Das sogenannte Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) übt seit dem 11. Februar 1963 in der Alpenrepublik das Wächteramt über die politische Korrektheit aus. Obwohl in keiner Weise durch die Verfassung dazu legitimiert, wird diese Stiftung von der Republik Österreich, der Stadt Wien und dem Verein Dokumentationsarchiv gemeinsam getragen. Das DÖW ist somit nicht als staatliche Institution, sondern als Einrichtung der Zivilgesellschaft zu verstehen. Der Universitätsdozent und nationale Katholik Friedrich Romig darf diese Einrichtung folgerichtig ungestraft als „eine Art Privatstasi“ bezeichnen.
In rechten Kreisen gerät allerdings völlig aus dem Blick, daß für das DÖW der Feind zwar vorwiegend rechts steht, aber doch nicht ausschließlich. Seit Jahren nämlich suchen die Mitarbeiter dieser Denunziationsorganisation auch den „Rechtsextremismus“ auf der Linken. Besonderes Haßobjekt ist die marxistisch orientierte Antiimperialistische Koordination“ (AIK) mit Sitz in Wien.1 Dem AIK gehören unter anderen die beiden Wiener Marxisten und Publizisten Werner Pirker und Wilhelm Langthaler an.2 In einer Erklärung der AIK vom
26. Mai 2008 heißt es: „Seit Jahren führt das ‚Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes‘ (DÖW) gegen die ‚Antiimperialistische Koordination‘ (AIK) eine Verleumdungskampagne, die uns antisemitisches Gedankengut unterstellt. Diese Besudelungen haben nun einen neuen Höhepunkt erreicht: Der APA vom 16. Mai 2008 ist Folgendes zu entnehmen: ‚Die wissenschaftliche Leiterin des DÖW, Brigitte Bailer-Galanda, erklärte gegenüber der APA: ‚Die AIK kann dem ultralinken, antisemitischen Umfeld zugeschrieben werden.‘ Sie habe in den letzten Jahren ‚Positionen vertreten, Sympathien für den Holocaust, die in ihrer Art als antisemitisch bezeichnet werden können.‘“3 Hierzu stellte die AIK „unmißverständlich“ fest: „Weder die AIK als Organisation noch einzelne Mitglieder vertreten in irgendeiner Weise Positionen, die Sympathien für den Holocaust zeigen. Bailer-Galanda hat das frei erfunden bzw. vorsätzlich konstruiert. In unzähligen Stellungnahmen und Aktionen haben wir unsere Verurteilung des Holocaust und unsere antifaschistische und antirassistische Haltung unter Beweis gestellt, sind auf die Straße gegangen, als antifaschistisches Engagement noch nicht zum guten Ton der Mainstream-Gesellschaft gehörte, sondern als Linksradikalismus angesehen wurde.“4
Den Vorwurf des „Antisemitismus“ leitet das DÖW davon ab, daß die AIK mit dem Wiener Oberrabbiner Moishe A. Friedman in Kontakt steht, der wiederum im Dezember 2006 an der Holocaust-Konferenz in Teheran teilgenommen hatte und auch sonst mit Personen und Organisationen aus dem geschichtsrevisionistischen Spektrum zusammenarbeitet. Dies wird vom DÖW dann mit dem Umstand verknüpft, daß es sich bei der AIK um eine antiimperialistische, antiamerikanische und antizionistische Organisation handelt. Die Existenz eines völkischen jüdischen Staates wird jedenfalls von der AIK strikt abgelehnt. Und dies aus ideologisch nachvollziehbaren Gründen, die man als Außenstehender nicht zu teilen braucht. Da Marxisten wie die von der AIK die nationalstaatliche Ordnung als rückständig, nur vorläufig notwendig und völkisch strukturierte Staaten als „rassistisch“ betrachten, brauche es nur einen einzigen palästinensischen Staat für Juden und arabische wie christliche Araber zu geben. Daß die nationalistischen Juden (Zionisten) sich von der größeren Geburtenrate der arabischen Palästinenser bedroht fühlen – vor allem innerhalb Israels – ist nicht das Argument von Marxisten und auch nicht das der AIK. Der Vorwurf des „Antisemitismus“ geht schon deshalb völlig ins Leere, da Marxisten „Internationalisten“ sind, die eine Einteilung von Menschen in völkische und rassische Kategorien strikt ablehnen. Der Antizionismus der AIK richtet sich ausschließlich gegen den jüdischen Staat und nicht gegen eine semitische Rasse (der ja die Palästinenser wie die Juden zum Teil angehören).
