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Vor 175 Jahren: Hoffmann von Fallersleben dichtet das „Lied der Deutschen“

Von Alf Torsten Werner

Am 26. August 1841 dichtete August Heinrich Hoffmann vom Fallersleben das „Lied der Deutschen“ während eines Aufenthaltes auf der damals noch zu England ge-hörenden Insel Helgoland. Der Text griff die Sehnsucht nach Freiheit und nationaler Einheit auf, die es bei vielen Deutschen seit den Befreiungskriegen mit der Beendi-gung der Vorherrschaft Napoleons über Mitteleuropa 1815 gab. Als Melodie wählte er die von Joseph Haydn 1797 komponierte Kaiserhymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“, die für den damaligen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Franz II., geschrieben wurde.
„Das Deutschlandlied darf jeder mit allen Strophen singen. … 1990 kam das Ver-fassungsgericht zu dem Schluß, das ganze Deutschlandlied stelle die Hymne dar“ („Die Zeit“ in ihrer Ausgabe vom 6. Juli 2006). Bereits vorher, fünf Wochen vor der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten, informierte die sowjetische Zeitung „Prawda“ ihre Leser über das Deutschlandlied in einem erstaunlich sachlichen Tonfall; wörtlich hieß es (Auszug): „Das Gedicht von Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), das Inhalt des Deutschlandliedes ist, war von Zeitgenossen als Appell zur nationalen und demokratischen Einheit Deutschlands aufgenommen worden, das in drei Dutzend kleine Fürstentümer zerstückelt war“ (zit. von „Berliner Zeitung“ vom 28. August 1990).
Bekämpft wurde das Lied der Deutschen hingegen vornehmlich im Innern: durch die Hohepriester des veröffentlichten Meinungsmonopols und Lakaien der Umer-ziehung. Herausgegriffen sei der Entrüstungssturm im Jahr 1986, als der damalige Stuttgarter Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder anordnete, alle drei Strophen von den Schülern des Landes auswendig lernen und singen zu lassen. Allerdings mit der Einschränkung, die bildungspolitische Wende solle in das didaktische Ermessen des Lehrers gestellt werden. Diesem aufreizenden Einstieg mußte von einer bestimmten politischen Klasse mit Entschiedenheit entgegengetreten werden. Wobei partiell eine sehr bezeichnende Gesinnung zutage gespült wurde. Ausgelöst wurde sie vor allem durch den Umstand, daß sich Golo Mann auf die Seite der Befürworter schlug. Manns Hinweis, im Grunde seien alle drei Strophen des Deutschlandlieds „freudiger, freundlicher und gewiß unkriegerischer“ als die französische oder die englische Hymne mit ihren „aggressiven Texten“ oder die „besonders blutrünstige amerikanische“ Hymne, „wo das Blut strömt, die Granaten platzen und zum Schluß noch die Fahne steht“, wurde mit einem merkwürdigen Einwand begegnet. Eines habe Historiker Mann nämlich übersehen, daß es beim „Lied der Deutschen“ nicht in erster Linie um poetische Kriterien geht. Es gab schließlich eine Zeit, in der die erste Strophe „zum Vorspann für das Horst-Wessel-Lied mißbraucht wurde und in der sich das ‚Deutschland über alles‘ gröhlend durch Europa ergoß“. So lautete die Belehrung im Streiflicht der „Süddeutschen Zeitung“ vom 17. Juli 1986.
Nichts deutet darauf hin, den Breslauer Professor auch nur im leisesten mit imperia-len Tendenzen in Verbindung zu bringen. Das hat, wie gesagt, auch die „Prawda“ er-kannt. Die angeblichen Beweise aus dem Ausland sind auf ge- oder verfälschte Übersetzungen der Zeile „Deutschland über alles“ zurückzuführen. Golo Mann hat den Sinn richtig gedeutet: „Man sagt ja auch, daß man seine Frau über alles liebt“, natürlich auch seine Kinder. Mit seinen beliebten Volksliedern hatte sich Hoffmann bereits früh in die Herzen der Deutschen gesungen – „Kuckuck ruft’s aus dem Wald“, „Alle Vögel sind schon da“, „Ein Männlein steht im Walde“ und viele andere mehr. Als er sich 1841 nach Helgoland begab, war seine im Jahr 1842 erfolgte Entfernung aus dem Staatsdienst unter Wegfall der Versorgungsbezüge bereits vorgezeichnet. Zeitkritische Gedichte sowie seine Liebe zum deutschen Volk hatten bei der Obrigkeit Anstoß erregt. Auf Helgoland begegnete er einer Gruppe gleichgesinnter Landsleute aus Hannover. Es erhob sich munteres Feiern und angeregter Gedankenaustausch. Nach Abreise der Freunde war Hoffmann auf der Insel „verwaist“ zurückgeblieben. Er schrieb: „Wenn ich dann so wandelte, einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da wurde mir so eigen zumute. Ich mußte dichten, und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied ‚Deutschland, Deutschland über alles‘.“ Der begabte Reimeschmied hatte diesmal etwas Außerge-wöhnliches geschaffen. Keineswegs war das Lied aus einer einfältigen Stunde heraus geboren. Hoffmann hatte schon vorher Überlegungen angestellt. Walther von der Vogelweides „Reichssprüche“ mit ihren Lobpreisungen der deutschen Lande, Frauen und Sitte, Treue und Sang dienten ebenso als Vorlage wie dessen Grenz-stromtopos „von der Maas bis an die Memel …“. Es waren ihm auch andere Texte nationaldeutscher Dichter und Sänger geläufig: „Wach auf, wach auf, du deutsches Land“ von Johann Walter aus der Reformationszeit sowie die erstmalige Fassung „Deutschland über alles“ von Joseph von Collins aus dem Jahr 1813 anstelle von „Österreich über alles“; vermutlich war auch „das deutsche Vaterland“ in der dritten Strophe eine Anlehnung an Ernst Moritz Arndts Lied. Hinsichtlich der musikalischen Begleitung behielt Hoffmann letztlich aus 59 Vertonungen sein sicheres Gespür: „Die Haydnsche Melodie ist nicht übertroffen worden, und das ist mir lieb; es muß eine Melodie von einem Ende bis zum anderen gesungen werden, nämlich vom Volk.“
Auf Kritik stößt heutzutage die geographische Skizzierung Deutschlands mit den Worten „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“. „Die Entstehung dieser Strophe muß aber im Zusammenhang mit der damaligen Situa-tion gesehen werden“; sie „beschreibt im wesentlichen die damaligen Grenzen des Deutschen Bundes bzw. des damaligen deutschen Sprach- und Siedlungsraums“ (Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste Nr. 19/16, 18. August 2016). Und die „Prawda“ meinte, es werde „auf keinen Fall zur Expansion aufgerufen“.

 
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