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Ante Pavelic, Kroatiens Staatsführer

Von Erich Körner-Lakatos

Ein Portrait des Anführers der Ustascha-Bewegung

Vor siebenundfünfzig Jahren, am 28. Dezember 1959, schließt der ehemalige Führer Kroatiens, Ante Pavelic, im Deutschen Krankenhaus von Madrid für immer die Augen. Es scheint lohnend, den Weg des Poglavnik von seinen politischen Anfängen bis zu den Jahren im Exil zu beschreiben, wobei grundsätzlich gilt, daß wenig bekannte Episoden detailliert geschildert, hingegen bereits oftmals erwähnte und dem Leser vermutlich ohnedies geläufige Fakten bloß kursorisch gestreift werden.

Schon am fünften Kriegstag des Balkanfeldzuges steht Jugoslawiens Armee am Rande der Auflösung. Während sich eine Panzerdivision der Wehrmacht der kroatischen Hauptstadt vom Osten her nähert, verbreitet Radio Agram1 am späten Nachmittag des 10. April 1941 eine Proklamation, worin es heißt:

Gottes Vorsehung und der Wille unseres großen Verbündeten sowie der jahrhundertelange Kampf des kroatischen Volkes und die große Opferbereitschaft unseres Führers Ante Pavelic und der Ustascha-Bewegung in der Heimat und im Ausland haben es gefügt, daß heute, vor der Auferstehung des Gottessohnes, auch unser unabhängiger Staat Kroatien aufersteht.
Ich rufe alle Kroaten, insbesondere die Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Streitkräfte und der Organe der öffentlichen Sicherheit auf, Ruhe und Ordnung zu bewahren. Die Streitkräfte haben ihren Aufenthaltsort anzugeben und sofort den Eid auf den Unabhängigen Staat Kroatien und seinen Poglavnik zu leisten.
Ich habe heute als der Beauftragte des Poglavnik das Kommando aller Streitkräfte übernommen.
Gott mit den Kroaten! Zum Kampf bereit!

Der Stellvertreter des Poglavnik und Oberkommandierende der Streitkräfte: Slavko Kvaternik

Kurz darauf ziehen Einheiten des vom ehemaligen k.?u.?k. Obersten Kvaternik dankbar erwähnten „großen Verbündeten“ unter dem Jubel der Einwohner in die Stadt ein. Deren kroatischer Name lautet bekanntlich Zagreb, was auf deutsch so viel wie „am Graben“ bedeutet. Die deutsche Bezeichnung ist folglich eine Verballhornung dieser Übersetzung.
Der Poglavnik (Führer) Ante Pavelic weilt an diesem Tag noch im toskanischen Pistoia bei seiner rund dreihundert Mann zählenden Ustascha-Truppe. Wie alle überrascht ihn der blitzartige Vormarsch der deutschen Streitkräfte. In der Nacht auf den 15. April trifft Pavelic in Agram ein und übernimmt die Regierung des NDH (Nezavisna Država Hrvatska), des Unabhängigen Staates Kroatien. Damit findet ein langer Kampf für die Selbständigkeit seinen krönenden Abschluß.

