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Stählerne Romantik

Von Werner Bräuninger

Leni Riefenstahl und die Ästhetisierung der Politik

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machte sich eine junge Frau daran, eine künstlerische Initialzündung in der Filmgeschichte zu starten. Die Suche nach Perfektion bestimmte ihr ganzes Leben: „Ich kann nur sagen, daß ich mich von allem Schönen spontan angezogen fühle. Ja: Schönheit, Harmonie. Und vielleicht ist dieses Bemühen um Komposition, dieses Streben nach Form, tatsächlich etwas sehr Deutsches. Mich fasziniert alles, was schön ist, stark, gesund, was lebt. Ich suche Harmonie! Die so sprach, war Leni Riefenstahl.

Die am 22. August 1902 in Berlin geborene Helene („Leni“) Riefenstahl hatte sehr früh nur einen Wunsch, nämlich Tänzerin oder Schauspielerin zu werden. Doch eine Bänderzerrung beendete die vielversprechende Karriere der jungen Tänzerin jäh.
Ein Film schließlich sollte Leni Riefenstahls Leben in völlig neue Bahnen lenken; der Berg des Schicksals von Arnold Fanck. Die junge Leni war über die Maßen von diesem Film begeistert, so daß sie fortan nur noch einen Wunsch hatte: Hauptdarstellerin in Fancks Bergfilmen zu werden. Mit der ihr eigenen Willenskraft und Impulsivität wurde dieses Ziel bald von ihr erreicht.
Dr. Fanck schrieb eigens für sie ein neues Drehbuch mit dem Titel Der heilige Berg. Fancks Bergfilme waren weit davon entfernt, kitschige Alpensagas zu sein; im Gegenteil, es handelte sich um künstlerisch höchst wertvolle Arbeiten, die durch die Verwendung modernster Technik, ihre raffinierten Lichteffekte und eine virtuose Kameraführung bestachen. Fanck drehte nacheinander fünf Filme mit seiner Neuentdeckung in der Hauptrolle: Die Stummfilme Der große Sprung (1927) und Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929) sowie die Tonfilme Sturm über dem Montblanc (1930), Der weiße Rausch (1931) und S. O. S. Eisberg (1932).
Alle genannten Filme zeichneten sich dadurch aus, daß sie vorher nie gesehene Bilder der monumentalen Bergwelt zeigten und die Akteure vor keinen Gefahren verschont wurden, wenn es darum ging, möglichst lebensnahe Situationen darzustellen. So mußte Leni Riefenstahl etwa ungesichert im Fels klettern oder tiefe Gletscherspalten überqueren. All dies erledigte sie mit Bravour. Bald aber wollte die ehrgeizige junge Frau mehr. In den Jahren der Zusammenarbeit mit Dr. Fanck hatte sich ihr Blick geschärft für das Arbeiten hinter der Kamera, für Objektive, Filmmaterial und Filtertechnik. Auch der Filmschnitt, bei dem sie Fanck oft zugesehen hatte, faszinierte sie zusehends. Ein verwegener Plan reifte im Kopf dieser energischen Frau, der Plan, einen eigenen Film zu drehen. In kürzester Zeit schrieb sie ein Exposé mit dem Titel Das blaue Licht.

Das blaue Licht

Fast hat es den Anschein, als erzählte sie in diesem Film, wie in einer Vorahnung, ihr eigenes späteres Schicksal: „Junta, das seltsame Mädchen in den Bergen, das in einer Traumwelt lebt, verfolgt und ausgestoßen wird, geht zugrunde, weil ihre Ideale – im Film sind es symbolisch die schimmernden Bergkristalle – zerstört werden.“ Die mystische Bedeutung der Farbe Blau wurde eigentümlicherweise etwa zur gleichen Zeit von Ernst Jünger beschrieben: „Blau ist die Farbe der äußersten Orte und der letzten Grade, die dem Leben verschlossen sind, so des Dunstes, der in das Nichts verfliegt, so des Firneises und der Kerne der Stichflammen. Ebenso dringt sie in die Schatten, die Dämmerungen und die fernen Linien der Horizonte ein. Sie nähert sich dem Ruhenden und weicht vor dem Bewegten zurück.“ Mit dem „Blauen Licht“ legte die junge Regisseurin eine glänzende Probe ihres Könnens ab. Um jedes scheinbar nebensächliche Detail kümmerte sie sich selbst. Beim Schnitt jedoch bat sie Fanck, ihr zu helfen; das Ergebnis allerdings wurde eine einzige Katastrophe. Fanck hatte fast jede Szene verändert und den Film völlig zerschnitten. Sie war derart schockiert, daß sie weinend zusammenbrach und einen Nervenzusammenbruch erlitt; den ersten von vielen im Laufe ihrer Karriere. In einer großen Arbeitsanstrengung schnitt sie ihr Werk nochmals vollkommen neu, und endlich lag das Blaue Licht vollendet vor ihr. Am 24. März 1932 fand im Berliner UFA-Palast die Uraufführung statt, welche ein ungeahnter Erfolg wurde. Die Kritiker überschlugen sich förmlich vor Begeisterung. Im „Film-Kurier“ war zu lesen: „Das Publikum war wie entrückt, es hatte, ehe der Saal sich wieder erhellte, in einer anderen Welt gelebt. Eine mutige, in ihrem Werk, ihrer Besessenheit gläubige Frau hat den abgeblaßten Kinohimmel einstürzen lassen.“
Während all dieser Aktivitäten nahm Leni Riefenstahl die katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Zustände im Deutschland der Weimarer Republik nur schemenhaft wahr. Immer öfter aber wurde jetzt von einem gewissen Adolf Hitler gesprochen; von ihm erwarteten viele Deutsche ein Ende ihrer Not und Orientierungslosigkeit. Die Fotos, welche die Regisseurin von Hitler sah, gefielen ihr jedoch nicht. „Ich konnte mir nicht vorstellen, daß dieser Mann die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen könnte. Gern hätte ich mir selbst ein Bild von ihm gemacht.“

