Die verheerenden Anschläge der baskischen Separatisten-Organisation ETA vom 29. und 30. Juli 2009 haben Spanien und der Welt erneut vor Augen geführt: die nationale Einheit ist alles andere als selbstverständlich. Nicht nur ethnische Minderheiten wie Basken und Katalanen verlangen nach Autonomie oder gar Separation, sondern auch spanische Regionen. Das zeigt sich besonders am starken Abschneiden solcher Parteien bei Wahlen, während andererseits spanischnationalistische Parteien keine Erfolge haben. Tatsächlich gehört Spaniens politische Rechte neben Deutschland zu den schwächsten in Europa.
Das liberale Verfassungswerk der faulen Kompromisse betont in seiner Präambel: „Die spanische Nation will alle Spanier und alle Völker Spaniens im Ausdruck der Völkerrechte, ihrer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Institutionen schützen.“ Dennoch verstärkten sich seither die sezessionistischen Trends. Die Verfassung mußte nach Francos Tod 1975 unter schweren Bedingungen ausgehandelt werden: die Vorstellungen zentralistischer Militärs und ihrer regionalistischen Gegenpole mußten ausbalanciert werden. So betont Artikel 2 der spanischen Verfassung die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“.
Wie aufgeladen die Situation ist, zeigt die vorsichtige und teilweise unsinnige Verwendung von sensiblen Begriffen wie Nation, Nationalität oder Nationalismus. So schlug der ehemalige Regierungschef Zapatero vor, sein Vaterland als „Nation von Nationen“ (Nación de Naciones) zu definieren. Die daraus folgende Nationalität (Nacionalidad) bezieht sich dann aber ausdrücklich nur auf den Bewohner der jeweiligen „Nations-Region“ und nicht auf eine ethnische Kategorisierung. Es gibt eben nur eine gesamtspanische Nationalität. Regelmäßig werden nicht nur Separatisten, sondern auch Autonomisten als „Nationalisten“ bezeichnet, während bei spanischen Nationalisten von „Integralisten“ die Rede ist.
Die großzügigen Autonomiegarantien (siehe unten) verdanken ihre Existenz einem zähen Ringen und Feilschen – konnten darum auch erst 1983 abgeschlossen werden! Das Ergebnis hat jedoch keine Region wirklich zufriedengestellt. Im Gegenteil: Es scheint, als ob die Büchse der Pandora an Argwohn, Neid und Partikularismus erst geöffnet wurde. Die Regionen genießen untereinander unterschiedliche Kompetenzen.
Letztlich läßt sich feststellen: Das Selbstbewußtsein der Regionen nimmt zu, das spanische dagegen merklich ab. Ein Auseinanderbrechen Spaniens ist allerdings unwahrscheinlich, sieht man von einer durchaus möglichen Sezession Baskenlandes und Kataloniens ab. Ein anderer Zustand ist dagegen sehr leicht möglich: Ein außenpolitisch schwaches Spanien mit egoistischen und auch gegeneinander gerichteten Regionen. Das gab es in der sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien mit seinen autonomen Teilrepubliken schon einmal. Warum hat sich der spanische Nationalstaatsgedanke so stark gewandelt? Was sind die historischen Ursachen? Was die politischen Motive?
Spanien gliedert sich administrativ in 17 Regionen, den Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autónomas) und in die zwei afrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Die Kanaren gehören geographisch auch zu Afrika. Die Autonomen Gemeinschaften bestehen wiederum aus Provinzen. Jede Region genießt hohe Selbstverwaltungsrechte in den Bereichen Schule, Arbeitsämter, Gesundheitswesen und Justizverwaltung, doch differieren diese Rechte graduell von Region zu Region. Der Staat wird durch die Institutionen der Selbstverwaltung zusätzlich mit enormen Kosten belastet. Die Autonomen Gemeinschaften Baskenland, Katalonien, Galizien, Aragonien, Andalusien, Kanaren und Valencia führen außerdem die Bezeichnung „Nationalität“ (Nacionalidad) in ihrem Autonomiestatut.
