Der im Titel genannte Begriff des Politischen macht deutlich, daß es die in der Öffentlichkeit gepflegte Sprache ist, die es vordergründig zu durchdringen und durch Beispiele zu illustrieren gilt. Dem schließt sich, über das Staatspolitische hinausgehend, eine konzise Erläuterung und Deutung der politischen Hintergründe an.
Unter einem politischen Wortschatz versteht man den Bestand von Wörtern, die im weiteren Sinne zur spezifischen Sprache der Politik gehören. Kaiserreich, Revolutionszeit, Weimarer Republik, NS-Reich, Nachkriegszeit: Jede Epoche bringt ihre eigene Sprache hervor. In dieser Hinsicht erweist sich eine Sprachkritik immer als eine Kritik der gesellschaftlichen Zustände.1 Wenn der Fokus auf der Gegenwart liegt, soll darin keine geschichtliche Verkürzung gesehen werden, sondern eine Konzentration auf denjenigen Status quo, dessen Prägungen heute andauern. Dazu gehört jedoch die politische Sprache nicht, wie sie in der DDR gepflegt wurde. Sie ist heute „töter als Latein“.2
Da sich die Politik auf alle öffentlich bedeutsamen Felder bezieht, hat das Vokabular aus den verschiedenen Ressorts wie Wirtschaft, Finanz, Landwirtschaft, Verkehr usw., in die Sprache der Politik Eingang gefunden. Allerdings ist sie strenggenommen keine Fach-, sondern eine Mischsprache. Dazu kommt nämlich das jeweilige Ideologievokabular, das diejenigen von den politischen und gesellschaftlichen Gruppen verwendeten Wörter umfaßt, mit denen die Realität gedeutet wird. Die Worte sind so unterschiedlich wie die applizierten Themen: sei es Klassenbewußtsein, Solidarität, nationaler Widerstand oder Kirchenschisma. Zudem ist das Institutionsvokabular zu nennen, das unter anderem Bezeichnungen für staatliche Organisationen (wie Bundesstaat oder Abgeordnetenhaus) und staatliche und politische Rollen (wie Mitglied des Landtages oder Verfassungsrichter), Bezeichnungen für kodifizierte Normierungen (wie Grundgesetz oder Gemeindeordnung) und politische Handlungen oder Prozesse (wie Landtagswahlen oder Staatsakt) einschließt. Außerdem geht das allgemeine Interaktionsvokabular, mit anderen Worten die Allgemeinsprache, in die Sprache der Politik ein.3
Macht man sich die Mühe, eine Analyse des politischen Wortschatzes vorzunehmen, dann fallen diverse Probleme des Wortinhaltes auf, zu denen die ideologische Polysemie zählt. Bei Polysemen handelt es sich um Wörter, die in verschiedenen Ideologien vorkommen und daher voneinander divergierende Bedeutungen aufweisen. „Demokratie“ ist ein solcher Blankettbegriff, in den bestimmte weltanschauliche und parteiische Vorstellungen eingehen. Man unterscheidet zwischen direkter und repräsentativer Demokratie, man differenziert darüber hinaus zwischen sozialdemokratischen, sozialistischen („Volksdemokratie“), liberalen, konservativen und nationalen Vorstellungsformen. Vielfältig interpretierfähig, gehört der Begriff zur politischen Semantik.4
Anders gelagert ist die Fragestellung, wenn Synonyme auftreten; d. h. mehrere Worte für ein und denselben Sachverhalt vorhanden sind; in denen sich voneinander divergierende politische Wertungen ausdrücken. In der alten Bundesrepublik legten nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutschen aus den früheren preußischen Provinzen Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem östlichen Teil Brandenburgs großen Wert auf die Feststellung, Heimatvertriebene zu sein; ein Wort, das die Erinnerung an die Heimat mit der illegitimen Gewaltanwendung seitens der Vertreibenden mit der Betonung des Rückkehrrechtes verband. In der DDR hingegen wurde von Neubürgern, Neusiedlern oder Umsiedlern gesprochen. Diese Worte schwiegen über die Vergangenheit. Nicht zufälligerweise galt die Oder-Neiße-Linie als „Friedensgrenze“.5 Demzufolge ließen sich die letztgenannten Begriffe als Vexierwörter auffassen, also als Wörter, mit denen Zusammenhänge verschleiert werden, weil sie in einer von der üblichen Form abweichenden Weise eine Verwendung finden.6 Ferner sind Antonyme zu beachten. Ein Antonym ist ein Wort, zu dem es ein Pendant mit einer diametral entgegengesetzten Bedeutung gibt (z. B.: republikanisch, monarchistisch).
