Unlängst bestieg ich ein Taxi, das mich vom Flughafen Schwechat in die Wiener Innenstadt zu bringen hatte. Der Fahrer war ein Schwarzafrikaner. In seinem Wagen lief nicht das übliche Ö3-Programm, sondern eine CD mit christlichen Gospels. Auf Nachfrage entpuppte sich mein Fahrer als nigerianischer Christ. Ich verließ den Wagen nach 20minütiger Fahrt mit dem Eindruck, daß mich mit dem tiefgläubigen Fahrer, ungeachtet seiner Herkunft, mehr verband, als mit vielen meiner in Materialismus und Hedonismus aufgehenden österreichischen Zeitgenossen.
Einige Zeit davor hatte mich eine kürzere, innerstädtische Taxifahrt in Wien ähnlich nachdenklich gestimmt: Ohne daß ich mit dem türkischen Fahrer zuvor irgend ein inhaltlich belangvolles Gespräch geführt hätte, meinte dieser, als wir bei einem Ampelstop auf einer Treppe hockende, rauchende Jugendliche erblickten: „Schauen Sie nur unsere demokratischen Jugendlichen! Sitzen auf der Straße und rauchen wie im Bazar von Istanbul – ach wo bist du Johann Strauß!“
Beide, der schwarze Christ und der türkische Muslim, schienen mir mit größerer Achtung der gewachsenen christlichen Kultur meines Landes gegenüberzustehen als so mancher meiner zeitgeistigen „Volksgenossen“.
Da war dieses junge Mädchen, eine Verlagsmitarbeiterin aus Stuttgart, die sich in ihrer freien Zeit für den Erhalt der Kultur südamerikanischer Indianerstämme engagierte. Auf meine Frage, ob sie da nicht verstehen könne, daß ich mich mit gleichem Engagement für den Erhalt unserer eigenen Kultur einsetzte, antwortete sie mir ehrlich verblüfft und ohne jede Spur von Zynismus: „Aber bei unserer Kultur gibt es doch nichts Erhaltenswertes!“ Da sind auch, von einer ganz anderen Seite kommend, diese Schreiben, die ich regelmäßig auf Probeheft-Aussendungen der „Neuen Ordnung“ erhalte, deren Absender mich in haßtriefenden Formulierungen fragen, ob die NO etwa irgendeine Sympathie für die „Pest vom Sinai“, die semitische Wüstenreligion des Judäo-Christentums, hege.
Als Christ weiß ich natürlich, daß einem gläubigen Muslim der Anspruch Jesu’, nicht bloß ein Prophet, sondern der wahrhaft in die Welt gekommene einzige Gott selbst zu sein, ein Skandal sein muß, den er nie akzeptieren, sondern höchstens tolerieren kann, wie bis heute auch in den meisten islamischen Ländern christliche und jüdische Minderheiten, unter strengen Auflagen freilich, weiter existieren dürfen. Als überzeugter Christ lehne ich freilich genauso die falsche Lehre der Religionsfreiheit ab, weil der Irrtum für sich kein Recht in Anspruch nehmen kann, sondern höchstens der Irrende aus verschiedenen Gründen zu tolerieren ist. So gibt es in der Religion des Islam viele Elemente, die mich nur befremden – wie etwa die Vorstellung der „Huris“, die dem Märtyrer im Paradies zur Verfügung stehen und nach jedem Geschlechtsverkehr erneut zur Jungfrau werden sollen und anderes mehr –, sodaß ich als den eigentlichen Urheber dieser Lehren kaum den Gott meines Verständnisses ausmachen kann. Gleichzeitig komme ich freilich nicht umhin, die spirituelle und moralische Kraft zu bewundern, die der Islam auf seine Gläubigen ausübt. Ja, es ist geradezu erhebend zu erkennen, wie hier eine religiöse Lehre auch und gerade von Konvertiten, wie Sie es sind, unter den Bedingungen unseres modernen Lebens ernst und verpflichtend genommen werden kann. Sehe ich mich im Christentum Europas um, geht mir dieser Ernst weitgehend ab. Da versenken „Künstler“ Kruzifixe in Urin und reklamieren für den solcherart geschaffenen „Piss-Christ“ den Status eines Kunstwerkes; da wird nicht bloß das Priestertum oder der Papst, sondern der eigentliche und tiefste Kern der christlichen Glaubensüberzeugung, der Opfertod Jesu Christi am Kreuz, in den Schmutz gezogen, in Karikaturen verhöhnt, in „Orgien-Mysterientheatern“ pervertiert – und niemand protestiert. Es ist ja nicht so, daß ich mir wünsche, daß bei uns solche „Künstler“, Publizisten, Karikaturisten und Aktionisten um ihr Leben fürchten müssen, weil ein religiöser Lehrer eine „Fatwa“ gegen sie ausgerufen hat – doch daß jede Form eines merkbaren, spürbaren, für die Betroffenen schmerzhaften Protestes ausbleibt, zeigt doch wohl, daß die meisten Christen inklusive des dazu eigentlich bestellten kirchlichen Personals ihren Glauben nicht mehr allzu ernst nehmen. Die Sorge um den Erhalt unserer Kultur, des christlichen Abendlandes resultiert daher gar nicht einmal in erster Linie aus der Ausbreitung des Islam in Europa, sondern vielmehr aus der Gleichgültigkeit der Christen hierzulande und der Erkenntnis, daß unsere Kultur weithin nicht mehr aus eigener Kraft lebt, sondern nur mehr von dem „Geruch der leeren Flasche“ zehrt, wie das Erik von Kuehnelt-Leddihn formuliert hat.