Kroatien in der Donaumonarchie

Ante Paveli? wird am 14. Juli des Jahres 1889 im herzegowinischen Bradina als Sohn eines Eisenbahners geboren. 1915 Doktor der Rechte, Eröffnung einer Anwaltskanzlei in Agram. Der junge Advokat wird 1919 Aktivist der ?ista Stranka Prava, der Reinen Rechtspartei, einer extrem antiserbisch eingestellten Bewegung, die bereits am 3. Dezember 1918 die Rechtmäßigkeit des zwei Tage davor gegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (kroat. Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca) verneint und ein eigenständiges Kroatien fordert. Letzteres existierte ab Ende Oktober 1918 als kurzlebiger „Staat der Slowenen, Kroaten und Serben“ (kroat. Država Slovenaca, Hrvata i Srba) mit der Hauptstadt Agram. Doch im Taumel eines überbordenden Jugoslawismus schließt sich dieser Staat bereits am 1. Dezember den serbischen Machthabern in Belgrad an.
Der Traum von der Unabhängigkeit ist uralt und scheint aussichtslos. Denn Kroatien, Slawonien und Dalmatien sind, zumindest aus Budapester Sicht, seit 1102 eine Art Nebenland (partes adnexae) Ungarns, weil durch die Magyaren militärisch erobert. Hingegen vertreten die Kroaten die Theorie, ihre Vorfahren hätten durch Vertrag (pacta conventa) dem ungarischen Herrscher die Königswürde übertragen, Kroatien sei sohin ein eigener Staat geblieben.
1868 vereinbaren Budapest und Agram einen Vertrag, den sie Ausgleich (kroat. nagodba, ung. kiegyezés) nennen und der im allgemeinen Sprachgebrauch als „der kleine Ausgleich“ figuriert, weil man unter dem Begriff Ausgleich dazumal jenen von 1867 zwischen Wien und Budapest versteht. Der kleine Ausgleich beschert dem Königreich Kroatien-Slawonien2 ein großes Maß an Selbstverwaltung, sie umfaßt die innere Verwaltung, Justiz, Unterricht und Kultus; weiters eine eigene Regierung unter Leitung des Banus. Das Kabinett untersteht der Kontrolle des Landtags (Sabor). Alles andere sind gemeinsame Angelegenheiten, die von der Budapester Regierung (erweitert um einen Minister für Kroatien) erledigt werden. Vierzig vom Sabor delegierte Abgeordnete vertreten im ungarischen Reichstag die Interessen des Landes.
Freilich bleibt weiterhin umstritten, ob hier ein Vertrag zwischen zwei Staaten vorliegt oder ob es ein Akt der ungarischen Innenpolitik ist, durch den einem Teil des Staatsgebietes autonome Rechte gewährt werden.
Viele Kroaten sind weiterhin unzufrieden, sie wünschen die Angliederung Fiumes3 (kroat. Rijeka). Artikel 66 des Ausgleiches stellte jedoch fest, in den Verhandlungen über die Hafenstadt sei keine Einigung erzielt worden. Faktisch bleibt die Hafenstadt bis 1918 bei Ungarn, und zwar als corpus separatum coronae Sancti Stephani.
Agram fordert auch Teile der Halbinsel Istrien (nämlich die drei östlichen Bezirke Castelnuovo/Podgrad, Albona/Labin und Volocsa/Volosko sowie die Inseln Veglia/Krk, Cherso/Cres und Lussin/Lošinj) und die sogenannte Murinsel (kroat. Mecimurje, ung. Muraköz). Diese wurde im Herbst 1848 von Banus Josip Jelacic für Kroatien annektiert, jedoch auf Beschluß Franz Josephs vom 24. Jänner 1861 an Ungarn zurückgegeben, obwohl es sich um ein ethnisch rein kroatisches Gebiet handelt.
Schließlich wünscht sich jeder Kroate die Vereinigung Kroatien-Slawoniens mit Dalmatien, das ab 1867 als eigenes Kronland zur cisleithanischen (österreichischen) Reichshälfte ressortiert. Der Ausgleich bestimmt bis zum 29. Oktober 1918 (Sabor-Beschluß über die Auflösung aller staatsrechtlichen Bindungen an Ungarn und Österreich) das Verhältnis zwischen Agram einerseits und Budapest/Wien andererseits.
Gegen den Kleinen Ausgleich vom 18./19. November 1868 wendet sich in Agram eine Strömung, die offiziell Partei des kroatischen Staatsrechts heißt, aber im allgemeinen Sprachgebrauch unter der Bezeichnung Kroatische Rechtspartei bekannt ist. Die bereits 1861 gegründete Bewegung pocht auf die Kontinuität des kroatischen Staates seit dem Mittelalter. Deswegen verwirft die von Doktor Ante Starcevic geführte Partei den Kleinen Ausgleich und fordert für Kroatien dieselbe Stellung, die Ungarn innerhalb der Doppelmonarchie innehat. Ziel ist ein trialistischer Staat unter Habsburgs Zepter.
Die Partei spaltet sich 1895. Der eine Teil liebäugelt mit der Idee des Jugoslawismus, wonach Kroaten und Serben zum selben Volk gehören. Die anderen, sie wollen das kroatische Staatsrecht rein und unverfälscht bewahren, scharen sich um den Advokaten Josip Frank und bilden die Cista Stranka Prava (SP), vom Volk kurz Cisti (die Reinen) genannt. Letztere sehen das Heil in einem Großkroatien, verneinen die Verwandtschaft mit den slawischen Serben, denn die Kroaten sind ihrer Auffassung nach der in der Völkerwanderung auf dem Balkan verbliebene siebente Stamm der Goten; zwischen den kroatischen Langschädeln und den serbischen Rundschädeln bestehe ein großer Unterschied.4

