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Weder Ost noch West

Von Marcel Grauf

Der geopolitische Ansatz der ukrainischen Asow-Bewegung

Sie treten mitunter militaristisch auf und tragen ihre nationalistische Haltung offen zur Schau. Dennoch gelten die Angehörigen der Asow-Bewegung vielen deutschsprachigen Rechten als Handlanger westlicher Interessen. Diese Annahme liegt wohl nicht allein an einer zeitweise unkritischen Wahrnehmung von Putins Politik in der Ukraine, sondern auch an einer mangelnden Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen und den tatsächlichen politischen Zielen der Bewegung.

Das ukrainische Volk sieht sich derzeit einer politischen Situation gegenüber, die geprägt ist von den anhaltenden Konflikten in der Ostukraine und einer Regierung in Kiew, welche sich mit der bestehenden Situation zu arrangieren scheint. Entgegen der Darstellungen westlicher Politiker betrachten viele Ukrainer das Abkommen von Minsk keineswegs als akzeptabel und sprechen vielmehr von einem falschen Frieden. An die Stelle des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowytsch ist eine neue, aus der Sicht der Opposition mitunter korrupte Regierung getreten, welche versucht, temporäre Vorteile aus der derzeitigen Situation zu ziehen, jedoch nicht vorrangig die nationalen Interessen der Ukraine nach innen und außen vertritt.
Im Zuge der Maidan-Revolte strebten viele Ukrainer jedoch nicht nur eine Absetzung von Janukowytsch an, sondern forcierten darüber hinaus eine echte Souveränität für die Ukraine, welche in ihrer Wahrnehmung seit dem Fall der Sowjetunion nur formal vorhanden war. Mittlerweile ist für viele, die in der Westbindung eine Alternative zur russischen Vormachtstellung in der Region sahen, deutlich geworden, daß die Europäische Union und die USA auch eigene Interessen verfolgen, welche mit denen der Ukraine nicht vereinbar sind. Wirtschaftliche Einbußen und die Position der Ukraine als Spielball fremder Interessen sind das Ergebnis einer Regierung, welche sich geopolitisch auf die Entscheidung zwischen Ost- oder Westbindung beschränkt.
Für national orientierte Denker stellte sich daher die Frage, ob ein dritter Weg zwischen dem Westen und Rußland erstrebenswert sein könnte. Bei der Etablierung der Idee einer unabhängigen Ukraine spielt die national-revolutionäre Asow-Bewegung eine wesentliche Rolle. Sie sieht ihre Aufgabe nicht nur darin, sich mit ihren Soldaten an den Kämpfen gegen die Separatisten im Osten des Landes zu beteiligen, sondern setzt mit ihren metapolitischen Ansätzen auch auf eine Rückeroberung des politischen Willens. Ihr militärischer Arm, das Regiment Asow, ist inzwischen Teil der ukrainischen Armee geworden. Das Zivilkorps zielt auf die Verteidigung sozialer Räume und die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Leben. Seit dem Oktober 2016 geht die Asow-Bewegung auch den Kampf um die Parlamente an. Mit der Gründung einer politischen Partei, dem Nationalen Korps, strebt Asow die Etablierung der eigenen Idee als Norm für die Politik der Ukraine und Osteuropas an. Sie folgt damit einem Weg, den sie während der Maidan-Revolte im Jahr 2014 begonnen hat.

