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Das Ende der linken Hegemonie

Von Benedikt Kaiser, M. A.

Neun Thesen zur deutschen Linken – und den Antworten von rechts

2016 ist ein weiteres Krisenjahr: Wir erleben global die Krise der US-amerikanischen Weltordnungspolitik und die Verwerfungen des Finanzmarktkapitalismus, erleben in Europa die Krise der Europäischen Union, erleben vor allem in Deutschland und Österreich die Krise der Massenzuwanderung. Die Realität spricht für ein regelrechtes Comeback der politischen Rechten. Statt dessen leben wir noch in einem Zustand der realpolitischen Hegemonie des Linksliberalismus sowie der metapolitischen Hegemonie der diversen linken Milieus. Doch muß das so bleiben? Wo steht sie überhaupt, die deutsche Linke? Und welche Chancen bietet das ihren Gegnern? Neun zugespitzte Thesen zum Zustand der politischen Linken und den notwendigen Antworten der politischen Rechten.

These 1: Die Linke kann die vielfältigen Krisen nicht nutzen.

Dieser Befund zählt auf zwei Ebenen: Zum einen können die linken bundesdeutschen Parteien keine relevanten Zuwächse erzielen.
Die SPD ist vom – bereits Jahre andauernden – „Herbst der Volksparteien“ (Franz Walter) betroffen und dürfte in naher Zukunft vom einbrechenden Winter getroffen werden. Durch die „Agenda 2010“ und die Hartz-Reformen („Hartz IV“) hat sie ihre klassische Klientel nachhaltig verärgert.
Die Grünen stagnieren und haben als Partei des linksliberalen Großstadtbürgertums gerade im krisengebeutelten Ostdeutschland keine flächendeckende Basis. Für sie ist die „Akzeptanz der liberalen Kultur des Westens“ und der „Abschied vom Primat des Nationalen“1 Programm: Damit sind die Grünen gesellschaftspolitisch „links“, wirtschaftlich und außenpolitisch indes im westlich-liberalen Mainstream zu verorten. Dort konkurrieren aber bereits – neben den Liberalen der FDP – Union und Sozialdemokraten um Stimmen.
Die Linkspartei wiederum ist weiter gespalten, unter anderem zwischen „Realos“ im Osten und „Fundis“ im Westen. Erstere erleben aktuell einen anhaltenden Albtraum: Die unteren Klassen der ostdeutschen Bevölkerung, die Die Linke zur Volkspartei auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hievten, wenden sich sukzessive ab von einer Partei, die zwar „Solidarität“ predigt, aber die Krise der Solidarität selbst beschleunigt, indem sie ihre Stammklientel – die „populären Klassen“ – den alltäglichen Verwerfungen der Massenzuwanderung aussetzt und eine industrielle Reservearmee in die Länder holt, die zwangsläufig um Arbeit und Wohnraum konkurrieren wird.
Neben dieser ersten – parteipolitischen – Ebene kann auch auf intellektuellem Gebiet von einem perpetuierten Scheitern der politischen Linken gesprochen werden. Stiftungen und Denkfabriken, Zeitungen und Zeitschriften, intellektuelle Persönlichkeiten und Autoren haben nichts Substantielles zu den akuten Krisen zu sagen. Es gibt keine zeitgemäßen linken Konzepte zur Zuwanderungskrise, die mit tiefschürfenden Überlegungen zu Interventionskriegen kombiniert werden und die moderne antikapitalistische Konzepte mit beidem verbinden würden. Es mangelt an zusammenhängender Analyse in politischer Theorie und Praxis; einzelne Themenblöcke werden stattdessen absolut gesetzt. Hinzu kommt die Forcierung von Minderheitenfetischen wie der Transgender-Ideologie, die nur in marginalen linken Milieus wirklich Bedeutung haben. Diese Verengung des Blickwinkels, die mit einer Fixierung auf urbane, bürgerliche Akademiker mit Weltbürgerpotential als Bezugsgruppe einhergeht, läßt all jene Linken in einem Vakuum zurück, denen es an sozialer Gerechtigkeit, Verteilungsfragen und Solidarität gelegen ist. Die multiple Krisensituation kann somit weder von der partei- noch von der geistespolitischen Linken genutzt werden. Sie stehen sprachlos vor den Herausforderungen der Gegenwart.

