „Pankraz“, alias Günter Zehm, sprach Bernd Kallina.

Wie haben Sie den Abend zur deutschen Bundestagswahl vom 24. September 2017 erlebt, der einen massiven Einbruch der Altparteien anzeigte und neue Kräfte ins Parlament brachte?
Ich saß, eher melancholisch gestimmt, vor dem Fernseher und dachte an Österreich, wo sich ja schon ein Sieg der Kurz-Schwarzen und der Strache-Blauen bei den kommenden Nationalratswahlen abzeichnete. Genau das, dachte ich, bräuchten wir in Deutschland: Statt Merkel einen entschlossenen jüngeren Politiker, der weiß, was die Stunde geschlagen hat und was das Volk wirklich will, und rechts davon eine konservative Formation, die in Bundesdingen bereits hinreichend Erfahrung hat und zur Koalition mit einer Nicht-mehr-Merkel-CDU/CSU bereit ist.

Welche Chancen sind mit dem Einzug der AfD als zweitgrößter Oppositionspartei in den Deutschen Bundestag verbunden, und wie müßten sie zum Wohle des Landes genutzt werden?

Das ist schwer zu sagen. Zunächst wird die AfD wohl nichts weiter sein als der Punchingball für die erneuerte linke Volksfront, die wir – in welcher Form auch immer – in der nächsten Zeit haben werden und die nun via Parlament und „Leitmedien“ permanent auf die 13% rechten Teufel einschlagen wird.

„Das Meinungsklima steht ­eindeutig auf Wandel“

Sehr viel wird vom Geschick, vom inneren Zusammenhalt und der öffentlichen Rhetorik der AfD-Fraktion im neuen Bundestag abhängen. Wenn sie es schafft, sich trotz all der gegen sie eröffneten Intrigen und Gemeinheiten als interessante und wichtige parlamentarische Kraft dauerhart erkennbar zu machen, wäre à la longue tatsächlich ein echter Politikwandel in Deutschland möglich. Denn das Meinungsklima im Lande steht eindeutig, was den Blick auf die Politik betrifft, auf Wandel; man ist des alten Trotts unendlich müde und sehnt sich nach neuen Taten und neuen Gesichtern.

Zum respektablen AfD-Erfolg hat zweifellos Frau Merkels totale Grenzöffnung erheblich beigetragen. Sie, Günter Zehm, haben die von der Kanzlerin befeuerte illegale Masseneinwanderung nicht nur als monumentale Fehlleistung bezeichnet, sondern auch als ein „Verbrechen“. Halten Sie diesen Fundamentalvorwurf aufrecht oder würden Sie ihn heute relativieren?
Von Relativierung kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe damals versucht, die von Merkel ausgerufene „Willkommenskultur“ so genau wie möglich mit der herrschenden Gesetzeslage zu vergleichen, sowohl was die Gesetze selbst als auch ihre Interpretation durch führende Staatsrechtler betrifft. Das Ergebnis war desaströs und offenbarte Gesetzesbruch an sämtlichen Fronten.
Daran ändert auch nichts, daß die Regierung später unter dem Druck der Ereignisse ihre Praxis vollständig änderte. Zuerst propagierte man eine völlig ungehemmte „Willkommenskultur“ und verschrie alle, die dagegen waren, als Nazis und Demokratiefeinde. Dann sagte man eine Weile gar nichts – und heute praktiziert man ungeniert die Abgrenzungs- und Kontrollmethoden, die der verteufelte Meinungsgegner von einst ins Spiel gebracht hatte. Es geht bei Merkel & Co. offenbar nicht um das „Was“, sondern einzig um das „Wer“. Nicht was einer vorschlägt und propagiert, zählt heute in der aktuellen Berliner Politik, sondern nur, wer es sagt und praktiziert.

„Es gibt keine Diskussion mehr, sondern nur noch Denunziation“

Nun, die Deutungsdominanz der alten politisch-medialen Eliten nimmt aber rapide ab, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo, besonders in Europa. Primitive Klischees von Seiten der Etablierten treten an die Stelle subtiler Überzeugungsarbeit und realitätsnaher Argumentation. In Frankreich zum Beispiel wurde kürzlich der bis dato allerseits akzeptierte und bewunderte Soziologe und Großintellektuelle Alain Finkielkraut wegen seines neuen, äußerst differenzierten Buches „Die unglückliche Identität“ (Edition Stock) mit größtem Medienaufwand als „Parteigänger von Marine le Pen“ beschimpft und als Störenfried und intellektueller Fremdkörper denunziert. Wie nehmen Sie das wahr, Herr Zehm?