Besonders die Verwendung von Steuereinnahmen sorgt immer wieder für Zündstoff. Gut 33 % der Einkommenssteuer darf von jeder Region behalten werden, Baskenland und Navarra erfreuen sich fast vollständiger Steuerhoheit! Die beiden genannten und Katalonien dürfen sogar eigene Polizeieinheiten aufstellen. Ansporn für andere, eigene Forderungen künftig hartnäckiger durchzusetzen. Den wohlhabenden Regionen ist das nicht genug, den ärmeren aber zuviel, da sie analog dem deutschen Länderfinanzausgleich Anteil am Wohlstand verlangen. Diese fiskalische Großzügigkeit paßt andererseits nicht mit dem Umstand überein, daß die Regionen keine eigene Vertretung im Parlament haben. Zwar gibt es eine zweite Kammer (Senat), doch rekrutiert sich diese aus Provinzvertretern, die übergeordnete Ebene „Region“ fehlt.
Die postfranquistische Verfassung erlaubte den Provinzen, sich zu Autonomen Regionen zu vereinigen. Um das großzügige Entgegenkommen der Zentralregierung effektiver auszunutzen, bestehen manche Regionen nur aus einer einzigen Provinz. Seit der Jahrtausendwende nehmen Planspiele um die Einführung eines Bundesstaates zu.
Spaniens Regionen definieren sich ausschließlich kulturell und historisch, bis auf Galizien, Baskenland und Katalonien, wo die eigene Sprache eine bedeutende Identitätsstifterin ist. Ganz der lateinischen Tradition verpflichtet, spielen ethnische Motive – Regionen als ethnische Abstammungsgemeinschaft – keine Rolle.
Glaubt man den demographischen Statistiken, verteilt sich die Bevölkerung auf 73 % Spanier, 18 % Katalanen, 6 % Galizier, 1,5 % Basken, und 1,5 % Sonstige. Diese Zahlen bedürfen einer Klarstellung: Es handelt sich nicht um Ethnien, sondern um die prozentuale Sprachverteilung. Die tatsächliche Ethnographie zeigt einen weit höheren Anteil Katalanisch-, Galizisch- und Baskischstämmiger. Ganze 23 % der ethnischen Basken verstehen auch Baskisch, gar 10 % können es schreiben!
Mit den Spaniern verhält es sich wie mit Italienern und Franzosen: es existiert ein biologisch-kulturelles Nord-Süd-Gefälle. Je weiter südlich, umso dunkler Haut, Augen und Haar. Der hamitische Einschlag des maurischen Erbes ist offensichtlich. Diese Heterogenität erklärt auch, weshalb in einigen spanischen Regionen wie Andalusien Separatisten schleichend an Einfluss gewinnen. Sie legitimieren ihre Sezession mit dem Verweis, sie seien gar keine Spanier, sondern stellen ein eigenes Volk dar.
Hinzu kommen noch mindestens 300.000 Gitanos (im 16. Jh. eingewanderte Zigeuner) und bis zu 5 Mio. Einwanderer aus Lateinamerika, Afrika, EU und Asien. In Baskenland, Katalonien und Galizien sind die jeweiligen Landessprachen auch Amtssprachen, ansonsten dominiert Kastilisch. Eine spanische Sprache gibt es gar nicht. Die Minderheitensprachen Aranesisch, Asturleonisch, Aragonesisch und Extremadurisch genießen keine Privilegien, stellen sie doch eher Dialekte der anderen Sprachen dar. Offiziell bekennen sich 95 % der autochthonen Bevölkerung zur römisch-katholischen Kirche, die einzige nationale Konstante.
Bis zur Errichtung des Westgoten-Reiches 466 wurde die iberische Urbevölkerung sukzessiv romanisiert. Im 8. Jh. eroberten „Mauren“ aus Nordafrika (Hamiten, keine Semiten) die Halbinsel. Ihre größte Machtentfaltung erlebten die muslimischen Eroberer im 10. Jh., bis ihr Reich in Teilstaaten (11. Jh.) zerfiel. Die katholische Rückeroberung (Reconquista) war bis auf Granada im Süden gegen Ende des 13. Jh. abgeschlossen. Ohne ins Detail zu gehen, läßt sich über die erfolgreiche Reconquista sagen: hauptsächlich die vier – einmal mehr, einmal weniger verbundenen – Königreiche Kastilien, Aragon, Navarra und Leon haben sich zu einem regelrechten „Schutz- und Trutzbündnis“ zusammengeschlossen. Dieser Kampfgemeinschaft gelang es dann, 1497 die gesamte Halbinsel zurückzuerobern. Portugal konnte sich 1094 selbst befreien und isolierte sich. Daß sich die besagten Königreiche auch untereinander befehdeten, spalteten und neu strukturierten, ändert an dieser Tatsache nichts.