Innerukrainischer ­Konflikt

Nur bei einer oberflächlichen Betrachtung kann der politische Konflikt in der Ukraine, welcher seit 2014 offen ausgetragen wird, ausschließlich als eine Auseinandersetzung zwischen Rußland und westlichen Kräften bezeichnet werden. Dabei soll die internationale Einflußnahme keinesfalls negiert werden. Auf den Versuch, durch den Sturz des Präsidenten die westliche Einflußsphäre nach Osten zu erweitern, reagierte der russische Präsident entsprechend und zementierte, etwa durch die Rücknahme der Krim zu Rußland, seinen Anspruch, die Region nicht dem geopolitischen Gegenspieler zu überlassen. Darüber hinaus spielten aber innerukrainisch auch nationalistische Gruppen mit eigenen Interessen eine zentrale Rolle bei den gewaltsamen Protesten gegen den seinerzeitigen Präsidenten Viktor Janukowytsch. Es war keineswegs ein gemeinsames Ziel der Aufständischen, die russische Hegemonie gegen eine westliche Vorherrschaft auszutauschen. Verschiedene Gruppierungen strebten vielmehr in klassisch nationalistischer Weise die Erlangung der nationalstaatlichen Souveränität an. Wenngleich westliche Mächte ein starkes Interesse an der Loslösung des ukrainischen Staates von der russischen Einflußsphäre haben dürften, läßt sich der Ukraine-Konflikt nicht darauf reduzieren. Vielmehr muß unterstrichen werden, daß selbstverständlich auch ein Volk von mehr als 45 Millionen Menschen eigene Interessen verfolgt und durchsetzen möchte.
Wie der  Ukraine-Konflikt als solcher, müssen auch die verschiedenen nationalistisch ausgerichteten Gruppen differenziert betrachtet werden. Wenngleich es gemeinsame Ziele gab, lassen sich auch klare Unterschiede aufzeigen. Diese verloren ihr Gewicht jedoch spätestens im Jahr  2014 und wichen einer temporären pragmatischen Kooperation, welche einerseits die Überwindung des vorhandenen Machthabers, andererseits die Rückgewinnung der nationalen Souveränität anstrebte. Als eine Art Dachorganisation fungierte seinerzeit der bekannte „Rechte Sektor“, welcher national-revolutionäre Gruppierungen wie „Trysub“, „Patriot der Ukraine“ (aus dem sich später die ersten Asow-Soldaten rekrutierten), die „Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung“ sowie weitere kleinere Organisationen vereinigte. „Trysub“ (der Name bezeichnet den Dreizack des ukrainischen Wappens) muß als eher westukrainische Bewegung betrachtet werden und auch die „Ukrainische Nationalversammlung“ entstand 1990 im ehemals österreichischen Lemberg. Sie ist als extrem antirussisch einzustufen, etliche ihrer Mitglieder kämpften etwa im Tschetschenenkrieg auf der Seite der Aufständischen gegen die russische Armee und sogar im Konflikt um Berg-Karabach mit Aserbaidschan gegen Armenien. Die Bewegung „Patriot der Ukraine“ wird dagegen auch von russischsprachigen Ukrainern getragen und vertrat vielleicht deshalb schon von Beginn an einen gesamteuropäischen Ansatz. Der Europabegriff der ukrainischen Nationalisten ist dabei ein klassisch kultureller, wobei kein Bezug zur Europäischen Union herzustellen ist. Unter dem Banner des „Rechten Sektors“ vereinigten sich also verschiedene Gruppen, welche jedoch für sich genommen eigenständig blieben.
Die Organisation der Patrioten der Ukraine konnte sich in ihrer paramilitärischen Ausrichtung an den Straßenkämpfen gegen die Sicherheitskräfte beteiligen und sich somit als autarke Einheit profilieren.  Dennoch gab zunächst Dmytro Jarosh als Anführer des „Rechten Sektors“ der gesamten national-revolutionären Bewegung Gesicht und Stimme. Der Führer der „Patrioten der Ukraine“, Andrij Biletskyj, wurde von seinen Anhängern jedoch nicht in Frage gestellt. Vielmehr war eine Trennung der verschiedenen Bewegungen nach Erreichung des gemeinsamen Ziels, der Absetzung des vorhandenen Regimes, abzusehen und von vornherein geplant. Eine Zusammenarbeit schloß und schließt diese Haltung jedoch bis heute nicht aus. Eine Kooperation zwischen Asow und den Angehörigen des „Rechten Sektors“ findet immer noch zwischen den Vertretern der ursprünglichen politischen Linie statt. Jarosh, welcher 2016 eine moderate rechte Partei gründete, kann hingegen nicht mehr dem national-revolutionären Flügel zugeordnet werden.