Nach einer linken Solidarisierungskampagne zugunsten der AIK nahm das DÖW – wohl aus taktischen Gründen – den Vorwurf des „Antisemitismus“ zurück.5 Da es sich – von dieser konkreten Auseinandersetzung abgesehen – um einen tiefgreifenden ideologischen Konflikt auf der Linken zu handeln scheint, sollten wir uns damit näher befassen.
„Woher also dann die haltlosen und inakzeptablen Vorwürfe?“ – fragt sich die AIK. Die Antwort lautet: „DÖW & Co. verfolgen mit ihrer Verleumdungskampagne konkrete politische Zielsetzungen: Kritik an der Politik Israels und der mit Israel verbündeten Mächte soll diffamiert und damit mundtot gemacht werden. Die Neuinterpretation des Antisemitismusbegriffs ist ein wesentliches Instrument der politischen Strategie von DÖW & Co. Es geht keineswegs mehr um die Diskriminierung und Vernichtung von Juden. Der Begriff ‚Antisemitismus‛ soll vielmehr zum Synonym des Eintretens für die elementaren Menschenrechte der Palästinenser/innen gemacht werden. Um Israel über jedwede Kritik bzw. auch nur Beurteilung erhaben zu machen, muß die politische Ideologie des Zionismus unantastbar gemacht werden. Was dem im Wege steht – und seien es die schieren Menschenrechte der ursprünglich auf dem Territorium des heutigen Israel lebenden Menschen – muß in den Augen der Öffentlichkeit als grundsätzlich illegitim erscheinen. Das elementare Menschenrecht auf Selbstbestimmung wird so zum Antisemitismus, die Selbstverteidigung gegen Besatzung und Landraub zum Terrorismus uminterpretiert.“6 Weiter heißt es: „Wir akzeptieren nicht, dass die Vertreibung von rund einer dreiviertel Million Palästinenser/innen als vollendete Tatsache gilt, die nicht rückgängig gemacht werden darf, und wir akzeptieren nicht die systematische Diskriminierung der verbliebenen arabischen Bevölkerung in Israel.“7
Die AIK wirft dem DÖW vor, daß in einer „ideologischen Operation […] die Projektion des Holocaust nach außen“ erfolgen solle. „Der neue Holocaust droht nicht mehr von Seiten des Westens, wo er stattgefunden hat, sondern von außen. Den Holocaust, den machen immer die anderen. Der Westen schützt indes nur den ‚Staat der Holocaust-Überlebenden‘ […].“8
Indem die AIK auf die „Westliche Wertegemeinschaft“ (WWG) verweist, wirft sie sozusagen den Ball wieder ans DÖW zurück. Das ist auch nur zu konsequent, da die Ursache für die Brunnenvergiftung in der Ideologie des DÖW zu suchen ist. Diese „Art Privatstasi“ (Friedrich Romig) zählt nämlich zu dem etablierten Teil der Linken, der voll und ganz auf die WWG festgelegt ist. Das DÖW läßt sich einordnen in das Spektrum an prowestlichen Linksliberalen, Postkommunisten, Antinationalen (in der BRD die Antideutschen) sowie gewendeten Achtundsechzigern, die spätestens nach dem Scheitern des kommunistischen Ostblocks (1989/90) in der westlichen Zivilisation ihr „internationalistisches“ Projekt gefunden haben. Dazu gehört als Grundsatz die Holocaust-Zivilireligion als Gründungs- und Existenzlegitimation Israels. Der Kern der Legitimation ist die „Einzigartigkeit deutscher Verbrechen“.