Begegnung mit Hitler

„Mir war, als ob sich die Erdoberfläche vor mir ausbreitete – wie eine Halbkugel, die sich plötzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde, so gewaltig, daß er den Himmel berührte und die Erde erschütterte. Ich war wie gelähmt. Obgleich ich vieles in der Rede nicht verstand, wirkte sie auf mich faszinierend. Ein Trommelfeuer prasselte auf die Zuhörer nieder, und ich spürte, sie waren diesem Mann verfallen.“ So schildert Leni Riefenstahl, die noch nie zuvor eine politische Versammlung besucht hatte, ihr Erlebnis einer Rede Hitlers Ende Februar 1932 im Berliner Sportpalast. Zwei Stunden danach war sie nach eigenem Bekunden nicht einmal mehr in der Lage, ein Taxi anzuhalten, so stark wirkte das Ereignis dieser Versammlung in ihr nach. Eine erstaunliche Parallele zum Verhalten des ebenso wie Leni Riefenstahl hochsensitiven Albert Speer, der einige Monate zuvor nach dem Erlebnis einer Hitlerschen Massenkundgebung ein ähnliches Gefühl hatte: „Mich … drängte es, mit mir ins Reine zu kommen, meiner Verwirrung Herr zu werden; ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein. Aufgewühlt fuhr ich in meinem kleinen Wagen durch die Nacht, hielt in einem Kiefernforst der Havellandschaft und wanderte lange.“ Oft warf man Leni Riefenstahl seither ihren „Führerglauben“ vor, doch war jene Faszination nicht ausschließlich bei Angehörigen der sogenannten „Erlebnisgeneration“ vorhanden. David Bowie etwa – Pop-Ikone einer ganzen Generation – äußerte 1978 in einem Interview: „… Großer Gott! Hitler war kein Politiker. Er war ein Medienartist. Wie er sein Publikum bearbeitete! Die Mädchen wurden heiß und schwitzig, und die Kerle wünschten sich, das wären sie da oben. Die Welt wird so etwas nicht wieder sehen. Er machte ein ganzes Land zu seiner Bühnenshow. Und er verstand etwas von Massenhypnose … sein übergeordnetes Ziel aber war gut, und er war ein wunderbarer Förderer der Moral.“ Für Bowie war Hitler „der erste Rock-Star“.
Nach jener Eruption der Gefühle wollte Leni Riefenstahl Hitler persönlich kennenlernen, um zu erfahren, ob er ein Scharlatan war oder tatsächlich ein Genie. Kurz vor dem Aufbruch nach Grönland – um dort die Hauptrolle in dem Film S. O. S. Eisberg zu spielen – schrieb sie kurzentschlossen einen Brief an den Parteiführer, in dem sie den Wunsch äußerte, ihn zu treffen. Bald darauf erhielt sie von dem Objekt ihres Interesses eine Einladung zu einer Begegnung in Horumersiel an der Nordsee. Riefenstahl: „Was war nur mit mir geschehen? Wie konnte ich das tun?“ Sie wurde dort von Hitlers Adjutanten abgeholt, der ihr erzählte, wie sehr Hitler sie schätzte: „Das Schönste, was ich jemals im Film gesehen habe, war der Tanz der Riefenstahl am Meer im,Heiligen Berg‘“, so soll er bekannt haben.
Minuten später standen sich die beiden erstmals gegenüber: „(Hitler) wirkte natürlich und ungehemmt, wie ein ganz normaler Mensch, auf keinen Fall wie ein kommender Diktator, eher bescheiden. Das hatte ich nicht erwartet. Dieser Hitler hatte mit dem, den ich im Sportpalast erlebt hatte, anscheinend nichts gemeinsam.“ Ihr Gespräch kreiste um Lenis Filme, die den stärksten Eindruck auf den Parteiführer machten, er sagte gar: „Wenn wir einmal an die Macht kommen, dann müssen Sie meine Filme machen.“ Sie lehnte ab, sie sei unpolitisch und lediglich an Hitler als charismatischer Persönlichkeit interessiert; erst wenige Tage vorher hatte sie ein gleichlautendes Angebot der katholischen Kirche ausgeschlagen. Ungeniert äußerte die junge Filmgestalterin ihre Bedenken gegen Hitlers Antisemitismus und seine rassischen Vorurteile. Dieser erwiderte daraufhin: „Ich wünschte, meine Umgebung würde genauso unbefangen antworten wie Sie.“
Auf Hitlers Wunsch ließ sich Leni Riefenstahl dennoch dazu überreden, einen kurzen Film vom Reichsparteitag der NSDAP 1933, dem Parteitag des Sieges zu drehen. Viel Zeit für Vorbereitungen blieb ihr jedoch nicht, und so wirkt der etwa einstündige Film wie ein Entwurf zum zweiten, der 1934 folgen sollte. Auch die offizielle Parteitagsregie war 1933 noch keineswegs perfekt; es ist dem Film anzumerken: Hitler und Leni übten noch.
1934 wollte Hitler unbedingt, daß sie diesmal einen wirklich künstlerisch wertvollen Dokumentarfilm vom „Reichsparteitag der Einheit und der Stärke“, der im September des Jahres geplant war, drehen sollte. Abermals war Leni Riefenstahl wenig erbaut, zudem sei ihr die gesamte Materie völlig fremd. Sie hatte keine Bedenken politischer Art, glaubte jedoch den Anforderungen, die Hitler an sie stellte, nicht gerecht zu werden. Hitler versuchte beständig, ihr diese Ängste auszureden: „Ich wünsche keinen langweiligen Parteitagsfilm, keine Wochenschauaufnahmen, sondern ein künstlerisches Bilddokument. Die dafür zuständigen Männer der Partei verstehen dies nicht. In Ihrem, Blauen Licht‘ haben Sie bewiesen, daß Sie es können.“ Er wollte partout, daß ein Künstler diesen Film machte und nicht irgendein Parteiregisseur. Und weiter: „Schenken Sie mir nur sechs Tage Ihres Lebens. Sie können und Sie werden diese Arbeit schaffen.“ Er versprach ihr außerdem völlige künstlerische Freiheit sowie die Finanzierung des Filmes durch die Partei und die Unterstützung aller Parteistellen. Schließlich ließ sie sich breitschlagen, erbat sich aber die Zusicherung des deutschen Reichskanzlers, nach Fertigstellung des Werkes niemals wieder einen Auftragsfilm machen zu müssen; es wurde ihr von Hitler versprochen.