… und im SHS-Staat

Die Cisti finden durchaus Anklang beim Volk. Bei den Wahlen zum Wiener Reichsrat erringen sie 1907 mit 16.013 Stimmen (22%) den Spitzenplatz im Kronland Dalmatien, welches entgegen aller Bestrebungen Agrams bei der österreichischen Reichshälfte verbleibt.
Wenden wir uns wieder Ante Pavelic zu. Der eloquente Anwalt macht schnell Karriere, zuerst im Gemeinderat von Agram, kurz darauf ist er einer der beiden Mandatare der ?isti in der Belgrader Skupština, der ursprünglich serbischen, nunmehr jugoslawischen Volksvertretung. Schon sein Einstand gerät zum Skandal: Paveli? erklärt dort am 20. Oktober 1927 unverblümt, die Wahrnehmung seines Mandats bedeute nicht die Anerkennung Jugoslawiens. Ziemlich couragiert, wenn man bedenkt, daß die Luft in diesem Balkan-Parlament durchaus bleihältig ist: Auf den Tag neun Monate nach Pavelic’ Debüt beantwortet ein Abgeordneter aus Montenegro einen Zwischenruf mit Pistolenschüssen. Tödlich getroffen sinken der Anführer der kroatischen Bauernpartei, Stefan Radic und sein Neffe Paul, zu Boden.
Am Dreikönigstag 1929 hebt König Alexander – der am 16. Dezember 1888 in Cetinje geborene ist seit 1921 Monarch, davor seit 1914 Regent für seinen kranken Vater Peter I. – die Verfassung auf, errichtet eine Diktatur. Am Tag danach gründet Paveli? die Ustascha (kroat. Ustaša, dt. Aufständischer; der volle Name lautet Ustaša Hrvatska Revolutionarna Organizacija, UHRO), muß aber gleichzeitig fliehen. Es folgt das Exil in Italien (Turin, Bologna, ab 1934 Siena), wo Pavelic als unumstrittener Poglavnik seine Bewegung aufbaut.
Bekanntlich nutzt Italien jede Gelegenheit, um das serbisch dominierte Jugoslawien zu schwächen. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg unterstützt Rom die Bewegung für die Wiedererrichtung eines unabhängigen Montenegro. In der Nähe von Gaeta trainiert ein montenegrinisches Exilheer in der Stärke von 1.559 Soldaten (Stand Jänner 1921) für den Kampf gegen die serbischen Besatzer ihres kleinen Landes. Erst im August 1922 läßt Rom die Montenegriner fallen und löst das Trainingslager auf.
Die rund 500 Ustascha-Kämpfer werden in den Lagern Fontechio und San Demetrio ausgebildet; auch in Ungarn – in Janka-Puszta nahe der kroatischen Grenze – gibt es eine Ausbildungsstätte, was Budapest einen Protest Belgrads beim Völkerbund in Genf einbringt. Noch 1929 verurteilt ein serbisches Gericht Pavelic in absentia zum Tode.
Im Jahr 1932 schlägt ein erster Aufstand der ins dalmatinische Velebitgebirge eingesickerten Ustaschi fehl. Hunderte werden verhaftet; Ante Pavelic hat Glück, er schafft die Rückkehr nach Italien. Ein Jahr darauf scheitert eine Invasion an der Küste. Dann gelingt in Zusammenarbeit mit der mazedonischen Untergrundbewegung VMRO ein Volltreffer: Der verhaßte Serbenkönig Alexander fällt am 9. Oktober 1934 anläßlich eines Staatsbesuchs in Marseille einem Attentat zum Opfer.
Daraufhin wird es still um die Ustascha, Rückschläge zermürben die Exilierten. So etwa im August 1939, als sich die in Kroatien tonangebende Bauernpartei mit den Serben auf eine Autonomie einigt. Der Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt am 25. März 1941 scheint die militanten Nachfahren der Cisti endgültig ins politische Abseits zu bringen. Doch nur drei Wochen später ist das unabhängige Kroatien Wirklichkeit und Doktor Ante Pavelic am Ziel seiner Träume.

