Hans-Dietrich Sander, Brecht-Schüler, Autor so wirkmächtiger Bücher wie „Der Nationale Imperativ“ und „Die Auflösung aller Dinge“ sowie Herausgeber der Zeitschrift Staatsbriefe, ist in der Nacht vom 24. auf dem 25. Jänner 2017 im Alter von 88 Jahren verstorben. Wie kaum ein anderer Publizist hat sich Sander, vor allem in den Staatsbriefen, für eine Wiederbelebung der ghibellinischen Reichsidee eingesetzt, die Deutschland eine zentrale Rolle im europäischen Staatenverbund zuweist. Den Rang, den Sander im intellektuellen Diskurs der Bundesrepublik über lange Zeit hinweg einnahm, hat unter anderem der 2005 verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz in folgende bezeichnende Worte gefaßt: „Was verhütet werden muß“, so Glotz 1989, sei, daß Sanders „stilisierte Einsamkeit, diese Kleistsche Radikalität wieder Anhänger findet. Schon ein paar Tausend wären zu viel für die zivile parlamentarische Bundesrepublik“. Zuletzt war Sander unter anderem für die Neue Ordnung tätig, für die er als ständiger Autor scharfe Analysen über das politische System der Bundesrepublik beisteuerte. Sander hat es weder sich noch anderen leichtgemacht; wohl ein Grund, warum Armin Mohler ihn als „unbequemsten Vertreter der Neuen Rechten“ einstufte.
1928 in einem kleinen mecklenburgischen Dorf geboren, durchlebte Sander den Zweiten Weltkrieg, den er vor allem in Form von Luftangriffen kennenlernte, als Marinehelfer. Den Anklagen, die nach Kriegsende gegen die Deutschen erhoben wurden, stand der von Anfang an skeptisch gegenüber. Er verstand sich, wie er einmal schrieb, als „Reichsdeutscher, der in der Stunde Null nur angeritzt wurde“. Nach dem Krieg studierte Sander 1948/49 Theologie an einer kirchlichen Hochschule und von 1949 bis 1952 Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie an der Freien Universität in Westberlin. Der Einfluß von Bertold Brecht dürften für Sanders kurzes Engagement für den Kommunismus verantwortlich gewesen sein. 1952 übersiedelte er nach Ostberlin. Dort war er bis 1956 als Dramaturg und Theaterkritiker tätig. Schon bald aber brach Sander mit dem kommunistischen System und siedelte 1957 zurück in die BRD, wo er von 1958–1962, gefördert von Hans Zehrer – von 1929–1933 Herausgeber der Monatszeitschrift Die Tat, dem einflußreichsten Organ der Jungkonservativen –, als Journalist und Literaturkritiker bei der Tageszeitung Die Welt tätig war.
1969 promovierte Sander bei Hans-Joachim Schoeps in Erlangen zum Dr. phil. Der Titel seiner Promotionsschrift lautete „Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie“; Sander setzte sich hier insbesondere mit der Kunstkonzeption von Marx und Engels auseinander. Es war wohl insbesondere der Einfluß des Staatsrechtlers Carl Schmitt, mit dem er bis 1981 brieflich in Kontakt stand, der ihn in dieser Zeit mehr und mehr zu rechtskonservativen Auffassungen tendieren ließ. Von 1964–1974 arbeitete er für das Deutschland-Archiv. In dieser Zeit gestaltete er gelegentlich auch Rundfunkfeuilletons für öffentlich-rechtliche Sender. Sanders „Geschichte der Schönen Literatur in der DDR“ (1972) löste eine heftige Kampagne aus, in deren Folge der Verlag das Buch aus dem Vertrieb zog. Sander verlor nun zunehmend an publizistischem Spielraum. Alternativen fand er unter anderem bei Caspar von Schrenck-Notzings Zeitschrift Criticón.