Aus der Prägung sowie der Umbildung des politischen Wortschatzes im Zeitlauf lassen sich weitreichende Schlüsse auf die Verfaßtheit einer Sprachgemeinschaft ziehen. Je mehr sich eine semantische Umformung vollzieht, desto deutlicher manifestiert sich der politische Wille nach einer Veränderung. Besonders auffällig ist, daß die Ereignisse der späten 1960er Jahre eine nachhaltige Umbildung des politischen Wortschatzes herbeigeführt haben. Damals wurden die Programmierungen gesetzt, die bis heute andauern, wozu eine Ausdehnung des Begriffs der Gesellschaft, eine Radikalisierung des Demokratieverständnisses, eine Überforderung von Wortinhalten sowie eine Dynamisierung politischer Begriffe und die extensive Verwendung von Kampfbegriffen in der politischen Sprache zählen.7 Zu einer Revision der 1968 angestoßenen Entwicklung kam es trotz der Beschwörung einer „Tendenzwende“ nicht mehr.8 Die Zeit der Studentenrevolution erwies sich als interessantes Studienfeld im Hinblick auf den Kampf um Wörter und das Besetzen von Begriffen. Dieser Kampf war Ausdruck divergierender Kulturauffassungen. Er führte zur Umdeutung tradierter Schlüsselbegriffe.9 Es gilt im allgemeinen: Je undeutlicher begriffliche Konturen werden, desto größer werden die Mißverständnisse. Das verwundert nun im angeführten Fall nicht weiter, weil die Veränderung gewollt war und die alten Begriffe abgelöst werden sollten. Eine besonders intensive und nicht zuletzt mißbräuchliche Verwendung erfuhr damals das Stereotyp „Faschismus“,10 das bis heute eines der bedeutendsten Stigmawörter der Linken darstellt. Bei dieser Wortentlehnung aus dem Italienischen handelt es sich um einen Neologismus von Anfang der 1920er Jahre.11
Der politische Wortschatz wird aber nicht allein von der Gesellschaft geprägt. Oftmals greifen Behörden bzw. Ministerien ein und betreiben Sprachlenkung in der Absicht, eine Veränderung im Sprachgebrauch herbeizuführen. So kommt es immer wieder zu staatlichen Akten der Sprachpflege und Sprachreinigung. Ein verbrauchtes Wort wird einerseits dysphemistisch verwandt, skandalisiert und verdrängt, andererseits durch einen Euphemismus ersetzt.12 Allerdings ist man in Deutschland von einer auf dem eigenen politischen Willen basierenden nationalen Sprachpolitik weit entfernt. Zur Sprachlenkung gehört die Namenpolitik, die Rückschlüsse auf die kulturelle und ideologische Prägung einer Sprachgemeinschaft ermöglicht. So läßt sich an diversen Straßenumbenennungen in Berlin ein deutlicher Hinweis auf den staatlicherseits verordneten Schuldkult ablesen.
Wenn heute in der veröffentlichten Meinung von dem Nachbarstaat Tschechien – statt von der Tschechei – gesprochen wird, begründet man die Sprachwahl damit, daß der alte Begriff wegen der historischen Erfahrungen mit der sog. Rest-Tschechei (1939) angeblich verbraucht sei. Und doch wird mit zweierlei Maß gemessen. In den Jahren 1992 bis 2003 sprach man unproblematisch über Rest-Jugoslawien, das Serbien und Montenegro umfaßte. Heute wird das polnische Wort Wroc?aw statt Breslau verwandt, um vermeintliche Befürchtungen wegen eines Gebietsanspruches auf Schlesien zu zerstreuen. Daß es sich so verhält, zeigt die unbefangene Verwendung des Wortes Warschau. Im gleichen Atemzug wird von Straßburg statt Straßbourg gesprochen, ohne daß befürchtet würde, man könnte aus der Wortwahl einen Gebietsanspruch auf Elsaß-Lothringen ableiten. Sprachlogisch läßt sich jedenfalls keine einheitliche Behandlung nachweisen.
Aus ähnlichen Motiven heraus wird seit geraumer Zeit versucht, den Begriff „Mitteldeutschland“ zu vermeiden, weil er auf das im Krieg verlorene „Ostdeutschland“, die Ostgebiete, hinzuweisen scheint. Dabei korrespondiert Mitteldeutschland – ein durchaus etablierter Begriff, wie man am Mitteldeutschen Rundfunk sowie den mitteldeutschen Flughäfen Leipzig und Dresden sieht – mit einem auf bundesdeutschen Boden befindlichen Teil Ostdeutschlands, der vornehmlich aus Brandenburg, Berlin und Vorpommern besteht. Ostdeutschland bezeichnet traditionell die Gebiete östlich der Elbe. Umgekehrt ist die Verwendung von „Westdeutschland und Ostdeutschland“ als einer amerikanischen Lehnübersetzung aus dem Kalten Krieg völlig unstrittig, die heute im korrespondierenden Wortpaar „Wessi und Ossi“ weiterlebt. Konsequent vermied man für das 1990 wiedervereinigte Berlin den Namen „Groß-Berlin“, obwohl dieser geographische Begriff keine Anspielung auf das Großdeutschland der Jahre 1938 bis 1945 beinhaltete, weil der Staat damals – unabhängig von der gewählten Hauptstadt – nur deswegen so hieß, weil er Kleindeutschland und Österreich umfaßte. Ohne jegliche Befangenheit wird hingegen von Großbritannien gesprochen.