Der bewaffnete Kampf als Teil des politischen Handelns

Deutlich hebt sich Asow gegenüber anderen ukrainischen Gruppen hinsichtlich seiner wesentlich militärischen Struktur ab. Diese militärische Ausrichtung rührt nicht nur von den Umständen der Maidan-Revolte her, wenngleich sie dadurch begünstigt wurde. Nach dem Sturz Janukowytschs  stand der Kampf gegen die Separatisten im Osten des Landes im Vordergrund. Asow beteiligte sich  entschieden an den Rückeroberungsversuchen und der Verteidigung der Grenzen. Das Bestreben, die Nation in einem Staat zusammenzuführen bzw. dessen Zerfall zu verhindern, bleibt ein Grundanliegen nationalistischer Gruppen. Auch wenn bezüglich der Zugehörigkeit der Krim oder der östlichen Provinzen andere Auffassungen bestehen mögen, bleibt aus nationaler Sicht der Ukraine der Wille zur Verteidigung der Grenzen nachvollziehbar. Erlaubt man sich einen Perspektivenwechsel, läßt sich die Situation jedoch auch anders darstellen. Und tatsächlich zeigen etwa die Parlamentswahlen von 2014, daß im Osten des Landes eine prorussische Haltung vertreten wird. Zwar blieb der prorussische Oppositionsblock landesweit unter zehn Prozent der Stimmen, doch konnte er in den fünf östlichen Regionen die stärkste Kraft werden.1 Europa kennt mehr als einen Grenzkonflikt, es sei hier nur Südtirol genannt, bei denen die Ansichten der konkurrierenden Nationen, wie in diesem Fall, unvereinbar sind. Für die Asow-Bewegung stehen die Separatisten jedoch auch für Putins Hegemonialanspruch in Osteuropa.
Auch vor diesem Hintergrund verlangt Asow eine Rückerlangung der nationalen militärischen Stärke, die in der Lage ist, die Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen auch ohne Bündnispartner garantieren zu können. Diese Ansicht wird gestärkt durch die Tatsache, daß das Wegbrechen der Krim nicht verhindert werden und auch international nicht auf militärische Hilfe gehofft werden konnte. Außerdem verläuft heute die politische Grenze zwischen Ost- und Westorientierung mitten durch die Ukraine, wie sie einst durch Deutschland lief. Die Asow-Bewegung, die ihre Nation faktisch im Krieg sieht und sich aus Erfahrung nicht auf politische Zusagen verlassen will, hält daher an der Aufrüstung der Ukraine fest. Diese Bewaffnung soll sich nicht allein gegen die russische Seite richten, sondern auch gegen die Bedrohung durch die Europäische Union oder die USA. Die Ukraine kann darauf zurückblicken, welche Folgen eine Abrüstung mit sich bringen kann. So verzichtete das Land 1994 im Gegenzug für Zusagen der Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen auf die seinerzeit noch vorhandenen Atomwaffen. Diese Zusagen verloren jedoch vor dem Hintergrund der geopolitischen Interessen der Großmächte an Bedeutung und sind heute weitestgehend obsolet.2 Es besteht auch die Befürchtung einer „Sowjetisierung“ der Ukraine durch die EU. Ein aktuelles Beispiel für die Nichtbeachtung der Interessen der Mitgliedstaaten durch Brüssel und darüber hinaus für die konsequente Verfolgung von eigenen Zielen liefert die gegenwärtige Massenzuwanderung.
Für das Selbstverständnis und die Wahrnehmung im Ausland gleichermaßen ist der Kampfeinsatz in der Ostukraine wesentlich. Von russischer Seite wurde dabei vor allem dem Bataillon Asow immer wieder Kriegsverbrechen vorgeworfen. Da diese Vorwürfe an dieser Stelle ähnlich wie die gleichlautenden Vorwürfe, die von ukrainischer Seite gegen die separatistischen Kräfte erhoben werden, nicht überprüft werden können, soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Im Zentrum dieses Beitrags stehen ja auch die weltanschaulichen und nicht die militärischen Aspekte dieser Bewegung.