Triumph des Willens

Leni Riefenstahl zeigte mit ihrem dokumentarischen Debüt, das auf Vorschlag des Führers den Titel Triumph des Willens erhielt, eine bislang unerreichte Leistung. Es war nicht leicht, aus den vielen Aufmärschen und Reden einen Film zu machen, der die Menschen nicht langweilte. Deshalb wurden die dokumentarischen Ereignisse von ihr so vielseitig wie möglich aufgenommen. Alle Motive wurden nicht statisch, sondern bewegt gefilmt. Sie experimentierte mit völlig neuen Blickwinkeln, revolutionären Kameraeinstellungen und einer nie da gewesenen Mobilität. Erstmals wurden in einem Dokumentarfilm Fahraufnahmen gemacht, man ließ Schienen und Fahrbahnen legen, Kameraleute auf Rollschuhen agieren und auf dem Asphalt liegend operieren. Mit Albert Speers Hilfe ließ sie sogar einen Fahrstuhl an einem 38 Meter hohen Fahnenmast anbringen, um besondere optische Effekte zu erzielen. Um Hitlers Rednertribüne wurde ein Kreis aus Schienen gelegt, um ihn in gebührendem Abstand von allen Seiten filmen zu können; der Führer erwies sich als ungerührter Akteur und ließ sich hierdurch in keiner Weise beirren. Die realen Geschehnisse wurden dabei äußerst raffiniert in Szene gesetzt.
Abermals wurde es ihr von der Partei bei den Dreharbeiten nicht leicht gemacht. Albert Speer bemerkte hierzu: „Auf die politischen Leiter der traditionell frauenfeindlichen Bewegung wirkte die selbstsichere Frau provozierend, die diese Männerwelt ungeniert für ihre Zwecke dirigierte. Intrigen wurden gesponnen, Verleumdungen bei Heß vorgebracht, um sie zu stürzen.“ Endlich waren die sechs Tage vorbei, doch die eigentliche Arbeit begann erst: 130.000 Meter Film mußten gesichtet werden, von dem sie lediglich 3.000 Meter verwenden wollte. Als man feststellte, daß die Wehrmacht in dem Film überhaupt nicht vorkam, wurde sie auch noch dazu vergattert, einen 18minütigen Kurzfilm über die Armee herzustellen; er kam 1935 als „Tag der Freiheit: Unsere Wehrmacht“ in die Kinos.
Über Monate hindurch arbeitete Leni Riefenstahl bis zu 16 Stunden täglich, bis zur physischen Erschöpfung. Jeden Morgen, wenn sie aufstand, glaubte sie, zusammenbrechen zu müssen. Bis wenige Stunden vor der Uraufführung am 28. März 1935 arbeitete sie noch an der Kopie. Am Schluß der Premiere hörte sie – wie in Trance – nur noch nicht enden wollenden Applaus, und als Hitler sich bei ihr bedankte und ihr einen Blumenstrauß überreichte, verlor sie das Bewußtsein. Selbst Dr. Goebbels war sichtlich tief beeindruckt. Die Riefenstahl erhielt aus seiner Hand den „Nationalen Filmpreis 1934/35“, und er sagte aus diesem Anlaß: „Der Film ist zeitnahe, weil er die Zeit darstellt; er bringt in monumentalen, nie gesehenen Bildern das hinreißende Geschehen unseres politischen Lebens.“ Offensichtlich entsprach die Ästhetik der Dokumentation der Vorstellung einer „stählernen Romantik“ des Dr. Goebbels, wie er es bereits 1933 propagiert hatte: „An die Stelle einer zermürbenden Schlaffheit, die vor dem Ernst des Lebens kapitulierte, ihn nicht wahrhaben wollte oder vor ihm flüchtete, trat jene heroische Lebensauffassung, die heute durch den Marschtritt brauner Kolonnen klingt, die den Bauern begleitet, wenn er die Pflugschar durch die Ackerscholle zieht, die dem Arbeiter Sinn und höheren Zweck seines Daseinskampfes zurückgegeben hat, die den Arbeitslosen nicht verzweifeln läßt und die das grandiose Werk des deutschen Wiederaufbaus mit einem fast soldatisch anmutenden Rhythmus erfüllt. Es ist eine Art von stählerner Romantik, die das deutsche Leben wieder lebenswert gemacht hat, eine Romantik, die sich nicht vor der Härte des Daseins versteckt oder ihr in blauen Fernen zu entrinnen trachtet, eine Romantik, die den Mut hat, den Problemen gegenüberzutreten und ihnen fest und ohne Zucken in die mitleidlosen Augen zu schauen.“

