„Ich habe“, nuschelte er wild, „immer von einer Schar Männer geträumt, eisern entschlossen, bedenkenlos in der Wahl ihrer Mittel, stark genug, sich selbst rundherum als Vernichter zu bezeichnen, frei von dem entsagungsvollen Pessimismus, der die Welt vergiftet, ohne Mitleid mit irgendeinem Lebewesen, sie selbst eingeschlossen – der Tod im Dienste der Menschheit.“ (Joseph Conrad, Der Geheimagent)
Zum besseren Verständnis der beiden Protagonisten sei uns eine kurze Vorbemerkung gestattet. Horst Mahler trafen wir zum ersten Mal im Oktober 1968, als er vor der Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts im Prozeß gegen die Kaufhausbrandstifter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein als einer der Rechtsanwälte auftrat. Mahler kam aus dem Berliner SDS, war aber wohl während seines Jurastudiums auch Mitglied einer Studentenverbindung. Seinen Weg in den RAF-Terrorismus nahmen wir mit Erstaunen zur Kenntnis. Zwar hatte er nicht die intellektuelle Brillanz eines Hans-Jürgen Krahl, aber ein hochintelligenter Kopf war er allemal, dazu völlig furchtlos gegenüber jeglicher Autorität und von einer bemerkenswerten Charakterfestigkeit.
Es dauerte über dreißig Jahre, bis wir uns in Frankfurt wiedersahen. Er hatte Ende der neunziger Jahre in Berlin die sogenannten „Montagsdemonstrationen“ auf die Beine gestellt, die gegen die zunehmende Überfremdung protestierten. Als sich auch in Frankfurt eine parteiunabhängige Bürgerinitiative mit dem gleichen Anliegen gründete, bot Mahler den Initiatoren seine Unterstützung an. Die war zunächst auch durchaus willkommen, doch schon bald kriselte die Beziehung zwischen der im Wortsinne bürgerlichen Bürgerinitiative und Mahler, dessen Radikalität und Kompromißlosigkeit nur die wenigsten der Frankfurter „Montagsdemonstranten“ teilten. Konfrontationen mit gewalttätigen linksextremen „Antifaschisten“, die zudem in zehnfacher Übermacht auftraten, wollten sich die zumeist älteren Mitglieder der Bürgerinitiative nicht zumuten. Als klar wurde, daß Mahler die Bürgerinitiative für seine Zwecke instrumentalisieren wollte, trennte man sich. Horst Mahler gab dann seine Abschiedsvorstellung in einem von Linksextremisten besetzten Zentrum in Bockenheim, weil er die „jungen Deutschen“ dort unbedingt vom „gemeinsamen Kampf“ überzeugen wollte. Zwar kam er noch lebend aus dem Laden heraus, hatte jedoch zwei blaue Augen und konnte sich gerade noch in ein zufällig vorbeifahrendes Taxi flüchten.
1999 erschien dann die „Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968“, die eigentlich als Solidaritätsadresse für den von den Linken an der Universität schikanierten ehemaligen SDSler Bernd Rabehl gedacht war. Auch Rabehl hatte sich von seinen früheren linksradikalen Ansichten gelöst, und wenn Linke etwas überhaupt nicht ertragen können, dann sind es Renegaten. Ziel der „Kanonischen Erklärung“ war es, der 68er-Revolte eine nationalrevolutionäre Deutung zu geben. Tatsächlich gab es diese Strömung jedoch nur im Berliner SDS unter DDR-Abhauern wie Rabehl oder Rudi Dutschke. Die Unterzeichner der Erklärung, die Ex-SDSler Horst Mahler, Günter Maschke und Reinhold Oberlercher, beschrieben 68 jedoch als „zweiten deutschen Aufstand gegen die Weltherrschaft des Kapitals“ – der erste fand nach dieser Lesart 1933 statt –, verglichen den SDS mit der Jenenser Urburschenschaft und bezeichneten die RAF als „Waffen-SDS“.
Doch die RAF war kein „Waffen-SDS“, sondern spätestens seit der zweiten Generation eine heimtückische Mörderbande, die intellektuell nicht einmal in der Lage war, theoretische Erklärungen zu verfassen, sondern nur noch blindwütig um sich schießen und grausame Gemetzel veranstalten konnte. So mußten wir den Unterzeichnern, die gern noch einen vierten Ex-SDSler dabei gehabt hätten, leider eine Absage erteilen.
Dies als Vorbemerkung zu Horst Mahler, der sich seit seinen NPD-Eskapaden und seiner offenen Sympathie für den Nationalsozialismus nicht nur ziemlich weit vom aktuellen gesellschaftlichen Diskurs entfernt hat, sondern inzwischen geradezu als Gegenbild zur angeblichen demokratischen Aufgeklärtheit und als böswillige Karikatur einer fanatischen „Rechten“ herhalten muß, die die wunderbaren Segnungen der Aufklärung offenbar nie empfangen hat. In der Tat ist er heute ein überzeugter Nationalsozialist, doch eine ernsthafte Debatte darüber konnte mit einem Gesprächspartner wie dem früheren Fernsehkasper Michel Friedman alias Paolo Pinkel natürlich nicht zustande kommen. So wurde auch mangels einer präzisen Fragestellung aus dem Interview in „Vanity Fair“ eine eher surrealistische Vorstellung.