These 2: Die Sprachlosigkeit der intellektuellen Linken liegt an ihrer Einbettung in den linksliberalen Betrieb des Establishments.

Das heißt: Es gibt keinen fundamentalen Widerspruch mehr zwischen „oppositionellen“ linken Ideen und den Ideen der herrschenden linksliberalen Klasse (die auch Angela Merkels sozialdemokratisierte CDU umfaßt). Der Ausgangspunkt der Öffnung linker Denker in Richtung des einst als „bürgerlich“ verschmähten Mainstreams bestand – erstens: außenpolitisch – darin, die globale US-amerikanische Hegemonie nicht mehr als „Imperialismus“, sondern als legitime Ausgangsbasis für weitergehende Reflexionen in bezug auf nationale wie internationale Politik zu begreifen. Die Barbarisierung weltpolitischer Konflikte – derzeit beispielsweise in Syrien – wird weder in der bürgerlich-liberalen Welt noch in der extrem linken Jungle World – den USA oder den mindestens partiell von ihnen subventionierten sunnitisch-neofundamentalistischen Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat oder der Nusra-Front zugeschrieben, sondern dem Iran, Syrien oder Rußland angelastet.2 Die aus einem solchen falschen Bewußtsein resultierende Apologie westlich-unilateraler Politik ist der Kitt zwischen transatlantisch-liberalen Denkern der „Mitte“ und ihren transatlantisch-linksradikalen Pendants.
Zu dieser außenpolitischen Frontbegradigung zwischen herrschenden Linksliberalen und ehedem oppositionellen Linken tritt – zweitens – die innenpolitische Frontbegradigung hinzu. Die vollzogene Abkehr der heute bemüht „hippen“ Linken vom „Proletariat“ als „revolutionärem Subjekt“ zugunsten des Refugee-Wahns korreliert mit einer zynischen Verachtung der arbeitssuchenden, prekär beschäftigten und allgemein sozial benachteiligten Menschen, sofern es sich dabei um autochthone Deutsche handelt. Kritischere Linke sprechen daher von einem „Neoliberalisierungsprozeß des organisierten Antifaschismus“3, der die hegemoniale Logik als solche nicht hinterfragt, dem regierenden Liberalismus kein Bein stellen möchte und der schließlich weite Teile des Volkes aufgrund ideologischer Ressentiments gegenüber dem „Normalbürger“ als feindliche Kräfte wahrnimmt.

These 3: Die Antwort weiter Teile der Linken auf diesen Zustand beschränkt sich auf kindischen Trotz.

Als im Frühling 2015 sowohl in Halle/Saale als auch im ebenfalls sachsen-anhaltischen Ort Tröglitz der „antideutsche“ Flügel der Linken gegen die einheimische, teils asylkritische Bevölkerung demonstrierte, wurde die dezidiert „volksfeindliche“ Positionierung besonders frappierend unter Beweis gestellt. Sozialchauvinistische Parolen und Pauschalbeleidigungen des „ostzonalen“ Prekariats durch saturierte Kinder des rotgrünen Bürgertums belegen, daß es linken Jungakteuren nicht um die Sorgen des „kleinen Mannes“ geht, wie es seit jeher sozialistische Programmatik war, sondern – im Gegenteil – um die Zurschaustellung der Verachtung gegenüber all jenen, die nicht zu den Gewinnern der liberalkapitalistischen Ellbogengesellschaft zu zählen sind. Der kindische Trotz beschränkt sich aber nicht auf akademische Antifa-Gruppen, sondern betrifft auch direkt die stärkste organisatorische und parteipolitische Kraft in Gestalt der Linkspartei. Ein exemplarischer Fall ist der Berliner Landesverband dieser Partei, der im September die Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu bewältigen hatte. In Berlin, speziell in den östlichen Stadtteilen, wächst der Stimmenanteil der Alternative für Deutschland (AfD) rasant – auch auf Kosten der Linken. Klaus Lederer, Spitzenkandidat und Landesvorsitzender der Linkspartei, betonte wiederholt, daß er die Wähler, die zur AfD abwandern, gar nicht zurückgewinnen möchte, da es sich zu oft um „rassistische“ Beweggründe handle.4
Die berechtigten Sorgen um Kindergartenplätze, Alltagssicherheit und soziale Fürsorgesysteme, die aufgrund der ungehemmten Zuwanderung entstanden sind, werden also mit dem Verdikt „Rassismus“ kontaminiert, anstatt sie lösungsorientiert in den Fokus zu stellen. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis, sondern zugleich kindischer Trotz ob der Eigensinnigkeit des abtrünnig gewordenen Wahlvolks.