Die staatliche Sprachkontrolle versucht darüber hinaus, die ihr vorgegebenen politischen Ziele gesetzlich festzulegen. Darunter fällt das einem Multiminoritätenprinzip geschuldete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006, welches mit Täter-Opfer-Klischees hantiert. Das auf den deutschen Wortschatz vielfältig einwirkende und sich in „Neutralisierungen“ altersmäßiger, rassenmäßiger, geschlechtsmäßiger, weltanschaulicher Art ausdrückende Gleichbehandlungsgesetz suggeriert eine vorzufindende und korrekturwürdige Ungleichbehandlung. Angeblich zeige sich die Diskriminierung sprachlich. Vor diesem Hintergrund ist die die „Euphemismus-Tretmühle“ zu deuten. Ein fortgesetzter Austausch von Begrifflichkeiten im Kontext einer Sprachlenkung wird nötig, weil die Euphemismen sukzessive die negativen Bezüge der durch sie ersetzten, verbrauchten Worte annehmen, beispielsweise wenn von Sinti und Roma statt von Zigeunern die Rede ist. Diese Austausche haben etwas Zwanghaftes.13 Inhaltliche Gründe sind dafür zuletzt anzuführen; schließlich läßt sich dieser Gattungsbegriff, um das Beispiel erneut aufzugreifen, nicht dadurch adäquat ersetzen, wenn man stattdessen zwei (Zigeuner-)Stämme unter vielen anderen heraushebt. In Wirklichkeit eröffnet das Sprachreglement die ernstzunehmende Möglichkeit zu einer adversen Diskriminierung. In ihm zeigt sich die sprachlich geronnene Deutungsmacht. Oftmals steht hinter der Diffamierung, jemand bzw. etwas sei antizigan, antisemitisch, homophob, frauen- oder ausländerfeindlich, selbst ein Präjudiz, zumal eines aus Übereilung, reflexhaft geäußert, ohne genaue Prüfung des Sachverhaltes.14 Als die Schweiz den Zuzug von Ausländern zunehmend restriktiv handhabte, wurde der unhaltbare Vorwurf des Rassismus laut. Tatsächlich richtete sich die eidgenössische Politik gegen eine jede Überfremdung; selbst gegen diejenige durch die „artverwandten“ Deutschen.
Sprachpflegerisch wird gegenwärtig der Feminismus protegiert. Die Frau ist der einzige „Produktionsfaktor“, den die private Wirtschaft bislang noch nicht voll umfänglich ausnutzen konnte. Daß dies auf Kosten der Reproduktionsrate und letztlich einer guten Einrichtung des eigenen Gemeinwesens geht, wird nicht hinreichend transparent. Von einer semantischen Umformung sind im deutschen Wortschatz männliche Wortprägungen betroffen, die entweder neutralisiert, durch einen weiblichen Begriff ergänzt (z. B.: Amtmann, Amtfrau) oder abgelöst werden. In diesem Sinne ist das Ende 2011 im österreichischen Parlament verabschiedete Gesetz zur Änderung der Bundeshymne zu deuten. Ein weiblicher Begriff wurde in die Zeile „Heimat bist Du großer Söhne“ eingefügt, die nun heißt: „Heimat bist Du großer Töchter und Söhne.“ Neutralisiert wurden die „Bruderchöre“ in „Jubelchöre“.15 Eine Ablösung ist hingegen im Sprachgebrauch seltener festzustellen, jedoch bei den „-Innen“-Endungen probat. Es wird von „Demonstrant-Innen“ und „Anti-Faschist-Innen“ gesprochen, denen männliche Antonyme wie „Polizisten“ oder „Faschisten“ zugeordnet werden.
Bei jeder sich sprachlich äußernden, in Staat und Gesellschaft verbindlichen Moralvorstellung ist aufzuklären, aus welchen Quellen sie sich speist. Nicht zufälligerweise fand im Sprachgebrauch des Deutschen Reiches seit 1933, das sich von fremden Einflüssen freizumachen gedachte, ein weitgehender Verzicht auf Fremdwörter statt. Das Vorgehen war allerdings nicht neu. Schon in der Kaiserzeit wurde durch den Allgemeinen Deutschen Sprachverein ein sich gegen den französischen Einfluß äußernder Sprachpurismus eingefordert und durch Sprachreinigung verwirklicht (z. B.: Abteil statt Coupé; Gelände statt Terrain). Heute ist der kulturelle Einfluß der Kriegssieger in Deutschland prägend. In diesem Sinne mußte die mittlerweile verfestigte Stellung der Bundesrepublik im Westen „sprachliche“ Konsequenzen haben. Es lassen sich im deutschen politischen Wortschatz zahlreiche Wortentlehnungen und Lehnprägungen aus dem Amerikanischen feststellen.16 Besonders auffällig sind diejenigen Wortbildungen, die wie sperrige Fremdwörter aus dem Lateinischen wirken, doch aus dem Amerikanischen stammen. Sie treten etwa bei der schnellen Produktion journalistischer Texte auf.
