Archiv > Jahrgang 2008 > NO IV/2008 > Der Leidensweg der Jugoslawiendeutschen 

Der Leidensweg der ­Jugoslawiendeutschen

Von Heinrich Rosenzweig

Letzter Akt der ethnischen Säuberung nach 1948

60 Jahre ist es her, als in Jugoslawien die Internierungslager für die Volksdeutschen aufgelöst wurden. Der Leidensweg der deutschen Minderheit unter dem Tito-Regime war damit aber längst nicht zu Ende. Es folgten bis weit in die 50er Jahre hinein Zwangsarbeit und Militärdienst, ehe endlich die Ausreise genehmigt wurde. Rund 1000 elternlose Kinder, die in staatliche Umerziehungsheime gebracht wurden, blieben für immer slawisiert zurück. Damit dieses weitgehend unbekannte Schicksal der deutschen Minderheit in Jugoslawien nicht völlig vergessen wird, legt nun Herbert Prokle eine erste systematische Darstellung der Jahre 1948 bis 1960 vor.

Der Weg der deutschen Minderheit Jugoslawiens nach Auflösung der Lager 1948“ lautet der Titel des in einer Auflage von 700 Exemplaren erschienen 144 Seiten starken Buches, das im Oktober von der in München ansässigen Donauschwäbischen Kulturstiftung (DKS) herausgegeben wurde. Das zweifellos größte Verdienst der DKS war die Veröffentlichung der 4000 Seiten starken vierbändigen Dokumentation „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien“, die zwischen 1991 und 1995 auf den Markt kam. Im Band IV „Menschenverluste – Namen und Zahlen“ beispielsweise wurden 60.000 der insgesamt 86. 000 Toten namentlich aufgeführt. Diese akribische Sammlung von Orts- und Erlebnisberichten (Band I und II) war umso wichtiger, weil in Jugoslawien bereits in den 50er Jahren die Archive systematisch von authentischen Hinweisen an Verbrechen an der deutschen Minderheit gesäubert wurden. Von diesen Säuberungsaktionen abgesehen, verwies Adalbert Karl Gauss in seinem 1950 erschienenen Büchlein „Kinder im Schatten“ auf die Bemühungen von Sawa Kossanowitsch, des jugoslawischen Gesandten in den USA, „nachzuweisen, daß keinem einzigen Schwaben in Jugoslawien ein Haar gekrümmt worden sei und alle diesbezüglichen Berichte von bösartigen Menschen ersonnene Märchen wären“. Diesen Vertuschungsversuchen wirkte die DKS mit ihrer umfangreichen Dokumentation eindrucksvoll entgegen. Untersucht wurden aber nur die Lagerjahre 1944 bis 1948. Deshalb ist es konsequent, dass die Kulturstiftung mit ihrer aktuellsten Veröffentlichung den Blick auf die Zeit nach 1948 lenkt. Prokle, 1933 im Banat geboren, 1945/46 über Rumänien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geflüchtet und von 1998 bis 2002 Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft Modosch (heute Jasa Tomic), wirkte bereits bei der Erstellung des Taschenbuchs „Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944–1948“ – eine Zusammenfassung der 4000seitigen Dokumentation auf rund 350 Seiten – mit. Seine Untersuchung über die Zeit nach 1948 hat nicht nur auf Grund der systematischen Darstellung Pioniercharakter. Hervorzuheben sind die zahlreichen jugoslawischen und deutschen Zeitdokumente der Betroffenen, die sich in Kapitel II über 40 Seiten erstrecken und zugleich die zeitgeschichtlichen Ausführungen (Kapitel I) stützen. Die sieben Erlebnisberichte in Kapitel III lassen die Zeitdokumente nicht nur als nüchterne Bausteine einer kalten wissenschaftlichen Analyse erscheinen, sondern machen deutlich, wie sehr sich dahinter unglaublich einschneidende persönliche Erlebnisse verbergen.