Stählerne Romantik

Die Regisseurin bedankte sich bei Hitler: „Diese große Auszeichnung wird mir die Kraft geben, für Sie, mein Führer, und für Ihr großes Werk neue Filme zu schaffen.“ Auf der Biennale in Venedig wurde Triumph des Willens mit der Goldmedaille ausgezeichnet, auf der Weltausstellung in Paris erhielt er gar den „Grand Prix“. Die vermeintlich „faschistische“ Ästhetik, die etwa die amerikanische Kulturschriftstellerin Susan Sontag in ihrem Essay Faszinierender Faschismus Leni Riefenstahl vorwirft, ist eine abstrakte Konstruktion. Richtiger wäre es dann schon von einer „Riefenstahlschen“ Ästhetik zu sprechen. Auch wurde ihr vorgeworfen, die „inszenierte Öffentlichkeit“ des Parteitages noch einmal inszeniert zu haben.
Es ist oft übersehen worden, daß die NS-Reichsparteitage an sich den Anspruch hatten, „Gesamtkunstwerke“ zu sein. An ihrer feierlichen Ausgestaltung als „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ hatte Leni Riefenstahl überhaupt keinen Anteil, und lediglich das ohnehin schon vorhandene weihevolle Flair der Veranstaltung mußte noch von ihr auf Zelluloid gebannt werden. Auf einmal schien es, als hätten sich Kunst und Politik versöhnt. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung, daß die NS-Führungsspitze einen großen Anteil nicht zum Zuge gekommener Künstler aufwies; neben Hitler selbst vor allem Joseph Goebbels, der sich wenig erfolgreich als Romancier versuchte, Baldur von Schirach, der Gedichte schrieb, Alfred Rosenberg, der einstige Architekt, der einfühlsame Violinist Reinhard Heydrich und nicht zuletzt Albert Speer und sein unpolitischer Gestaltungswille. Und wenn bereits 1920 von Marinetti gefordert wurde, „alle Macht den Künstlern“ zu überlassen, dann folgte ihm Hitler nur konsequent, wenn er bekundete, daß nur ein musischer Mensch einst seine Nachfolge antreten könne. Er selbst repräsentierte die Stimmung seiner neurotisch aufgebrachten Zeit auf exemplarische Weise. Der feminine Zug, also Hitlers Sensorium für die Gefühle und Wünsche der Massen, welches ihm eigen war und seiner ganzen Politik die typische Aura verschaffte, kam nicht zuletzt in einer überaus sensiblen Empfänglichkeit zum Vorschein.
Unbestrittene Vorläufer jener „Ästhetisierung der Politik“ waren die Liturgie der katholischen Kirche und die Opernwelt Richard Wagners, von dessen Musik gesagt wurde, daß in ihr der „Glanz für den Tod Reklame macht“. In diesem Sinne stand im Mittelpunkt des Parteitages von 1934 eine gewaltige Totenehrung, die wohl zu den ergreifendsten Sequenzen in Leni Riefenstahls Filmdokument zählt. Hitler, der zuvor unter Glockengeläut in das fahnengeschmückte Nürnberg einfuhr, schritt zum Ehrenmal, zwei führende Paladine in respektbestimmtem Abstand seitlich hinter sich, zwischen weit über hunderttausend zu gewaltigen Blöcken geordneten SA- und SS-Männern. In Joachim Fests Biographie des Führers heißt es hierzu denn auch: „Während die Fahnen sich neigten, stand er, mit scharfem schmalem Schlagschatten, eine Art heraldischer Trauer im Gesicht, lange in sich versunken, die sinnfällige Inszenierung des Begriffs,Der Führer‘: inmitten der stumm verharrenden Parteisoldaten, aber,umgeben von dem leeren, unüberbrückbaren Raum cäsarischer Einsamkeit, die nur ihm gehört und den toten Helden, die sich im Glauben an ihn und seine Sendung geopfert‘ hatten.“