Die Heirat der „Katholischen Könige“ Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien 1469 leitete die Geburt Spaniens ein, die mit der Eroberung Granadas 1492 abgeschlossen wurde. Bei diesem Spanien handelte es sich um ein Reich mit starker Spitze, aber ebenso starken konstituierenden Regionen (den fünf Königreichen Kastilien, Aragonien, Navarra, Leon und schließlich Granada). Zur Veranschaulichung mag folgende fiktive Bezeichnung dienen: „Katholisches Spanisches Reich Kastilischer Nation“. Tatsächlich war das kastilische-leonesische Element das wichtigste – Spaniertum und das Kastilische aber keinesfalls identisch. Die konstituierenden Teile waren meist Vielvölkergebiete, in denen jede Ethnie ihre Identität samt Sprache pflegen durfte. Der spanische Imperiumsgedanke mit katholischem Missionsdrang und die Eroberung des wiederentdeckten Amerika festigten den Zusammenhalt.
Der Reichsgedanke nahm erstmals mit dem Dynastiewechsel der Bourbonen als Ergebnis des Spanischen Erbfolgekrieges 1701–1714 schaden. Das neue Königshaus strebte eine starke Zentralisierung und teilweise Kastilisierung aller Reichsteile an. Damit regte sich früh baskischer und katalanischer Widerstand. Kein Wunder, daß viele Basken Hoffnung aus den Ideen der Französischen Revolution (1789) schöpften, so daß sie von der bourbonischen Monarchie des Verrates verdächtigt wurden. Zu spät erkannten Katalanen und Basken den noch stärkeren jakobinischen Zentralismus mit kultureller und sprachlicher Uniformierung.
Der Guerillakampf des besetzten Spaniens gegen Napoleon 1808/09 schweißte die spanischen Gebiete kurzzeitig wieder zusammen. Während der restaurativen Phase nach Napoleons Niederlage 1815 setzte sich jedoch wieder Zentralisierung und Kastilisierung durch. Spanisch zu sein heißt fortan, kastilisch zu sein. Die Karlisten-Kriege des 19. Jh. waren nur vordergründig dynastische Kriege um die Thronfolge, vielmehr propagierten die Karlisten den ursprünglichen dezentralen Reichsgedanken. Unter ihren Anhängern fanden sich auch überproportional viele baskische, galizische und katalanische Kämpfer. Es setzte sich aber eine breite antikarlistische Koalition durch, eine wegweisende Chance war vergeben.
Die Industrialisierung der heutigen Regionen Katalonien und Baskenland mit ihren Erschütterungen traditioneller Gewissheiten, einwandernde südspanische Arbeiter und die inspirierenden Einflüsse des europäischen Völkerfrühlings Mitte des 19. Jh. ließen auch Spaniens ethnische Minderheiten nach ihrer eigenen Identität suchen. Separatistischer Nationalismus blieb aber lange die Ausnahme.
Nach dem Sturz der Monarchie 1931 entschieden sich Basken, Katalanen und Galizier für die republikanische Sache. Den Linksrepublikanern gelang es, das drängende Minderheiten- und Regionenproblem für ihre Zielsetzung zu instrumentalisieren. Dabei waren gerade Basken wesentliche Stützen von Monarchie und Katholizismus gewesen. Während des äußerst blutigen Bürgerkrieges 1936–1939 belohnte die linksrepublikanische Koalition ihre baskischen und katalanischen Getreuen mit großzügiger Selbstverwaltung, während Galizien von Beginn an zum nationalistisch-monarchistischen Einflußbereich gehörte. Baskenland und Katalonien wurden de facto Freistaaten ohne außenpolitische Kompetenz (aber eigener Währung).
Der nationalspanische Sieg manifestierte sich in einer nie gekannten Kastilisierungspolitik: Grabsteine, Orts- und Familiennamen wurden ins „Spanische“ übersetzt, Autonomisten blutig verfolgt, tausende Angehörige ethnischer Minderheiten zur Auswanderung gedrängt. Heute leben 80 % aller ethnischen Basken in Lateinamerika! Der baskische bewaffnete Widerstand endete erst 1947. Das Franco-Regime leugnete die Existenz ethnischer und sprachlicher Minderheiten und kreierte willkürliche Provinzgrenzen. In den 1960ern formierte sich entsprechend bewaffneter Widerstand gegen diese Nivellierungsmaßnahmen. Hier schlug die Geburtsstunde von ETA und Co.
Es sollte darauf hingewiesen werden, daß Karlisten und Falangisten während und auch nach dem Bürgerkrieg den dezentralen Reichsgedanken betonten. Gerade der Falangismus Antonio Primo de Riveras steht dem Franco-Staat diametral gegenüber.