Schicksalsjahr 1948 – Der Opfergang ist nicht zu Ende

Einschneidend war zunächst einmal das Jahr 1948, weil die Lager für deutsche Zivilpersonen aufgelöst und die volksdeutschen Kriegsgefangenen aus der Gefangenschaft entlassen wurden. Über 50.000 Volksdeutsche waren in den Internierungslagern gestorben. Fast 100 000 Donauschwaben – bis auf eine kleine Minderheit in Slowenien waren alle Jugoslawiendeutsche Donauschwaben – befanden sich allerdings noch im Machtbereich des Tito-Regimes. Prokle geht der Frage nach, was mit ihnen geschah. Offenkundig falsch ist die Erklärung einer Lehrerhandreichung des Landes Baden-Württemberg, das immerhin offizielles Patenland der Donauschwaben ist, aus dem Jahre 2002. Dort heißt es beim Themenkomplex Umsiedlung, Flucht und Vertreibung über die Jugoslawiendeutschen: „Der Rest der Bevölkerung wurde bis 1949 aus den Lagern entlassen und über die Grenze nach Ungarn und Österreich abgeschoben.“ Der Opfergang der Donauschwaben war 1948/49 aber definitiv nicht zu Ende. „Sie wurden zwar nicht mehr ermordet, aber sie waren auch nicht wirklich frei“, stellt Prokle klar. „Die ganz große Mehrheit“ (Prokle) wurde direkt und ohne Mitspracherecht in Zwangsarbeitsverhältnisse überführt. Gerade in den Bergwerken sollten die Donauschwaben die entlassenen reichsdeutschen Kriegsgefangenen ersetzen. Die Zwangsverpflichtung war in der Regel auf drei Jahre begrenzt. Der Arbeitswohnsitz durfte nicht verlassen werden, der Betroffene erhielt keinen Personalausweis. Ohnehin war den Jugoslawiendeutschen durch die Beschlüsse des AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) vom November 1944 die Staatsbürgerschaft entzogen worden. Erst nach Ablauf der Zwangsarbeit, die durch Willkürakte des Arbeitgebers auch verlängert werden konnte, gab es die jugoslawische Staatsbürgerschaft zurück. Dies war, oberflächlich betrachtet, ein Fortschritt, weil die Volksdeutschen damit endlich wieder ihre bürgerlichen Rechte inklusive Freizügigkeit im ganzen Lande erhielten. Bei näherem Hinsehen war das für die Donauschwaben, die keinen anderen Wunsch hegten, als endlich das Land ihrer Peiniger verlassen zu dürfen, allerdings verheerend. Die jungen Männer wurden nämlich als Staatsbürger sofort für zwei Jahre zum Militär eingezogen. Aber auch für die übrigen Deutschen ging der Alptraum weiter, weil sie sich nun von der jugoslawischen Staatsbürgerschaft gegen eine hohe Gebühr loskaufen mußten, um eine Ausreisegenehmigung zu erhalten. Nur eine kleine Gruppe, welche die Einbürgerung konsequent verweigerte und sich von massiven Bedrohungen nicht einschüchtern ließ, konnte zu Beginn der 50er Jahre – weil staatenlos – verhältnismäßig unkompliziert ausreisen. Viele Donauschwaben mußten allerdings hart arbeiten und eisern sparen, um die Gebühr für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft aufzubringen. Das ist neben den langsamen Mühlen der Bürokratie der Hauptgrund, warum eine große Zahl von Donauschwaben erst Mitte der 50er Jahre Jugoslawien verließ.

Trauma durch Ausreise ­überwinden

Wirtschaftliche Aspekte spielten bei der Ausreise überhaupt keine Rolle. Das betont Rosalia Becker in ihrem Erlebnisbericht: „Der Grund war – und da kann ich im Namen aller Donauschwaben sprechen, die in den jugoslawischen Vernichtungslagern waren –, daß keiner, ich wiederhole keiner, auch nur einen Tag länger als er unbedingt mußte, in diesem Land bleiben wollte, wo so viele liebe Menschen, engste Verwandte und Freunde, auf brutalste Weise mißhandelt, ermordet und sadistisch dem Hungertod überlassen wurden.“
Becker ist eine Überlebende des berüchtigten Vernichtungslagers Rudolfsgnad, in welchem 11.000 Donauschwaben starben. Ihre Aussage ist absolut glaubwürdig. Zu berücksichtigen ist auch, daß das Wirtschaftswunder in West-Deutschland erst Mitte der 50er Jahre einsetzte. Die Überlebenden dieses Völkermordes – Völkerrechtler Dieter Blumenwitz kam in seinem 2002 erstellten Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, daß der Tatbestand des Völkermordes bei den Verbrechen an den Jugoslawiendeutschen erfüllt ist – sind traumatisiert. Stellvertretend für seine donauschwäbischen Landsleute erklärte Erhard Kausch, der frühere Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Modosch, in einem Interview mit der badischen Lahrer Zeitung: „Wir denken gar nicht mehr an eine Rückkehr in die alte Heimat, denn wir wollen unseren Nachkommen unser schreckliches Schicksal ersparen.“