Genau das ist aber das Problem der antikapitalistischen Linken, wozu die AIK gehört. Diesem Spektrum geht es darum, den Massenmord an den Juden, den das NS-Regime begangen hatte, in den kapitalistischen Kontext einzuordnen. Deshalb wirft die AIK dem DÖW und ihrem Umfeld vor: „Neu ist die Externalisierung des Holocaust. Letztendlich geht es darum, die Verantwortung des westlich-europäischen Imperialismus für den Holocaust loszuwerden und Schritt für Schritt dem antiimperialistischen Widerstand anzudichten. Die Realität soll auf den Kopf gestellt werden. Es ist kein Zufall, wenn die neuen Hitler immer dort auftreten, wo westliche Machtinteressen militärisch durchgesetzt werden sollen: Zuerst fand sich Auschwitz plötzlich im Kosovo wieder, dann in Bagdad, und nun scheint das absolut Böse in den Iran weitergewandert zu sein.“9 Weiter meint die AIK: „Wir kommen aus einer dezidiert antifaschistischen Tradition und haben die Verantwortung der kapitalistischen Eliten und ihrer plebejischen Klientel für den Holocaust bereits zu einer Zeit aufgezeigt, als dieselben Eliten den Antifaschismus noch als kommunistische Subversion bekämpften.“10
Demgegenüber geht es den Zionisten und ihren Helfern darum, Hitlers Judenmord den Deutschen und dem deutschen Nationalismus alleine zuzuschreiben, dieses Ereignis also aus dem Kontext der westlichen Zivilisation herauszulösen. Daniel Goldhagen sieht in der einzigartigen verbrecherischen Veranlagung der Deutschen den Grund für den Judenmord.11 Die linken Antiimps weisen aber zurecht darauf hin, daß der Massenmord allgemein zur kapitalistischen Moderne gehört. Hierbei berührt sich ihre Argumentation mit der von Vordenkern der nationalen Rechten. Hans-Dietrich Sander führte hierzu aus: „Die Liquidierung der Juden im Zweiten Weltkrieg war weder einmalig noch unvergleichlich. Sie waren für die Deutschen ein Zwischenspiel von ungewohnter Grausamkeit, für die Juden ein grausiger Akt der Normalität ihrer Geschichte. Die hohe Opferzahl war ein Signum des 20. Jahrhunderts, das ein Ausrottungsjahrhundert war. Sein Instrumentarium ließ selbst reguläre Kriege entarten. In Zeiten fieberhafter Vermehrung fallen offensichtlich Hemmungen für Massenausrottungen.“12 Daß es sich beim Nationalsozialismus um eine moderne Massenbewegung handelte, hat neben Rainer Zitelmann13 auch Karlheinz Weißmann14 belegt. Weißmann macht deutlich, daß die rabiaten Denkfiguren und Rezepte, der Massengesellschaft und Dekadenz Herr zu werden, schon Jahrzehnte bevor Hitler an die Macht gekommen war in den europäischen Eliten – auch auf der Linken! – diskutiert wurden. Hier seien nur als Stichworte der Sozialdarwinismus und die Eugenik genannt.15 Weißmann verweist auf den späteren Verfechter der Frankfurter Schule, Max Horkheimer, der schon 1939 schlußfolgerte, daß die „Ordnung, die 1789 als fortschrittlich ihren Weg antrat, […] vom Beginn an die Tendenz zum Nationalsozialismus in sich“ getragen habe.16
Auf den Zusammenhang von Massenverbrechen und Massengesellschaft wies bereits Gustave Le Bon hin. „Die Verbrechen der Massen“, schreibt er, „sind in der Regel die Folge einer starken Suggestion und die einzelnen, die daran teilnahmen, sind hinterher davon überzeugt, einer Pflicht gehorcht zu haben. Das ist beim gewöhnlichen Verbrecher durchaus nicht der Fall. Die Geschichte der Verbrechen, die durch Massen begangen wurden, läßt dies klar erkennen.“17 Le Bon wählt als Beispiel den Mord, den ein einfacher, stellenloser Koch nach der Erstürmung der Bastille am Gouverneur du Launay beging. Mit einem Messer schnitt er dem Gefangenen im Beisein der anderen Revolutionäre den Hals durch. „Hier zeigt sich klar“, so schlußfolgert Le Bon, „der früher festgestellte Mechanismus: Gehorsam gegen einen Einfluß, der um so mächtiger wirkt, weil er einer Gesamtheit entstammt, die Überzeugung des Mörders, damit eine äußerst verdienstvolle Tat getan zu haben, eine Überzeugung, die um so natürlicher ist, da er auf die einmütige Zustimmung seiner Mitbürger rechnen kann.“18
