Von Wolfgang Dvorak-Stocker
Gerard Sonnenschein ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Graz. In einem Interview spricht er am 9. November 2008 im Lokalblatt „Kleine Zeitung“ davon, daß noch in den 1950er Jahren in Österreich aus Juden hergestellte Seife verkauft worden wäre. Ein ungeheurer Vorwurf. Im demokratischen Österreich, womöglich noch unter den Augen der Alliierten, haben skrupellose Elemente die Überreste der in den KZs ermordeten Juden zu Geld gemacht, ohne daß die Behörden dagegen eingeschritten wären. Müßte ein solcher Vorwurf nicht offizielle Untersuchungen nach sich ziehen? Wer hat die aus Judenfett hergestellte Seife verkauft und wie ist er an diese Bestände gekommen? Warum sind die Behörden nicht eingeschritten? Warum haben die alliierten Besatzungsmächte zu all dem geschwiegen? Warum gibt es dazu bis heute keinerlei Literatur? Warum wurde dieser Skandal nie aufgearbeitet? Den zuständigen Redakteur des Grazer Provinzblattes läßt dies alles kalt. Die Ungeheuerlichkeit, aus ermordeten Menschen Seife zu kochen, interessiert ihn nicht. Einen substantiellen Unterschied zwischen dem demokratischen Österreich der 50er Jahre und der nationalsozialistischen Ostmark der 40er Jahre scheint er nicht zu ausmachen, sonst würde er dem von Sonnenschein aufgezeigten Skandal wohl auf den Grund gehen wollen.
Die Geschichte von Gerard Sonnenschein stimmt freilich nicht. Die kommunistische Sowjetunion hatte zu Propagandazwecken die Lüge von der aus jüdischem Fett hergestellten Seife während den Nürnberger Prozessen ins Spiel gebracht, heute gibt es keinen ernst zu nehmenden Historiker mehr, der daran festhält. Und ganz selbstverständlich ist im demokratischen Österreich schon gar keine Judenseife verkauft worden – die Aufschrift RIF, die Sonnenschein für „reines jüdisches Fett“ hält, bedeutete in Wahrheit nur „reines Industriefett“. Erschreckend an der geschilderten Geschichte fand ich vor allem die Indolenz des Zeitungsredakteurs, der es einfach als gegeben hinnahm, daß in einem demokratischen Land Seife aus ermordeten Menschen verkauft werden kann, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, der Geschichte auf den Grund zu gehen. Dabei wäre die hier geschilderte sowjetische Propagandalüge doch allzu leicht zu entlarven gewesen. Herr Sonnenschein hat diesen historischen Unsinn hingegen wohl aus naiver Unkenntnis heraus weiter verbreitet. Ich selbst kann mich noch gut an seinen Besuch in meinem Hause erinnern.
Vor einigen Jahren saßen wir fast zwei Stunden in meiner Küche bei einigen Tassen Tee zusammen, da das Wohnzimmer gerade neu ausgemalt wurde. Ich hatte ein Interview für die „Neue Ordnung“ zu machen und Gerard Sonnenschein erzählte aus seinem Leben. Sein Vater war auch im Exil ein überzeugt-patriotischer Österreicher geblieben und kehrte nach dem Krieg, so schnell es ging, in sein Heimatland zurück. Sein Sohn sucht auch als Präsident der israelitischen Kultusgemeinde das Gespräch mit allen politischen Gruppierungen bis hin zur FPÖ und vermeidet in der Regel jede Polarisierung.
Im erwähnten Interview mit der „Kleinen Zeitung“ legt er dabei Wert auf die Feststellung, daß „jüdisch sein nichts mit Rasse oder Abstammung zu tun hat, sondern nur mit dem Glauben“. Als ich diesen Satz las, mußte ich unwillkürlich an eine Geschichte denken, die mir Gerard Sonnenschein damals in meiner Küche erzählt hat. Eine Geschichte, die mich ehrlich gesagt überaus befremdete, die ich aber dann doch nicht veröffentlichte. Auf meine Frage zu seinem Verhältnis zum Katholizismus antwortete mir der Chef der Israelischen Kultusgemeinde, dieses sei prinzipiell gut, es sei doch auch seine Frau Katholikin – was er jedoch erst auf dem Standesamt erfahren habe. Ich war damals, ehrlich gesagt, schockiert. Wie ernst nimmt der Chef der Grazer Israelitischen Kultusgemeinde seinen Glauben, fragte ich mich, wenn er mit der Dame seines Herzens, mit dem Mädchen, das er zu seiner Frau zu machen gedenkt, vor dem Trauungstermin offenbar nicht ein einziges Mal über seinen – und ihren – Glauben gesprochen hat?
Ich habe diese Mitteilung damals als eine sehr persönliche wahrgenommen und, wie gesagt, nicht veröffentlicht. Wenn heute Gerard Sonnenschein - in seiner Position - die jüdische Identität aber ausschließlich auf den Glauben zurückführt und die Abstammung schlechthin ausschließt, dann muß er sich allerdings auch selbst die Frage nach dem Stellenwert der Religion in seinem eigenen Leben gefallen lassen.
Und mehr noch: Wie sieht es denn mit der Identität jener – gar nicht so wenigen - Konvertiten aus, die auf jüdischer Seite oft als Scharfmacher auftreten? Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland ist hier zu nennen, auch der gerade in Pension gegangene Generalsekretär der IKG Österreich, Avshalom Hodik oder der Oberrabbiner von Prag. Wo jüdische Identität sosehr politisch – und sosehr politisch links – verstanden wird, wie in den genannten Ländern, ist das eine Frage von einiger Brisanz. Wieweit spielen bei den Genannten – um nur einen wesentlichen Punkt hier aufzuführen – selbsttherapeutische Motive eine Rolle, wie sie bei der unsäglichen Lea Rosh sogar schon auf wikipedia diagnostiziert wurden? Sind sie tatsächlich taugliche Repräsentanten des Judentums und seiner Geschichte? – Viele Juden in Deutschland, Österreich und Tschechien sind da anderer Auffassung und mit dem scharfen Linkskurs ihrer Gemeinden gar nicht einverstanden. Damals, in meiner Küche, hatte ich den Eindruck, Gerard Sonnenschein wäre sich dieser Problematik sehr bewusst. Mittlerweile klingt es nicht mehr danach.