Und da kommen auch unsere nationalen Neuheiden ins Spiel. Seit bald 25 Jahren treffe ich immer wieder Exemplare dieser Spezies, versuche ihnen mit Respekt zu begegnen und stelle immer wieder dieselbe Frage: Woran glaubt Ihr denn? Eine Antwort habe ich noch nie bekommen. Dafür stets einen Schwall von teils begründeten, meist aber überzogenen, ungerechten oder schlichtweg auf dummem Unverständnis beruhenden Vorwürfen gegen das Christentum und seine Geschichte. Solches ist natürlich leicht, ebenso wie es leicht ist, Prophet Mohammed als Person oder dem Islam als Institution alle möglichen Unzulänglichkeiten, Widerwärtigkeiten und Grausamkeiten vorzuwerfen, indem man ahistorisch Einzelelemente aus dem geschichtlichen Kontext pickt, versunkene Epochen mit dem Leisten unserer Zeit mißt oder überhaupt in tendenziöser Absicht die Unterschiede zwischen der Lehre einerseits und der immer menschlich-allzumenschlichen, mit Sünden, Heuchelei, Schwächen und Irrtümern kontaminierten Praxis verwischt. Konkrete eigene Glaubensinhalte konnten mir meine „völkisch-neuheidnischen“ Gesprächspartner aber bisher nicht nennen. Allenfalls wurden philosophische Erwägungen vorgebracht, verkennend, daß „wahrer Glaube“ nicht als Postulat einer vorgegebenen, philosophisch oder politisch begründeten Weltsicht entstehen kann, sondern stets in der Transzendenz wurzeln muß, also in der existentiellen Erfahrung einer absoluten Wirklichkeit, der Existenz eines Gottes nämlich, die so real wird, daß neben ihr alles andere, die Erfahrung dieser Welt und sogar unser eigenes Sein selbst als verhältnismäßig blaß und unwirklich erscheint. Nur ein Glaube, der sich auf eine solche existentielle Erfahrung berufen kann, verdient diesen Namen wirklich, nur dann bedeutet „glauben“ etwas wahrhaft und existentiell anderes, als es dasselbe Wort im Satz „Ich glaube, daß es morgen regnen wird“ ausdrückt.
Aus dieser Erkenntnis heraus ist natürlich der Islam, der sich auf genau diese Erfahrung stützen kann, ein echter Gesprächspartner – oder zumindest Kontrahent –, im Unterschied zu den genannten völkischen „Propheten“, die vom Wesen wahren Glaubens keine Ahnung haben, sondern nur die dürftigen Ergebnisse ihrer beschränkten „Denke“ mit dem Ehrennamen eines „Glaubens“ zu überhöhen suchen. Da sie das Eigentliche nicht begriffen haben, tragen sie entgegen ihren Absichten auch nichts zur Bewahrung der Identität der europäischen Völker bei, sondern verstärken nur die Kräfte des Abbruchs und der Zerstörung. Und natürlich verbindet den europäischen Christen mit dem gläubigen Muslim auch in vielen gesellschaftspolitischen Fragen mehr als mit seinen ungläubigen linksliberalen Mitbürgern. Nicht umsonst haben die Muslime Oberösterreichs den Katholiken den Rücken gestärkt, als die dortigen Sozialisten darangingen, in den Schulen die Kreuze abzuhängen. Österreich sei ein christlich geprägtes Land, daher hätten hier lebende Moslems auch kein Problem mit Symbolen dieser Religion im öffentlichen Raum, erklärte die islamische Religionsgemeinde in Linz. Kein Zweifel, es gibt nicht wenige Bereiche, in denen die Gläubigen der großen Religionen prinzipiell Verbündete sind.
