Die Neue Ordnung“ druckte kürzlich einen Beitrag von Bischof Laun, auf den ich gerne aus der Sicht des Islams geantwortet hätte. Wolfgang Dvorak-Stocker schrieb mir, daß dies aufgrund des zu großen Zeitabstandes bei vierteljährlicher Erscheinungswiese nicht sinnvoll sei, stellte mir aber einige Fragen und bot mir an, darauf in einem Artikel einzugehen. Ich komme dieser Aufforderung nunmehr gerne nach.
Zunächst erschien ihm interessant zu erfahren, was mich, obgleich ich aus einer sehr alten deutschen Familie abstamme (der berühmte Architekt Karlsruhe’s, Heinrich Hübsch, zählt ebenso zu meinen Vorfahren wie der einstige Oberbürgermeister von Königsberg, Hans Lohmeyer), bewogen hatte, zum Islam zu konvertieren. Nun, keine intellektuelle Suche führte mich zum Leben als Muslim, nachdem ich in den 60er Jahren in der linken und später der Hippie-Szene, bis zur berüchtigten Kommune I, aktiv gewesen war, sondern ausgesprochen ungewöhnliche, ja mystische Erlebnisse, über die ich in meinem Hörspiel und Buch „Keine Zeit für Trips“ ausführlich berichtet habe. Die Einzelheiten der Umorientierung hier noch einmal darzustellen, ist aus Platzgründen nicht möglich. Soviel sei aber noch gesagt, daß mich meine Erfahrungen und Erlebnisse im Islam, so wie ihn die Reformgemeinde „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ praktiziert, der ich angehöre und die auch in Österreich vertreten ist, praktiziert, beim Islam bleiben ließen. Es war und ist die Begegnung mit Allah im Alltag und im Gebet, die mir meine Überzeugungskraft verleiht.
Daraus ergibt sich auch die Erwartung, daß sich dieser friedvolle, liebreiche und vernunftgemäße Islam in den kommenden Jahrzehnten stark in Europa, vor allem in Deutschland, ausbreiten wird, was zur zweiten Frage führt, nämlich der, ob, wenn die Religion des Propheten Mohammed so zunimmt, und wir, so Gott will, binnen Jahrzehnten jeweils ein Drittel Christen, Muslime und Atheisten auf unserem Kontinent haben werden, wie Wolfgang Dvorak-Stocker mutmaßt, der Islam hierzulande dann kompatibel „mit der europäischen Kultur“ sein werde; oder ob wir unüberbrückbare Gegensätze und dementsprechend Konflikte haben werden.
Ich bin kein Prophet, befürchte aber aufgrund der bestehenden Situation, dass dann, wenn wir Grundsätze wie absolute Gerechtigkeit und Nächstenliebe nicht beachten, ja, nicht zu einer der Grundlagen des Zusammenlebens nicht werden lassen, Ghetto-Bildung und Parallelgesellschaften die Folge sein werden. Das würde bedingen, dass die jeweiligen Gruppierungen auf eigenes Recht pochen wollen oder gar auf unverhältnismäßige Vorteile gegenüber gesellschaftspolitisch Schwächeren aus sein werden. Dies wiederum könnte zu Gewaltherrschaft oder/und Rebellionen führen, wovor uns Gott bewahren möge. Würden aber die Gesetze so ausgerichtet, dass auf Eigenheiten der jeweiligen weltanschaulich/religiösen Bekenntnisse Rücksicht genommen würde, könnte ein friedliches Zusammenleben möglich sein; eine gegenseitige kulturelle Befruchtung wäre somit chancenreich und ein intellektuell-moralisches Wetteifern.
Dabei stellt sich nicht die einseitig anmutende Situation, daß sich der Islam alle Spielarten der europäischen Kultur aneignen müsse. Es existieren schon jetzt so viele unterschiedliche Subkulturen und Parteien, Vereine und Religionsgemeinschaften, die sich von den jeweils anderen abgrenzen ohne daß es, weitgehend zumindest, zu unliebsamen oder gar gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt [wenn auch mangelnde Dialogbereitschaft zu beklagen ist], daß sich durch eine Verschiebung der Größenverhältnisse dieser Gruppen nicht viel ändern würde, wenn, wie gesagt, der Grundsatz absoluter Gerechtigkeit im Vordergrund stünde und Hasspredigten sowie extreme Beleidigungen und Verunglimpfungen anderer ein Riegel vorgeschoben würde.
