Archiv > Jahrgang 2008 > NO I/2008 > Das letzte Wort hat Richard Wagner 

Das letzte Wort hat Richard Wagner

Von Andreas Molau

Mit Katharina Wagner wurde der Grüne Hügel  endgültig zum Jahrmarktsplatz

Es kann eigentlich kaum noch schlimmer kommen. Diese resignative Haltung pflegt manch geplagter Zeitgenosse inzwischen in fast allen Bereichen des Lebens zu haben. Und so oft, wie dieser Satz gedacht oder ausgesprochen wird, so oft wird er von der Wirklichkeit eingeholt und in trauriger Weise überflügelt.

Als Emil Mayer-Dorn seinerzeit mit Zorn im Herzen einen Richard von Weizsäcker geißelte, konnte man – dem Himmel sei Dank – noch nicht ahnen, wieviel Niveauabsturz man von Johannes Rau über Horst Köhler bis hin möglicherweise zu Edmund Stoiber noch würde erleben können. Nicht zufällig war Helmut Schmidt, nach dem Heckenschützen Willy Brandt, Wehrmachtsoffizier, während Helmut Kohl sich aufgrund seiner späten Geburt nur noch an der Flak zu schaffen machen konnte; vom FDJ-Kader Merkel mal ganz zu schweigen. Es gibt immer noch Steigerungsmöglichkeiten.
Und was für die Politik gilt, das gilt leider auch für die Kultur. Wenn Kritiker der ›Negermusik‹ in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts geahnt hätten, was uns heute über Funk und Fernsehen angeboten wird, hätten sie vermutlich jeden Jazztempel angebetet. Nicht anders sieht dies mit dem so genannten Regietheater aus, das zwar inzwischen in die Jahre gekommen, aber trotzdem, wie man ironisch vermerken möchte, immer noch so einfallslos wie eh und je ist. Noch immer reißen schöpferische Pygmäen ungestraft die Heldenstücke abendländischer Kultur auf ihr eigenes jämmerliches Niveau herab, und es gibt immer noch Menschen, die dem Beifall zollen.
Es ist ja nicht so, daß die Steigers, Autant-Laras oder Eichlers nicht lange schon gewarnt und kritisiert hätten. Freilich bleibt der geistlose Kulturbetrieb dieser Tage, von ›modern‹ möchte man beim besten Willen nicht sprechen, trotzdem so lange Thema, wie der letzte deutsche und europäische Kulturtempel besudelt wird. Und dazu gehört eben die Wagner-Urenkelin Katharina, die den Grünen Hügel in diesem Jahr endgültig zum billigen Jahrmarktsplatz degradiert hat. Mit der Absetzung der alten Tannhäuser-Inszenierung von Phillippe Arlaud ist Bayreuth in der Bundesrepublik angekommen. Arlauds vom Feuilleton gescholtenes Regiewerk war der heimliche Liebling des Publikums und mußte allein schon deshalb suspekt erscheinen. Auch Arlaud selbst, der seine Arbeit heute in der Rückschau als so wortwörtlich „scheiße“ empfindet und neuerlich lieber etwas mit „Blut und Sperma“ machen würde, streut Asche über sein Künstlerhaupt. Die Halle des Wettstreites der Sänger in der abgesetzten letzten normalen Inszenierung wird ebenso schöne Erinnerung bleiben wie das Einströmen des Chors der Pilger aus den schier unendlich wirkenden Tiefen der Bayreuther Bühne. Pathos und Würde machen dem gestörten Bundesrepublikaner nur noch Angst. Das deutsche Feuilleton, selbst zu keiner kulturellen Leistung fähig, attestierte Arlaud dann auch „Belanglosigkeit“, weil er keinen eigenen Tannhäuser inszeniert habe.
Nun hätte niemand etwas dagegen, wenn bundesdeutsche Regisseure selbst Opern schreiben würden. Immerhin wüßte der Opernliebhaber dann wenigstens, was ihn erwartet. Und sie könnten diese dann auch getrost „Tannhäuser“ oder „Meistersinger“ nennen. Auch eine zeitgemäße Inszenierung ist denkbar, allerdings nur dann, wenn man sich wenigstens auch nur annähernd der Größe des Vorbildes annähert. Es gilt auch für die Rezeption von Kunst, was Friedrich Nietzsche über den Umgang mit der Geschichte im allgemeinen schrieb: „Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten, nur in der stärksten Anspannung eurer edelsten Eigenschaften werdet ihr erraten, was in dem Vergangenen wissens- und bewahrungswürdig und groß ist. Gleiches durch Gleiches! Sonst zieht ihr das Vergangene zu Euch nieder.“
Um dieser Forderung genüge zu tun, genügt es leider nicht, den gleichen Namen zu tragen. Auch die ständige mediale Wiederholung der ungenügenden geistigen Tiefe – an die 160 Interviews durfte die Wagner-Enkelin geben – macht den Blödsinn, den Katharina Wagner schon auf anderen Bühnen verzapft hat, nicht besser. Immerhin blieb dem Zuschauer ein „Planet der Affen“ erspart. Aber das war es dann auch schon. Einer Zuschauerverhöhnung konnte sich die Bayreuth-Debütantin trotzdem nicht versagen. Die Buh-Rufe der Pilger auf den Grünen Hügel nehmen sich allerdings bundesrepublikanisch zahnlos aus. Wie in der Politik murrt man allenfalls. Die Wahl bleibt in der Regel auch hier gleich. Es scheint die Devise zu gelten: Beleidigt mich, tretet mich, verhöhnt mich – ich werde Euch trotzdem unterstützen.
