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Was ist rechts?

Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Mir hat die Selbstbezeichnung „konservativ“ schon als Student nicht gefallen. Immerhin kommt es darauf an, was man konservieren will. Wie wir weiter unten sehen werden, gehört der bewahrende Gedanke aber zu jeder rechten Weltanschauung und sind auch die Unterschiede zwischen „Wertkonservatismus“ und „Strukturkonservatismus“ in Wahrheit weit geringer als von konservativen Publizisten gemeinhin behauptet. Gänzlich unsinnig war freilich Franz Josef Strauß’ Slogan: „Konservativ sein heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren!“

Warum viele Rechte dennoch zur Selbstbezeichnung „konservativ“ greifen, hat einen praktischen Grund: In den Köpfen unserer Zeitgenossen hat die mediale Propaganda eine schiefe Ebene errichtet, wonach rechts = rechtsradikal = rechtsextrem = neonazistisch/rassistisch/antisemitisch bedeutet. Wer sich als „rechts“ deklariert, dem wird, ausgesprochen oder nicht, rasch eine Gesinnung unterstellt, die geradewegs nach Auschwitz führt. Linken wird hingegen grundsätzlich Menschenfreundlichkeit zugebilligt; daß ihre Weltanschauung direkt zu den Millionen Opfern von Stalin, Mao, Pol Pot & Co. geführt hat, wird nicht einmal deklarierten Kommunisten zum Vorwurf gemacht. Allenfalls wird Linken eine gewisse gutherzige Naivität unterstellt, während Rechte bestenfalls als empathielose Realisten gelten, gemäß dem dummen Spruch, daß wer mit 20 nicht links sei, kein Herz habe, und wer es mit 40 immer noch sei, kein Hirn.

Doch all das stimmt nicht: die schiefe Ebene natürlich nicht, aber auch nicht die Behauptung der grundsätzlichen Menschenfreundlichkeit einer linken Gesinnung, der ein kaltherziger rechter Realismus gegenüberstünde. In Wirklichkeit geht es um zwei diametral entgegengesetzte Menschenbilder, von denen nur eines richtig sein kann. Stimmt das rechte Menschenbild, dann ist die linke Weltanschauung eben nicht menschenfreundlich, sondern im Gegenteil falsch und unheilbringend. Oder, um einen weiteren dummen Spruch zu bringen: Right is right and left is wrong.

Im folgenden will ich anhand von fünf wesentlichen Punkten die grundlegenden Unterschiede zwischen rechter und linker Sichtweise festmachen:

‚Conditio humana‘ versus ‚Tabula rasa‘

Rechte gehen davon aus, daß es eine menschliche Natur gibt, die nicht oder zumindest nicht leicht zu ändern ist. Linke – und ich zähle die Liberalen ausdrücklich dazu – meinen hingegen, jeder Mensch komme als „unbeschriebenes Blatt“ auf die Welt. Durch die Einflüsse von Staat, Gesellschaft und Familie würden dem „unbeschriebenen Blatt“ dann bestimmte Rollenbilder eingeprägt. Nur, wenn der einzelne sich soweit wie möglich von diesen Fesseln befreit, soll er ein selbstbestimmtes und sinnerfülltes Leben führen können. Schon im 18. Jahrhundert kämpften Aufklärer und Liberale daher gegen die Religion, die den Menschen in Fesseln schlage. Das war nicht ganz unverständlich. In der Zeit der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts war es ja dem Zufall der Geburt überlassen, ob jemand zum frommen Anglikaner, Calvinisten, Lutheraner oder Katholiken von oft bornierter Selbstgefälligkeit erzogen wurde. Diese Verquickung von Geographie und Wahrheitsfrage konnte nur den Kopf schütteln lassen. Und als man im 19. Jahrhundert entdeckte, daß der Umstand, zu einem frommen Moslem, Hindu oder Buddhisten erzogen zu werden, ebenfalls vor allem vom Zufall der Geburt abhing, mußte sich die Wahrheitsfrage der Religion nicht nur für glaubenslose Denker neu stellen.

In der zweiten Phase wurde dann die Prägung des Menschen durch Nation und Staat beeinsprucht, die ihrerseits wieder den einzelnen in die Pflicht nehmen und von ihm gemeinschaftsbezogenes Wohlverhalten erzwingen wollen. Heute sind wir bei der dritten Phase angelangt, in der behauptet wird, daß es auch keine natürlichen Geschlechter gebe, sondern nur mehr „Gender“, also Geschlechterrollen. Nach Religion und Nation wird damit das letzte Hindernis auf dem Weg zum völlig freien, selbstbestimmten Individuum beseitigt. Wer die linke Idee der Tabula rasa für richtig hält, der muß auch dieses Zerstörungswerk grundsätzlich begrüßen, selbst wenn hier mancher die Entwicklungen unserer Tage als Auswuchs ablehnen mag.