Solche Kampagnen kommen neuerdings auch bei uns tagtäglich vor. Es gibt keine Diskussion mehr, sondern nur noch Denunziation und man schämt sich dessen nicht einmal mehr, ganz im Gegenteil: Wer abweichende Meinungen vertritt oder auch nur kräftige skeptische Fragezeichen setzt, der wird überhaupt nicht mehr als Publizist anerkannt. Entweder man schweigt ihn in den televisionären oder gedruckten „Leitmedien“ einfach tot, oder man stellt ihn als eine Art medizinischen Pflegefall hin, der eigentlich in die psychiatrische Behandlung gehört. Ganz ähnlich erging es ja in der Spätzeit der Sowjetunion einigen bekannten dissidentischen Militärs und Wissenschaftlern: Man sperrte sie ins Irrenhaus, wo man sie dann ans Bett fesselte und ihnen „Beruhigungsmittel“ verpaßte.
Aber Sie haben natürlich Recht, die „Deutungsdominanz“, wie Sie es nennen, ist den herrschenden Volksfrontpolitikern und ihren Leitmedien verlorengegangen. Sie operieren nicht mehr aus der Position des überlegenen Wahrheitsverwalters heraus, der völlig gelassen und liberal bleiben könnte, sondern sind von richtiger Panik erfüllt. Sie spüren, daß sie nicht nur beim Volk, sondern auch bei den Intellektuellen immer mehr an Einfluß verlieren, und reagieren darauf hier und da schon mit blindem Umsichschlagen. Rufe nach Antifa-Terror werden laut, nach „Schwarzen Blocks“ und erhobenen Fäusten gegen Abweichler.

„Der Kommunismus ist spektakulär gescheitert“

Wie viele junge Intellektuelle hat einst auch Sie, Herr Zehm, das ideologische System des Marxismus-Leninismus als vermeintlich fortschrittliche Weltanschauung fasziniert. Doch als Sie in der frühen DDR deren totalitäre Realität kritisierten und mehr Meinungsfreiheit und einen „Sozialismus mit menschlichem Angesicht“ forderten, wurden Sie verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Wie hat Sie dieses Schicksal geprägt?

Ach, das ist doch alles schon so lange her! Wer spricht denn heute noch positiv von Sozialismus oder gar von Marxismus-Leninismus? Selbst der bei den Leitmedien so beliebte eingefleischte Neostalinist und Altmarxist Slavoj Žižek ist ja schon ins Wanken gekommen! „Uns Linken“, so verkündete er kürzlich in der „Neuen Zürcher Zeitung“, „ist das Proletariat als Tatwaffe abhanden gekommen. Wir haben kein soziales Instrument mehr, um unseren ideellen Zorn über die Ungerechtigkeiten der modernen Welt in materielle Gewalt umzusetzen.“
Der Kommunismus ist nun wirklich überall in der Welt als Anti-System par excellence und dort, wo man ihn zu „verwirklichen“ versuchte, als pure Horrorwirklichkeit kenntlich geworden. Überall ist er spektakulär gescheitert. Mittlerweile gilt er selbst bei manchen Linken als Inbegriff anthropologischer Dummheit, wirtschaftlicher Ignoranz, irren Größenwahns, mit schrecklichsten Folgen sowohl für das Volk als auch für Wissenschaft und Kunst. Die historisch bekannt gewordenen kommunistischen Politbüros waren allesamt kein „Rat der Götter“, sondern eine Korona machtgieriger Platzhirsche, von denen jeder so bald wie möglich Alleingott werden wollte und alles tat, um seine Mitgötter grausam umzubringen.