Erinnern wir uns jedoch auch der Affinitäten bei der Amtseinführung des neuen französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand im Jahre 1981, die Hans Jürgen Syberberg aufgezeigt hat: „Mitterand tritt sein Amt an, alleine vor einem großen Menschenzug auf das Panthéon zugehend. Als der große Menschenblock stehenbleibt, geht er über den leeren Platz in das Panthéon, allein, an den großen Statuen vorbei, einsam in die Kirche, zu den Gräbern, die Rosen legend auf die Gräber der alten Kämpfer seiner Partei, Andacht, und die Kamera immer dabei. Dazu Beethovens,Freude, schöner Götterfunken‘. Sie haben gelernt bei Leni Riefenstahl, bei HITLER, in jenem Film aus Deutschland. Vergleichen wir die Bilder und Töne in Leni Riefenstahls Nürnberg, der einsame Hitler, der sich vor der angetretenen Menge löst, über den großen Platz geht, endlos mit einer Totale auf die Kamera zu, zur Fahne und Flamme der Nation. Ein übersichtlicher Ritus, zur Faszination auffordernd oder abzulehnen. Die Masse, das Volk als dekoratives Element einer großen Demonstration. Und doch: Zum erstenmal seit Hitler hat eine Nation wieder versucht, politische Intentionen, ohne Angst vor Pathos, in feierlichen Riten Geschichte werden zu lassen. Frankreichs polit-ästhetischer Versuch, die Welt vom Schock durch Hitler zu erlösen?“ Diese Aufnahmen gingen via TV um den ganzen Erdball, ohne daß auch nur eine Stimme die Veranstalter der „faschistischen“ Ästhetik geziehen hätte.
Die Regie aus Masse, Licht, Symmetrie und tragischem Lebensgefühl vermittelt Leni Riefenstahls Filmwerk dem Betrachter noch heute überaus anschaulich. Was Wunder also, wenn die Reichsparteitage in ihrer pontifikalen Prachtentfaltung innerhalb des NS-Kalendariums, mit ihren fortwährenden Appellen, Prozessionen und Weihestunden, den äußeren Höhepunkt darstellten. Jenes „Hochamt der Bewegung“ und die mit ihm einhergehende romantische Hochstimmung im mittelalterlichen „Nürenberg“, hatte rauschhafte Gefühle zur Folge; es war eine „fast mystische Ekstase, eine Art heiligen Wahns“, wie ein ausländischer Beobachter notiert hat. Selbst von den wenigen noch skeptisch abseits stehenden „Volksgenossen“ verloren viele in diesen Tagen ihre kritische Reserve und mochten sich, wie ein französischer Diplomat, eingestehen, sie seien selber augenblicksweise zu überzeugten Nationalsozialisten geworden.
Fahnenwälder, Marschkolonnen, Fanfaren, Lichtdome und nächtlicher Feuerzauber verführten die Massen zu kollektiven Verzückungszuständen. Der Faschismus, wie Walter Benjamin gelegentlich geäußert hat, verhelfe den Massen lediglich „zu ihrem Ausdruck, nicht zu ihrem Recht“. Leni Riefenstahl funktionierte gleichsam als „magisches Auge“ und im tieferen Sinne als distanzierte Zeugin der Ereignisse, die sie zu gültigen Bildern komponierte. Gewiß, ihren romantisch-martialischen Triumph des Willens dominierte Adolf Hitler als politischer und sozialethischer Mittelpunkt. Doch da es „nichts anderes gab“ als den Führer und das Volk, stellt ihr Film zugleich auch eine charakteristische Analyse der Zeit dar, die zwei Pole miteinander verband: Sehnsucht nach Autorität und das Verlangen nach dem Absoluten. Und so, wie etwa Yukio Mishima in der Tradition der Samurai-Maxime die „Harmonie von Feder und Schwert“ für sich persönlich erstrebte, so wollten Leni Riefenstahls Filme die „Einheit von Glaube und Schönheit“ vermitteln, welche die Nationalsozialisten in ihrem Volksstaate verwirklicht sahen. Was Mishima als Wesensmerkmale der japanischen Seele definiert hat, ist auch auf das Dritte Reich übertragbar: Eleganz und Brutalität, Eros und Todessehnsucht. Susan Sontag und nach ihr noch etliche andere haben auf die erotische Komponente hingewiesen, die der Nationalsozialismus unzweifelhaft aufwies.
An Hitler selbst bewahrheitete sich das Wort Jacob Burckhardts, daß die Geschichte es bisweilen liebe, sich in einem Menschen zu verdichten, dem hierauf die Welt gehorche. Zeit und Mensch träten in eine große geheimnisvolle Verrechnung. „Ich habe immer das Gefühl“, so rief Adolf Hitler im September 1937 aus, „daß der Mensch, solange ihm das Leben geschenkt ist, sich sehnen soll nach denen, mit denen er sein Leben gestaltet hat. Was aber würde mein Leben sein ohne euch! Daß ihr mich einst gefunden habt, und daß ihr an mich glaubtet, hat eurem Leben einen neuen Sinn, eine neue Aufgabe gestellt! Daß ich euch gefunden habe, hat mein Leben und meinen Kampf erst ermöglicht!“