Kinder bleiben zurück und werden slawisiert

Keine Ausreisemöglichkeit gab es zunächst für die in staatliche Heime verschleppten Kinder, deren Eltern gestorben, deportiert oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Nachdem im ersten Jahr in den Vernichtungslagern 6000 Kinder umgekommen waren, wurden 1946 die verbliebenen 7000 – rigoros von ihren Geschwistern getrennt – im ganzen Lande verteilt und einer systematischen ethnischen Umerziehung mit kommunistischer Indoktrinierung unterworfen. Im Band III „Erschießungen – Vernichtungslager – Kinderschicksale“ des oben erwähnten „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien“ schildert Stefan Hanitschak (Jahrgang 1938) seine 1946 im Erziehungsheim Jarmenowatz (Jarmenovac) erlebten Demütigungen:
„Zunächst wurden wir deutschen Kinder kahlgeschoren und unsere Köpfe mit Jodtinktur eingestrichen, so daß man uns schon von weitem erkennen konnte … Da wir deutschen Kinder nicht serbisch sprechen konnten, aber im Kinderheim auch nicht deutsch sprechen durften, haben wir uns zu zweit oder zu dritt ins Klo eingesperrt und uns gegenseitig unser Leid geklagt. Wenn man uns erwischt hat, bekamen wir Prügel, wurden im Keller eingesperrt und bekamen nichts zu essen und zu trinken … Jeden Tag mußten wir strammstehen und bekamen immer wieder zu hören, daß Tito unser Vater und der Staat unsere Mutter sei. Nach einem Jahr konnten wir kein deutsches Wort mehr sprechen und auch nicht verstehen.“
Nach der Auflösung der Lager 1948 wurden erneut alleinstehende Kinder in derartige Heime eingeliefert. Als dann die Eltern nach Deportation und Kriegsgefangenschaft von Deutschland beziehungsweise Österreich aus versuchten, ihre Kinder zurückzuerhalten, bestritt Jugoslawien schlicht deren Existenz und wehrte fünf Jahre lang eine Rückführung ab. Erst auf Vermittlung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, kirchlicher Organisationen und anderer engagierter Personen gelang es, die ihrer Familie zum Teil völlig entfremdeten Kinder auszulösen. Insgesamt siedelten zwischen 1950 und 1960 schließlich rund 75.000 deutsche Volkszugehörige legal aus Jugoslawien aus. Rund 1000 elternlose Kinder blieben jedoch slawisiert zurück. Nach einer Erhebung des Kirchlichen Suchdienstes in München befanden sich zu Beginn der 60er Jahre noch 17.868 namentlich bekannte Deutsche unter Titos Regime. Die Volkszählung von 1981 ermittelte für Jugoslawien 8000 Deutsche, in Serbien waren es um die Jahrtausendwende noch deren 4000. Zerstreut und zudem oft in Mischehen lebend, wird die deutsche Sprache kaum mehr verwendet. Während also die Donauschwaben aus Jugoslawien beziehungsweise dessen Nachfolgestaaten so gut wie verschwunden sind, geht es jetzt nur noch darum, daß ihr Leid nicht in Vergessenheit gerät. Das ist das letzte Anliegen von Prokle, der DKS und der Volksgruppe. Mit seiner Neuerscheinung hat Prokle einen wichtigen Beitrag für dieses Ziel geleistet.


Prokle, Herbert: Der Weg der deutschen Minderheit Jugoslawiens nach Auflösung der Lager 1948. München 2008. 144 Seiten, gebunden.­ISBN: 978-3-926276-77-3. Das Buch kann auch direkt bei Herrn Prokle, Firnhaberstr. 3, D-82340 Feldafing (Tel. 0049 – 8157 – 4050, Fax 0049 – 8157 – 4064) für neun Euro zuzüglich Versandkosten bestellt werden.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com