Im Koran heißt es dazu in Sure 49, Vers 14: „O ihr Menschen, Wir haben euch von Mann und Frau erschaffen, und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen möchtet. Wahrlich, der Angesehenste von euch ist vor Allah der, der unter euch der Gerechteste ist. Siehe, Allah ist allwissend, allkundig.“
Es heißt aber auch, dass es unter jenen, die sich zum Islam bekennen, Leute gibt, die den Geboten des Korans nicht wirklich folgen, sie werden als Heuchler bezeichnet, die Unfrieden im Sinn tragen. Sure 2, Verse 12/13, kommentiert dies mit den Worten: „Und wenn ihnen gesagt wird: ‚Stiftet kein Unheil auf Erden‘, antworten sie, ‚Wir sind nur Förderer des Friedens.‘ Höret! Gewiß sind sie es, die Unheil stiften, allein sie begreifen es nicht.“
Vor solchen Muslimen gilt es sich zu hüten, und auch vor jenen, die Unverständnis und gar eine Pervertierung islamischer Lehren für „den Islam“ halten und dementsprechend, ohne also zu differenzieren, anti-islamische Stimmung anfachen wollen.
Prinzipiell war der Prophet Mohammed bemüht, Frieden zu wahren, Frieden zu sichern und Frieden zu verbreiten. Das sagt ja schon das Wort „Islam“, in dem „Salam“ (auf deutsch: Frieden) enthalten ist. Dass er sich gegen jene verteidigen mußte, die ihn und seine Gefolgsleute ausrotten und eine Tyrannei errichten wollten, ist wohl verständlich. Dschihad bedeutet jedenfalls nicht, wie heute immer noch viele glauben, mit Gewalt andere zu einem Glauben zu zwingen. Wird diese Praxis des Propheten erst einmal begriffen, und sie läßt sich schlüssig aus der frühen Geschichte des Islam und dem Koran erklären, dann wären militärische Auseinandersetzungen auf religiöser Basis nicht länger an der Tagesordnung, vielmehr gäbe es dann vor allem intellektuelle Debatten und das Bemühen, durch Menschlichkeit und hohe Moral zu überzeugen. Dies fände wohl das Einverständnis der überwiegenden Anzahl auch der Europäer, ohne daß der Islam „europäisiert“ werden müßte.
Das Hauptproblem, solche im Westen wie im Osten gleichermaßen gelehrte Menschenrechte zu allgemeiner Umgangsgepflogenheit werden zu lassen, besteht somit in der Aufklärung darüber, was die Lehren des Islams eigentlich beinhalten. Fanatismus und Feindschaft, Haß, Groll, Wut und Neid entstehen meist aus mangelnder Kenntnis dessen, was der jeweils andere tatsächlich glaubt. Fehlendes Wissen über die Gebote des Korans ist sowohl bei sehr vielen Muslimen, als auch bei jenen, die den Islam verachten, traurigerweise vorzufinden. Hinzu kommt oftmals, daß Muslime buchstabengläubig sind, mithin also alle Verse des Korans wortwörtlich nehmen, was zu grotesken und absurden Vorstellungen und Mißverständnisse über das, was der Prophet Mohammed vorlebte und lehrte, führt.
Andererseits herrscht unter Nicht-Muslimen bisweilen eine arrogante Haltung gegenüber Muslimen vor, die sie nur allzu gerne belehren wollen, ohne indes eine Ahnung davon zu haben, welche großen Anforderungen der Islam an die Gläubigen stellt. Man nimmt somit deren Fehlverhalten als exemplarisch an und ereifert sich über ihre Sitten und Gebräuche. Häufig aber haben sie nichts zu tun mit dem, was der Prophet anbefahl. Zwangsheiraten, Ehrenmorde, Verstümmelung weiblicher Genitalien, Gewalt in der Ehe oder grausame Strafen, Unterdrückung von Frauenrechten, mafiöse Strukturen und Lügen als Mittel zum Zweck sind nicht das, wozu der Koran (die Offenbarungen Allahs) oder die Hadith-Sammlungen (die Worte und Taten des Propheten enthalten) auffordern, wenn man diese Bücher aufmerksam studiert.
