Von Wolfgang Dvorak-Stocker
Es ist soweit! Nach „Was ist deutsch?“ und „Europa und das Reich“ legen wir zum Thema „Glaube und Kultur“ den dritten Sammelband mit wesentlichen Artikeln aus mehr als zwei Jahrzehnten „Neue Ordnung“ bzw. „Abendland“ vor. Im folgenden mein Vorwort zu dieser, wie mir scheint, wichtigen Textsammlung:
Achtung, Spoileralarm: Die Quartalszeitschrift „Abendland“ (bis 2020 „Neue Ordnung“) versteht sich – wie der Name schon erahnen läßt – als rechte, katholisch-nationalkonservative Publikation. Auf dieser grundsätzlichen Linie liegen auch die hier versammelten Artikel. Allerdings habe ich dafür bewußt Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ als Titelbild gewählt, weil niemand von uns die Wahrheit mit Löffeln gefressen hat und Glaube eben Glaube ist, nicht Wissen.
Hier gilt es allerdings schon den ersten Irrtum zu berichtigen: Das Wort „glauben“ hat zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits: „Ich glaube, daß es morgen regnen wird.“ „Glauben“ bedeutet hier soviel wie „vermuten“, „annehmen“, „nicht sicher wissen“. Ganz anders hingegen: „Ich glaube dir.“ In diesem Sinne bedeutet „glauben“, der Aussage einer Person absolutes Vertrauen zu schenken, ihren Bericht für unbestreitbar wahr zu halten, so als ob man selbst Augenzeuge gewesen wäre. Nur die Jünger haben Jesus Christus persönlich gekannt, die späteren Anhänger seiner Lehre mußten ihnen Glauben schenken. Daß sie nicht gelogen, sondern die Wahrheit gesprochen haben, ist die Wurzel des Christentums.
Im ersten Beitrag dieses Buches versuche ich, in fünf Punkten „rechte“ von „linker“ Weltanschauung grundsätzlich zu unterscheiden. Einer dieser Punkte lautet: „Transzendenz“ versus „Immanenz“. Notwendiger Bestandteil eines wie immer gearteten „rechten“ oder „konservativen“ Weltbildes ist die Transzendenz, die Überzeugung, daß sich unser Leben nicht auf die kurze Spanne irdischer Existenz beschränkt, daß die naturwissenschaftlich erforschbare diesseitige Welt nicht alles ist. Ein bestimmter Glaube läßt sich daraus freilich nicht ableiten. „Rechte“ oder „Konservative“ können sehr unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen anhängen.
Dieser Sammelband kreist daher nicht nur um das rechte Verständnis des katholischen Glaubens und dessen Verhältnis zu Volk und Staat. Hans Thomas Hakl, der zahlreiche Werke Julius Evolas ins Deutsche übertragen hat, befaßt sich mit der integralen Tradition, und Baal Müller portraitiert die unterschiedlichen Strömungen des Neuheidentums. Auch Jürgen Schwab, der eine nachdenkenswerte Aufklärungskritik geliefert hat, ist mit Sicherheit kein „katholischer“ Autor. In Korrespondenz mit seinem Beitrag steht Friedrich Romigs wichtige Darstellung der Philosophie des „deutschen Idealismus“. Romig zeigt, daß sich zwei Traditionslinien diametral gegenüberstehen. Die eine führt von den Sophisten der griechischen Antike über die Nominalisten des Mittelalters und die Aufklärung zu heute virulenten philosophischen Systemen. Die andere führt von Plato und Aristoteles über Thomas von Aquin und den deutschen Idealismus bis zu Othmar Spann und weiter. Letzterem und seiner Lehre widmet sich ein umfangreicher Beitrag von Wolfgang Saur.
Faszinierend ist auch der Artikel von Baal Müller über Nahtoderfahrungen einerseits und neue Ergebnisse der Hirnforschung wie der Quantenmechanik andererseits, die nahelegen, daß das Gehirn keineswegs die Quelle des Bewußtseins, sondern nur eine Schaltzentrale des Geistes ist, die zwischen Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen und Willensentscheidungen vermittelt. Trotz der Milliarden Hirnzellen und ihrer unzähligen Verbindungen würde die Speicherkapazität dieses Organs unmöglich ausreichen, alle Erinnerungen eines Lebens zu archivieren. Und wenn dann noch Nahtoderfahrungen belegen können, daß Sinneswahrnehmungen auch dann noch funktionieren, wenn keine meßbare Hirnaktivität mehr vorhanden ist, liegt es nahe, vom „unendlichen“ Bewußtsein zu reden bzw. davon, daß unser Bewußtsein keineswegs an Leben und Existenz unseres Körpers gebunden ist. Daran knüpft mein Beitrag über die „Neuen Atheisten“ rund um Richard Dawkins an, der belegt, daß ein konsequenter Atheismus im Unterschied zum Agnostizismus logisch nicht durchgehalten werden kann.