Ein markanter Begriff, auf den die gemachten Angaben zutreffen, ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Es handelt sich um denjenigen der „Zivilgesellschaft“; ein Begriff, der einen Rückschluß auf die gesellschaftliche Verfaßtheit der westlichen Welt zuläßt. Mitnichten leitet sich hier ein Gegensatz zwischen zivil und militärisch her, den man zunächst vermuten mag. Der heute in weiten Kreisen affirmativ besetzte Begriff der „Zivilgesellschaft“ ist eine Neuübersetzung der amerikanischen „civil society“, mit der es zur Aufgabe der über zweihundert Jahre alten Übersetzungstradition kommt, die sich zuerst bei dem schottischen Moralphilosophen Adam Ferguson in seinem Werk An Essay on the History of Civil Society aus dem Jahre 1767 fand, das bereits ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde. Dort hieß die Schrift Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft (Leipzig 1768). Die „Zivilgesellschaft“ ist ein Vexierwort. Es scheint in diesem Sprachraum immer problematischer zu werden, das Wort „bürgerlich“ auszusprechen, geschweige denn, es affirmativ zu verwenden. In der öffentlichen Wahrnehmung kommt der Begriff der „Zivilgesellschaft“ seit den 1990er Jahren auf, wenngleich schon in den 1960er Jahren das Wort „civil society“ als direkt übernommenes Fremdwort im politischen Wortschatz des deutschen Sprachraums bekannt war, als im Zuge der Ausdehnung des Gesellschaftsbegriffs geistige Anleihen nötig erschienen.17 Der Begriff, der eine Übernahme des amerikanischen Gesellschaftsmodells befördern soll, ist heute ein Selbstläufer. Fälschlicherweise wird damit jede aktuelle Entwicklung assoziiert und identifiziert. Man sieht daran: Kaum ist ein Wort neu geprägt, findet bereits das Ringen um dessen Verständnis statt.18
In der bundesrepublikanischen Leitkulturdebatte – von Friedrich Merz im Jahre 2000 politisch angestoßen, der einen von Bassam Tibi zwei Jahre zuvor geprägten Begriff in die politische Debatte einführte, welcher eine Haltung kennzeichnet, die in anderen Ländern eine Normalität ist19 – zeigte sich bald, daß es die Deutschen selbst waren, die sich nach ihrem Selbstverständnis befragen lassen mußten. Was zunächst verwunderlich erscheint, weil das deutsche Volk unzweifelhaft die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung im Lande stellt, hat mit den mittlerweile eingespielten Fremd- und Eigenkonditionierungen zu tun, mit denen gestaltender Einfluß auf die politische Mengenlehre genommen wird. Denn von der Logik her gesehen, ist eine Leitkultur eine Mehrheitskultur. Kommt es zur Einwanderung, müssen gewisse Spielregeln für das Zusammenleben vorgegeben werden. Es gibt keinen Grund, diese nicht von der Majorität bestimmen zu lassen. Jedoch stellt das Leitkulturmodell bereits eine Rückfallposition dar, in der sich die Auflösung der homogenen Völker Europas durch die erfolgende massenhafte Zuwanderung ausdrückt, welche bei Ausblendung empirisch-realer Mängel wie der Entstehung von Parallelgesellschaften als Vielfalt und kulturelle Bereicherung euphemistisch geschönt wird. Obwohl diese Integrationspolitik gescheitert ist, die lediglich die Konsequenzen des Zuzugs verwaltet, und selbst das nicht mehr leisten kann, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, ist eine Kritik an den Zuständen unerwünscht, weil die zur Auswechselung der Bevölkerung führende „Umvolkung“, wie sie von ihren Kritikern genannt wird, das vorgegebene politische Programm vorstellt. Dabei erscheint offensichtlich, daß das mit dem Schlagwort der Chancengleichheit arbeitende US-amerikanische Vorbild des Multikulturalismus – eine Lehnübersetzung von „multiculturalism“ – ein suboptimales System darstellt, in dem vermeintliche Nachteile der Minderheiten durch ein Quotensystem abgebaut werden sollen.20 Es wäre also wünschenswert, diesen Zustand überhaupt zu vermeiden. Tatsächlich weisen die öffentlich etablierten Bußrituale auf das Bestehen einer Minderheitenherrschaft hin. Anders ausgedrückt: Wären die Minoritäten nicht stark genug, würde ihre Privilegierung kaum gelingen. Gleichzeitig ist mit ihr ein Konzessionismus der Mehrheit verbunden.21
Als bezeichnend für den Geist einer Sprachgemeinschaft dürfen ihre Tabuwörter angesehen werden. Tabus, in denen sich ein Maximum an negativer Sprachlenkung vergegenständlicht, sollen durch ihre Unaussprechlichkeit verhindern, daß Positionen der Eigengruppe angegriffen werden können. Sofern eine Fremdgruppe darauf eine Antwort beabsichtigt, kann es sich nur um den Versuch einer Enttabuisierung handeln. Erst recht trägt die Unaussprechlichmachung diverser geschichtlicher Vorgänge nicht zur Wahrheitsfindung bei. Man spricht in diesem Zusammenhang manchmal in Anlehnung an den amerikanischen Sprachgebrauch von „historischer Korrektheit“. Zweifelsfrei ist damit eine politische Intention verbunden. Sollte eine Meinungsbeeinflussung beabsichtigt sein, ergibt es für die interessierten Kreise anscheinend Sinn, begleitend unerwünschte Meinungen unter Strafe zu stellen oder dieselben öffentlichkeitswirksam und nachhaltig zu sanktionieren.