These 4: Es gibt nur wenige linke Ausnahmegestalten – doch diese sind innerhalb der Linken verhaßt.

Eine prominente Ausnahme stellt Sahra Wagenknecht dar. Die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag ist mittlerweile das bekannteste Gesicht der Linken im Volk, wird von Talkshow zu Talkshow gereicht und nimmt nicht selten vernünftige Standpunkte ein. In ihrem neusten Buch Reichtum ohne Gier hat Wagenknecht soziale Programmpunkte mit konservativen Argumenten verwoben. Leitsätze wie „Demokratie lebt nur in Räumen, die für Menschen überschaubar sind“5, die Maxime „Nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung macht frei, weil nur sie Halt gewährt“6 oder ihr Standpunkt „Wer Gastrecht mißbraucht, hat Gastrecht verwirkt“ atmen den Geist einer realistischen Linken, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Realitätssinn ist in der heutigen Linken aber gefährlich: Als Wagenknecht Ende Mai dem Linken-Bundesparteitag beiwohnte, wurde sie mit einer Torte frontal attackiert. Die Angreifer stammten aus dem „antideutschen“ Umfeld der Linksparteijugend. Jenseits verbaler Solidarisierungen mit ihrem wahltaktischen Zugpferd konnte sich die linke Führung zu keinen weiteren Schritten aufraffen. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert sogar ausgerechnet jene Kreise, die Wagenknecht tätlich angriffen und bis heute im Internet an virtuelle Denunziationspranger stellen.7 Man will sich nicht mit Wagenknecht gemein machen: Zu sehr trifft die Kritik an Wagenknecht den Nerv der Parteibasis. Es klafft also eine ansehnliche Kluft zwischen antideutschen Befindlichkeiten der Parteiaktivisten und der Wahrnehmung der deutschen Wähler. Nur deshalb ist Wagenknecht einstweilen noch geduldet. Wie lange man das noch zum Wohle der Wahlergebnisse durchhält, wird sich zeigen. Entwicklungen wie in Berlin, wo die Linkspartei freimütig auf Stimmen verzichtet, deuten einen Stimmungswandel an, der Wagenknecht noch zu Fall bringen kann.

These 5: Die Linke ist gelähmt, weil jeder über Nacht zum „Querfrontler“ werden kann.