Europa vom Osten ­gedacht

Die Idee Europa Asow keineswegs fremd. Die Bewegung arbeitet an real umsetzbaren Konzepten zur europäischen Zusammenarbeit. Zwar werden in diese Überlegungen Mitgliedstaaten der EU mit einbezogen, die EU als solche aber keinesfalls als Lösung, sondern vielmehr als Bedrohung der Unabhängigkeit betrachtet. Nicht nur der Umgang mit Viktor Orbáns Ungarn liefert dafür gute Gründe. Selbst Referenden unter Beteiligung der Bevölkerung werden seitens der Union nicht anerkannt oder negiert.
Im Zentrum der Überlegungen der Asow-Bewegung für eine künftige europäische politische Zusammenarbeit stehen die osteuropäischen Staaten. Auch die ablehnende Haltung der osteuropäischen Länder gegen die fast ausschließlich muslimische Massenzuwanderung läßt diese als wichtige und naheliegende Partner für eine ethnisch orientierte Ukraine erscheinen. Gestärkt wird diese Ansicht durch die gemeinsamen Erfahrungen der Staaten des ehemaligen Sowjetblocks und den daraus resultierenden Ressentiments gegen ein starkes Rußland. Wie die Ukraine befürchten etwa auch Polen oder die baltischen Staaten  eine „Resowjetisierung“ der Region durch Rußland.
Daß dies keine spezifische Haltung Asows ist, zeigen etwa die Äußerungen des polnischen Präsidenten Andrzej Duda.3 Dieser gilt als Unterstützer des sogenannten Intermarium, welches auf den früheren polnischen Staatschef Józef Pilsudski zurückgeht. Nach diesem sollten sich die ostmitteleuropäischen Staaten zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer zu einem konföderalen Staatenbund zusammenschließen. Neben spezifisch nationalen Interessen war einer der Gedanken auch die Möglichkeit der Abwehr nach Ost und West. Pilsudski betrachtete Rußland gar als asiatische Bestie mit europäischer Maske.4 Aber auch bei einer rußlandfreundlicheren Haltung bleibt dieses eine Großmacht mit eigenen nationalen Interessen, gegen die die kleinen Staaten Ostmitteleuropas nur ein geringes Gewicht haben. Es bedarf also keiner grundsätzlichen Feindschaft gegen Rußland, um ein Vertreter dieses Konzeptes zu sein. Freilich wurde das genannte Konzept weiterentwickelt. Die grundlegende Überlegung der Zusammenarbeit der ostmitteleuropäischen Staaten, im Übrigen teilweise auch unter Einbeziehung Österreichs, kann keinesfalls als explizit rechte Idee oder gar überholt bezeichnet werden. Tatsächlich ist sie Teil renommierter wissenschaftlicher und politischer Diskurse.5 Als Unterstützer der Idee des Intermarium kann, wie erwähnt, etwa der polnische Präsident Andrzej Duda genannt werden. Die Grundgedanken der politischen Akteure unterscheiden sich jedoch teilweise erheblich, was die unterschiedlichen Ansätze in vielerlei Hinsicht unvereinbar macht. Es darf also nicht angenommen werden, daß eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Azow und den politischen Entscheidungsträgern der östlichen EU-Staaten besteht. Im Rahmen der Überlegungen eines Intermarium vertreten die osteuropäischen Staaten, welche sich mit diesem Konzept anfreunden können, noch weitestgehend einen weiter in die Nato eingebundenen, atlantisch-westlich orientierten Weg.6