In Deutschland – aber auch in Österreich – ist es die NS-Vergangenheit, die in der veröffentlichten Meinung eine uneingeschränkte Verurteilung erfährt. Die verordnete Einseitigkeit des etablierten Sprachreglements im Rahmen der „Vergangenheitsbewältigung“ mußte manche Blüte treiben.22 So konnte es nicht ausbleiben, daß die in einer Rede vor dem Kärntner Landtag am 13. Juni 1991 gemachte Aussage von Jörg Haider zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich unverzüglich eine Kritik auf sich zog, obwohl der Begriff „ordentlich“ kein Werturteil beinhaltete, sondern eine Tatsachenaussage darstellte. Es kam ein falsches Antonym zum Tragen. „Ordentlich“ ist nicht das Gegenstück zu „unordentlich“, sondern zu „außerordentlich“. Gleichwohl wird in der Öffentlichkeit der Auffassung vehement widersprochen, das Deutsche Reich habe 1941 einen Präventivkrieg gegen die UdSSR geführt. Dabei ist bekannt, daß es sowjetische Operationsplanungen und Vorbereitungen für einen Angriff auf das Deutsche Reich gab.23 Dennoch ist im Rahmen der verbreiteten NS-Idiosynkrasie von einem deutschen „Überfall“ die Rede, womit ein strafrechtlicher Begriff in das Völkerrecht übertragen wird, in der Absicht, dem Angreifer jegliches berechtigte Vorgehen (ius belli) abzusprechen und ihn zu kriminalisieren. Der sprachliche Kontext ändert sich freilich abrupt, wenn es die USA sind, die im Sinne der pax americana Kriege führen, die nunmehr jedoch; anschließend an die Sprachregelungen des Völkerbundregimes und des Kelloggpaktes (1928), als friedensschaffende oder friedenserhaltende Maßnahmen ausgegeben werden, die eine stereotype Verklärung mit moralischen Semantiken erfahren.24 Offenbar gilt: Wenn alles einerlei und beliebig verwendbar wird, selbst das Gegenteil plötzlich richtig erscheint, dann kommt es nur noch darauf an, wer die Definitionsherrschaft hat, sprich über die „Wortbesetzungsregel“ verfügt.
Etabliert – wenngleich nicht offen zugegeben – ist ein Kollektivschuldvorwurf gegen die Deutschen, an dem jegliche Apologie abzuprallen scheint.25 Er stellt nicht zuletzt die fragwürdige Grundlage der bundesrepublikanischen Ordnung dar. In seiner Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2015 im Berlin verstieg sich der gegenwärtige Bundespräsident zu der Aussage, es gebe keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Bezeichnenderweise hält sich bis heute die vom amerikanischen Kriegsgegner propagierte Sprachregelung, der 8. Mai 1945 sei ein Tag der Befreiung gewesen, obwohl bereits die Umdeutung der Kapitulation ein Beleg dafür sein sollte, daß sie von einer Fremdgruppe stammen mußte. Allerdings konnte die Sprachregelung erst vollends etabliert werden, als die nachfolgenden Generationen, die den Krieg nicht mehr aus eigener Erfahrung kannten, bestimmend wurden. Als Meilenstein darf die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 gelten.26 Erkennbar sollte das eigene nationale Verständnis und Empfinden verdrängt werden. Mittlerweile erweist sich diese Haltung, die bei den damals „befreiten“ und mittlerweile saturierten Minderheiten als selbstverständlich gelten darf, als gegenwärtiger bundesrepublikanischer Konsens. Jegliche Normalisierungsanstrengung wird hingegen als Propagierung eines „deutschen Sonderweges“ ausgegeben.
Wie sich das eigene Gemeinschaftsempfinden verändert hat, läßt sich an den Sprachregelungen im Zeitlauf zeigen. Vor der evangelischen Kirche in Gambach/Hessen steht ein Gedenkstein. Er trägt die Inschrift: „Den Opfern des Weltkrieges 1914–1918. Vergiss mein Volk der teuren Toten nicht.“ (Vorderseite) „Gefallen! Aber in Gottes Hände. Tot! Und siehe Sie leben. Geschieden! Und doch auf Wiederseh’n.“ (Rückseite). Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre solch ein würdiger Stein kaum mehr errichtet worden. Analog verhält es sich im öffentlichen Sprachgebrauch. Durch eine negative Sprachlenkung sollte das nachvollziehbare Gedenken an die deutschen Opfer (Eigengruppe) hinter das durch positive Sprachlenkung betriebene Opfergedenken von Minderheiten (Fremdgruppe) zurücktreten.
Die Bedeutung umkämpfter Begriffe wandelt sich im Zeitlauf, ganz so wie sich die Kräfte verschieben. Dabei dreht sich der semantische Kampf sowohl um die beschreibende als auch die normativ-vorschreibende (deontische) Wirkung der Wörter. Bei letzteren wird von Fahnen- und Feindwörtern gesprochen.27 Carl Schmitt sprach vom polemischen Sinn politischer Begriffe.28 So gilt heute der Begriff „Nationalismus“ in etablierten gesellschaftlichen Kreisen als Feindwort, um eine Fremdgruppe zu erkennen und sie zu diffamieren, während „Patriotismus“ – auch der sog. „Verfassungspatriotismus“ als ein zweiter, auf das Grundgesetz bezogene Patriotismus,29 der um das Wesentliche entkernt ist – als Fahnenwort verstanden wird, das zur Selbstbezeichnung dient.30 Ist der Fortschritt gesellschaftliches Programm, gilt das Konservative fortschrittlichen Kreisen als disqualifizierendes Feindwort, um die Eigengruppe von der Fremdgruppe abzugrenzen.31 Immerhin scheint das Wort selbst nicht verbraucht zu sein, wie zahlreiche positive Zuschreibungen zeigen. Und doch unternahmen konservative Kreise um Gerd-Klaus Kaltenbrunner in den 1970er Jahren eine Neuprägung, indem das reaktionär auslegbare Wort „Konservativismus“ durch „Konservatismus“ ausgetauscht wurde.32 Hingegen ist „Kommunismus“ als Zuschreibung heute verbraucht, wie die wiederholten Umbenennungen des Spartakus-Bundes in KPD, SED, PDS und Die Linke zeigen. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, daß eine jede Umbenennung historische Kontinuitäten zerstören, eine Vergleichbarkeit erschweren und der Öffentlichkeit ein evolutionäres Novellierungspotential suggerieren soll.