Der Frage, was Gesellschaften im Inneren zusammenhält und was es mit dem „Böckenförde-Theorem“ auf sich hat, geht Erich Körner-Lakatos nach. Eduard Huber und Hans-Ulrich March untersuchen die zerstörerischen Folgen von Neid und Gleichheitswahn für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und Endre Bárdossy widmet sich der in unserer Gegenwart fast vergessenen Kategorie der Dankbarkeit, sind wir doch alle Erben der Leistungen unserer Vorfahren (sowohl der persönlichen als auch der vorangegangenen Generationen unseres Volkes und Landes), und zwar nicht nur in materieller, sondern gerade auch in geistiger Hinsicht. Ein Gedanke, den ich auch in meinem einleitenden Beitrag „Was ist rechts?“ aufgreife.
Geht es in diesen vier Beiträgen also um den Zusammenhalt der Gesellschaft jenseits konfessioneller oder religiöser Fragen, widmet sich eine Reihe von Artikeln jedoch konkret der katholischen Kirche und ihrer Rolle respektive Bedeutung für unser Volk und unseren Staat. Hier geht Friedrich Romig auf die „Lehre vom ewigen Menschen“ der Nouvelle théologie ein und stellt die Frage nach der „Aufgabe der Kirche in der Welt von heute“, was von Pater Michael Weigl der Priesterbruderschaft St. Pius X. im Artikel „Die ewige Aufgabe der Kirche. Kann Wahrheit geschichtlich sein?“ entschiedenen Widerspruch erfährt. Romig geht in der Folge auch auf das Verhältnis von Kirche und Demokratie und die Frage, was „Re-Evangelisierung“ wirklich bedeute, ein. Zentral für die fünf Beiträge, die sich konkret mit der katholischen Kirche befassen, ist der bereits in den 1950er Jahren im Leopold Stocker Verlag erschiene Artikel von Erich Przywara über „Das Katholisch-Deutsche“, in dem der Jesuit und Universitätsprofessor feststellt, daß „katholisch und deutsch“ äußerste Gegensätze zu sein scheinen, um dann jedoch herauszuarbeiten, daß die „germanische Natur“ innerlich „Voraussetzung“ der römisch-katholischen „Gnade“ sei und letztlich ein direkter innerer Bezug „zwischen germanisch und römisch-katholisch deutlich“ werde.
Damit eine solche Sicht unbefangen aufgenommen wird, müssen zahlreiche absichtlich gestreute Irrtümer hinsichtlich der Lehre und der Rolle der katholischen Kirche widerlegt werden. Einer ganzen Reihe solcher Fehlurteile widme ich mich in meinem Beitrag über die Hexenverfolgungen. Doch nicht nur diesbezüglich werden falsche Behauptungen zu Lasten der katholischen Kirche bewußt oder unbewußt verbreitet. Es vergeht kein 8. Dezember, ohne daß in einer „nationalen“ Zeitschrift über die „Leibfeindlichkeit“ der katholischen Kirche hergezogen wird von wegen „jungfräulicher Empfängnis“. Doch am 8. Dezember wird nicht die jungfräuliche Empfängnis Jesu’ gefeiert, sondern der Tag, an dem Joachim und Anna, die Eltern Mariens, diese in einem hoffentlich lustvollen Sexualakt zeugten. Vielleicht können die Kritiker ja auch nicht rechnen: Neun Monate nach dem Feiertag Mariä Empfängnis am 8. Dezember begeht die Kirche den (nicht mehr staatlich gebotenen) Feiertag Mariä Geburt, am 8. September nämlich. Und neun Monate vor der Geburt Christi, am 25. März, feiert sie mit Mariä Verkündigung den Tag, an dem der Erzengel Gabriel Maria verkündete, daß sie den Sohn Gottes empfangen habe. In einer weit verbreiteten nationalen Zeitschrift in Österreich stand sogar zu lesen, daß es eine Reihe von Kirchen gäbe, die (dem von den Nationalsozialisten ermordeten österreichischen Bundeskanzler) Dollfuß geweiht seien. Doch Kirchen können nur Heiligen geweiht sein, und ganz sicher nicht einem Engelbert Dollfuß!