Als besonders verheerend für die Stabilität der Nation erweist sich die spanische Form von Vergangenheitsbewältigung: Alles, was unter Franco positiv dargestellt wurde, gilt heute als falsch. Dazu gehört der Stolz auf die spanische Nation und die Erinnerung an die glorreiche imperiale Vergangenheit. Freilich lehnt man Separatismus ab, sieht aber im spanischen Patriotismus – und nicht etwa nur im Zentralismus – dessen Ursache. Der überwältigenden Mehrheit der Spanier fehlt nun dieses Nationalbewußtsein, daher rührt die Suche nach neuer Verankerung in den Regionen.
Es gilt wie überall im Brüsseler Europa: böser Nationalstaat, gute Regionen, aber nur solange sie dienlich sind. Daher haben Spaniens Regionen zunächst Narrenfreiheit. Den „Schwarzen Peter“ haben heute Spaniens Konservative, diese gelten nicht grundlos als unverbesserliche Unitaristen. Das linksliberale Establishment aus gemäßigten Kommunisten, Sozialisten und Grünen heuchelt Verständnis für regionale Bedürfnisse. Das kennt man ja auch von Großbritannien. Vorkämpfer für Dezentralisierung waren neben Christdemokraten auch Falangisten innerhalb der Franco-Partei, das zu erwähnen ist aber politisch nicht korrekt. Es gehört zum Treppenwitz der Geschichte, daß ausgerechnet unter sozialistischer Regierung ein hinterhältiger schmutziger Krieg von seiten der halbstaatlichen „Antiterroristischen Befreiungsgruppe – GAL“ gegen baskische und katalanische Aktivisten geführt wurde. Wann hatten Linksliberale auch jemals Verständnis für identitäre Vielfalt?
Autonomistische und separatistische Bewegungen sind in allen Regionen unterschiedlich stark präsent, auch in Regionen mit wenig ausgeprägtem Eigenbewußtsein (z. B. Extremadura, Murcia). Es gilt die logische Formel: je stärker die Autonomisten, umso schwächer die Separatisten. Die totale Sezession wird von der Regionalbevölkerung mehrheitlich auch gar nicht gewollt. Wie in anderen Ländern auch, befördern eine eigene Kultur und Sprache den Willen zur Separation, vor allem, wenn diese mit materiellen Vorteilen einhergeht. So fällt es einer wohlhabenden Region sehr leicht, sich abspalten zu wollen, ärmlichen dagegen schwer. Die Wechselwirkung zwischen materiellen Argumenten und ideellen (eigene bedrohte Kultur und Sprache, Selbstbestimmungsrecht usw.) bedingen einander, und es läßt sich schwer sagen, welche Motivation stärker ist. Manchmal dienen ideelle Begründungen nur der Verschleierung handfester materieller Erwägungen.
Autonomisten stellen den spanischen Gesamtstaat nicht in Frage, verlangen aber immer weiterreichende Selbstverwaltung, teilweise sogar außenpolitische Kompetenzen. Separatisten fordern entweder eigene Souveränität oder wenigsten eine spanische Konföderation. Der Übergang zwischen beiden ist meist fließend. Nahezu alle Organisationen – auch die militanten – vereinen beide Strömungen. Autonomismus ist nicht zuletzt fester Programmpunkt von Sozialdemokraten, Grünen und Reformkommunisten, die regionale Sektionen mit eigenen Namen bilden.
Genau wie bei Autonomisten und Separatisten in Italien, Frankreich und Großbritannien können folgende Tendenzen auch für Spanien festgehalten werden: republikanisch, säkular, ökologisch, staatsdirigistisch, linksnationalistisch: sozialliberal über sozialdemokratisch bis zu einer marxistischen Spielart bei besonders radikalen Kräften. Woran liegt das?
Erstens: Kirche und Monarchie werden mit dem zentralistischen Staat identifiziert.
Zweitens: Das besonders zentralistische Franco-Regime gilt als „rechtsextrem“ bis „faschistisch“, demzufolge müssen dessen regionalistische Gegner irgendwie „links“ sein. Nur die wenigsten Autonomisten begreifen, dass die falangistische Weltanschauung im Sinne ihres Gründers Primo de Rivera ebenso antifranquistisch ist.
Drittens: Nationalismus bzw. Autonomismus werden mit marxistischen Elementen vermengt: Die eigene Region nimmt die Rolle des Proletariats ein, der Einheitsstaat die Rolle des Ausbeuters.