Olympiade 1936

Kaum war der Rausch von Nürnberg verflogen, lockte ein neues Angebot: Der Generalsekretär des Organisationskomitees für die XI. Olympischen Spiele in Berlin, Professor Dr. Carl Diem, schlug Leni Riefenstahl vor, einen Film über die Olympiade zu drehen. Wiederum war sie anfangs sehr skeptisch, doch der Gedanke, die olympische Idee von Friede und Völkerverständigung dokumentarisch darzustellen, reizte sie enorm. Zudem war der Auftraggeber diesmal nicht die Partei oder gar das Reich, sondern das angesehene Internationale Olympische Komitee (IOC). Vor ihrem geistigen Auge fusionierten bereits Antike und Moderne zu einer Einheit auf der Leinwand: „Plötzlich sah ich, wie die alten Ruinen der klassischen Olympia-Stätten langsam aus Nebelschwaden herausblenden und die griechischen Tempel und Plastiken vorbeiziehen, Achilles und Aphrodite, Medusa und Zeus, Apollo und Paris, und dann erschien der Diskuswerfer des Myron. Ich träumte, wie er sich in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt und in Zeitlupentempo beginnt, den Diskus zu schwingen – die Statuen verwandelten sich in griechische Tempeltänzerinnen, die sich in Flammen auflösen, das Olympische Feuer, an dem die Fackel entzündet und vom Zeustempel bis in das moderne Berlin von 1936 getragen wird – eine Brücke von der Antike bis zur Neuzeit. So erlebte ich visionär den Prolog meines Olympiafilms. Der deutsche Zehnkämpfer Erwin Huber stellte für diese Aufnahmen den Diskuswerfer von Myron dar. Man hatte dafür eigens weit im Osten Deutschlands, an der Kurischen Nehrung, einen Ort dafür ausgesucht; weite, baumlose Sandflächen, sehr viel Himmel. Und bereits jetzt festigte sich Leni Riefenstahls Erkenntnis, daß sie einen zweiteiligen Film machen müßte, wollte sie auch nur das Wichtigste darin unterbringen.
Sie willigte endlich ein, diese gigantische Aufgabe zu übernehmen, und begab sich sogleich auf die Suche nach geeigneten Kameraleuten. Sie fand diese Männer in Walter Frentz, Hans Ertl, Willy Zielke und Guzzi Lantschner. Und abermals erstaunte die Riefenstahl alle Welt mit ihrem sicheren Auge, ihrem Gefühl für Optik und Bildeinstellungen und mit ihrem Ideenreichtum. Die Riefenstahl und ihre Kameramänner brüteten über raffinierten Lärmschutz-Hauben für die Kameras, damit das Surren der Laufwerke die Athleten nicht störte. Sie entwarfen Fahrbahnen, Gleitschienensysteme zur optischen Verfolgung der Wettkämpfe. Sie dachten an Freiballons, Fesselballons, Flugzeuge und Motorboote, alles, um Olympia so nah, so dramatisch aufnehmen zu können, wie Sport noch nie zuvor festgehalten wurde. Erstmals wurden auch Unterwasserkameras eingesetzt. Die Vorarbeiten und insbesondere die zahllosen Gespräche, welche die Riefenstahl mit den Sportfunktionären führen mußte, um irgendwelche Sondergenehmigungen zu erwirken, erwiesen sich als äußerst nervenaufreibend. Um jede Grube, aus denen die Kameraleute filmen sollten, mußte sie erbittert kämpfen. Am 1. August 1936 sprach Adolf Hitler die Eröffnungsformel, die nach der olympischen Tradition nur aus einigen wenigen Worten bestehen durfte: „Ich verkünde die Spiele von Berlin, zur Feier der XI. Olympiade neuer Zeitrechnung, als eröffnet.“