Wer die katholische Kirche kritisieren will, muß sie also kennen. Als Jugendlicher meinte ich eine Zeit lang, aus der Kirche austreten zu müssen. Dann dachte ich mir, daß es intellektuell wohl nicht redlich sei, etwas zu verlassen, das man nicht wirklich kennt, und ich begann, mich intensiver mit der Lehre der Kirche zu befassen und auch die katholische Messe am Sonntag zu besuchen. Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich immer hinten im Grazer Dom saß und bei den Messen regelmäßig eingeschlafen bin. Das ging eine ganze Weile so, bis ich plötzlich in einer Kirche (ich weiß noch genau in welcher, aber es war nicht der Grazer Dom) ein merkwürdiges Erlebnis hatte: die Erfahrung einer Präsenz, die mir unendlich realer schien als meine eigene Existenz. Diese Erfahrung wurde mir geschenkt, sie ließ sich nicht wiederholen, weder durch Gebet, Meditation oder sonstige Techniken. Allerdings wurde sie mir noch ein weiteres Mal geschenkt, als ich im Gebet in einer Kirche die Mutter Gottes fragte, ob sie wirklich existiere oder nur in meiner Vorstellung. Die verschiedenen von der katholischen Kirche vorgegebenen Glaubensdogmen hinsichtlich der Mutter Gottes habe ich seither nicht mehr hinterfragt, wenngleich ich nicht behaupten kann, jedes einzelne tatsächlich zu verstehen. Darauf kommt es aber auch nicht an.
Rolf Rücker zeigt in seinem Beitrag über „Zivilreligion“, daß unsere Gesellschaft von einer solchen beherrscht ist, die „das irdische größte Glück der größten Zahl der Angepaßten“ an die Stelle der ewigen Seligkeit setzt. Anstelle des Glaubens, der das Abendland fast zwei Jahrtausende lang geprägt hat, postuliert die Zivilreligion die Gleichheit aller Menschen, die universalen Menschenrechte und die Demokratie. Sie verneint, daß es eine unveränderliche objektive Wahrheit gibt, die mit der Vernunft erkannt werden kann, und toleriert jenseitsbezogene Religionen nur so lange, wie diese den Pluralismus bejahen und sich dem liberalistisch-demokratischen Zeitgeist unterwerfen. In diesem schon 2009 erschienenen Artikel schreibt Rücker bereits vom „Gleichheitswahn der Gutmenschen“, denen Toleranz nicht mehr wie früher „Duldung“ bedeute, sondern „akzeptierte bzw. zu akzeptierende Gleichwertigkeit“! Schon damals schrieb er über „die verquere Auffassung, daß es mehr als zwei biologische Geschlechter gäbe“, über „Gender-Gap“, die Behauptung, daß Geschlechter bloß „austauschbare Rollen“ seien. Begriffe wie „woke“, „Black Lives Matter“ (und gerade nicht: All lives matter!), Transhumanismus, Great Reset usw. hat Rücker vor 14 Jahren freilich noch nicht gekannt. Auf den angeblich menschengemachten Klimawandel und die umfassende Abreibungspropaganda hat er hingegen schon hingewiesen. Im Ausklang seines Artikels zitiert er Karlheinz Weißmann mit den Worten, „das deutlichste Kennzeichen von Dekadenz ist immer die Ausbreitung der Auffassung vom Nur-Leben als höchstem Wert; die letzten Menschen blinzeln und sagen ‚wir sind doch gleich, wir sind doch glücklich‘“. Doch dann kommt Rolf Rücker, der als Burschenschafter selbst erst in seinen letzten Lebensjahren zum Glauben gefunden hat, auf das Christentum zurück und schreibt: „Sicherlich kann es auch ein Christentum ohne Europa geben, aber kein Europa ohne Christentum. Europa fußt auf drei Säulen: der griechisch-römischen Antike, dem Christentum und dem Germanentum.“