Dem gegenüber steht die rechte Auffassung einer Conditio humana, eines nicht oder nicht so einfach zu verändernden menschlichen Wesens. Das Problem ist, daß diese Sichtweise nicht so einfach und in wenigen Worten erklärbar ist wie die linke. Es ist eben viel leichter zu sagen: „Laß dich nicht einschränken und fremdbestimmen, nur du kannst wissen, was für dich gut ist“, als ein gewisses Maß an Einschränkungen und Vorbestimmungen für unaufhebbar zu deklarieren, wenn einerseits weder Ausmaß noch Art dieser Einschränkungen letztgültig bestimmt werden können, noch andererseits in Abrede zu stellen ist, daß solche Abhängigkeiten und Einschränkungen von interessierten Gruppen oft auch nur behauptet wurden, um einzelne einzuschüchtern, ohne daß sie wirklich gegeben waren.

Konkret heißt das: Jeder Mensch hat ein Wesen, mit dem er sich auseinandersetzen muß, hat Vorzüge und Fehler, die er fördern und hemmen, aber nicht aufheben kann, während ihm andere Talente, die er vielleicht gern hätte, fehlen und ihm Schwächen, die seinen Nachbarn beschäftigen, unbekannt sind. In welchem Ausmaß dafür Gottes Wille, genetische Veranlagung oder frühkindliche Prägung durch Familie und Kultur wirksam sind, wird unterschiedlich beantwortet werden. Der Rechte wird jedoch daran festhalten, daß sich jeder Mensch seinem Wesen, seinem Ich, seinem Charakter stellen muß. Eine schulterzuckende Hinnahme kann man daraus nicht ableiten, vielmehr eine lebenslange Aufgabe. „Ich bin halt so“ ist keine Rechtfertigung für den Lustmörder.

Conditio humana meint aber eigentlich etwas viel Weitergehendes, nämlich daß es bestimmte Eigenschaften gibt, die alle Menschen teilen. Jede Reform, jede Art der Gesellschaftsgestaltung muß also dieses „Wesen des Menschen“ berücksichtigen. Tut sie es nicht, scheitert sie zwangsläufig. Der gewichtigste Einwand der Rechten gegen den Kommunismus war, daß sein ideologisch bestimmtes Menschenbild der Conditio humana zuwiderlaufe und er daher gar nicht funktionieren könne. Doch was ist die Natur des Menschen? Auf diese Frage kann es keine endgültige, wissenschaftlich haltbare Antwort geben. Rechte sind daher immer wieder der Versuchung erlegen, Dinge, die ihnen bloß ideologisch wünschenswert erschienen, zur unveränderbaren Menschennatur zu zählen, um sie so gegen Kritik zu immunisieren. Wenngleich dieser von der Linken erhobene Vorwurf nicht zurückzuweisen ist, muß dennoch festgehalten werden, daß es eine Conditio humana gibt, die nach dem jeweiligen Wissensstand bestimmt werden und an der sich die eigene Ideologie orientieren muß.

Menschliche Freiheit kann sich nur in Begrenzung entfalten. Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß es immer wieder Menschen geben wird, die unter den Zwängen der Heimat, der Nation oder des Geschlechts leiden und sich davon zu befreien versuchen. Man kann seine Heimat verlassen und eine andere finden. Man kann auch den Schritt in eine neue nationale Identität hinein unternehmen, wenngleich dies für den einzelnen immer nur in bestimmtem Maße möglich ist. Man kann sogar die geschlechtliche Identität wechseln: Eine der wichtigsten deutschen rechten Politikerinnen der 1990er Jahre war als Sohn eines Wehrmachtsgenerals geboren worden. Und einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller unserer Zeit hat sein Schaffen als Autorin begonnen. Doch die allermeisten Menschen sehen in Heimat, Nation und Geschlecht keine negativen Begrenzungen ihrer Person, sondern entfalten ihre Individualität ganz selbstverständlich in deren Rahmen. Wer sie zerstören will, weil er in ihnen nur Hindernisse auf dem Weg zur Freiheit und Gleichheit aller sieht, nimmt den meisten Menschen damit auch das Gerüst, das sie zur Gestaltung ihrer eigenen Identität benötigen. Man kann zur Verdeutlichung die Knochen als Analogie nehmen: Unsere Knochen erlauben nur bestimmte Bewegungen, ohne Knochen wären aber gar keine mehr möglich.