König Aimone

Die vom neuen NDH-Staat erwartete Hilfe aus Berlin bleibt aus, denn Kroatien fällt im Rahmen der Abgrenzung der deutsch-italienischen Interessensgebiete in den Bereich Roms. Das hat Folgen: Jetzt wird Pavelic die Rechnung für die Unterstützung des Duce in den langen Jahren des Exil präsentiert. Auf denkbar grausame Weise.
Der entscheidende Tag ist ein Samstag, der 18. Mai 1941. Schauplatz der Handlung ist der Quirinal, die Residenz des Staatsoberhauptes. Am späten Vormittag findet ein feierlicher Akt statt, die Dynastie entfaltet ihren ganzen Prunk. Der italienische König sitzt unter einem Baldachin, rechts flankiert von Kronprinz Umberto, links vom Herrscher nimmt Prinz Aimone Platz. Auf beiden Seiten des Festsaales drängen sich Adel und Prominenz der faschistischen Partei.
Hierauf erscheint eine Delegation unter Führung von Ante Pavelic, er trägt die Uniform eines Obersten. Streng nach Hofetikette fragt der Monarch nach dem Begehr der Besucher. Pavelic bringt den Wunsch des kroatischen Volkes zum Ausdruck, einen Herrscher aus der ruhmreichen Dynastie derer von Savoyen als Oberhaupt des Staates zu erhalten. Daraufhin nennt der König in seiner Eigenschaft als Oberhaupt des Hauses Savoyen einen Namen: Aimone. Die Anwesenden erheben sich, der Raum ist erfüllt von Evviva- und Živio-Rufen. Damit endet der Staatsakt.
Aimone Roberto di Savòia. Der Name sagt bloß einem kleinen Kreis von Zeithistorikern etwas. Grund genug, ihn näher kennenzulernen: Aimone wird am 9. März 1900 in Turin, der alten Hauptstadt des Königreichs Sardinien-Piemont, als Angehöriger einer Nebenlinie des Herrscherhauses geboren. Sein Vater Emanuele Filiberto ist ein Cousin des Königs, führt den Titel eines Herzogs von Aosta und ist so ganz nach dem Geschmack des Duce: Gemeinsam mit Cesare de Vecchi, einem der Quadrumviren und Verbindungsmann zwischen den ursprünglich republikanisch orientierten Faschisten und dem Königshaus, bildet Emanuele Filiberto eine zuverlässige Achse, die das Regime Mussolinis an die Monarchie bindet.
Auch Aimones Mutter ist edlen Geblüts. Sie schreibt sich Hélène d’Orléans, erblickt 1871 im englischen Twickenham als Nachfahrin des französischen Bürgerkönigs Louis-Philippe das Licht der Welt. Stammhalter ist der um zwei Jahre ältere Bruder Amadeo.
Der Familientradition gemäß schlägt Aimone eine militärische Laufbahn ein, geht zur Kriegsmarine. 1918 nimmt er an den Kämpfen als Marineflieger teil. Neben seinem Dienst als Offizier widmet sich der Adelige wissenschaftlichen Aufgaben. Er leitet 1928 die Karakorum-Expedition des Italienischen Geographischen Instituts. Die Grabungen im Zentrum des mongolischen Weltreiches, dort, wo einst Dschingis Khan residiert hat, begeistern die ganze Nation. Aimone, von Natur aus mit einem imposanten Äußeren ausgestattet, läßt sich als Marco Polo des 20. Jahrhunderts feiern. Der König verleiht ihm die Würde eines duca di Spoleto.
1931 stirbt der Vater, sein Vorbild. Emanuele Filiberto sympathisiert im Oktober 1922 mit den Faschisten, steht für den Eventualfall – sollte sich Vittorio Emanuele III. dem Marsch auf Rom widersetzen – als Regent bereit. Mussolini vergißt die Unterstützung des Herzogs mitnichten, fördert die beiden Halbwaisen.