Aber er hatte doch, gerade zu der Zeit, als Sie in den Westen kamen, dort eine kräftige ideologische Blüte, etwa in Form der „Frankfurter Schule“ mit ihren führenden Repräsentanten wie Adorno, Horkheimer und Marcuse, deren Spuren in Gestalt der 68er Generation noch heute im linksideologischen und antinationalen Sinne wirksam sind. Sie haben bei Adorno promoviert: Wie haben Sie ihn als Repräsentant dieser „Frankfurter Schule“ und persönlich erlebt?
Ich kam als junger Leipziger Ernst-Bloch-Schüler, der sich gerade für den französischen Existenzialimus à la Jean-Paul Sartre und Albert Camus zu interessieren begann, in den Westen und ging an die Goethe-Universität nach Frankfurt am Main, um dort noch einige Semester zu studieren und dann eine Doktorarbeit über „Ernst Bloch und Jean-Paul Sartre“ abzuliefern. Meine Doktorväter hießen Theodor W. Adorno (Philosophie), Carlo Schmid (Politologie) und Harald Keller (Bildende Kunst). Alle drei akzeptierten mich nach einigen Gesprächen; meine Universitäts- und Zuchthausjahre im Osten waren ziemlich bekannt geworden und auch an ihr Ohr gedrungen. So schien alles gut nach Plan zu verlaufen.
Über die „Neue Linke“, die sich unter der Führung von Habermas (der später nach Marburg zu Abendroth ging) gerade damals am Adorno/Horkheimer-Institut breit zu machen begann, wußte ich noch wenig und verfolgte es mit Kopfschütteln. Weder Adorno noch Horkheimer waren Marxisten. Letzterer war überzeugter Schopenhauerianer und setzte sich rechtzeitig, bevor es mit der „Kulturrevolution“ richtig losging, in die Schweiz ab.
Adorno blieb und mußte die ganzen Bitterkeiten, die nun über ihn und sein Institut kamen, bis zum letzten Tropfen auskosten. Das Institut wurde „besetzt“, Adorno mußte die Polizei rufen und einen Kriminalprozeß ausgerechnet gegen einen seiner Lieblingsschüler führen. Seine Vorlesungen und Vorträge wurden schwer gestört, mit obszönen Lächerlichkeiten überzogen. Er floh schließlich in den „vorgezogenen Semesterurlaub“, wo er dann an gebrochenem Herzen starb, zur Strecke gebracht von seinen eigenen Schülern. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon promoviert und einen Job als Redakteur und später Feuilletonchef bei der Hamburger „Welt“ angetreten.

Nach der Friedlichen Revolution von 1989/90 wurden Sie Philosophie-Professor an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, just an jener Universität, wo Sie 1957 verhaftet wurden. War es für Sie eine späte Genugtuung, dort als freier Mann und Hochschullehrer auftreten zu können?
Selbstverständlich! Aber Ihr Wort „auftreten“ führt in die Irre. Ich hatte keinen „Auftritt“, wollte nicht als „Opfer“ à la mode wahrgenommen werden, sondern hielt eben einfach meine Vorlesungen und Seminare, beteiligte mich am Institutsleben, nahm Semesterprüfungen ab, sammelte vertraute Schüler um mich. Es waren meine schönsten und produktivsten Jahre.

Wenn Sie einmal zur viel besagten allgemeinen Krise des Westens, der Sie sich in einem Ihrer letzten Bücher ausführlich widmeten, ergänzend Spezialkrisen des vereinten Deutschlands aufzählen müßten – welche Symptome springen ins Auge?
Gibt es denn überhaupt deutsche Spezialkrisen, die wir nicht mit anderen europäischen Nationen teilen? Außerdem sollte man vor allem beim Blick auf deutsche Probleme immer mitbedenken, worauf ich schon in dem von Ihnen erwähnten Buch „An der Kehre“ (Verlag Junge Freiheit, Berlin 2014) hingewiesen habe. Jede Krise birgt in sich auch Chancen. Sie markiert keineswegs nur den Anfang vom Weg in die Katastrophe, sondern auch die Möglichkeit neuer Entwicklungen, die sich sogar positiv auf den Gang der Dinge auswirken können. Entscheidungsfreudigkeit ist dann alles, präzises Zupacken und geduldige Ungeduld.
Hinzu kommt, daß viele Krisen gewissermaßen zwei Gesichter haben. Was die einen als Krise empfinden, ist ziemlich oft für die anderen pures Spaßvergnügen, kann ihnen zumindest Erleichterung verschaffen. Die Herstellung einer europäischen Schuldengemeinschaft, in welcher Form auch immer, würde Deutschland und vor allem den deutschen Sparer in eine fulminante Krisenstimmung versetzen, während sie bei den südlichen EU-Mitgliedern Freude und gute Laune auslösen würde.

Themensprung: Seit Jahrzehnten überraschen Sie jede Woche mit Ihrer berühmten Pankraz-Kolumne Ihre Leserschaft. Zunächst in der Tageszeitung DIE WELT, später dann im „Rheinischen Merkur“ und seit 1995 in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Können Sie uns das Geheimnis Ihrer universellen Kreativität der Themenfindung verraten?