Viertens: Besagter Klassenkampfgedanke findet sich auch innerhalb der Region: Die eigene Oberschicht (z. B. Adel, Großagrarier und Industrielle) wird mit Kollaborateuren identifiziert, die sich bereitwillig kastilisierten und darum klassenkämpferisch bekämpft werden müssen.
Um orthodoxe Marxisten handelt es sich jedoch in den seltensten Fällen. Vielmehr stehen identitäre Motive im Vordergrund – die Erhaltung regionaler Andersartigkeit. Es wird zu einem hohen Grad aus den Traditionen der eigenen Kultur und Region geschöpft, eigene Mythen, Symbole und Riten gepflegt – von „Proletarischem Internationalismus“ kann keinesfalls die Rede sein. Im Gegenteil, mit zunehmendem Einwanderungsdruck lassen sich sogar fremdenfeindliche bis rassistische Reaktionen feststellen. Dass Spaniens Autonomisten und Separatisten dem Moloch Europäische Union distanziert gegenüberstehen, ist ohnehin kein Geheimnis. Wer möchte schon Madrid mit Brüssel eintauschen?
Nachfolgend sollen einige Regionen und Volksgruppen vorgestellt werden:
Katalonien gehört zu den Wohlstandsregionen Spaniens. Der Gedanke liegt nahe, diesen Reichtum selbst zu genießen. Linksliberale autonomistische Parteien sind sehr stark, Separatisten bedeutend schwächer. Der bewaffnete Unabhängigkeitskampf der späten 1970er stellt eine Episode dar. Ein hoher Autonomiegrad mit eigener Polizei gräbt radikalen Kräften das Wasser ab. Es gibt noch eine wichtigere Ursache: Katalonien ist ein Plural.
Separatisten fordern nicht nur eine unabhängige Region Katalonien, sondern ein Großkatalonien. Katalanischsprachige Regionen sind eben auch Valencia, die Balearen, Teile Aragons, Murcias, Provinzen Frankreichs und Andorra. Diese großkatalanischen Separatisten stoßen aber gerade in diesen Regionen auf Widerstand. Man fürchtet die Hegemonie Barcelonas. Ein mangelndes völkisches Denken steht einer großkatalanischen Einigung im Wege. Das kulturelle und historische Bewußtsein für eine starke Region Valencia, Mallorca usw. füllt das identitäre Bedürfnis vollends. Autonomisten und Separatisten machen in der Autonomen Region Katalonien gut 80 % aus.
Mit den Basken verhält es sich ähnlich. Dieses wohl älteste und eigentümlichste Volk Europas hat außerhalb der Autonomen Gemeinschaft Baskenland („Euzkadi“) kaum baskisches Bewußtsein. Die ethnischen Basken in Navarra sind mehrheitlich kastilisiert und fühlen nur ein starkes Regionalbewußtsein. Immerhin gab es einmal ein glorreiches Königreich Navarra. Die erfolgreichen Navarra-Autonomisten gehören zu den wenigen Konservativen ihrer Parteifamilie. Sie erreichen bis 42 % der Stimmen, baskische Separatisten im Norden Navarros noch 29 %.
In der Region Baskenland dominierte zwischen 1895 und 1980 die „Baskische Nationalistische Partei – BNP“, in der heute der autonomistische Flügel dominiert. Diese Partei war ursprünglich konservativ-katholisch, rutschte aber schrittweise in die linke Mitte. Die bürokratische und ideologische Stagnation währende der Franco-Zeit trieb viele frühere Sympathisanten der BNP in radikale (pseudomarxistische) Kleingruppen.
Die ETA („Baskenland und Freiheit“) von 1956 ist wohl die bekannteste Gruppe. Sie fordert ein vereintes Großbaskenland inklusive kleinerer französischer Provinzen. Die Zielsetzung sah lange Zeit eine „Sozialistische Baskische Arbeiterrepublik“ vor. Das Vorbild IRA ist unübersehbar. Diese Forderung tritt inzwischen in den Hintergrund. Es lassen sich sogar fremdenfeindliche Motive erkennen. Als Feindbild dienen südspanische und ausländische Zuwanderer. Die Positionen der ETA finden immer noch starken Rückhalt, das bestätigten die Wahlerfolge ETA-naher Parteien, die inzwischen verboten wurden. Die zerstrittenen Autonomisten und Separatisten kommen zusammen auf 55 %.