Im Abessinienkrieg meldet sich Aimone, wiewohl Marineangehöriger, als Freiwilliger nach Eritrea. Am 1. Juli 1939 Vermählung mit Irene von Griechenland, einer Tochter des im Exil in Palermo verstorbenen Hellenenkönigs Konstantin. Im November desselben Jahres Avancement zum Admiral und Befehlshaber in Pola (kroat. Pula), ab März 1941 Kommandant der Flottenbasis La Spezia an der ligurischen Küste.
Der Herzog von Spoleto wähnt sich am Gipfel seiner Laufbahn. Doch Mussolini, der bereits im November 1937 Bruder Amadeo in Abessinien als Vizekönig installiert, hält höhere Weihen für Aimone bereit. Und am 18. Mai 1941 ist es soweit.
Kroatien, das drei Tage zuvor die Krone des mittelalterlichen Königs Zvonimir5 per Gesetz zum Hoheitszeichen erhoben hat, ist nunmehr eine Monarchie, wobei die Macht beim Ministerpräsidenten, also bei Ante Pavelic als dem Poglavnik der Ustascha-Bewegung, liegt.
Benito Mussolini steht unter dem Druck der Anhänger einer dalmatinischen Irredenta, die am 16. April ein Telegramm an den Regierungschef sendet, in dem sie die Heimholung der ganzen Küstenregion von Fiume bis Kotor (ital. Cattaro) fordern. Zudem hat der Duce keineswegs die Absicht, das neue Königreich als souveränen Staat zu dulden, ihm schwebt ein Status vor, den die Kroaten schon seit Jahrhunderten kennen und nunmehr endgültig überwunden glauben, nämlich das Dasein als Nebenland einer Großmacht: Bis 1918 muß sich Agram nach den Machthabern in Wien und Budapest richten, danach herrscht Belgrad.
An diesem 18. Mai, eine gute Stunde nach seiner Benennung, erfolgt Aimones Rückstufung zum Oberhaupt eines Satellitenstaates. Im Mappamondosaal des Palazzo Venezia, dem Amtssitz des Duce, unterzeichnen Mussolini und Paveli? drei Verträge.
Der Grenzvertrag sieht die Abtretung der dalmatinischen Städte Sebenico (kroat. Šibenik), Traù (Trogir) und Spalato (Split) vor; ferner der Gegend um Zara (Zadar; die Stadt selbst ist seit dem Vertrag von Saint Germain italienisch) sowie der Bucht von Kotor; schließlich der ganzen vorgelagerten Inselwelt. Kroatisch bleiben nur die Inseln Pago (285 km² mit ausgedehnten Salzgärten; die kahle Insel hat unter der Bora, dem kalten Fallwind, stark zu leiden), Brazza (396 km², Steinbrüche, Schafe und Ziegen) und Lèsina (300 km²). Letztere, südlich von Spalato gelegen, gilt als das Madeira der Adria.
Erster Gouverneur mit Sitz in Zara wird Guiseppe Bastianini, vormals Botschafter Roms in London. Das italienische Territorium an der Ostküste der Adria besteht aus drei Provinzen, nämlich Zara, Spalato und Cattaro. Es ist das klassische Dalmatien, früher Teil Venedigs.
Das Gebiet umfaßt eine Fläche von 5.400 km² mit 380.000 Bewohnern, davon sind jedoch nur fünftausend Italiener. Die schönste Stadt der Gegend, Ragusa (Dubrovnik), fällt nicht an Italien. Bei den Verhandlungen schlagen die schlauen Kroaten Rom mit den eigenen Waffen: Hauptargument für die Abtretung des Küstenstreifens für die Duce-Verhandler ist dessen venetianische Vergangenheit. Ragusa hingegen, so Pavelic’ Emissäre, sei ab 1526 eine selbständige Stadtrepublik unter loser osmanischer Oberherrschaft gewesen.
Im zweiten Vertrag garantiert Italien die Unabhängigkeit Kroatiens, im dritten wird die Hoheit Agrams beschnitten: Rom erhält das Recht, auf der gesamten dalmatinischen Küstenstraße (also auch im 400 Kilometer langen kroatischen Teil) Truppenbewegungen durchzuführen. Außerdem darf der Ustascha-Staat keine Kriegsmarine aufbauen.
Nach der Unterzeichnung erhebt sich Mussolini zu einem Trinkspruch und kommt auf Aimone zurück:
... Ich freue mich, in diesem Geiste den Gedanken zu dem erlauchten Prinzen zu erheben, der für den Thron Kroatiens bezeichnet worden ist, und ich freue mich, meine lebhaften Glückwünsche für Euer Wohlergehen, Pavelic, und für eine ruhmreiche Zukunft der kroatischen Nation aussprechen zu dürfen.
Der Poglavnik antwortet respektvoll:
Duce! Für diesen historischen Tag, der nach jahrhundertelangen Schicksalen unsere Wiedergeburt krönt, bin ich Ihnen besonders dankbar. Die Krone des Königs Zwonimir wurde heute im imperialen Rom vom kroatischen Volk einem Prinzen der ruhmreichen Dynastie angeboten, der der Begründer der neuen kroatischen Dynastie sein wird.
Am Abend beendet ein Festessen beim König diesen denkwürdigen Tag, der für das Haus Savoyen auch eine Niederlage bringt: Im äthiopischen Amba Alagi kapituliert Aimones älterer Bruder Amadeo, der Herzog von Aosta, vor den Engländern.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt am 19. Mai über die Abmachungen in Rom, diese halten sich in ihren Vorteilen für die beiden Vertragsteile ziemlich die Waage; das liberale Blatt sieht darin ein weitgehendes Entgegenkommen Italiens.
In Kroatien erweckt die Abtretung Dalmatiens Gefühle des Hasses gegenüber den Italienern. Perlen wie Sebenico, das Juwel Traù – das Tragauriom der antiken Griechen – mit seinem alten Dom, das an der Mündung der Kerka gelegene Spalato mit dem Palast des Diokletian und dem schönsten Badestrand der gesamten Küste, gehen damit verloren. Das harte Ringen in den letzten Jahrzehnten der k.?u.?k. Monarchie um die Zurückdrängung des italienischen Einflusses ist mit einem Schlag zunichte gemacht.
Pavelic und die Ustascha verlieren im Volk viel an Kredit, da der Gebietsverlust als Dankeschön der Ustascha für die Gastfreundschaft des Duce ab 1929 gesehen wird. Der Poglavnik versucht sich an das Deutsche Reich anzulehnen, um sich Rom vom Hals zu schaffen, was wiederum Mussolini nachhaltig verärgert.
Deswegen kommt es im spätgotischen Agramer Dom zu Stankt Stephan auch zu keiner Krönung Aimones als Tomislav II. durch Erzbischof Alojzije Stepinac. Der designierte König (er ist außerdem Prinz von Bosnien und Herzegowina sowie Woiwode von Dalmatien und Tuzla) betritt kein einziges Mal kroatischen Boden, widmet sich wieder der Marine und fungiert als Generalinspektor der berühmten Schnellbooteinheiten MAS.6 Am 27. September 1943 kommt ein Stammhalter namens Amadeo Umberto Constantino auf die Welt. Der Säugling ist nur für ganz kurze Zeit kroatischer Kronprinz, denn sein Vater legt die Krone am 12. Oktober nieder.7
Damit sei der Exkurs über Aimone beendet.
Auch mit dem ungarischen Nachbarn hat Pavelic Sorgen. Es handelt sich um die von Kroaten bewohnte Murinsel (auch: Zwischenmurgebiet; kroat. Medjumurje, ung. Muraköz), also das Ackerland zwischen Mur und Drau. Es sind dies die Kreise Cakovec und Prelog des Burgkomitats Zala, in denen laut Zensus 1910 der Anteil der Kroaten rund 90% beträgt (Magyaren bloß 8,2%). Das seit vielen Jahrhunderten zu Budapest gehörende Gebiet von 729,5 km² wird im Spätherbst 1918 von kroatischen Truppen unter dem Befehl von Slavko Kvaternik besetzt und gehört bis April 1941 zu Jugoslawien. Dann besetzen Honvéd-Einheiten die Murinsel, die erst nach längerem Tauziehen zwischen Budapest und Agram in magyarischen Besitz gelangt, obwohl eine formelle Eingliederung in das ungarische Staatsgebiet unterbleibt.