Vielen Dank für das schöne Kompliment! Hoffentlich kann ich den publizistischen Spagat noch eine Weile aushalten; die Zeit nagt an allem. An sich würde ich gern noch ein dickes philosophisches Buch zum Thema “Glaube und Wissen“ schreiben. Außerdem drängen mich Freunde und Verwandte, eine Art Autobiographie zu verfassen: „Du bist in vieler Hinsicht ein Zeitzeuge“, sagen sie, „Du kannst nicht alles mit ins Grab nehmen“.  Andererseits muss Woche für Woche die Pankraz-Kolumne abgeliefert werden; „Liefere pünktlich,“ donnert der Redakteur, „wir haben heute Abend Redaktionsschluss!“
Ich muss bei solchen Reden unabwendbar an den trefflichen Zeichner Wolfgang Hicks denken, der seinerzeit – schon in vorgerücktem Alter – jeden Tag für die Seite 2 der „Welt“ eine politische Karikatur abliefern musste. „Diese Sklaventreiber“, schimpfte er beim Mittagessen in der Kantine, „sie zwingen mich nun schon seit Jahren, jeden Vormittag wie verrückt zu arbeiten!“ Doch dann stockte er plötzlich, hob den Zeigefinger und meinte erschrocken: „Aber wenn die mich nicht zwingen würden, würde ich wohl überhaupt nicht mehr arbeiten“.

Sie haben sich selbst einmal als „Journalist und Philosoph“ bezeichnet. Was verbindet die beiden Berufsgattungen? Fühlen Sie sich im positiven Sinne als eine Art „Volkspädagoge“?

Nein. Ich bin gelernter und gewollter Philosoph und hätte unter normalen Umständen die traditionelle akademische Laufbahn eingeschlagen, wäre in Leipzig bei Bloch, dessen Lieblingsschüler ich war, Assistent geworden, hätte mich habilitiert und an einer Universität schließlich einen eigenen Lehrstuhl bezogen. Doch es hat nicht sollen sein. Die SED in der DDR wollte mit allen Mitteln verhindern, dass Bloch eine eigene „Schule“ bekam; nicht zuletzt deshalb wurde ich ja nach Jena wegbugsiert und später wegen „Boykotthetze“ verhaftet und verurteilt.
Und im Westen passierte dann Ähnliches. Die „Kulturrevolution“ begann, die Dutschkisten begannen ihren erfolgreichen Marsch durch die Institutionen und besetzten und ideologisierten zahllose Universitäten und Redaktionen. Für einen antikommunistischen Ostflüchtling und Marxkritiker war da kein Platz, besonders nachdem ich, um etwas Geld zu verdienen, nach Hamburg zu Springers „Welt“ gegangen war, dessen damaliger Chefredakteur Zehrer im Ruf eines Erzkonservativen stand, den man bis aufs Messer bekämpfte.
Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen: Was verbindet Philosophie und Journalismus miteinander? Die Journalisten sind, würde ich antworten, Spezialisten des Konkreten, dessen also, was tagtäglich passiert und erzählt und bekakelt werden will; die Philosophen sind Spezialisten des Allgemeinen, die fragen, was eventuell hinter den Dingen steht und einen normativen, „gesetzmäßigen“ Einfluß auf sie ausübt. Genau betrachtet, brauchen beide Berufe einander, und es ist, was die Philosophen betrifft, ein Glücksfall, wenn einmal einer von ihnen (siehe Aristoteles, siehe Konfuzius) auch ein guter Journalist ist, der die tagtägliche Lebenspraxis überzeugend und sprachkräftig mit der Hinterwelt des Warum und Wozu verbinden kann.
Was die Journalisten betrifft, so wäre bei ihnen leider ein beträchtlicher Niveauabfall zu konstatieren, der tatsächlich nicht zuletzt mit der erwähnten Panik zu tun hat. Immer mehr Journalisten wollen gar keine gelassenen Berichterstatter mehr sein, sondern ausdrücklich „Kämpfer. „Die großen Medien“, schrieb kürzlich einer von ihnen, der SPD-nahe Groß-Blogger Wolfgang Michal (Carta, Freischreiber e.V.), „die vor Jahren noch erzählten, was guter und verantwortungsvoller Journalismus ist (nämlich professionelle Zurückhaltung), wurden im Verlauf eines knappen Jahrzehnts zu Parteien, die für die gute Sache kämpfen – so wie politische Parteien, Internet-Konzerne oder NGOs seit jeher für sich in Anspruch nehmen, für die gute Sache zu kämpfen“. Michal meinte es positiv: „To Make The World A Better Place.“

Im Wikipedia-Eintrag über Sie wird nur ein einziges Zitat von Ihnen hervorgehoben. Es betrifft zwei quasi zivilreligiöse Zentralbegriffe: „Holocaust“ und „Multikulti“. Beide würden aus Ihrer Sicht in einer faktisch regierenden PC-Diktatur als nicht hinterfragbar dargestellt. Welchen Interessen dient diese ungewöhnliche Tabuisierung?