Unabhängiges Staatenbündnis

Asow hingegen strebt eine zentral osteuropäische Lösung an, welche unabhängig von den USA funktionieren soll. Vor dem Hintergrund, daß die Nato zwar als Verteidigungsbündnis funktionieren kann, aber faktisch US-amerikanisch dominiert ist und entsprechende Interessen vertritt, kann dieses Bündnis aus nationaler Sicht in Frage gestellt werden. Asow ist daher bemüht, das eigene Konzept weiter zu verfolgen und es auf allen politischen Ebenen zu etablieren. Offiziell benennt Asow seine geopolitische Doktrin als Adriatic-Baltic Black Sea Union, wobei deren Aufbau in mehreren Phasen stattfinden soll. Beginnend mit einem Staatenbund aus Ukraine, Polen, Weißrußland, Litauen, Lettland und Estland entstünde die Baltic-Black Sea Union, welcher in einer zweiten Phase die Adriatic-Baltic-Black Sea Union unter der Integration von Kroatien, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, Ungarn, der Slowakei und Tschechien folgt. Auch Anrainerstaaten wie Österreich, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Mazedonien und Georgien sind in dem Konzept berücksichtigt, welches im Juli dieses Jahres von der Asow-Bewegung offiziell als geopolitische Alternative für Ost- und Mitteleuropa vorgestellt wurde. Wenngleich, wie erwähnt, der grundsätzliche Ansatz etabliert scheint, besteht noch ein Mangel an Vertretern der keineswegs europafeindlichen alternativen Konzeption des unabhängigen Intermarium, also der Baltic-Black Sea Union.
In diesem Kampf um die Deutungshoheit der künftigen geopolitischen Ausrichtung der Region muß es internationale Partner geben, welche den Ansatz der Unabhängigkeit zu teilen bereit sind. Aber auch innerukrainisch stehen die Vertreter dieser Idee der eigenen Regierung gegenüber, die bestrebt ist, sich eher gen Brüssel zu orientieren. Intermarium als umsetzbares Konzept kann aus nationaler ukrainischer Sicht jedoch nur dann unterstützt werden, wenn es dem Bestand der Nation dient. Nur ein Zusammenschluß, welcher letzten Endes mehr Unabhängigkeit der einzelnen Staaten garantiert und für möglichst wenige Einflußmöglichkeiten von außen sorgt, verdient demnach Unterstützung durch Asow. Vor dem Hintergrund dieses mittelfristigen Ziels besteht die internationale Zusammenarbeit Asows schwerpunktmäßig mit polnischen, weißrussischen, litauischen, kroatischen, bulgarischen, tschechischen und slowakischen Aktivisten und Gruppen. Eine weitergehende paneuropäische Idee, also die dritte Phase der europäischen Integration, existiert zwar auch in Kiew, doch werden hierzu derzeit von seiten der Asow-Aktivisten keine Grundlagen gesehen. Heute findet sich in den Führungsschichten der westlichen europäischen Staaten für Asow kein vergleichbarer Nährboden für eine entsprechende Politik Europas, wie dies in den östlichen Nachbarstaaten der Fall ist. Insbesondere die führenden EU-Staaten, wie etwa Deutschland oder Frankreich, stellen eine Bindung an die USA nicht in Frage. Gleichzeitig stellte sich die EU nicht als starker geopolitischer Partner dar und beschränkte sich im Ukraine-Konflikt auf Sanktionen. Die Interessen der Ukraine wurden von der EU nur bedingt vertreten. Das bestätigt die Ansicht Asows, daß ein Beitritt zur Europäischen Union kein Ziel der Ukraine sein kann. Doch auch im rechten politischen Spektrum Westeuropas sind die Anschlußpunkte für die Positionen Asows beschränkt. So vertreten nicht wenige rechte westeuropäische Organisationen, Parteien und Aktivisten eine positive Haltung gegenüber der Politik Putins. Hintergrund hierfür mag auch sein, daß ein starkes Rußland als Alternative zur EU und den USA erscheint. Doch auch hier sollten die geopolitischen Ziele und Interessen Rußlands nicht unberücksichtigt bleiben. Die Ablösung des rußlandfreundlichen Janukowytsch durch eine Regierung, die neben einem EU- auch einen NATO-Beitritt anstrebte, stellte für Rußand nicht nur wirtschaftlich eine Gefahr dar. Vor allem sicherheitspolitisch muß berücksichtigt werden, wie nahe damit die Nato und potentiell sogar Kernwaffen an die russische Föderation herangerückt wäre. Der amerikanische Politikwissenschaftler John Mearsheimer vertritt gar die Ansicht, daß Rußland aus einer neorealistischen Sicht gar dazu gezwungen gewesen wäre, im Sinne der Selbstverteidigung in den Konflikt einzugreifen.7 Die Angehörigen der Asow-Bewegung sehen jedoch weitergehende Bestrebungen Rußlands. So solle hier ein eurasisches Gegenkonzept unter Vorherrschaft Russlands vorangetrieben werden. Daß solche Überlegungen durchaus bestehen, belegen Werke wie die des russischen Philosophen Alexander Dugin8, doch muss auch festgehalten werden, daß die Expandierungsversuche Rußlands im Vergleich mit denen westlicher Institutionen durchaus zurückhaltend sind. Wie einflußreich Dugins Schriften letzten Endes sind, kann an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt werden. Seine verschiedenen Positionen und die Verbreitung seiner Ideen bieten jedoch zweifellos eine theoretische Grundlage zur Begründung einer expansiven Politik Rußlands.9
Für die Asow-Bewegung, welche die Souveränität der Ukraine anstrebt, ist keinerlei Bindung an eine Großmachte die Alternative. Die Lösung soll nicht der Austausch des einen Hegemons gegen einen anderen sein. Hoffnung wird vielmehr auf ein osteuropäisches Bündnis gesetzt, welches zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen realistisch sein könnte. Es darf an dieser Stelle angemerkt werden, daß in Westeuropa eine greifbare Alternative zur Bindung an eine der beiden Großmächte nicht vorhanden ist. Auch wenn das Thema Europa in den vergangenen Jahren in der deutschen Rechten verstärkt diskutiert und auch positiv wahrgenommen wurde,10  besteht offensichtlich immer noch ein Mangel an institutionellen Ideen. Bisher herrschen metapolitische Schriften zu Europa vor, was zweifellos der richtige Ansatz ist, sofern Europa nicht, wie in der Europäischen Union, als rein funktionales Konstrukt verstanden werden soll. Dennoch fehlt es neben diesen philosophischen und analytischen Schriften noch an Ansätzen, wie die „Utopie“ eines europäischen Europas strukturell umgesetzt werden kann und soll. Vor diesem Hintergrund ist der ost- und mitteleuropäische Ansatz von Asow wesentlich fortgeschrittener. Eine Weiterverfolgung der paneuropäischen Idee, also der dritten Stufe der europäischen Integration, wird es seitens Asows zwar weiter geben, doch sind hierfür die Rahmenbedingungen noch weit weniger entwickelt als für das vorrangige osteuropäische Projekt.