Und so erfolgte nun also die rituelle Beschneidung der „Meistersinger“. Moralische Niederlagen werden immer erst dann komplett, wenn sie von den Besiegten selbst zelebriert werden. Was für die Umerziehung insgesamt gilt, gilt so auch für Bayreuth. Daß die Urenkelin selbst die Axt an Wagner legt, ist Triumph für diejenigen, die Deutschland hassen. Hans Sachs geht jetzt barfuß, klammert sich an Reclamhefte und wird als gelangweilter Existentialist zwischen Malpinsel und Schreibmaschine dargestellt – wie originell. Für Ritter ist bei Frau Wagner kein Platz mehr. Wer die Romantik als geistigen Vorhof von Auschwitz diagnostiziert hat, verbietet sich so etwas von selbst. Deshalb prostituiert Frau Wagner Walter von Stolzing zum Dandy – Schlingensief läßt grüßen. Und weil Turnschuhe seit Joschka Fischer so etwas Kritisches haben, regnet es in Bayreuth auch gelegentlich Turnschuhe. Nichts kann so platt sein, als daß man es nicht auf die Bühne bringen würde.
Was die Journaille so unglaublich freut: Endlich wird die angebliche NS-Geschichte des Werkes thematisiert. Sachs wird zum Schubladennazi. Das Publikum selbst wird, wie gesagt, beleidigt, indem seine angebliche Intoleranz auf eine Stufe mit politischem Totalitarismus gestellt wird, wie ihn die Regisseurin offenbar kritisieren will. Frei nach dem Motto: Wer Regie-Theater ablehnt, ermordet auch Juden. Psychisch angeknackst, muß Katharina Wagner ganz offensichtlich deutsche Kultur in den Schmutz ziehen. Den Puppentanz deutscher Größen mit Goethe und Schiller begleitet auch Wagner in Unterhose, und schließlich darf auch Adolf selbst, mit verkehrtem Gesicht, nicht fehlen. Als Regisseur und Dirigent in Kasperltheater-Manier während der Aufführung in die Kiste gesteckt werden, kommt zaghafter Szenen­applaus auf. Als Sachs die Kiste anzündet und schließlich aus der Truhe einen goldenen Hirsch herauszieht, verbreitet sich Fassungslosigkeit – jedes Publikum hat das Theater, das es verdient, möchte man höhnisch einwenden.
So kann man beide Gruppen nicht ernst nehmen: Die Bravo-Rufer nicht, weil kein normaler Mensch sich fortwährend beleidigen läßt, und die Buh-Rufer nicht, weil sie den Beteuerungen keine Taten folgen lassen. Man muß sich den Mist ja nicht antun. Nach Bayreuth kann man vor der Hand erst wieder gehen, wenn man hier eine national befreite Kulturzone daraus gemacht hat. Bis dahin sollte man sich also in der Regel auf konzertante Opernaufführungen oder Musikkonserven verlegen.
Gerade weil in diesem Zusammenhang immer wieder auf das Dritte Reich hingewiesen wird oder auf etwaige Geistesverwandtschaften: Man kann dem Mann aus Braunau vieles ankreiden, in Bayreuth hat er keinen Zweifel aufkommen lassen, wer Herr im Hause ist. Das unterscheidet ihn von heutigen Zeitgenossen. Insofern wäre ein gewisser Respekt das grundlegendste, was Katharina Wagner ihrem Ur-Großvater hätte entgegenbringen können. Mit Mut haben solche Zeitgeistinszenierungen schließlich überhaupt nichts zu tun. Nichts ist – zu jeder Zeit – mutloser als der Kotau vor dem Zeitgeist. Mutig wäre gewesen, wenn Frau Wagner das Werk, und nicht sich selbst zu deuten versucht hätte. Mutig wäre ein Fanal des Über-Sich-Selbst-Hinauswachsens gewesen, und nicht das kleinlaute bundesrepublikanische Schuldkauern.
Tröstlich ist bei all dem nur, daß man die Musik kaum kastrieren kann – in Berlin war ja selbst dies schon bei Wagner unternommen worden. Und so gilt noch immer weitgehend das, was Karl Richter in seinem Wagner-Buch Visionen festgestellt hat: „Man muß sich schon sehr viel einfallen lassen, um Wagner in seinem eigentlichen Anliegen zum Verstummen zu bringen. Mit der Streichung des Drachens in ›Siegfried‹, des Schwans in ›Lohengrin‹ und der Waldaue im dritten Parsifal-Akt ist es nicht getan.
Das macht Wagner so gefährlich – gefährlich im Dafürhalten einer Epoche, die nicht mehr denken mag, was er dachte, für die seine Utopien nur mehr Horrorgemälde sind und die gebetsmühlenartig Auschwitz wiederkäut, wenn von seinen Spätschriften die Rede ist: daß er das letzte Wort zu behalten droht, sowie seiner künstlerischen Hinterlassenschaft Raum gegeben wird.“
Das, so kann man aus heutiger Sicht anfügen, wird auch Katharina Wagner nicht verhindern können. Und jeder politischen Befreiungsbewegung sei gesagt, daß Befreiung immer im kulturellen Bereich anfängt.

Mit freundlichen Genehmigung von: Deutschland in Geschichte und Gegenwart (DGG), Heft 3/07.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com