Das müssen Sie nicht mich, sondern die Macher von Wikipedia fragen. Das Hinterfragen ist natürlich eine erstrangige Tugend sowohl für Philosophen als auch für Journalisten, doch ebenso natürlich ist, daß es in allen Gesellschaften mächtige Meinungstabus gibt und auch staatliche Gesetze, welche auf die Einhaltung dieser Tabus achten und ihre Verletzung mit schweren Strafen bedrohen. Für den gesetzestreuen Bürger gilt es, diese Gesetze einerseits zu respektieren, andererseits den Freiraum, den sie gewähren, sorgfältig auszuloten und auch zu nutzen.
Ich sehe übrigens nicht, daß das Bekenntnis zu Multikulti in unserem Staat schon gesetzlich vorgeschrieben ist. Über Multikulti gibt es völlig legale Diskussionen, an denen – wenn ich das sagen darf – auch ich mich schon ausführlich beteiligt habe; siehe etwa mein Buch „Das Böse und die Gerechten“ (Edition Antaios, Schnellroda 2005). Beileibe nicht jede Minderheitenposition im so genannten öffentlichen Diskurs ist hierzulande bereits staatlich kriminalisiert, es gibt noch ziemlich viel Spielraum, leider nicht mehr so viel wie in China, aber immerhin noch so viel wie in der Türkei.

Von Armin Mohler, dem Grandseigneur der deutschen Nachkriegsrechten, stammt der Satz, daß er sich schon wegen der provokatorischen Schärfe ganz bewußt als politisch „rechts“ im Karpfenteich der Linken und Liberalen bezeichnete. Herr Zehm, können Sie ihm dabei folgen, stehen auch Sie politisch „rechts“?

Dieser von Ihnen zitierte Satz Mohlers kommt mir heute geradezu drollig vor. Ich weiß nicht, aus welchem Jahr er stammt, aber heute, was das Meinungsklima betrifft, von einem linken Karpfenteich zu sprechen, in dem man „rechts“ sein muß, um wenigstens ein bißchen provokatorische Schärfe zeigen zu können – das ist doch reine Schrebergartenperspektive, hat mit den realen Zuständen nichts zu tun!
Heute gibt es diesbezüglich keine Karpfenteiche mehr, sondern nur noch schärfste Kontrollgrapschereien, wie sie auf den Flugplätzen stattfinden. Und wer es wagen würde, sich rein um der Rhetorik willen ein bißchen „rechts“ zu äußern, der wird nicht als bloßer Meinungsgegner behandelt, sondern als hochgefährlicher Schwerverbrecher behandelt, als Nazi und auf frischer Tat ertappter Terrorist, der sofort hinter Gitter gebracht werden muß.

„In den Augen der Eingangs­kontrolleure bin ich rechts“

Wenn Sie mich früher gefragt hätten: Stehen Sie politisch rechts, dann hätte ich mit Nein geantwortet. Die penetrante politische Einordnung „rechts oder links“ ödet mich an. Ich bin weder rechts noch links, sondern ich bin ich und möchte auch als Ich wahrgenommen werden, ohne gleich automatisch irgendwo eingeordnet zu werden. Aber wie gesagt, das war früher. Heute bin ich natürlich rechts. Ich bin zum Beispiel gegen unkontrollierte Einwanderung und ungebremsten Familiennachzug, für Volkssouveränität und gegen Multikulti, gegen Ehe für alle und staatliche Anerkennung eines „dritten Geschlechts“ – und eben deshalb in den Augen der selbsternannten Eingangskontrolleure eindeutig rechts. Aber ein Hecht im Karpfenteich bin ich gerade deshalb nicht.

Kürzlich erschien von dem Autorentrio Leo/Steinbeis/Zorn ein Buch mit dem Titel „Mit Rechten reden“. Das verblüfft insofern, hieß es doch seit Jahrzehnten: Mit Rechten, also mit „Faschisten“, rede man nicht, die bekämpfe man nur. Was ist da passiert?