Anthropologischer Pessimismus versus anthropologischer Optimismus

Rechte werden sagen: Der Mensch braucht Regeln. Linke meinen, der Mensch sei gut, wozu braucht es also Regeln? Doch sogar der Straßenverkehr funktioniert nur, weil sich alle Teilnehmer an bestimmte Regeln halten, selbst wenn diese im konkreten Fall unsinnig erscheinen, etwa wenn wir nächtens vor einer leeren Straße an einer roten Ampel stoppen. Wie rasch wären alle Einfahrten zugeparkt, wenn Falschparker keine Geldstrafen mehr fürchten müßten?

Menschen sind nicht einfach „gut“, sie können auch böse handeln, und ohne Gesetze herrschte das Faustrecht, würden sich Stärkere auf Kosten der Schwächeren Vorteile verschaffen. Von daher wird der Rechte daran festhalten, daß Gesetze und Regeln prinzipiell für eine funktionierende Gesellschaft notwendig sind, wenngleich im Einzelfall jedes Gesetz und jede Regel beständig auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden muß.

Transzendenz versus Immanenz

Linke sind der Auffassung, daß der Sinn des Lebens in einem guten Leben liegt. Rechte hingegen haben die Ewigkeit im Blick. Dieser Unterschied ist ebenso wichtig wie problematisch. Absolute Gleichheit kann auf dieser Erde niemals hergestellt werden: Auch wenn staatliche Sozialprogramme ärmere Bevölkerungsteile fördern, wird doch der eine alt und der andere stirbt früher, der eine erfreut sich guter Gesundheit und der andere kämpft schon als Kind mit Krankheiten und Beeinträchtigungen. Die Vorteile, die gutes Aussehen, Intelligenz oder mannigfache Talente verschaffen, lassen sich nicht mit Sozialleistungen ausgleichen. Hier wird immer eine Ungleichheit bestehen. Gleichheit kann nur existieren, wenn wir davon ausgehen, daß es einen Gott gibt, der im Jenseits Gerechtigkeit herstellt, indem er von dem einen mehr und von dem anderen weniger verlangt. Sub specie aeternitatis ist das früh an Krebs verstorbene Kind nicht schlechter gestellt als der Mensch, der bis ins hohe Alter den Luxus dieser Welt genießen konnte. Das ist leicht gesagt und schwer gelebt. Die Gründerin der deutschen Grünen, Petra Kelly, hat ihren Glauben verloren, als ihre Schwester in jungen Jahren an Krebs verstarb. Natürlich ist die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nur eben das: eine Hoffnung und kein Wissen. Gerechtigkeit ist auf dieser Welt allerdings nie herstellbar, die Idee der Gerechtigkeit setzt ein Weiterleben nach dem Tod und eine danach richtende Instanz zwingend voraus. Das muß festgehalten werden. Mehr können wir nicht. Wir können auch nicht die Wahrheitsfrage der Religionen mit innerweltlichem Wissen sicher beantworten, sondern nur aus dem Glauben heraus.

Die linke Weltanschauung zeigt sich hier als Schönwetterideologie: Solange es uns gutgeht, wir uns um niemanden sorgen müssen und auch an den eigenen Tod nicht denken, solange wir unser Leben genießen, können wir uns den Luxus einer linken Weltanschauung leisten. Anders sieht es aus, wenn es ans Sterben geht, wenn liebgewonnene Menschen versterben, wenn das gewohnte Leben plötzlich nicht mehr möglich ist. Not lehrt beten? Oder zwingt uns Not nicht vielmehr zu einem realistischeren Weltbild? Festzuhalten ist jedenfalls, daß „rechts“ ein transzendentes Weltbild voraussetzt, wenngleich nicht zwingend das einer bestimmten Religion. „Rechte“, denen diese Transzendenz mangelt, sind eigentlich keine.

Gemeinschaft oder Individuum?