Eine besondere Sprachwirkung entfalten Schlagworte. Beliebt ist ein Rekurs auf universelle Begriffe wie Freiheit, Menschheit und Gerechtigkeit. Ihre Unbestimmtheit ermöglicht eine willkommene Vereinnahmung zu eigenen Zwecken. Als eine der bedeutendsten Waffen in der politischen Auseinandersetzung sind sie – die Schlagwörter – hart umkämpft. Wer einer Fremdgruppe die Schlagwörter entwindet oder diese gar selbst übernimmt, um sie gegen den Gegner zu wenden, hat gute Chancen, die Auseinandersetzung zu bestehen. Der politische Kampf wird also nicht nur mit Worten, sondern auch um Worte geführt.33 Durch die Schlagwortwahl, die von der Redefigur der Wiederholung lebt, wie Gustave Le Bon sagte,34 erkennt man „Freund und Feind“. Dazu sei ein instruktives Beispiel aus dem geteilten Deutschland angeführt: Während die einen in der Nachkriegszeit die individuelle Freiheit betonten und die Parole Freiheit statt Sozialismus pflegten, unterstrichen die anderen die Bedeutung des Friedens. Friedliche Koexistenz und Entspannungspolitik waren Schlagwörter der östlichen Propaganda, mit denen der westliche Gegner geschwächt werden sollte.35
Der „Kampf gegen Rechts“ wird seit über einhundert Jahren propagiert. Dabei wurde das populäre Schlagwort, das an sich gegen das Bürgertum gerichtet war, auch von Vertretern des gemäßigten Bürgertums instrumentell aufgegriffen. In der Weimarer Republik galt es als geflügeltes Wort. Nach dem Attentat auf Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 versuchte Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) im Reichstag, die Oppositionspartei DNVP mit der Behauptung, dieser Feind stehe rechts, unter Generalverdacht zu stellen.36 Dabei konnte manchem Weimarer Verfassungsschützer mit Berechtigung selbst unterstellt werden, nur bedingt zum Schutz der Verfassung geeignet zu sein.37 Wie heißt es heute paradoxerweise auf der äußersten Linken? „Kampf gegen Nazis. Kampf gegen den Staat.“ Gegenwärtig wird der „Kampf gegen Rechts“ staatlich verordnet, der zu einer mit Steuermitteln geförderten Verunglimpfung eines Teiles des eigenen Volkes führt. Dem innenpolitischen Gegner wird in spaltender Absicht eine rein emotionale Steuerung im Hinblick auf bestimmte Zustände unterstellt („Haß“),38 als ob es keine Argumente dafür geben könnte, eine bestimmte politische Haltung einzunehmen und einen umfassenden Politikwechsel einzufordern.
Doch wird der sich in Protestbewegungen äußernde gesellschaftliche Druck größer, zu Änderungen der politischen Lage zu kommen. Eine Diffamierung von Kritikern der Massenzuwanderung, die von einem gewählten Volksvertreter mit der primitiven Verbalinjurie „Pack“ bedacht wurden, verfängt nicht mehr ohne weiteres. Das Wort avanciert zum Geusenwort (Trutz- oder Trotzwort) der betroffenen Menschen vor Ort. Man sieht Transparente mit der Aufschrift: „Wir sind das Pack“. Die Delegitimierung erfaßt sukzessive das vom „System“ etablierte Sprachreglement. Doch noch stehen die vorgegebenen geschichtlichen und gesellschaftlichen Tabus. Der Weg zu einer freiheitlichen Diskussionskultur ist weit und schwer. Er wird auch mit Schlagworten freigekämpft. Geschichtliche Beispiele dafür gibt es genug. Erfolgreich wird die Bewegung aber nur sein, wenn es ihr gelingt, über den bloßen Protest hinausgehend, eine positive Identifikation mit der eigenen nationalen Identität herzustellen, die sich selbstverständlich in Sprachformen äußert.39
1?Vgl. Fiedler, Mark, Sprachkritik am öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945. Gesamtüberblick und korpusgestützte Analyse zum „Wörterbuch des Unmenschen“, Tönning usw. 2005, S. 33. Sternberger verfaßte wiederholt Wörterbücher zur Analyse der Zeit. Sein bekanntes, von ihm mit herausgegebenes Wörterbuch des Unmenschen (1957) besaß ein Weimarer Vorbild. Vgl. Sternberger, Dolf, „Fressendes Gift“ bis „Wiedergeburt“. Wörterbuch der Regierung von Papen im Auszug (1932), in: ders., Schriften Band XI: Sprache und Politik, Frankfurt a. M. 1991, S. 25–32.
2?Röhl, Ernst, Heldenstadt, in: Pätzold, Kurt/Weißbecker, Manfred (Hrsg.): Schlagwörter und Schlachtrufe, Band 2, Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte, Leipzig 2002, S. 179–183 (183).
3?Vgl. Klein, Josef, Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik, in: ders. (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung, Opladen 1989, S. 3–50 (4 ff.). Vgl. Dieckmann, Walther, Sprache und Politik, Heidelberg 1969, S. 47?ff.