Verhältnis zu Putin und Russland

Eine Zusammenarbeit mit Gruppen, die die Souveränität der Ukraine in Frage stellen, wird von Asow ausgeschlossen. Dennoch ist Asow bemüht, gegen die Propaganda des Kremls vorzugehen und sich selbst als unabhängige europäische Bewegung zu präsentieren. Politische Vorgänge und Handlungen sollen demnach auch dann nach ihren Inhalten beurteilt werden, wenn die Protagonisten politisch nicht hundertprozentig an der Seite Asows stehen. Oder anders formuliert: Die Haltung zu Putin soll nicht die Gretchenfrage bei einer gesamteuropäischen Rückeroberung sein. So unterstützte etwa Andrij Biletskyj den Brexit, auch wenn er wußte, daß Nigel Farage ein Anhänger Putins ist. Solange also nicht grundlegende Ansichten von Asow zur Debatte stehen, wie etwa die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine, ist ein Austausch grundsätzlich möglich. Schwierig bleibt die Zusammenarbeit für Asow vor diesen Hintergründen dennoch. Einen Zugang nach Westeuropa erhofft sich Asow vor dem historischen Hintergrund durchaus auch über Österreich.
Während in Osteuropa also bereits paneuropäische Vorstellungen bestehen, mangelt es in Westeuropa noch an bemerkenswerten Bestrebungen, ein konkretes Konzept zu entwickeln. Dieser fehlende Diskurs wird in Osteuropa durchaus wahrgenommen. Und tatsächlich scheint es vor allem vor dem Hintergrund des Erfolges rechter Parteien, wie in Deutschland, durchaus an der Zeit, einen eigenen Weg der europäischen Integration zu präsentieren.
Daß grundsätzliche Ressentiments gegen das russische Volk bestehen würden, weist Asow mit Hinweis auf den großen Anteil an russischsprachigen Aktivisten zurück und begründet seine Ablehnung Putins politisch. So vertrete dieser keinen ethnisch begründeten Nationalismus11, sondern eine positive Haltung gegenüber der islamischen Welt12 und den moderaten Muslimen innerhalb Rußlands. Der Islam sei für Putin eine der traditionellen russischen Religionen. Anläßlich der Eröffnung der großen Moskauer Moschee soll er Rußland gar als multinationales und multikonfessionelles Land bezeichnet haben.13 Hinzu kommt die Zuwanderung aus dem nicht-europäischen Raum, die vor allem im Großraum Moskau deutlich sichtbar ist. Laut Asow führen viele russische Nationalisten, gerade wegen der Angst vor Verfolgung, ihren Kampf zu großen Teilen von anderen Ländern wie der Ukraine aus, publizieren Bücher, informieren und halten die Kritik an den derzeitigen politischen Entscheidungsträgern in Rußland am Leben. Politische Systeme, die den Austausch oder die Auflösung des angestammten Volkes für optional halten, stehen im Widerspruch zu einem ethnisch begründeten Nationalismus. Für die Asow-Bewegung, die das derzeitige Rußland als eurasisches Monster betrachtet, bestehen hier also grundlegend gegensätzliche Vorstellungen. Wenngleich Westeuropa nicht im gleichen Maße betroffen ist, sollten diese Fragen auch zur Beantwortung der Haltung gegenüber Rußland übernommen werden. Auch wenn dieses zweifellos ein starker Partner Europas sein kann, muß die Frage nach seiner angestrebten Rolle beantwortet werden. Vor den Hintergrund der Haltung zu verschiedenen Fragen wie Zuwanderung und Islam muß auch geprüft werden, wie weit eine etwaige Kooperation gehen kann.