Wir sprachen ja schon darüber: Passiert ist, daß die angemaßten Kontrolleure der angeblichen politischen Korrektheit in Panik verfallen, weil sie überall die Erfahrung machen, daß ihre Parolen und die von ihnen ausgestellten Passagierscheine nicht beziehungsweise nicht mehr akzeptiert werden, weder im Volk noch bei gutwilligen Intellektuellen. Pures Totschweigen hilft nicht mehr, weil man sich damit nur noch selbst isoliert und von den konkreten Disputen ausschließt. Also will man reden, mitreden, aber wie?
An sich ist Miteinanderreden ja eine gute Sache. Es findet seinen Gipfel im gelassenen akademischen Diskurs, wo es einzig und allein um das gemeinsame Herausfinden von Wahrheit, von unanfechtbaren Tatbeständen und Sprachspielen geht. Freilich, genau das wird in dem von Ihnen erwähnten Buch nicht angepeilt. Es waltet dort vielmehr ein dümmlich-überheblicher Oberlehrerton. „Wir wissen alles besser“, lautet die vorangestellte These, und es geht dann nur noch darum, ob der rechte „Gesprächspartner“ gewillt oder überhaupt in der Lage ist, diese ihm vorgehaltene Besserwisserei zu akzeptieren. Lächerlich!
Sehr schön wurde die Schwarte übrigens von dem Taschenbuch „Mit Linken leben“ von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld (im Antaios-Verlag) konterkariert. Der hektischen Besserwisserei und Herrschaftshuberei der Leo/Steinbeis/Zorn wurde ein leicht angewidertes Achselzucken der Lichtmesz/Sommerfeld entgegengesetzt. So sind die gutmenschlichen Besserwissis nun mal, wurde dem Leser gezeigt, gegen die kann man sich nur mit Geduld und Spucke zur Wehr setzen. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse wurde dieser Gegensatz gut beobachtet und sorgte für Gelächter zuungunsten von Leo/Steinbeis/Zorn. Immerhin.

Sie waren Kulturchef und stellvertretender Chefredakteur der traditionsreichen Tageszeitung DIE WELT, die zu Ihrer Zeit einen intellektuell sehr erfolgreichen, auch national-konservativen Kurs verfolgte und damit hohe Auflagen erzielte. Der derzeitige Springerverlagschef, Mathias Döpfner, scheint einen Dezimierungskurs für seine Paradeblätter „Bild“ und „Welt“ zu fahren, beide stürzen in ihren Auflagen geradezu ab, wie die IVW-Zahlen belegen. Was treibt ihn dazu an?

„Notwendig wäre: Eine Reform der Medienwelt an Haupt und Gliedern“

Muß ich das beantworten? Es liefe doch allzuschnell auf überhebliche Kollegenschelte hinaus. Das ersparen Sie mir bitte! Döpfner und die Mehrheitseignerin Friede Springer haben nun einmal beschlossen, aus dem einst berühmten Zeitungs- und Buchverlag Axel Springer ein riesiges Internetportal mit allen möglichen Geschäftszielen zu machen, sie haben den alten Verlag regelrecht zerschlagen und ihn verkauft, besitzen nur noch „Bild“ und „Welt“, die sie dem angeblichen Mainstream angepaßt haben, selbst als es große finanzielle Verluste verursachte. Mit einer solchen Medienpolitik läßt sich natürlich keine wirkliche Reformation der modernen Medienwelt betreiben.
Genau das aber ist es, was heute notwendig wäre: eine Reformation der Medienwelt an Haupt und Gliedern, sie zum genauen und wortkräftigen Abbild der konkreten Wirklichkeit zu machen, ohne dabei je langweilig oder hyperkritisch zu werden. Voraussetzung dafür wäre die entschlossene Unterscheidung zwischen aktiven Politikern und abbildenden Journalisten, welche sich nie zu gutbezahlten Handlangern oder puren Komplizen der Politik machen dürfen.
Ähnliches trifft übrigens auf die Philosophen zu. Sie sind nicht dazu da, um die Politik mit „Studien“ zu versorgen, die ihr ihre Angebundenheit an höhere Gesetzmäßigkeiten „wissenschaftlich“ bestätigen. Philosophisch bestätigen läßt sich nämlich einzig, daß es nie einen Himmel auf Erden geben wird und daß die Politik das zu akzeptieren hat, wenn sie sich erträglichen Lösungen konkreter Aufgaben zuwendet.

 
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