4?Vgl. Dieckmann, Walther, Sprache und Politik, a. a. O., S. 70 f.
5?Vgl. Lübbe, Hermann, Der Streit um Worte, in: Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hrsg.): Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter, Freiburg usw. 1975, S. 87–111 (98).
6?Vgl. Teubert, Wolfgang, Politische Vexierwörter, in: Klein, Josef (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung, Opladen 1989, S. 51–68 (52).
7?Vgl. Maier, Hans, Können Begriffe verändern?, in: Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hrsg.): Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter, Freiburg usw. 1975, S. 55–68 (57 ff.).
8?Vgl. Zellenberg, Ulrich E., Verfassungsstaat und Wahrheit. Zur Aktualität neokonservativer Argumente zur Verteidigung der liberalen Demokratie, in: Becker, Hartmuth/Dirsch, Felix/Winckler, Stefan (Hrsg.): Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution, Graz 2003, S. 12–36 (12 ff.).
9?Vgl. Dietz, Heinrich, Rote Semantik, in: Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hrsg.): Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter, Freiburg usw. 1975, S. 20–43 (21).
10?Vgl. Kämper, Heidrun, Der Faschismus-Diskurs 1967/68. Semantik und Funktion, in: Kämper, Heidrun/Scharloth, Joachim/Wengeler, Martin (Hrsg.): 1968. Eine sprachwissenschaftliche Zwischenbilanz, Berlin/Boston 2012, S. 259–285 (259 ff.).
11?Vgl. Schottmann, Christian, Politische Schlagwörter in Deutschland zwischen 1929 und 1934, Stuttgart 1997, S. 176.
12?Vgl. Dieckmann, Walther, Sprache und Politik, a. a. O., S. 44 f.
13?Aus der Welt der öffentlichen Finanzen sei ein weiteres Beispiel für staatlich veranlaßte Umbenennungsanstrengungen genannt: die Ersetzung des Begriffes „Bundesschuldenverwaltung“ durch „Bundeswertpapierverwaltung“. Wertpapiere weisen bekanntlich positive, Schulden negative Konnotationen auf. Mittlerweile heißt die formal privatisierte Einrichtung „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“, was Professionalität ausdrücken soll. Die öffentliche Schuldenlast ist jedoch geblieben.
14?Diese Sprachgewohnheiten stehen im Kontext einer Minderheitenrhetorik, die das Judentum; die Minderheitengruppe im christlichen Abendland schlechthin; im Stile von Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) hervorgebracht hat, deren Wirkung in geänderten Kontexten weiter andauert. Man denke an die Frankfurter Schule, die eine Theorie über den Antisemitismus entwickelt hat. Sie vermeinte, so Albrecht, eine Instrumentalisierung von Vorurteilen gegen Minderheiten durch die Herrschenden erkannt zu haben. Vgl. Albrecht, Clemens, Im Schatten des Nationalismus: Die politische Pädagogik der Frankfurter Schule, in: Albrecht, Clemens; Behrmann, Günter C., u.?a. (Hrsg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt; New York 2000, S. 387–447 (399 f.).
15?Vgl. BGBl. I, Nr. 127/2011 vom 27. Dezember 2011.
16?Vgl. Keller, Rudolf E., Die deutsche Sprache und ihre historische Entwicklung, bearbeitet und übertragen aus dem Englischen von Karl-Heinz Mulagk, 2. Auflage, Hamburg 1995, S. 592 ff.
17?Vgl. Maier, Hans, Können Begriffe verändern?, in: Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hrsg.): Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter, Freiburg usw. 1975, S. 55–68 (58).
18?Nach Ansicht Sothens ginge die Begriffsprägung des Wortes „Zivilgesellschaft“ auf die politische Linke Anfang der 1990er Jahre zurück, die sich auf die società civile berief. Er wies in dem Zusammenhang auf eine Neuübersetzung von Gramscis Schriften aus dem Italienischen hin (Gramsci, Antonio, Gefängnishefte, Kritische Gesamtausgabe in zehn Bänden, hrsg. von Klaus Bochmann, Argument-Verlag, Hamburg 1991–2002). Vgl. Sothen, Hans Becker von, Zivilgesellschaft – eine Deutung, in: Sezession, Nr. 25 vom August 2008, S. 26–29 (28). Diese Erklärung widerspricht jedoch der Logik. Einerseits ergab der eigenständige Austausch eines „bewährten“ Feindwortes, das auch andere nichtbürgerliche Gruppen teilen, von den Unwägbarkeiten bei der Umsetzung einmal abgesehen, keinen Sinn. Andererseits konnte die Schaffung eines Fahnenwortes nicht in der Intention der Übersetzer liegen, müßte es doch ansonsten die nun positiv bewertete „Zivilgesellschaft“ in der Nachfolge der bürgerlichen Gesellschaft sein, die es zu überwinden gälte. Tatsächlich bedienten sich die Übersetzer des bereits in der neuen angelsächsisch-angloamerikanischen Übersetzungstradition stehenden Begriffes der „Zivilgesellschaft“, um diesen negativ zu konnotieren. Bekanntlich sah der italienische Kommunist Gramsci in den Gefängnisheften eine gefestigte bürgerliche Gesellschaft als Hemmnis für die Weltrevolution an und empfahl daher den Revolutionären einen Marsch durch die Institutionen (siehe insbesondere Band 4 der o. g. Reihe).