Im Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs versucht Preßburg – die unabhängige Slowakei unter Pater Tiso erhebt Gebietsansprüche gegenüber Ungarn – Bukarest und Agram zu einer Neuauflage der sogenannten Kleinen Entente (Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien) der Zwischenkriegszeit zu bewegen, aber Berlin unterbindet dies. Im Endstadium des Weltkriegs verhandelt Ungarns Staatsführer (Nemzetvezet) Ferenc Szálasi mit dem Poglavnik über ein Abkommen bezüglich eines gegenseitigen Minderheitenschutzes, im März 1945 besucht Ungarns Außenminister Gábor Kemény Agram und signiert ein Minderheitenabkommen.
Im Herbst 1941 hat der Staat von Ante Pavelic immerhin 100.636 qkm mit 6,5 Millionen Einwohnern, rund die Hälfte davon sind katholische Kroaten, dazu kommt eine halbe Million Mohammedaner, in der Diktion der Ustascha kroatische Muslime. Sie stellen mit Osman Kulenovic den Vizepremier in der Regierung des Poglavnik. Außerdem wohnen im NDH-Staat 140.000 Volksdeutsche, die gleichsam unter dem Schutz Berlins stehen.
Die 2,2 Millionen Serben im NDH-Staat erwartet – neben israelitischen Religionsangehörigen und politisch Andersdenkenden – ein schweres bis tödliches Schicksal. Da die düsteren Seiten des Ustascha-Regimes schon zur Genüge bekannt sind (die Literatur darüber füllt Bibliotheken), sei hier auf Völkermord und Bürgerkrieg nicht näher eingegangen.
Um sich etwas von Roms Druck freizuspielen, sendet die Regierung in Agram wiederholt Signale in Richtung Berlin. Eines davon ist die Teilnahme Kroatiens am Unternehmen Barbarossa. Hier schlägt sich das „Verstärkte 369. Infanterie-Regiment“ wacker, bis die meisten Soldaten (sie tragen das kroatische Schachbrett-Wappen als Ärmelabzeichen) im Kessel von Stalingrad ihr Ende finden. Am Schwarzen Meer kämpfen kroatische Matrosen auf deutscher Seite, sie sollen dereinst den Kern einer Kriegsmarine des NDH-Staates darstellen.
Schließlich gibt es da ein kleines kroatisches Fliegerkontingent. Pavelic’ Piloten ernten Anerkennung von deutscher Seite, denn im Hinblick auf den militärischen Wert der Kroaten ist Hitler voll des Lobes. Als ein höherer ungarischer Offizier Hitlers Piloten Hans Baur bittet, sich beim Oberbefehlshaber der Wehrmacht dafür zu verwenden, daß die Magyaren mehr Jagdflieger bekämen, um besser in die Kämpfe eingreifen zu können, denn sie hätten zu wenige, führt das zu scharfer Kritik Adolf Hitlers am ungarischen Verbündeten, bei gleichzeitiger Hochachtung vor der Schneid der Kroaten: Das täte den Herren Ungarn so passen! Sie würden in den Jagdeinsitzern nicht gegen den Feind, sondern spazierenfliegen. Wenn ich schon Flugzeuge vergebe, dann eher an die Kroaten, die bewiesen haben, daß sie angreifen.
1944 sind nicht mehr alle Ustaschi von der Genialität des Poglavnik überzeugt, aber Pavelic übersteht alle Versuche, ihn zu stürzen. Verschwörer wie Außenminister Mladen Lorkovic und Kriegsminister Ante Vokic werden enttarnt. Schon früher, im Oktober 1942, muß Slavko Kvaternik wegen eines Streits mit dem Poglavnik seinen Posten aufgeben.
Im Frühjahr 1945 neigt sich Pavelic’ Herrschaft ihrem Ende zu. Die deutsche Wehrmacht kann, unterstützt von kroatische Heimwehr (Hrvatsko domobranstvo) und Verbänden der Ustascha-Miliz (Ustaška vojnica), darunter die Schwarze Legion (Crna Legija), zwar bis zum 5. Mai die Zvonimir-Stellung östlich von Agram halten, dann bricht der Widerstand unvermittelt zusammen. Alles drängt Richtung Norden. Für viele kroatische Soldaten endet die Flucht in Kärnten, wo sie von den Engländern an Titos Partisanen ausgeliefert werden – mit dem bekannten, mörderischen Ausgang in Bleiburg und anderswo.