Mahler begrüßt seinen Interviewer mit einem zackigen „Heil Hitler, Herr Friedmann“, und Friedman fällt auf diese Provokation nichts Besseres ein, als Mahler deswegen und wegen seiner späteren Leugnung des Holocaust wegen Volksverhetzung anzuzeigen. Bereits da wird spürbar, wie hinter der in dreihundert Jahren reichlich verschlissenen Fassade des Liberalismus unübersehbar die nackte Angst ihrer nervös-hysterischen Verteidiger hervorlugt. Im übrigen juckt einen wie Mahler, der Adolf Hitler als „Erlöser des deutschen Volkes“ und seine Gefängniszeit als „nützlich“ bezeichnet, weil man da „Dinge tun kann, zu denen man sonst nicht kommt“, eine Anzeige vermutlich relativ wenig, ganz abgesehen von ihrem höchst geschmäcklerischen Denunziationsgehalt. Wenn Mahler seine „Sehnsucht nach dem Deutschen Reich“ gesteht und erklärt, daß er das Grundgesetz nicht anerkennt, durchaus aber die „deutschen Reichsgesetze“, attestiert ihm der Hobby-Psychologe Friedman eine „Paranoia“, ohne nachzufragen, was er denn nun eigentlich konkret mit „Fremdherrschaft“ meint. Ein Zitat von Martin Buber („Die Judenheit ist das Nein zum Leben der Völker“) ist Friedman zu „kompliziert“. Und während Mahler über die „Doppelnatur des Menschen“ doziert und korrekt anmerkt, dass die Juden eine „heilsgeschichtliche Aufgabe“ haben, möchte Friedman „gerne über Horst Mahler reden“.
Natürlich kommt so kein Gespräch zustande, und das war wohl auch von Anfang nicht geplant. So erlebt der Leser auf sage und schreibe 16 Druckseiten neben dem Ressentiment und den trivialen, einfallslosen Fragen des Interviewers, die von dunklen Akkorden begleiteten, düster beschwörenden Töne des Interviewten, die bisweilen etwas Raunendes und dann wieder Erleuchtetes annehmen. Selbst bei Mahlers Phrase, daß „der deutsche Volksgeist letztlich über den jüdischen Volksgeist siegen wird“, springt der Funke nicht über. Auch mit Mahlers anschaulichem Bericht über seine militärische Ausbildungszeit in den Palästinenserlagern, wo die Fedayin die Freunde aus Deutschland mit Hitlerbildern begrüßten und gleichzeitig ein paar hundert Meter weiter bei einer anderen Palästinenserorganisation deutsche Rechts-Terroristen an der Kalaschnikow ausgebildet wurden, kann Friedman nichts anfangen. Wieso dies Mahler und seine RAF-Genossen „peinlich berührt“ habe, fragt er nach und offenbart damit, daß auch bei manchen Journalisten die Schuhgröße mit ihrem IQ identisch ist. Schließlich setzt schlimmste Katerstimmung beim Leser ein. Schal wie Partyreste schmecken die Friedmanschen Fragen und die überkandidelten Abgedrehtheiten und Abstrakta Mahlers, bei denen von der biologistischen Metapher vom Schmarotzer und vom gesunden Wirt, der Verschwörungsphantasie bis hin zum eliminatorischen Wunsch wirklich nichts fehlt. So findet zusammen, was zusammengehört.
„Vanity Fair“, die publizistische Entsprechung der RTL-Comedy-Show, als das Endstadium der Aufklärung, die es gegen die Bonsai-Savonarolas des neonationalsozialistischen Sektenwesens mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gilt? Das trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf. Wer darin aber nur eine Form unfreiwilliger komischer Selbstkritik zu erkennen vermag, kann eigentlich selbst nur noch in Kategorien denken, an deren Ende der geistige Amoklauf steht. Horst Mahler dem unbeirrbar Irrenden, wäre ein anderer, besserer Interviewer als ausgerechnet Michel Friedman zu wünschen gewesen, der intellektuell nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, die nationalsozialistische Diktatur innerhalb der Modernisierungsgeschichte anzusiedeln, sie von den Füßen auf den Kopf zu stellen und endlich als das zu begreifen, was sie tatsächlich war: eine apokalyptische Blutopferideologie mit ungeheurer Katastrophenpotenz, aus deren Inferno das Gespenst des Stahlgewitter-Irrationalismus mit Hekatomben von Schlachtopfern hervorkroch.