Historiker wie der Hitler-Biograph Joachim Fest19 hatten immer wieder darauf hingewiesen, daß dieser Mechanismus der Masse auch im NS-Regime zur Wirkung gekommen sei. Viele derjenigen, die hinter den Frontlinien als Vollstrecker von Massenerschießungen an Juden dienten, waren wohl der Auffassung, sie würden einer „rechtmäßigen“ Aufgabe nachkommen, da doch ihre Tat durch staatliche Organe „positiv“ legitimiert sei. Sicherlich war sich auch der Pöbel seiner Gutmenschlichkeit sicher, als er im Zuge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich 1938 in Wien daran ging, dort ansässige Juden mit Zahnbürsten den Gehsteig säubern und Rabbinern die Bärte abschneiden zu lassen.
Es wäre nun verfehlt, das Massenverbrechen ausschließlich der Moderne zuzuschreiben. Niedere Instinkte wird es auch in vorangegangenen Epochen gegeben haben. Auch Kreuzfahrer haben auf ihren Zügen Juden und andere Gruppen umgebracht, ähnliches ließe sich von der gewaltsamen europäischen Besiedlung von Nord-, Mittel und Südamerika sagen. Beispiele ließen sich auch aus der Antike aufführen. Schlimmer könnte es in vor- und frühgeschichtlichen Epochen zugegangen sein. Aber das moderne Massenverbrechen scheint eine neue Qualität zu vorangegangenen Epochen zu besitzen. Dies liegt wohl in zwei Ursachen begründet: Zum einen hat die bürgerliche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert schrittweise religiöse Normen, die ihren Maßstab in Gott haben, durch den Menschen als das Maß aller Dinge, den Individualismus und den Utilitarismus schrittweise ersetzt. Somit sind auch die Hemmungen vor traditionellen Tabus gefallen. Zunehmend müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob das, was technisch machbar ist und einzelnen Menschen bzw. Menschengruppen nutzt, auch umgesetzt werden sollte. Das reicht von der Atombombe, der Gentechnik bis zur Abtreibung. Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset brachte den Zusammenhang wie folgt auf den Punkt: „Denn was ist Gewalt anders als Vernunft, die verzweifelt […].“20
Zum anderen, das Thema ist schon angeklungen, bieten moderne Wissenschaften, Forschung und Technik den Menschen nun die Möglichkeit, Massenverbrechen auch wirklich in großen Massen durchzuführen. Zum einen sind seit der Entwicklung moderner Landwirtschaft die Ernährungsmöglichkeiten zum stetigen Bevölkerungswachstum vorhanden, zum anderen ist es durch moderne Nachrichten- und Tansporttechnik sowie Bürokratie nun erst möglich, den Massenmord wirklich umfassend – in Verdichtung von Raum und Zeit – zu organisieren. Für die alten Germanen war es nicht möglich, ein millionenfaches Massenverbrechen zu begehen. Zum einen lebten auf dem eigenen Territorum keine Millionen von Menschen, zum anderen hätte man damals keine Hunderttausende von Menschen in kurzer Zeit ermorden können. Dieses „Problem“ hat sich nun aber spätestens mit der technischen Errungenschaft Eisenbahn bzw. Dampfmaschine und Verbrennungsmotor, aber auch Telefon usw. erledigt. Nicht zu vergessen die Techniken der modernen Propaganda. Über Presse, Hörfunk, Fernsehen, neuerdings Internet können Regime ihre Massenverbrechen gegenüber den Massen rechtfertigen.