Auf der Flucht

Dem Poglavnik gelingt unter auch heute nicht ganz geklärten Umständen die Flucht über Österreich8 und Italien nach Argentinien, wo der dortige Präsident Juan Peron seinen Aufenthalt duldet. Die „Neue Zürcher Zeitung“9 schreibt dazu: „Die kroatische Unterkommission im Priesterkolleg San Girolamo degli Illirici [in Rom; E. K.-L.] sollte zur entscheidenden Fluchthelferin der Ustascha-Funktionäre werden. Schlüsselfigur war der Priester Krunoslav Draganovic, früher Theologieprofessor in Zagreb und schon vor dem Krieg ein überzeugter Ustascha-Anhänger … Bereits Ende 1946 gelang es Draganovic in Zusammenarbeit mit einem kroatischen Franziskanerpater in Buenos Aires, bei den argentinischen Behörden die Zusage für die Einwanderung von 250 Personen zu erhalten, ohne ihre Namen nennen und sie überprüfen lassen zu müssen. Außerdem konnte er mit den Reisedokumenten des Roten Kreuzes bei der argentinischen Einwanderungsdelegation in Italien und beim Generalkonsulat in Genua, dem wichtigsten Abfahrtsort, Einreisevisa erhalten. Sein prominentester Schützling war Ante Pavelic, der Poglavnik (Führer) des ‚Unabhängigen Staates Kroatien‘. Er hatte sich nach Kriegsende einige Monate in Österreich aufgehalten und war Anfang 1946, als spanischer Priester getarnt, nach Rom gelangt, wo er sich bis Ende 1947, meist im Collegio San Girolamo, aufhielt und dann noch einige Monate außerhalb Roms ebenfalls in kirchlicher Obhut verbrachte, bevor er Ende 1948 nach Argentinien abreiste.“ Dort vertreibt sich der Rest der Ustascha-Hautevolee die Zeit mit bedeutungslosen Aktionen wie der Bildung einer Exilregierung.
Am 10. April 1957, auf den Tag genau 16 Jahre nach der Gründung des Unabhängigen Staates Kroatien, verübt ein Montenegriner namens Blagoje Jovovic in Lomas del Palomar ein Attentat auf den Poglavnik, der durch einige Schüsse in den Rücken schwer verletzt wird. Die Tat geschieht vermutlich im Auftrag des Tito-Geheimdienstes.
Ein Unglück kommt selten allein: Argentinien (Peron ist längst entmachtet) droht Pavelic nun mit der Auslieferung an Belgrad. Dem kann sich der Ustascha-Anführer durch Flucht nach Spanien entziehen. Doch die Verletzungen infolge des Attentats fordern ihren Tribut: Ante Pavelic stirbt am 28. Dezember 1959 um 3:55 Uhr im Deutschen Krankenhaus von Madrid. In seiner Todesstunde hält er seinen Rosenkranz in der Hand, ein Geschenk von Papst Pius XII. Kurz zuvor erhält der Sterbende von Papst Johannes XXIII. den besonderen Segen.

Anmerkungen

1Falls es für Gebiete und Orte eine weithin geläufige deutsche Bezeichnung gibt, so wird diese verwendet.
2Kroatien umfaßt die Burgkomitate Agram, Warasdin (Varaždin), Bjelovar-Križevci, Modrus-Fiume (Modruš-Rijeka) und Lika-Krbava; Slawonien besteht aus den Komitaten Virovitica, Poschegg (Požega) sowie Srijem.
3Der italienische Name der Stadt ist weitaus geläufiger als die selten verwendete deutsche Bezeichnung Sankt Veit am Pflaum, was eine Verballhornung des lateinischen Sanct Viti ad flumen ist.
4Dieser Standpunkt bleibt unverändert: In einer Denkschrift vom 28. Oktober 1936 erklärt Paveli?, die Kroaten seien mit den Serben in keiner Weise verwandt (dies bekräftigt auch Artikel 1 des Statuts der Ustascha).
5Mit dem Ableben Zvonimirs im Jahre 1089 erlischt das kroatische Königshaus.
6Besonders erfolgreich ist Valerio Fürst Borghese, dessen Decima MAS (10. Schnellboot-Flottille) mit ihren Angriffen auf südenglische Häfen viele Lorbeeren erntet. Borghese entstammt einem berühmten römischen Adelsgeschlecht, das sogar einen Papst (Paul V.) hervorbringt. Der Fürst ist ab 1951 Ehrenvorsitzender des MSI (Movimento Sociale Italiano).
7Obwohl Aimones Königreich wenige Wochen zuvor sogar größer geworden ist: Nach der Kapitulation der Badoglio-Regierung marschiert die kroatische Armee in das italienische Dalmatien ein und annektiert am 8. September 1943 das Land für Agram.
8Anfang Mai 1945 hält sich Ante Pavelic kurzfristig im Ausseerland auf.
9NZZ 13. 8. 1998, Seite 5.

 
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