Um den heute so überaus rasch herbeigeführten „Mißverständnissen“ vorzubeugen, möchten wir in Erinnerung rufen, daß wir den Satz „Dein Volk ist alles, Du bis nichts“, für Häresie halten. Aus Christlicher Sicht, und vorzugsweise diese weist uns bekanntlich auf die Wahrheit hin, ist „das Volk“ selbstverständlich nicht „alles“ und ist „das Volk“ auch ein dem Einzelnen metaphysisch nachgeordneter Begriff. Und der Einzelne ist selbstverständlich auch nicht „nichts“, wenngleich auch er nicht „alles“ ist; allerdings ist er es, der das Abbild Gottes darstellt und von dort her seine Königliche und Priesterliche Würde bezieht; der Einzelne ist es, der maßgeblich Anteil am Schöpfungswerk Gottes hat; das Volk, dem er angehört, mag in bestimmter Weise begnadet sein, etwa für das Schöne, wie es in der wunderbaren Hymne der Paula von Preradovic heißt, aber die Begnadung gewinnt ihre Ausprägung durch den Einzelnen. Es ist schließlich auch der einzelne, der vor den Allmächtigen tritt, um sich für seine Taten zu rechtfertigen. Dennoch gibt es die Völker und die ihnen zugehörigen Länder, gibt es die Nationen und die in diesen in die Wirklichkeit tretenden, jeweils spezifischen Ausformungen menschlicher Gesellschaft, gibt es die offensichtlich vom Lieben Gott so eingerichteten und gewollten Unterschiede zwischen den Rassen und Ethnien, den Völkern und Nationen, den Stämmen und Familien. Alle zusammen machen die Menschheit aus, wobei es Gemeinsames, das uns alle miteinander verbindet, und Verschiedenes gibt, das uns eben voneinander unterscheidet. Niemand ist gleich; alle sind wir unterschiedlich. Und es wäre hoch an der Zeit, eine weitere Irrlehre, den revolutionär-sozialistischen Gleichheitswahn, endlich aus Politik und Gesellschaft zu entfernen. Die Ungleichheit der Menschen ist kein Mangel, sie ist ein Reichtum. Der Mensch ist also eingebettet in ein wechselwirkendes System von Gemeinsamkeiten und Verschiedenheit. An sich ist das hier Ausgeführte ohnehin selbstverständlich, sollte man meinen; doch in Zeiten wie diesen wird Selbstverständliches „hinterfragt“. Und der Grund der Hinterfragung verknüpft sich zumeist mit politischer Zielsetzung. So erläutert uns ein Artikel in hiesiger Zeitung („Presse“, 16. 7. 2016) die Aussagen einer vermeintlichen wissenschaftlichen Zelebrität folgendermaßen: „Die Vorstellung, daß Völker biologische Einheiten sind, die sich durch gemeinsames Blut, Herkunft und Sprache auszeichnen“, habe sich lange gehalten. Das hieße aber, daß „Völker so etwas wie Lebewesen“ wären, die einen eigenen Charakter haben. Das sei aber nicht so. „Rassisches Denken“ habe keine Grundlagen mehr, denn es gäbe kaum genetische Unterschiede zwischen den Völkern Europas. Alles sei gemischt, und ein „Langobarden-, Alemannen- oder Juden-Gen“ gäbe es nicht.
Was mag der Sinn dieser Ausführungen sein? Daß „Völker so etwas wie Lebewesen wären“ haben wir jedenfalls nie behauptet. Derlei Vorstellung mag in stark kollektivistischen Ideologien eine sich entfaltende Fehlsichtigkeit gewesen sein. Doch heißt das durchaus nicht, daß man kollektivistischer Fehlsichtigkeit anheimgefallen ist, wenn man dennoch daran festhält, daß Völker Einheiten sind, die sich durch gemeinsame Herkunft, Geschichte und Kultur auszeichnen. Ob es ein „Juden-Gen“ gibt oder nicht, können wir aufgrund zu geringer naturwissenschaftlicher Kenntnisse nicht beurteilen. Aber es gibt zweifelsfrei etliche Millionen Menschen, die sich als Juden bezeichnen und verstehen und die sich, ungeachtet großer Internationalität, durch gemeinsame Herkunft, Sprache und Gebräuche auszeichnen. Soweit wir Einblick haben, sind Juden in der Regel auch stolz auf diese ihre Herkunft, und ein großer Teil von ihnen pflegt die gemeinsame Sprache und die gemeinsamen Gebräuche. Dem, um ein anderes Beispiel zu bemühen, heimatbewußten Österreicher, der sich mit seinen Vorfahren beschäftigt hat, wird durchaus klar vor Augen stehen, daß er häufig einem imperialen Völkergemisch entstammt. Dennoch gibt es jedenfalls historisch-kulturelle Prägungen, die mit überraschend häufig auftretenden Eigenschaften der Menschen dieses Raumes zusammenfallen, nennen wir hier nur die starke Neigung, sich mit Musik zu beschäftigen. Das könnte in Österreich eine Konsequenz fortdauernder Traditionen und günstiger Voraussetzungen sein, zu sagen, daß die Italiener und Franzosen gut kochen, die Österreicher besonders musisch sind, daß die Briten einen stark ausgeprägten Sinn für Tradition kultivieren und die Japaner einen für Disziplin und daß die Deutschen wirtschaftlich äußerst tüchtig sind und eine Hand für das Technische haben. Aber man hat dennoch den Eindruck, daß da was dran ist. 2001 wurde übrigens noch „Achtung der nationalen Identitäten“ als eines der „wichtigsten Prinzipien“ der EU bezeichnet („Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschland“); da dürfte sich mittlerweile Wesentliches nachteilig verändert haben.