Insofern hat die Wiener AIK recht: Auch Hitler ist in diesen modernen Kontext einzuordnen. Der „Führer“ war ein unbedingter Bewunderer des modernen Fortschritts, vor allem in der Gestalt des westlichen Kapitalismus. Hitler bezeichnete seine Partei bloß aus taktischen Gründen – wie in Mein Kampf nachzulesen21 als „sozialistisch“. Hitler war sozial im Sinne der deutschen Volksgemeinschaft, dazu ein Bewunderer der kapitalistischen Moderne samt Industrieller Revolution. Vor allem bewunderte er den Fordismus moderner Fließbandfertigung in den USA.22 So wies Hitler am 20. und 21. Mai 1930 in einem Gespräch mit Otto Strasser dessen sozialistische Forderungen zurück, indem er auf die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Wirtschaftsführers pochte: „‚Das ist reiner Marxismus, was Sie [Otto Strasser; J. Schw.] hier sagen; das ist geradezu Bolschewismus. Sie führen das System der Demokratie, das auf dem Gebiet der Politik jenen Trümmerhaufen gemacht hat, den wir heute vor uns haben, nunmehr auch in der Wirtschaft ein und zerstören damit die ganze Wirtschaft. Damit machen Sie auch den ganzen Fortschritt der Menschheit hinfällig, der immer nur vom großen Einzelnen, vom großen Erfinder ausgeht.‘“23
Das Konzentrationslager der Nationalsozialisten war ja zuerst ein Arbeitslager und nur am Rande ein Vernichtungslager. Das Ziel bestand nicht darin, alle Gefangenen möglichst schnell umzubringen, sondern aus den arbeitsfähigen Insassen möglichst viel Arbeitskraft auszubeuten. Die Vernichtung von Juden und anderen Insassen war für den „nützlichen“ Fall vorgesehen: zum einen für den Fall, daß bei dem schnellen Vorstoß beim Ostfeldzug 1941 zu viele Gefangene gemacht wurden, für die noch keine Arbeitslager bereitstanden – so auch für die vielen Gefangenen der Sowjetarmee, die man verhungern bzw. verdursten ließ –; zum anderen für den Fall, daß in die Arbeitslager Juden und andere Personen eingeliefert wurden, die sich als arbeitsunfähig, zu krank oder zu alt erwiesen. Das gleiche geschah dann mit Gefangenen, die erst im Laufe der Zwangsarbeit an Arbeitskraft nachließen. In ihnen sah das Regime „Verschleißteile“, die auszusortieren seien – wie eben verschlissene Maschinenteile. Auch in diesem Zusammenhang besaß der Spruch „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen! – das ist das praktische Gebot des Sozialismus“ seine Bedeutung, wobei dieses Zitat von Lenin stammt.24 Die Auffassung, daß nur essen soll, wer auch arbeitet, hatte schon der Apostel Paulus vertreten.25 Sicherlich wäre ihm nicht eingefallen, dieses Gebot auch auf Alte, Kranke und Behinderte auszudehnen. Genau das taten dann aber moderne Gewaltpolitiker, denen ein metaphysischer Bezug fremd war, demzufolge jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist. Hingegen war für die modernen Staatsmänner Hitler und Stalin schon die Frage interessant, ob der Insasse eines Arbeitslagers sich im Arbeitsprozeß nützlich machen konnte oder nicht. Zu Recht weist der Marxist Robert Kurz auf die Herkunft des KZ hin: „Das KZ ist eine originär westliche Erfindung, die von der sowjetischen Entwicklungsdiktatur gewissermaßen importiert wurde.“26 So entstand das „grauenvolle System des Gulag […], ein gesamtgesellschaftlich organisiertes Netzwerk von Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern, das Millionen von Sträflingen erfaßte. Die menschliche Arbeitskraft wurde dabei in der rohesten Form vernutzt bis zum Tode, besonders für die Infrastrukturprojekte der Turboindustrialisierung. Allein der Bau der Moskauer U-Bahn verschlang Zehntausende von Arbeitssklaven.“27 Daß Systeme, die aus dem Klassenkampf hervorgegangen sind, eine Affinität zur Gewalt besitzen, dürfte auf der Hand liegen. Der nationale Syndikalist George Sorel hat auf diesen Zusammenhang hingewiesen.28