Andererseits gilt es zu untersuchen, woher extremistische Gewalttaten rühren, was die Ursachen für Terrorismus sind, und, was eine weitere Frage war, die zu beantworten ich gebeten wurde, warum aus dem islamischen Ausland eingewanderte Famili en so oft Probleme damit haben, ihren Kindern zivilisierte Umgangsformen beizubringen. Womöglich resultieren Gewalttaten und Bandenbildung mit all ihren schändlichen Zielen und Begleiterscheinungen sowohl aus dem Gefühl, nicht wirklich willkommen zu sein im Abendland, was Selbstbehauptungstriebe und einen Minderwertigkeitskomplex nach sich zieht, als auch aus der Schwierigkeit, sich vor jenen Verfallserscheinungen zu hüten, die unter dem Deckmantel der Freiheit grassieren. Wer im Glauben weder Sinnerfüllung noch vollständig Befriedigung erfährt, wird sich durch andere Vergnügungen das beschaffen wollen, was ihm, wenn auch nur vermeintlich, Freude bereitet. Hinzu kommt ein, weil auf Halbwissen und Inkompetenz beruhend, irrationaler Superioritätsanspruch, der auf niedere Art abreagiert wird.
Aus dieser Misere hilft nur, über die tatsächlichen Gebote und Verbote, vor allem aber über die Begründungen dafür, Wissen zu vermitteln, was eine Aufgabe für die diversen islamischen Verbände und Vereinigungen ist und zum Teil tatkräftig und wirkungsvoll auch schon praktiziert wird, etwa in Berlin, wo es, was Straßengewalt- und Kriminalität betrifft, eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei gibt.
Aber all dies ist erst in den Anfängen. Es ist im übrigen für den Leser auch wichtig wahrzunehmen, dass zum Beispiel keineswegs alle Türken oder Angehörigen sonstiger sog. islamischer Staaten auch Muslime sind, weder vom Namen her noch vom Glauben. Und selbst unter den „praktizierenden“ Muslimen gibt es viele, die abergläubische Sitten und unislamische Gebräuche an den Tag legen, für die sich jemand, der sich im Koran auskennt, nur schämen kann. Der Verführung standzuhalten, ist also für viele, die keine Glaubenspraxis haben oder sie nur in äußerlich-rituellem Sinne befolgen, äußerst schwierig. Kein Wunder, daß Selbstbetrug und Ausflüchte zunehmen und viele auf die schiefe Bahn geraten sind.
Was aber würde geschehen, so die abschließende Frage, wenn Moral und Glaube der Einheimischen weiter abnehmen und zugleich die Zahl der islamischen Migranten bzw. der nachfolgenden Generationen der Eingewanderten steigt? Werden sich dann die Muslime von ihrem neuen Heimatland total entfremden und es mit allen zur Verfügung stehenden Kräften „islamisieren“ wollen? Nun wird es ja schwerlich möglich sein, die eingebürgerten Muslime allesamt zu vertreiben, zudem gibt es ja bereits eine stattliche Anzahl von europäischen Konvertiten, so daß keine andere Möglichkeit bleibt, als nüchtern zu akzeptieren, daß durch Dialoge und Debatten auf selber Augenhöhe ein Klima geschaffen werden muß, in dem beide Seiten ihre Probleme darstellen können, ohne von vornherein als minderwertig abgestuft zu werden. Es wird Kompromisse geben müssen und hoffentlich auch ausreichende Gelassenheit, um nach dem Motto „leben und leben lassen“ zu einem ruhigen Nebeneinander zu finden, wenn nicht gar zu einem Miteinander, in dem sich die verschiedenen Kulturen und Weltanschauungen ergänzen. Das ist weder Wunschdenken noch eine Beschönigung der beunruhigenden Konfliktsituation, mit der wir es oft zu tun haben, sondern ein Gebot der Vernunft, daß zu überdenken ist, wenn wir uns nicht in Anti-Haltung und der Pflege von Feindschaftsgelüsten üben wollen.
Der Weg führt unabdingbar über das Kennenlernen, über die Mehrung von Wissen hinsichtlich des jeweils anderen, und ein möglichst großes Maß an Geduld und Toleranz. Miteinander reden ist dazu ein Mittel, das Erfolg verspricht. Gemeinsame kulturelle, gesellschaftliche, ökonomische und moralische Ziele auszuarbeiten, ein weiteres. Daß alle Betroffenen dazu guten Willen entwickeln, wünsche ich mir. Und dafür bete ich auch.