Aber auch Befürworter von Wagenknecht bzw. einer realistische Erdung der Linkspartei und ihrem Milieu trauen sich selten aus der Deckung, um sie oder andere für ihre Volksnähe angefeindete Genossen wie Diether Dehm zu verteidigen. Zu schnell gerät man selbst in die Schußlinie innerlinker Meinungspolizei, die „Rechtsabweichungen“ mit Stigmatisierung ahndet. Die Angst vor dem „Querfront“-Vorwurf ist allgegenwärtig. Denn er wird inner- und außerhalb der Partei vom gemäßigten wie auch vom extremen Flügel verwendet, um Gegner zu brandmarken.
Ob linke Intellektuelle wie Albrecht von Lucke – der linke Populismus à la Wagenknecht arbeite den „Propagandisten einer dubiosen Querfront mit der Neuen Rechten in die Hände“8 –, Trotzkisten – Wagenknecht vertrete „Standpunkte, die sich kaum von der AfD unterscheiden“9 – oder Wortführer der parteiübergreifenden „antideutschen“ Szene – die Pegida-Versteherin Wagenknecht habe sich „selbst in die Querfront eingereiht“10 –: Der Querfront-Vorwurf ist eine politische Waffe, um sich mit Inhalten nicht auseinandersetzen zu müssen. Weil das bekannt ist, schweigen die wenigen realistischen oder gar nationalorientierten Akteure. Diese Angst vor Denunziation lähmt die Linke und läßt Diskussionen nicht mehr zu. Die nationale Frage bleibt daher also ebenso ausgeklammert wie rationale Herangehensweisen an die Massenzuwanderung unmöglich werden.

These 6: Die Rechte sollte nicht um linkes Entgegenkommen buhlen.

Auch wenn es mit Wagenknecht und anderen Linken punktuelle Übereinstimmungen gibt, ist das Bewußtsein für temporäre inhaltliche Koinzidenz auf Seiten dieser Linken entweder nicht vorhanden oder wird durch antifaschistische Anathemata blockiert.
Daraus, wie auch aus den jüngsten Krisenentwicklungen auf europäischer und globaler Ebene, resultiert für eine zeitgemäße Rechte die Herausforderung, eigene thematische Erweiterungen jenseits dogmatischer ideologischer Denkbahnen vorzunehmen, um jene zwingend erforderliche ideenpolitische Profilierung zu forcieren, welche die – derzeit ohnehin nicht real denkbare „Querfront“ – obsolet werden läßt. Eine ideell nachgerüstete, tatsächlich Neue Rechte hätte es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern zu suchen. Sie genügte sich selbst und verkörperte aus eigener Kraft und eigenem Ideenreichtum eine Alternative, die dann wiederum jene Minderheitenkräfte der Linken anziehen kann, die in ihrem Lager an der konzeptlosen Verengung des ideenpolitisch Sag- und Tragbaren leiden, die aufgrund ihrer bloßen analytischen Auffassungsgabe – wie beispielsweise Wagenknecht oder die Akteure des Blogs „nachdenkseiten.de“ – im eigenen Lager angefeindet und als rechtsabweichende „Querfrontler“ diffamiert werden.

These 7: Die AfD müßte als freiheitliche Sammlungspartei mit gutem Beispiel vorangehen.

Eine vom Autor geforderte Neujustierung zeitgemäß konservativen, neurechten Denkens betrifft auch die Alternative für Deutschland als Wahlpartei eines heimatverbundenen Widerstandsmilieus aus Bürgerinitiativen, Denkfabriken, Zeitungen/Zeitschriften und eben der AfD. Es gibt innerhalb der deutschen Rechten Gegner eines solchen Netzwerkes – etwa Dieter Steins Junge Freiheit und einzelne AfD-Mandatsträger – und Befürworter – wie die Zeitschrift Sezession und einzelne AfD-Mandatsträger. Es gilt nun einerseits, die Befürworter inner- und außerhalb der Partei zu stärken und andererseits, ein theoretisches Gerüst zu vermitteln, damit der derzeitige AfD-Erfolg keine substanzlose Eintagsfliege des reinen Wahlprotests wird. Die AfD als „Partei des gesunden Menschenverstandes“ ist „von vornherein theorieschwach, nicht-ideell, sondern sieht sich als Anreicherungsbecken für den arbeitenden, staatstragenden, pragmatischen Bürger“.11 Diese richtige Feststellung Götz Kubitscheks muß um die Tatsache ergänzt werden, daß die AfD mittlerweile auch die Wahlpartei der unteren und mittleren Schichten geworden ist: Zunächst wahltechnisch, aus Protest und Unzufriedenheit der Wähler mit dem Kartell der Etablierten, und weniger inhaltlich. Denn die Bundespartei ist unter Frauke Petry einstweilen im Gedankengebäude des Neoliberalismus gefangen. Im AfD-Programm heißt es beispielsweise, man brauche möglichst viel Freiheit für den Markt und möglichst wenig Spielraum für den Staat. Man fordert die Abschaffung der Vermögensteuer und predigt Paul Kirchhofs Steuermodell, nach dem für Durchschnittsverdiener der Mittelschicht derselbe Spitzensteuersatz von 25 Prozent wie für Millionäre gelten würde. Dieses FDP-orientierte Wirtschafts- und Sozialprogramm widerspricht nachweislich den Intentionen breiter AfD-Wählerschichten, die der AfD aus Protest wie auch aufgrund sozialorientierter Wahlkampfslogans ihre Stimmen geben. Will man sich nicht des Etikettenschwindels schuldig machen, muß daher eine sozialpolitische Abwendung vom herrschenden Ungeist des Neoliberalismus erfolgen. Der potentielle Bündnispartner Front National (FN) hat es vorgemacht.12