Der Mensch kann sich nur in Gemeinschaft entwickeln. Jeder einzelne verdankt nicht nur seiner Familie, sondern auch seinem Volk und seinem Staat ungeheuer viel: Sprache und Kultur, Sicherheit, Recht und Ordnung. Wir alle können uns glücklich schätzen, in einem Land geboren zu sein, in dem Korruption begrenzt ist, in dem Recht und Ordnung herrschen, in dem wir uns selbst, unsere Familien und unser Eigentum nicht auf eigene Faust schützen müssen. Ob Rußland, die Philippinen oder Südamerika: Ich kenne viele Länder, in denen auch Menschen mit mittlerem Einkommen nur in Gated communities leben können, wo sie selbst für Wächter und Zäune bezahlen, weil es sonst ihren Kindern nicht mehr möglich ist, vor dem Haus zu spielen. Und in Mexiko lassen begütertere Einwohner ihre Kinder nur mehr von Leibwächtern in die Schule bringen, aus Angst vor Entführungen. Ich verdanke meinen Wohlstand dem Konsumverzicht meines Großvaters, der, um seinen Verlag zu retten, jahrelang eine Stunde zu Fuß in die Firma und zurück ging, um das Geld für die Straßenbahn zu sparen. Wir könnten noch so talentiert sein, wären wir in einem Land geboren, dessen Einwohner es nicht geschafft haben, einen einigermaßen korruptionsfreien Rechtsstaat zu errichten, wir wären um vieles schlechter dran, als wir es in Österreich oder Deutschland sind. Nicht nur aufgrund der Kultur, auch wegen dieser Dinge verdanken wir dem Staat, in dem wir leben, ungeheuer viel. Dies müssen wir zurückgeben und den Staat daher auch für die folgenden Generationen zumindest in der Form bewahren, die uns selbst unabhängig von unserer eigenen Leistung Wohlstand und Sicherheit gewährt hat. Linke behaupten hingegen, daß Staat und Volk nur für die freie Entfaltung des einzelnen da seien, von einer Verpflichtung wollen sie nichts wissen.

Konservieren oder erneuern?

Linke glauben, daß Fortschritt per se gut sei. Doch das ist er nicht. Er kann in die falsche Richtung führen und Institutionen zerstören, die für das Funktionieren eines Staatswesens nötig sind. Daher ist auch die oft getroffene Unterscheidung zwischen „Strukturkonservativen“ und „Wertkonservativen“ irrig. Natürlich kann es nicht darum gehen, überlebte Strukturen in einer neuen Welt zu bewahren. Doch wie Konrad Lorenz festhielt, sind Institutionen das geronnene Wissen vieler Generationen. Man kann erneuern und soll es auch. Doch dies muß mit Bedacht geschehen. Über Jahrhunderte gewachsene Institutionen dürfen nicht einfach zerstört werden, außer es ist sicher, daß an ihre Stelle etwas Besseres, Zeitgemäßeres gesetzt wird. Rechte werden daher immer sehr vorsichtig sein, wenn Institutionen (Strukturen) verändert werden. Die zugrundeliegende Ordnung (Werte) darf ohnedies nicht verändert werden. Wer meint, daß sich jede Generation ihre Werte selbst definieren müsse, kann kein Rechter sein.

Ich habe in den vorangegangenen Abschnitten versucht, die Eckpunkte rechter Weltanschauung darzustellen:

Es gibt eine Conditio humana, die freilich schwierig und immer nur vorläufig zu definieren ist. Der Mensch braucht Regeln und Gesetze. Gerechtigkeit kann es nur sub specie aeternitatis geben. Wir verdanken dem Volk und dem Staat, in dem wir aufgewachsen sind, ungeheuer viel. Institutionen sind die geronnene Erfahrung von Generationen und dürfen daher nur vorsichtig und schrittweise verändert werden.

Damit ist die Weltanschauung einer echten Rechten umrissen. Freilich kann sie nicht mit den einfachen Schlagworten argumentieren, die linken Weltanschauungen eignet. Aber schon Joseph de Maistre sprach von den „terrible simplificateurs“, den „schrecklichen Vereinfachern“, die komplizierte Gedankengänge auf einfache, politisch gängige Formeln zu bringen versuchen.

Das ist genau auch der strukturelle Nachteil rechter Positionen gegenüber linken: Die Linken können mit einfachen Schlagworten arbeiten, die den meisten Menschen einleuchten. Diese sind zwar falsch, aber die Rechten können ihnen nur wenig entgegensetzen, weil sich ihre eigene Weltanschauung nicht in einige kurze, gefällige Sätze pressen läßt. Doch menschliche Identität und menschliche Individualität sind komplizierte Dinge. Jahrhundertelang hat die Linke triumphiert, weil sie einfache Antworten auf schwierige Fragen bot, die in Wahrheit komplizierte und differenzierte Antworten verlangen. Das müssen wir ändern.

 
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