Besonders wichtig ist für mich auch der Artikel „Ecclesia semper optanda – Die Kirche als Option für Konservative“ von Hans-Ulrich Kopp. Er schreibt, daß die „schier unfaßbare Bodenlosigkeit der herrschenden Ideologien und Ersatzreligionen bei Nachdenklichen eine diametral entgegengesetzte, in subkutanen Gefilden tradierte Anschauung wieder in den Blick gerückt“ habe: „jene christliche Anthropologie, die nicht den gegenderten neuen Menschen propagiert und damit – wie noch jedes Projekt des neuen Menschen – eine Katastrophe menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes heraufbeschwört, sondern die unbeirrt auf den alten Adam verweist und sich nicht scheut, ihn geradewegs auf seinen tiefsten Urgrund zurückzuführen, den ersten Beweger alles Seienden“. Denn Kopp hält fest: „Der entschiedenste und unaufhebbare Widerspruch zum gesichts- und kulturlosen, sein vermeintlich ,sozial konstruiertes‘ Geschlecht auslebenden Massenmenschen ist der nach Gottes Willen geschaffene Mensch.“ Heute sind die „Herrschaftsverhältnisse, unter formaler Beibehaltung demokratischer Strukturen, kraft ihrer technischen Möglichkeiten und medial bewirkten Konformitätszwänge totaler als seinerzeit; selbst der Ausweg der physischen Auswanderung […] ist angesichts der Angleichung der Verhältnisse nahezu gegenstandslos geworden. Wo aber die Seitwärtsbewegung nicht mehr möglich ist, findet die Aufwärtsbewegung als bleibende Option in das Bewußtsein zurück.“ Kopp hält in guter konservativer Tradition fest: „Nicht die Tradition ist rechtfertigungsbedürftig, sondern die Neuerung. Da sich also unser Volk von Anbeginn mit dem christlichen Glauben verbunden hat, so besitzt dieser das gute alte Recht.“ Dafür stehen nicht allein so bedeutende katholische Intellektuelle wie Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn, Carl Schmitt, Gerd-Klaus Kaltenbrunner und Martin Mosebach, sondern ebenso wichtige Konvertiten wie Günter Maschke, Ernst Jünger, Günther Nenning und Matthias Matussek. Auch weit verbreiteten und bewußt gestreuten Irrtümern über die christliche Religion wendet sich der Autor zu. So schreibt er, „die christliche Barmherzigkeit“ sei „nicht als sozialer Egalitarismus zu verstehen, sie dient überhaupt nicht in erster Linie dem Schwachen, sondern der Seele des Mächtigen, die durch geübte Tugend gerettet werden soll“. Ebenso ist „die chiliastische Heilserwartung alles andere als Fortschrittsoptimismus: Die Welt bedarf der Erlösung, weil es dem gefallenen Menschen nicht gelingen wird, selbst Vervollkommnung zu erlangen“.
Der Glaube an Gott läßt sich, das weiß auch Hans-Ulrich Kopp, nicht im Sinne des menschlichen Erkenntnisvermögens „beweisen“, heute stehen einander jedoch nicht mehr Glaube und Wissen, sondern zwei grundsätzlich unterschiedliche Glaubensrichtungen gegenüber: „Die gottlose und die gottanerkennende, dabei genießt letztere den Vorzug, das sittliche System und menschliche Tugenden zu begründen und Beurteilungsmaßstäbe an die Hand zu geben.“
Eine genuin „rechte“ bzw. „konservative“ Weltanschauung kommt jedenfalls ohne die Transzendenz nicht aus. Im Jahr 2019 zeigte die „Neue Ordnung“ in der Rubrik „Knapp & klar“ ein Plakat mit folgendem Text: „Ob Sie an Gott glauben oder nicht, ändert nichts an seiner Existenz. Aber vielleicht an Ihrer.“ Hans-Ulrich Kopp (der Redakteur der Berliner Zeitung „Junge Freiheit“ war), Rolf Rücker, Univ.-Prof. Dr. Erich Przywara und Univ.-Doz. Friedrich Romig sind jedenfalls der Auffassung, daß deutsche Nationalität und katholische Religiosität keinesfalls einen Widerspruch bilden, sondern im Gegenteil zusammengehören. Zu dieser Erkenntnis will auch das vorliegende Buch seinen Teil beitragen.