„Die Motive des ersten Tages waren überwältigend: Der Einmarsch der Nationen, die Ankunft des Fackelläufers, das Entzünden des Olympischen Feuers …, die zu Hunderten aufsteigenden Tauben, die von Richard Strauss komponierte Hymne.“ Schon zu Beginn der Spiele entpuppte sich der schwarze Läufer Jesse Owens als absoluter Star und Liebling des Publikums. Mitten in all diese Aufregungen will die Riefenstahl auch eine kurze, aber heftige Affaire mit dem US-Zehnkämpfer Glenn Morris gehabt haben. Hervorragende Aufnahmen gelangen der Regisseurin und ihrem Team von der Siegerehrung der Japaner im Marathonlauf, die, mit Lorbeerkränzen geschmückt, ihre Köpfe senkten und mit fast religiöser Inbrunst den Klängen ihrer Nationalhymne lauschten. Am Abend des 16. August erlebten die Olympischen Spiele ihren feierlichen Ausklang. Wie eine Kathedrale aus Eis strahlten die Flakscheinwerfer, die Albert Speer rund um das Berliner Olympiastadion hatte aufstellen lassen, senkrecht gegen den dunklen Himmel; der „Lichtdom“ war geboren. Als die Olympische Flamme schließlich erlosch, erklang eine Stimme: „Ich rufe die Jugend der Welt nach Tokio.“ Der Krieg machte diese Hoffnung auf ein Wiedersehen 1940 in Japan jedoch zunichte; die Scheinwerfer am nächtlichen Himmel über Berlin suchten schon bald nach feindlichen Fliegern und die Jugend der Welt, die hier in der Hauptstadt des Reiches noch so friedlich gekämpft hatte, befehdete sich auf Leben und Tod. Hinter Leni Riefenstahl lag eine fast übermenschliche Anstrengung, die eigentliche Arbeit aber sollte abermals erst beginnen.
400.000 Meter Film mußten geschnitten, vertont und kommentiert werden; vier Monate wurden bereits für das Anschauen und die Archivierung des Filmmaterials benötigt. Alleine die Vertonung mit den Berliner Symphonikern wurde genial gelöst. Am 20. April 1938 konnte der Film Olympia – Fest der Völker – Fest der Schönheit im Berliner UFA-Palast uraufgeführt werden. Albert Speer hatte eigens hierfür eine neue Fassade entworfen; riesige Olympiafahnen mit goldenen Bändern bedeckten die ganze Frontseite. Die Spitzen von Sport, Kultur, Staat, Partei, Wirtschaft und des diplomatischen Corps gaben sich die Ehre. Als Ouvertüre wurde Herbert Windts Komposition zum Marathonlauf gespielt. Wie schon einige Jahre zuvor steigerte sich der Beifall des Publikums zu wahren Ovationen. Am Ende der Premiere überreichte der Botschafter Griechenlands der Riefenstahl im Namen seiner Regierung einen Ölzweig aus Olympia. Es war vorhersehbar, daß sie auch für dieses Werk den Nationalen Filmpreis erhielt. Die sich anschließende Europa-Tournee des Filmes wurde ebenfalls ein voller Erfolg. Sie führte die Leni Riefenstahl nach Paris, Brüssel, Kopenhagen, Stockholm, Helsinki und Oslo. In Paris erhielt das Werk die Goldmedaille und den ersten Preis auf der Biennale als bester Film der Welt. Posthum wurde „Olympia“ 1956 von einem Gremium von Fachleuten in Hollywood unter die zehn besten Filme aller Zeiten eingereiht. In Paris hielt Leni Riefenstahl außerdem einen zweistündigen Vortrag mit dem Titel „Ist Film Kunst?“, welcher von dem Schriftsteller und Angehörigen der „Académie Francaise“, Abel Bonnard, vorgestellt wurde. Im selben Jahre hielt Leni Riefenstahl in Wien eine Rede über das Thema „Filmschaffende im Dienste einer Idee“. Damit bekannte sie sich entgegen späterer Bekundungen offen zur nationalsozialistischen Welt- und Lebensanschauung.