19?Vgl. Isensee, Josef, Leitkultur als Idee und politischer Begriff, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Leitkultur. Vom Schlagwort zur Sache, Bonn 2006, S. 20–32 (30 f.). Zur Leitkulturdebatte vgl. Tibi, Bassam, Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft, München 2000, S. 61.
20?Vgl. Stinnes, Udo, Sprache und Sprechen als wirkende Kräfte und Mittel der Verständigung. Eine Philosophie der Sprachlenkung, Band 2, Essen 2000, S. 721 ff.
21?Vgl. Lübbe, Hermann, Ich entschuldige mich. Das neue politische Bußritual, Berlin 2001, S. 8.
22?Ernst Nolte brachte das Programm auf die Formulierung: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Vgl. Nolte, Ernst, Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni 1986.
23?Vgl. Post, Walter, Unternehmen Barbarossa: deutsche und sowjetische Angriffspläne 1940/41, 2. Aufl., Hamburg 1996, S. 255 ff..
24?Vgl. Schmitt, Carl, Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938), in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, 3. Aufl., Berlin 1994 (11940), S. 278–285 (283).
25?Vgl. Bellinger, Bernhard, Wir Deutsche sind kein Tätervolk, 2. Aufl., Mannheim 2004.
26?Vgl. Weizsäcker, Richard von, Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, Bonn 1985.
27?Vgl. Strauß, G.; Haß, U.; Harras, G., Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch, Berlin 1989, S. 23 ff.
28?Vgl. Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963, S. 31.
29?Vgl. Sternberger, Dolf, Verfassungspatriotismus (1979), in: ders., Schriften Band X: Verfassungspatriotismus, Frankfurt a.?M. 1990, S. 13–16 (13).
30?Vgl. Strauß, G.; Haß, U.; Harras, G., Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch, a.?a. O., S. 105.
31?Vgl. Ehmke, Horst, Konservativismus ohne Substanz, in: Die neue Gesellschaft, 19. Jg., Heft 9, 1972, S. 660–666 (665).
32?Schrenck-Notzing begründete diese Wortwahl mit einem Bonmot: „Wir unterscheiden jedoch zwischen Konservativismus im allgemeinen Sinne (abgeleitet von conservare, z. B. Konservativismus bei der Wahl einer Krawatte) und Konservatismus im Sinne der Zugehörigkeit zur betreffenden geistig-politischen Strömung (abgeleitet von der Zeitschrift ‚Le Conservateur‘).“ Schrenck-Notzing, Caspar von, Honoratiorendämmerung. Das Versagen der Mitte – Bilanz und Alternative, Stuttgart 1973, S. 123, Fußnote *. Der Begriff Konservatismus geht auf Kaltenbrunner zurück, der die einschlägigen Werke Rekonstruktion des Konservatismus (1972) und Konservatismus international (1973) herausgab. Vgl. Schrenck-Notzing, Caspar von, Kaltenbrunner, Gerd-Klaus, in: ders. (Hrsg.): Lexikon des Konservatismus, Graz; Stuttgart 1996, S. 291.
33?Vgl. Klein, Josef, Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik, a. a. O., S. 11.
34?Vgl. Le Bon, Gustave, Psychologie der Massen, 15. Auflage, Stuttgart 1982, S. 88 f.
35?Vgl. Révész, László, Die Sprache als Waffe. Zur Terminologie des Marxismus-Leninismus, Rosenheim 1983, S. 62 ff.
36?Andere prominente Vertreter der These, daß der Feind rechts stehe, waren die Sozialdemokraten Scheidemann (1919), Wels (1920) und Preuß (1924). Vgl. Weißbecker, Manfred, Der Feind steht rechts, in: Pätzold, Kurt/Weißbecker, Manfred (Hrsg.): Schlagwörter und Schlachtrufe, Band 1, Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte, Leipzig 2002, S. 30–36 (32 ff.).
37?Vgl. Stresemann, Gustav, Schutz der Verfassung (Reichstagsrede, 5. 7. 1922), in: Becker, Hartmuth (Hrsg.): Gustav Stresemann, Reden und Schriften, Politik – Geschichte – Literatur 1897–1926, 2. Auflage, Berlin 2008, S. 240–248 (240).
38?Vgl. Gauck, Joachim, Unsere Demokratie wird leben, Rede nach der Vereidigung zum Bundespräsidenten im Deutschen Bundestag am 23. März 2012 in Berlin, hrsg. vom Bundespräsidialamt, Berlin 2012, S. 9.
39?Erich Koch-Weser schlug in der Weimarer Republik eine Unterscheidung in Volks- und Staatszugehörigkeit vor. Etabliert war eine solche Sprachreglung seinerzeit in Finnland, wo von Finnen und Finnländern gesprochen wurde. Zu letzteren zählten die ethnischen Minderheiten des Landes. Vgl. Koch-Weser, Erich, Deutschlands Außenpolitik in der Nachkriegszeit 1919–1929, Berlin-Grunewald 1929, S. 131. Anschlußfähig ist das Reglement unbedingt: Deutschländer („Almancilar“) heißen die Mitglieder der türkischstämmigen Minderheit in Deutschland. Um jedoch Deutscher zu sein, bedarf es mehr als eines erworbenen Personalausweises.