These 8: Die Rechte wird die soziale Frage wiederentdecken oder sie verpaßt eine historische Chance.

Die soziale Frage ist vor allem eine Frage der Solidarität. Solidarität setzt dabei immer eine vorhandene (keine imaginierte) Gemeinschaft voraus, die solidarisch – also einander helfend, zusammengehörig fühlend – handeln kann. Solidarität ist anthropologisch und historisch zuallererst ein Aspekt der Fürsorge für den räumlich oder kulturell, religiös oder ethnisch Nächsten. Mit ihrer „Grenzen-auf-für-alle“-Rhetorik untergräbt die Linke die Grundlage jeder praktischen Solidarität und verläßt den realen Handlungsraum zugunsten einer bizarren Utopie der borderless world. Denn gerade in bezug auf die Flüchtlings- und Zuwanderungskrise „fällt (es) schwer, die Welt so zu sehen, wie sie ist; es ist angenehmer, sie so zu erträumen, wie man sie sich wünscht“.13 Diese Ausblendung der Realität zugunsten eines ideologischen Traums des „Ohne-Grenzismus“ (Régis Debray) bietet sich an als Angriffspunkt für eine authentische Rechte, welche sich die soziale Frage wieder aneignet. Soziale Solidarität erfordert regionales, nationales oder europäisches Zusammenhörigkeitsgefühl. Die Linke weist in der multiplen Krise Deutschlands und der EU nichts davon auf. Es ist daher in der vorrevolutionären Zeit, in der wir leben, die historische Chance gekommen, die Herausforderung der sozialen Frage anzunehmen und der Linken neben der nationalen Frage auch noch diese endgültig zu nehmen. Dann bliebe links nichts als die Propagierung gesellschaftspolitischer Experimente im Rahmen – und unter Akzeptanz – des bestehenden kapitalistischen Multikulturalismus.

These 9: Die Linke geht an ihrer unheiligen Allianz mit dem herrschenden Liberalismus zugrunde – die Zeit ist reif für eine erneuerte Rechte.

Die Linke ist also weltanschaulich „entkernt“ und als Kraft, die bloß noch gesellschaftspolitische Minderheitenanliegen vertritt, keine fundamentale Opposition (mehr). Die mit dem Zeitgeist liierte Linke liegt also im Sterben. Es erscheint nicht zuletzt aus diesen Gründen ratsam, eigene Ideen konkret auszuformulieren und Begriffe zu „setzen“, mithin die notwendige Erweiterung des klassisch konservativen Themenspektrums vorzunehmen. Eine „Neue Rechte“ – um diesen Arbeitsbegriff zu verwenden –, die sich von neokonservativ-neoliberalen Vorstellungswelten separiert, die sich also gegen die Vorherrschaft des Westens, universale Islamfeindschaft, libertäre Marktgläubigkeit und konservative Kapitalismusaffirmation stellt; eine Neue Rechte, die sich geopolitisch – mit Rußland – für eine „Pluralisierung der Hegemonien“14 positioniert; eine Neue Rechte, die die soziale Frage wieder als ureigenes Sujet entdeckt; eine Neue Rechte, die europäisch denkt und mehr als nur einen populistischen Anti-Brüssel-Block formieren möchte, sondern die Idee des einigen Europas innovativ, aber rückgebunden an Tradition und Herkunft betrachtet; eine Neue Rechte schließlich, die in der Lage ist, die politökonomischen Zusammenhänge beim Großen Austausch und der aktuellen Lage des Finanzmarktkapitalismus zu analysieren und Gegenentwürfe zu entwickeln – eine solche Neue Rechte würde im politischen Sinne die Sterbehilfe für die lethargische Linke einleiten. Spätestens dann werden noch mehr Menschen in Europa zeigen, daß es möglich und heutzutage sogar erforderlich ist, daß „aus Linken Rechte werden“.15