Internationale Zusammenarbeit und ziviles Engagement

Asow war seit Anfang an mehr als eine militärische Einheit. Zentral war immer der politische Aspekt der Bewegung. Wenngleich die Kämpfe der Asow-Soldaten und der Militarismus der Organisation nicht nur mehr wahrgenommen wird, sondern auch ganz offensiv nach außen propagiert werden, betätigte sich die Gruppe schon zuvor politisch und hat diese Aktivitäten, wie auch den Kontakt zu anderen europäischen Gruppen, nach dem Sturz Janukowytschs weiter ausgebaut. Ein intensiverer Austausch mit westeuropäischen Gruppen findet nach eigenen Angaben vor allem dort statt, wo der grundsätzliche Wille zur europäischen Integration auf der Basis traditioneller Werte erkennbar ist und an einem ethnisch beständigen Europa festgehalten wird. Hierzu gehören neben der bekannten CasaPound Italia (CPI) auch die französische Groupe Union Défense (GUD), darüber hinaus aber auch politische Parteien wie der deutsche III. Weg, autonome Gruppen, Ableger der Identitären Bewegung, Verlage und sonstige Intellektuelle. Insbesondere hinsichtlich des zivilen und sozialen Engagements sind Parallelen zu den italienischen Faschisten der CasaPound Italia erkennbar. Die Italiener, welche zuletzt mit ihrer Gruppe „La Salamandra“ im Rahmen der Erdbebenhilfe auf sich aufmerksam machten, können auf eine Reihe von Aktivitäten zurückblicken, die sich mit dem Schutz und der Rückeroberung sozialen Wohnraums für Italiener (gerade unter den Auspizien der Massenzuwanderung) befaßten. Nicht zuletzt die „Casa Pound“, welcher die Bewegung ihren Namen verdankt, dient auch als Wohnraum für italienische Familien. Auch Asow muß sich mit dieser Problematik, wenngleich aufgrund eines anderen Hintergrunds, auseinandersetzen. So versuchen verschiedene Baufirmen, besonders in Kiew, soziale Räume zu okkupieren und profitträchtige Bauten zu errichten. Diese Gebäude drohen nicht nur das Stadtbild Kiews zu verändern, sondern verdrängen auch Kinderspielplätze und andere Freiräume für die dort lebenden Menschen. Der Einsatz gegen solche Projekte geht durchaus mit tätlichen Auseinandersetzungen mit Angehörigen der Unternehmen und der Sicherheitskräfte einher. Auch hier zeigte sich im übrigen die innerukrainische Solidarität der rechten Gruppen. Angehörige des „Rechten Sektors“ beteiligten sich an Solidaritätsaktionen für im Zuge der Auseinandersetzungen inhaftierte Asow-Aktivisten.

Kampf um Ideen

Wie andere rechte Gruppen, welche über systemimmanente Grenzen hinausdenken, beschäftigt sich Asow neben den schon erwähnten geopolitischen Komponenten auch mit weiteren alternativen metapolitischen Ansätzen, entwickelt diese gegebenenfalls weiter, publiziert sie oder macht sie über Konferenzen zugänglich. Hinzu kommen wissenschaftliche und kulturelle Projekte sowie Lesezirkel und Filmprojekte. Genannt werden kann etwa das neu entstandene Magazin NOVA. Thematisch setzt sich dieses Magazin mit der Weiterentwicklung des (ukrainischen) Nationalismus unter einer eurozentrischen Komponente auseinander. Mit der Kernaufgabe, sich der Entwicklung einer Alternative zum westlichen Multikulturalismus ebenso wie zum eurasischen Ansatz als Ausprägungen einer globalistischen Geisteshaltung zu widmen, nimmt sich NOVA der Entwicklung einer Idee für das 21. Jahrhundert an, verbindet klassische Ansätze mit modernen Ideen, greift realpolitische Probleme auf und berichtet über Initiativen Asows und anderer rechter Bewegungen, welche sich gedanklich dem dritten Weg zuordnen lassen. Inzwischen hat Asow sein bisheriges Gebäude für Training und Mobilisierung umgewandelt, widmet sich hier nun auch vermehrt metapolitischen Aktivitäten und bietet Raum für die Jugend. Im sogenannten „Kosakenhaus“ werden aber auch weiterhin Projekte zur Unterstützung des Regiments durchgeführt. In seiner Ausrichtung und seiner Gestaltung orientiert sich das Kosakenhaus am besetzten Haus der CasaPound in der Via Napoleone in Rom.
Obwohl die Asow-Bewegung auf einer sehr idealistischen Grundlage operiert, verkennt sie nicht die Notwendigkeit, auch die bestehenden realpolitischen Probleme ernsthaft anzugehen und hierfür Lösungen anzubieten. Neben dem für eine rechte Bewegung ungewöhnlich starken Fokus auf die Außenpolitik, stellt eine stabile Wirtschaft einen zentralen Punkt in den politischen Vorstellungen Asows dar. Strategische Wirtschaftszweige, wie etwa die Energieindustrie, sollen verstaatlicht werden, wobei eine Teilprivatisierung möglich sein soll, solange die Mehrheit bei der Ukraine verbleibt. Private Unternehmen sollen steuerlich entlastet und geopolitisch vertrauenswürdige Investoren begünstigt werden. Zentrale Bereiche wie die Außenpolitik sollen weiter von Kiew aus gesteuert werden. Soziale Fragen aber sollen auf der lokalen Ebene entschieden werden. Bildung und Wissenschaft, als Garanten für eine positive Zukunft, erlangen zunehmend Bedeutung für Asow. Das politische System der Ukraine muß nach Ansicht von Asow aber darüber hinaus in weiten Teilen erneuert werden. Neben dem weiteren Aufbau der Bewegung und dem zivilen Engagement soll dieses Ziel auch durch die parlamentarische Arbeit verwirklicht werden. Als eine unter vielen rechten Parteien in der Ukraine ist es der Ansatz der Partei der Asow-Bewegung, dem Nationalen Korps, ihre Grundgedanken auch auf parlamentarischer Ebene zu etablieren. Es geht hier also nicht nur um die Durchsetzung einfacher politischer Programme, sondern vielmehr um den Kampf um die Vorherrschaft der Ideen.
Die im Oktober 2016 gegründete Partei Asows möchte nicht Politik im Bestehenden machen, sondern die nationalen Interessen der Ukraine vertreten und selbst politische Normen zu definieren. Das eigentliche Ziel der Asow-Bewegung sind nicht Reformen im derzeitigen System. Wenngleich die tatsächlich gewünschte Lösung nicht unmittelbar erreichbar sein wird, hält Asow neben den mittelfristigen Zielen auch an einer grundsätzlichen Überwindung der bestehenden Verhältnisse fest. Dazu gehört laut Asow eine Korrektur der Fehlentwicklungen der Geschichte, eine Revolte gegen die moderne Welt und eine echte Rückeroberung Europas. Was sich nach Schlagworten anhören mag, ist für die Angehörigen der Asow-Bewegung Ausdruck einer wahrhaftig alternativen Geisteshaltung, die sich nicht an den bestehenden Normen messen lassen möchte. Asow hat das Ziel, Innovation zu ermöglichen, ohne Tradition zu opfern. Historische Spaltungen und Konflikte sollen mit einer europäischen Geisteshaltung überwunden werden, ohne dabei die Seele der Nationen anzugreifen. Auch wenn die Haltung Asows zu Putin und Rußland für Vorbehalte im westeuropäischen Diskurs sorgen mag, bleibt zu beachten, daß es aus ukrainischer Sicht keinesfalls erstrebenswert sein kann, von allen Seiten nur als Puffer zwischen Großmächten betrachtet zu werden. Gleich welcher politischen Lösung man folgen möchte, bleibt vor allem der institutionelle Ansatz der internationalen Zusammenarbeit der osteuropäischen Staaten interessant. Weniger, weil er sich gegen Russland oder die EU richtet, sondern weil er eine greifbare Alternative zu den derzeitigen Denkschulen anbietet.