1980 erschien aus Sanders Feder ein Buch, mit dem er seinen Rang als exponierten Intellektuellen der Neuen Rechten nachhaltig unterstrich, nämlich „Der nationale Imperativ – Ideengänge und Werkstücke zur Wiederherstellung Deutschlands“. Zu diesem „Imperativ“ gehörte aus seiner Sicht auch die Rückgewinnung der ostdeutschen wie der deutsch-österreichischen Gebiete, soll es zu einer Wiederherstellung des Deutschen Reiches kommen. 1991 stellte Sander in einem Beitrag für die Staatsbriefe („Das Reich als politische Einheit der Deutschen“) ultimativ fest: „Die Deutschen brauchen das Reich. Europa braucht das Reich. Die Welt braucht das Reich … Reich oder Chaos! Tertium non datur.“
Von 1983–1986 war Sander dann als Chefredakteur der Deutschen Monatshefte tätig und von 1986–88 Mitarbeiter bei Nation und Europa. 1988 publizierte er ein Buch, das immer wieder als sein Hauptwerk charakterisiert wird, nämlich „Die Auflösung aller Dinge – Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne“, das als erstes Buch nach 1945 den „Rubikon“ – wie es Jürgen Habermas einmal formulierte – einer kritischen Neusichtung der „deutsch-jüdischen Frage“ „unter dem Gesichtspunkt der politischen Eschatologie“ überschritt. Sander definierte hier unter anderem den Begriff der „Entortung“ als zentrales Kennzeichen der Auflösungsprozesse der Moderne. Von bleibender Bedeutung sind auch die darin enthaltenen „Thesen zum Dritten Reich“.
1990 erfolgte schließlich die Gründung die Zeitschrift Staatsbriefe, die er elf Jahre, bis 2001, herausgab. Die Staatsbriefe, die sich auch als eine Art Pendant zur Tat von Hans Zehrer begriffen, wollten im Dienste einer „Renaissance des nationalen Denkens“ stehen. Als Emblem diente der Grundriß des Castel del Monte, erbaut in der Zeit jenes Stauferkaisers, der für Sander eine Art Leitfigur der ghibellinischen Reichsidee darstellte: Friedrich II. Dieser verkörpere „den deutschen Reichsgedanken“ „in maximaler Reinheit“. Zu den Mitarbeitern der ersten Stunde zählten unter anderem Armin Mohler, Günter Zehm, Hans-Joachim Arndt, Günter Maschke Robert Hepp und Salcia Landmann. Die Hoffnungen, die Sander mit den Staatsbriefen verknüpfte, ließen sich indes nicht einlösen. Die Staatsbriefe blieben letztlich eine randständige Publikation; zudem verließen etliche renommierte Autoren nach und nach die Zeitschrift.
Sander hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß er die Bundesrepublik für nicht reformierbar hielt. Beide deutsche Staaten seien unter Kuratel der Besatzer entstanden, was unter anderem für eine Negativauslese im Hinblick auf die Eliten gesorgt habe. Dennoch sei nichts verloren: Die Deutschen bräuchten „sich nur innerlich aufzuraffen“, so Sander im „Nationalen Imperativ“, „um sich der brüchigen alten Zustände der Innen- und Außenpolitik zu entledigen, wieder auf die überlieferten, immer noch wirkenden Tugenden zu setzen und neue Formen und Ziele zu wagen, die in Richtung auf einen neuen Machtstaat, eine neue Großmacht drängen, die den Nachbarn durchaus zuzumuten wäre, weil durch nichts sonst das schutzbedürftige Europa noch gerettet werden kann.“ Diese Sätze können, in einer Zeit, in der Europa durch die Auswirkungen der „Flüchtlingskrise“ schutzbedürftiger denn je ist, durchaus als Vermächtnis Sanders nicht nur an die Deutschen gelesen werden.
MWH
Hans-Dietrich Sander: „Der ghibellinische Kuß“, Band 1/10 der Gesamtausgabe, herausgegeben von Heiko Luge, Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2016, 208 S., geb., 22 Euro
Hans-Dietrich Sander: Politik und Polis, Band 2/10 der Gesamtausgabe, herausgegeben von Heiko Luge, Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2016, 271 S., geb., 26 Euro
Sebastian Maaß: „Im Banne der Reichsrenaissance“: Gespräch mit Hans-Dietrich Sander, Regin Verlag, Kiel 2011, 128 S., brosch., 14,95 Euro
Heiko Luge (Hg.): Grenzgänge. Liber amicorum für den nationalen Dissidenten Hans-Dietrich Sander, ARES Verlag, Graz 2008, 352 S., geb. 29,90 Euro