Daß nun der Geschichtsrevisionist Ernst Nolte auf das Vorbild des sowjetischen Gulags für das deutsche KZ hinweist, bereitet dem Marxisten Robert Kurz sichtlich Unbehagen.29 Aber dennoch, so Kurz, war das „KZ […] nämlich ursprünglich ein Produkt des westlichen Kolonialsystems im späten 19. Jahrhundert […].“30 Das spanische Wort „campos de concentración“ sei bereits 1896 auf Kuba aufgetaucht, als der spanische General Valeriano Weyler y Nicolau einen Aufstand niederschlug und die gefangenen Bauern in diesen neuen „KZs“ internieren ließ.31
Solches historisches Wissen bewegt freilich linke Antiimps nicht dazu, die Singularität des deutschen KZ völlig zu bestreiten. Das Wiener AIK bestreitet zwar nicht die offiziell durch die Nürnberger Prozesse von 1946 festgelegten Opferzahlen und Tötungsmethoden im Vollzug des Judenmords zwischen 1933 und 1945, aber indirekt findet bei dieser linken Lesart wohl doch eine „Relativierung“ dieses Massenverbrechens statt. Der „Holocaust“ wird nämlich von der AIK in den Kontext der WWG eingeordnet. Auch Robert Kurz relativiert den Holocaust, auch wenn er sich dies nicht eingestehen mag: „Es ist oft von der Singularität des Menschheitsverbrechens Auschwitz gesprochen worden. Das trifft zwar insofern zu, als Auschwitz eine einmalige Dimension des Verbrechens enthält, die über bloßen Haß, über bloße Grausamkeit und Barbarei ebenso hinausgeht wie über einen Massenmord aus politisch-ökonomischen Nutzenkalkülen. Aber dieser Begriff der Singularität dient gleichzeitig den westlich-demokratischen Ideologen dazu, Auschwitz aus der deutschen Geschichte, aus Demokratie, Kapitalismus und Aufklärungsvernunft hinauszumythologisieren.“32 Und weiter führt Kurz aus: „Alle Grundelemente des Denkens, das zu Auschwitz geführt hat, entstammen dem breiten Strom der Modernisierungsgeschichte und ihrer Ideologisierung.“33 Deshalb lautet des Autors Fazit auch: „Solange aber der Kapitalismus nicht erledigt ist, kann auch Auschwitz nicht wirklich Geschichte werden.“34
Bei den linken Antiimps erscheint Hitler als nationaler und sozialer Kapitalismusbefürworter, der bevölkerungspolitisch nur das zugespitzt hat, was von den bürgerlichen Aufklärern der westlichen Moderne längst vorgedacht war. Somit verlöre aber die „Einzigartigkeit“ ihre Exklusivität. Genau diese Analyse der AIK kann nun wirklich nicht vom politisch korrekten DÖW geduldet werden. Sicherlich ist dem DÖW auch folgende Stellungnahme der AIK in Erinnerung geblieben, die diese Organisation anläßlich der Holocaust-Konferenz, die im Dezember 2006 in Teheran stattgefunden hatte, veröffentlicht hatte. Die AIK läßt in der Erklärung deutlich erkennen, daß das Recht auf Meinungsfreiheit auch historischen Revisionisten zusteht: „Die um sich greifenden Verbote der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Leugnung des Holocaust, sind eine politische Auflage, ja die einzige Existenzgrundlage für die kleine Gruppe von Apologeten des Nazi-Regimes. Deren Argument ist einfach: ‚Wer Meinung verbietet, muß etwas zu verbergen haben.