Anmerkungen

1?Vgl. Simon, Gerhard: Ergebnisse der Parlamentswahlen 2014: Nach Europa!, in: Ukraine-Analysen Nr. 139, Köln, 2014: 4.
2?Vgl. Yost, David S.: The Budapest Memorandum and Russia’s intervention in Ukraine, in: International Affairs, Volume 91, Issue 3, 2015: 505.
3?Vgl. Kellermann, Florian: Alte Gedankenspiele zu neuem Staatenbündnis, 2016, www.deutschlandfunk.de/polen-alte-gedankenspiele-zu-neuem-staatenbuendnis.795.de.html.
4?Vgl. Szelachowska, Ksenia: The revival of Intermarium – Poland can talk the talk but can it walk the walk?, 2016, www.stratfor.com/the-hub/revival-intermarium-.
5?Morris, Ian: Eastern Europe: Where Two Civilizations Collide, 2016, www.stratfor.com/weekly/eastern-europe-where-two-civilizations-collide.
6?Vgl. Szelachowska, Ksenia: The revival of Intermarium – Poland can talk the talk but can it walk the walk?, 2016, www.stratfor.com/the-hub/revival-intermarium-
7?Vgl. Mearsheimer, John J.:  Why the Ukraine Crisis Is the West’s Fault, in: Foreign Affairs, September/Oktober 2014.
8?Vgl. Dugin, Alexander: Die Vierte Politische Theorie, Arktos, 2013.
9?Vgl. Tolstoy, Andrey/McCaffray, Edmund: Mind Games: Alexander Dugin and Russia’s War of Ideas, 2015, www.worldaffairsjournal.org/article/mind-games-alexander-dugin-and-russia.
10?Vgl.  etwa die Debatte in der Neuen Ordnung zwischen Philip Stein, Claus Wolfschlag und Benedikt Kaiser; Stein Philip: Der Nationalstaat ist tot, NO II/2014; Wolfschlag, Claus: Notwendigkeit Nationalstaat, NO III/2014; Kaiser, Benedikt: Europa – wie weiter?,  NO I/2015.
11?Vgl. Warhola, James W.: Religion and Politics Under the Putin Administration: Accommodation and Confrontation within „Managed Pluralism“, in: Journal of Church and State, Volume 49, Issue 1, 2007: 81.
12?Ebenda: 75.
13?Boy, Ann-Dorit: Halbmond über Moskau, 2015, www.faz.net/aktuell/gesellschaft/putin-und-erdogan-eroeffnen-europas-groesste-moschee-13819575.html.

 
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