Anmerkungen

1Albrecht von Lucke: Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken, München 2015, S. 104.
2Vgl. für diesen Absatz: Benedikt Kaiser: Linksliberales Stühlerücken, in: Sezession 67 (August 2015), S. 44 f.
3Susann Witt-Stahl/Michael Sommer: Vorwort, in: dies. (Hrsg.): „Antifa heißt Luftangriff“. Regression einer revolutionären Bewegung, Hamburg 2014, S. 9–16, hier 11.
4Vgl. bspw. das Streitgespräch zwischen Linke-Landeschef Klaus Lederer und Berlins AfD-Vorsitzenden Georg Pazderski im Tagesspiegel v. 12.06.2016.
5Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten, Frankfurt/Main 2016, S. 23.
6Ebd., S. 32.
7Vgl. Katja Weißenfeld: Torte aus Stiftungspulver, in: junge Welt v. 04.06.2016.
8Albrecht von Lucke, Die schwarze Republik, S. 208.
9Peter Schwarz: Sahra Wagenknechts Plädoyer für Nationalismus und Marktwirtschaft“, in: gleichheit. Zeitschrift für sozialistische Politik & Kultur, 2-3/2016, S. 36 f., hier 36.
10So Jutta Ditfurth auf ihrem Facebook-Profil v. 26.10.2015.
11Götz Kubitschek: Die AfD, der Osten und der liberale Flügel, in: ders.: Die Spurbreite des schmalen Grats, Schnellroda 2016, S. 118–122, hier 119 f.
12Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat zuletzt auf einen entscheidenden Unterschied zwischen FN und AfD hingewiesen: „Während Marine Le Pen national und sozial sein möchte (...), gebärdet sich die AfD national und konservativ-neoliberal“. Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie, Bonn 2016, S. 296, Endnote 4.
13Régis Debray: Lob der Grenzen, Hamburg 2016, S. 15.
14Chantal Mouffe: Agonistik. Die Welt politisch denken, Berlin 2014, S. 49.
15Vgl. einerseits den Aufsatz des französischen Soziologen Didier Eribon: Wie aus Linke Rechte werden. Der vermeidbare Aufstieg des Front National, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2016, S. 55–63, und – weiterführend – Eribons grandiose Dokumentarliteratur: Rückkehr nach Reims, Berlin 2016. Eribon, der der traditionellen Arbeiterklasse Frankreichs entstammt und selbst linksintellektuell-republikanisch zu verorten ist, kehrt zurück in seine „proletarische“ Heimat, wo sich die sozial schwächeren Schichten längst von Sozialisten und Kommunisten abgewandt und dem sozialnationalen Front National zugewandt haben. Weil sich die linken Parteien und Bewegungen von den prekarisierten Gesellschaftsklassen abgenabelt haben und die Lebensrealität der Menschen zugunsten von ideologischen Trugbildern verdrängten, sei es gewissermaßen „eine Art politische Notwehr der unteren Schichten“ (Eribon), sich einer nun sozial aufgestellten Rechten anzunähern. – Frankreich könnte sich auch hier als politisches Laboratorium erweisen, dessen Erfahrungen wenig später in anderen europäischen Ländern nacherlebt werden.

 
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