Doch auf dieser Ebene können wir heute nicht mehr stehenbleiben. Es geht ja nicht bloß darum, wie sich der lebenskräftige Islam zu dem müde gewordenen Christentum in Europa stellt bzw. wie wir uns dem Islam gegenüber verhalten. Es geht doch viel mehr, zwar nicht ausschließlich, aber doch zuallererst um die Frage der Zuwanderung und ihre schlichte Quantität, und das ganz, ohne die Politik auf die Biologie zu reduzieren zu wollen. Es geht darum, daß in allen europäischen Ländern die autochthone Bevölkerung schrumpft und diese Länder gleichzeitig an jenen Raum grenzen, der neben Schwarzafrika die mit Abstand höchsten Zuwachszahlen weltweit aufweisen kann, den islamischen Halbmond nämlich. Das heutige Europa mit seiner permissiven Anything-Goes-Kultur ist dabei sicher weder spirituell noch kulturell attraktiv für den youthbuldge, die immer mehr anwachsende Menge jugendlicher Muslime in Nordafrika und Vorderasien. Materiell und ökonomisch ist Europa hingegen nach wie vor schlechthin das attraktive Ziel, und je mehr es sich kulturell, geistig und seelisch entleert, desto mehr wird es, logischerweise, auch zum Missionsgebiet des Islam.
Und genau dadurch, nämlich durch diese gegensätzliche demographische Entwicklung in unmittelbar angrenzenden Regionen, ergibt sich nahezu mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes ein zunehmender Einwanderungsdruck in Richtung Europa. Diese Lage zwingt uns auch, die Frage nach dem Feind neu zu stellen. Die Antwort ist einfach gegeben: Der Feind ist in der Regel nicht der einzelne Andere, der einzelne Fremde, es ist die schiere Masse, die Zahl, die Quantität, die bedroht. Die meisten Immigranten sehen das nicht anders als die patriotischen Zuwanderungskritiker: Unlängst lernte ich in einer Wiener U-Bahn eine hübsche junge Nigerianerin kennen, die sich als Kellnerin und Gelegenheitsprostituierte über Wasser hält. Das begonnene Gespräch fand in einem Lokal seine Fortsetzung, und schließlich sprach ich sie direkt darauf an, wie sie damit umginge, daß die meisten Österreicher in zuwandernden Nigerianern in erster Linie Drogendealer sähen, da doch ein so übergroßer Prozentsatz von Asylwerbern aus diesem Land diesbezüglich straffällig würde. Meine Gesprächspartnerin antwortete mit verblüffender Offenheit, sie wäre der Überzeugung, daß die allermeisten nigerianischen Männer in Österreich Verbrecher wären. Sie habe Lagos verlassen, um genau jener Art von Männern zu entkommen, die sie nun als Asylwerber in Wien täglich sähe. Becky, so hieß die junge Frau, war heilfroh, in Österreich zu sein. Der österreichischen Aufnahmepraxis für Asylwerber und Zuwanderer aus aller Herren Länder stand sie dennoch grundsätzlich voll Unverständnis gegenüber, und diese Haltung ist kein Einzelfall. Eine junge Frau aus Südostasien, die ich einige Zeit vor der erwähnten Nigerianerin kennenlernte (und die sich, wie ich mutmaße, mit einer ähnlichen Job-Kombination über Wasser hält), sagte mir unverblümt, sie wäre ihrerseits froh, in Österreich zu sein, könne aber die grundsätzliche Haltung der österreichischen Politik zur Migration nicht nachvollziehen. Ihr Heimatland würde solches niemals zulassen. Österreich würde auf diesem Weg bald untergehen. – Fast jeder Ausländer, mit dem ich sprach, bestätigte diesen Grundgedanken.
Die Frage, auf welchem Wege wir die ewige Seligkeit erringen können, ist sicher existentiell. Ich fürchte jedoch, daß diese bald von der viel unmittelbareren Frage überlagert werden wird, wie wir in dieser durchaus begrenzten Welt ein durchaus begrenztes Stück Seligkeit für uns und unsere Kinder sichern können. Die Konfliktlinien sind diesbezüglich schon vorgezeichnet, und die Interessenslage eines jugendlichen Neu-Wieners, dessen vielköpfige Verwandtschaft noch zum größten Teil in irgendeinem islamischen Land Vorderasiens sitzt, ist eine fundamental andere als die unserer Söhne und Töchter, die mit diesem Jungen vielleicht die gleiche Schulbank gedrückt haben. Schon diese nüchterne Feststellung zeigt m. E. die künftige Hauptkonfliktlinie auf, Fragen des kulturellen Abstands und der religiösen Gegensätze verschärfen diese nur. Einen respektvollen Umgang der Religionen miteinander wünsche auch ich mir. Ob das aber die entscheidende Frage in den Konflikten der Zukunft sein wird, bezweifle ich.