‘ Insbesondere in der arabisch-islamischen Welt wird dadurch die Empfänglichkeit der aufgebrachten und gedemütigten Massen für die Propaganda der Holocaust-Leugner aus dem Westen nur vergrößert. Meinungsfreiheit beinhaltet auch das Recht, etwas Falsches behaupten zu dürfen. Und das umso mehr, als es sich dabei um eine verschwindende Minderheit handelt. Bekämen sie das Recht zu sprechen, würden ihnen noch weniger Menschen zuhören – vor allem auch nicht in der arabisch-islamischen Welt. […] Israel und die heute dominante zionistische Zivilreligion sollen heiliggesprochen und damit unantastbar werden. Wer nicht dem Dogma huldigt und Israel das Recht auf Vertreibung eines ganzen Volkes abspricht, muß bestraft werden. So wie damals die Antifaschisten als Banditen verfolgt wurden, so heute die Antiimperialisten als Antisemiten und Terroristen. Uns ist das Recht auf freie Meinungsäußerung heilig, und dieses betrifft immer, wie Rosa Luxemburg schon bemerkte, die Andersdenkenden. Diese können Richtiges und Unterstützenswertes, aber auch Falsches und Verurteilenswertes sagen. Wir lehnen jedenfalls einen staatlichen Zensor über politische Meinungen als antidemokratisch ab, die sich im Hauptstoß letztendlich immer gegen die Kräfte richten wird, die für soziale Gerechtigkeit und die Macht des Volkes eintreten.“35
Das ist nun eine Position zur Meinungsfreiheit, wie sie vom DÖW nicht geduldet werden kann. Für linke Gutmenschen vorbildlicher ist da allemal der Bundesvorsitzende der Linkspartei Oskar, der ja auch zu den linken Antiimps gezählt wird, der es aber als „unerträglich“ empfand, als im Dezember 2006 „unter dem Vorwand der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit eine Veranstaltung von Holocaust-Leugnern“ in Teheran „durchgeführt“ wurde, „um das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen“.36
1 Siehe: www.antiimperialista.org/index.php
2 Wilhelm Langthaler und Werner Pirker: Ami go home. Zwölf gute Gründe für einen Antiamerikanismus. Promedia, Wien 2003.
3 Vgl. www.antiimperialista.org/index.php
4 Ebenda.
5 www.antiimperialista.org/index.php=
5707&Itemid=237
6 Ebenda.
7 Ebenda.
8 Ebenda.
9 www.antiimperialista.org/index.php=
5707&Itemid=237
10 www.antiimperialista.org/index.php=
5695&Itemid=237
11 Vgl. Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996.
12 Hans-Dietrich Sander: Die Auflösung aller Dinge. Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne. Castel del Monte. München o. J. (= Streitschriften 1), S. 173–174.
13 Rainer Zitelmann und Michael Prinz: Nationalsozialismus und Modernisierung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994. – Rainer Zitelmann: Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart 1989.
14 Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890–1933. Herbig, München 1998. – Karlheinz Weißmann: Alles was recht(s) ist. Ideen, Köpfe und Perspektiven der politischen Rechten. Leopold Stocker Verlag, Graz/Stuttgart 2000 (vor allem das Kapitel „Nationalsozialismus und Moderne“, S. 225–241).
15 Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus, ebd., S. 119–124.
16 Zitiert nach ebd., S. 5.