Der zitierte Artikel deutet an, daß mit Begriffen wie „Identität“ und „Volkszugehörigkeit“ heute Mißbrauch getrieben würde, womit wir uns vielleicht schon einem politischen Kernanliegen des von der EU geförderten „internationalen“ historisch-genetischen Wissenschaftsprojekts nähern, auf welches sich der Artikel bezieht. „Reinrassige Völker“ gäbe es nicht (was ohnehin vorwiegend nur vor 1945 behauptet wurde), weshalb man auch keine Besorgnis vor Völkerwanderungen zu haben brauche, zumal es „eine bewaffnete Migration auf breiter Ebene in der europäischen Geschichte schon länger nicht mehr gegeben habe“. „Strikte Grenzen“ wären also als „kurzsichtiger Schluß“ abzulehnen und ohnehin im „modernen Nationalstaat nur eine Fiktion“.
Diese unserer Meinung nach eher als pseudowissenschaftlich denn als wissenschaftlich zu bezeichnenden Ausführungen korrespondieren mit anderen, die derzeit häufig zu hören sind. Etwa: „Das nationale Modell ist überholt, und man darf darauf nicht zurückgreifen“; eine Aussage, die gern in Zusammenhang mit scharfer Kritik an Polen und Ungarn formuliert wird, wenn diese zum wiederholten Mal Widerstand gegen die massenhafte Zwangszuteilung von einwanderwilligen Muslimen durch diverse Eu-Leitungsgremien leisten. Oder: „Nationale Identitäten sind künstliche Konstrukte, gewissermaßen ein verdeckter Rassismus“; eine in vielen Variationen gern gebrachte Unterstellung der Dummheit oder des üblen Charakters gegenüber Personen, die daran festhalten, daß die europäischen Völker über gewachsenen eigene kulturelle Identitäten verfügen, und es von hohem Wert und großer Wichtigkeit ist, diese Identitäten zu erhalten und zu pflegen. Oder: „Wir müssen heute den Österreicher neu definieren; wir werden zum multikulturell und multireligiös geprägten Einwanderungsland und sollten uns mit dieser Zukunft anfreunden“; diese unabwendbares Schicksal behauptende Argumentation rät zum duldsamen Hinnehmen von (vorzugsweise von führenden EU-Funktionären definiertem) Kommendem und verbindet sich oft mit dem Hinweis auf „unaufhaltbare“, aber angeblich „positive“ „Globalisationsprozesse“, was den Blick darauf verstellen soll, daß diese „Prozesse“ gesteuert werden und machtpolitischen Interessen dienen, die gewiß nicht mit den legitimen Interessen der (noch) freien Völker Europas übereinstimmen. Oder: „Nur der (eigentlich ja nationalsozialistische) Rechtspopulismus hält an der zweifellos rassistischen Vorstellung von Völkern, kulturellen Traditionen und definierten Grenzen fest; Mitmenschlichkeit und Humanität fordern, daß wir alle in Not geratenen Menschen bei uns aufnehmen; Grenzen töten“; eine in Abwandlungen auch von modernistischen Kreisen in Kirchlichen Strukturen häufig benützte verlogenen Polemik, die mit dem Appell an die Christliche Nächstenliebe kombiniert wird und völlig ausblendet, daß eine Politik der „offenen Türe“ absehbar in katastrophale Situationen von Anarchie, Gewalt und Mord münden wird.
„Es gibt keine Völker; Nationen sind Unsinn; Grenzen sind überholt und Mitmenschlichkeit braucht sie nicht; jeder darf überall sein“: Botschaften wie diese mögen die Bürger Europa vielleicht auch dazu bringen, sich wehrlos den politischen Absichten offensichtlich übelwollender Kreise mit zuviel Geld und zuviel Macht auszuliefern. Aber noch sind wir nicht so weit. Ein verdichteter Zusammenhalt von Einzelnen, der sich in gewachsenen Strukturen wie Familien, Völkern und Staaten mit jeweils eigenen Traditionen und Identitäten manifestiert, erhöht die Widerstandskraft gegen globale Pläne der Ausbeutung und Versklavung. Der globale „melting pot“, den die fragwürdigen Konstrukteure einer „aufgeklärten“ Zukunft der Menschheit als großes Ziel anstreben, wird wohl keine wirklich erstrebenswerte Zukunft darstellen. Die uns so massiv propagierte „Globalisierung“ wird die Menschheit in globalen Identitätsverlust, globale Primitivität, globales Abwirtschaften, globalen Niedergang hineinführen. Jeder, der guten Willens und noch bei Verstand ist, sieht das bereits. Die Zeit, gegen diese Pläne Widerstand zu leisten, ist jetzt. „Rechtspopulismus“ mag hier einen wichtigen ersten Schritt auf einem Weg heraus aus dem Desaster darstellen. Und Grenzen, soweit haben wir die Naturwissenschaften studiert, sind eine Voraussetzung für Leben und Kultur; sie mögen mitunter auch durchlässig sein, doch ohne sie geht es nicht.
Dr. Albert von Pethö ist Herausgeber der katholisch-konservativen Zeitschrift „Weiße Rose“, die diesen Beitrag bereits in ihrer 246. Flugschrift veröffentlichte.