Das galizische Volk im Nordwesten Spaniens ist besonders stolz: Die Region Galizien ist ethnisch homogen, und außerhalb von ihr leben kaum Galizischstämmige, aus der Region stammen überproportional viele herausragende Persönlichkeiten (Franco, Fidel Castro), aus der galizischen Sprache ging das Portugiesische hervor und das keltische Erbe ist noch am sichtbarsten. Nicht umsonst bedeuten Galizien „Gallien“ und der Verwandte Portugal „Gallischer Hafen“. Von portugiesischen Nationalisten erschallt der Ruf, sich mit Galizien zu vereinen – und nicht etwa Galizien anzuschließen.
Alles Gründe, die separatistische Parteien zur Legitimierung nutzen könnten, gäbe es nicht ein entscheidendes Problem: Galizien gehört zu den rückständigsten Regionen Spaniens. Die Alimentierung durch Madrid ist nur zu offensichtlich. Autonomismus ja – Separation nein.
21 % bei Regionalwahlen sind für solche Parteien nicht selten. Einzig in Galizien bildeten die Konservativen eine eigene Sektion aus, man erinnert sich an die Loyalität im Bürgerkrieg.
Andalusien im Süden und Leon im Nordosten besinnen sich auf ihre Rolle zur Zeit der Reconquista. Beide stellten ja konstituierende Königreiche für den spanischen Reichsgedanken dar. Andalusien beruft sich dabei auf das Königreich Granada. Die schwachen Separatisten propagieren zur Legitimierung ihrer Zielsetzung die Existenz eigener Völker und Sprachen! Im Falle Andalusiens ist das gar nicht abwegig, denkt man an die starke biologische und kulturelle Beeinflussung durch hamitische Mauren. Bei Andalusien handelt es sich zudem um eine stark rückständige Landschaft mit zunehmenden Bewässerungssorgen, was den Separatisten entgegenwirkt. Reine autonomistische und separatistische Gruppen erreichen in Andalusien 7 % und Leon 12 %.
Die Kanaren stellen ein besonders interessantes Beispiel identitärer Bewegungen dar. Die kanarische Bevölkerung stammt von galizischen, andalusischen und kastilischen Eroberern und Siedlern ab, die ausschließlich kastilisch sprechen. Um sich jedoch von Madrid zu unterscheiden, entdeckte man in den 1960ern das Erbe der ausgerotteten kanarischen Urbevölkerung: den Guanchen. Auch die Separatisten stammen natürlich nicht von ihnen ab, bezeichnen sich aber als solche. Der kanarische Separatismus ist stark zerspalten, gelegentlich verlangt jede Insel nach eigener Separation! Der bewaffnete Unabhängigkeitskampf von 1960–78 spielt keine Rolle mehr. Dagegen arbeiten die Insel-Autonomisten erfolgreich zusammen, das wird mit 24 % der Wählerstimmen belohnt. Die afrikanischen Bootsflüchtlinge offenbaren eine gewisse Ohnmacht, da erscheint nationale Souveränität größenwahnsinnig.
Will Spanien als Nation innen- und außenpolitisch handlungsfähiger werden, braucht es ein erneuertes starkes Nationalgefühl. Gleichzeitig dürfen die verheerenden Fehler Francos nach kastilischer Uniformierung nicht wiederholt werden. Eine angemessene Autonomie für die Regionen bleibt dafür Bedingung. Ob regionale Schul- und Arbeitsamtspolitik angemessen sind oder nur regionale Selbstsucht vorliegt, muß dabei ehrlich beantwortet werden. Eigene Sprache, unbeschwerte Pflege von Dialekten, Mythen, Traditionen und Brauchtum sollten selbstverständlich bleiben.
Für die Regionen Baskenland und Katalonien kann die Unabhängigkeit durchaus Option sein. Zu stark sind Selbstbewußtsein und Selbstverwaltung schon fortgeschritten. Was gibt es im ärmlichen Spanien auch zu gewinnen? Beide Regionalparlamente versuchen gegen den Widerstand Madrids ihr Recht auf Selbstbestimmung in die Regionalverfassung aufzunehmen. Vielleicht übt aber auch ein neues stolzes Spanien im nivellierenden Globalismus mit unkontrolliertem Einwanderungsdruck (Katalonien und Baskenland besonders betroffen) eine Magnetwirkung aus. Zum zweiten Mal kann ein regional vielgestaltiges Spanien zur „Schutz- und Trutzgemeinschaft“ Iberiens werden.