Im Krieg …

In den ersten Novembertagen des Jahres 1938 schiffte sich Leni Riefenstahl auf der „Europa“ ein, um in die USA zu reisen. Bei der Ankunft in Manhattan wurde sie von etlichen wartenden Journalisten mit Fragen bestürmt: „Sind Sie Hitlers Geliebte?“ Aber auch: „What do you say the Germans burn down Jewish Synagogues and disturb Jewish shops and kill Jewish people?“ Es war ein Wechselbad der Gefühle, in das die Riefenstahl hier getaucht wurde, eine explosive Mischung aus frenetischer Begeisterung für ihre Filme und abgrundtiefem Haß gegen das nationalsozialistische Deutschland, das ihr entgegenschlug. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Atmosphäre des Hasses entladen würde. Diesmal sollte es jedoch keine cineastische Täuschung werden, sondern grauenvolle Realität: Am 3. September 1939 erklärten Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich aufgrund des deutschen Einmarsches in Polen am 1. September 1939 den Krieg; der Zweite Weltkrieg begann. Gerade noch mit intensiven Vorbereitungen für die Verfilmung des „Penthesilea“-Stoffes beschäftigt, absolvierte die Filmgestalterin ein kurzes Intermezzo als Kriegsberichterin. Jedoch sagte „der radikalen Ästhetin … die Front nicht zu, und sie meldete sich ab“, notierte ein deutsches Nachrichtenmagazin Jahrzehnte später. Leni Riefenstahl, die nach der schnellen Beendigung des Krieges im Westen – wie so viele Deutsche – an die Wiederkehr des Friedens glaubte, machte sich an ein neues Filmprojekt, der Saga Tiefland, deren Handlung in Spanien spielte. Wie im „Blauen Licht“ wird auch hier das Tal („Tiefland“) mit der reinen Bergwelt konfrontiert, die Heldin ist abermals eine schöne Ausgestoßene. Der Film konnte jedoch durch Kriegseinwirkungen nicht mehr fertiggestellt werden. Abermals erlitt die Riefenstahl mehrere Nervenzusammenbrüche und erkrankte in der Folge. Nach dem Kriege warf man ihr vor, sie habe 100 Sinti und Roma aus dem Konzentrationslager Maxglan bei Salzburg für ihren Film beschäftigt.
Im März 1944 hatte sie den Hauptmann der Gebirgsjäger Peter Jacob geheiratet, von dem sie sich jedoch schon 1947 wieder scheiden ließ. Am 30. März 1944 sah sie Adolf Hitler zum letzten Mal auf dessen Berghof am Obersalzberg: „Die frühere Begeisterung, die ich für Hitler empfunden hatte, war abgekühlt, die Erinnerung daran lebte noch in mir. Meine Gefühle bei dieser Begegnung blieben zwiespältig … Hitler küßte mir die Hand und begrüßte meinen Mann kurz, und ohne ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Mir fiel seine zusammengesunkene Gestalt auf, das Zittern seiner Hand und das Flackern seiner Augen – Hitler war seit unserer letzten Begegnung um Jahre gealtert. Aber trotz dieser äußeren Verfallserscheinungen ging immer noch die gleiche magische Wirkung von ihm aus, die er seit jeher besessen hatte.“

… und Nachkrieg

1945 wurde Leni Riefenstahl von den Alliierten für kurze Zeit verhaftet, ihr Eigentum beschlagnahmt. Von nun an wurde sie zu einer „Hohepriesterin faschistischer Kunst“ (Susan Sontag), zur Verkünderin einer „Apotheose der Gloriole“ des Dritten Reiches gestempelt, ihre Werke seien ein „Tryptichon faschistischer Darstellungen“. Seitdem sah sie sich von zahlreichen Beschuldigungen konfrontiert, so soll sie etwa „Nackttänze“ vor dem Führer vollführt haben. Sie erhielt auch ernstzunehmende Morddrohungen. Als „Führerbraut ohne Geschlechtsverkehr“ wurde sie gar von Rudolf Augstein stigmatisiert. Hilmar Hoffmann meinte, durch Leni Riefenstahl sei Hitlers Aufstieg zur totalen Macht erst möglich geworden. Jahrzehnte später war Hoffmanns Urteil allerdings erstaunlich milder; er bescheinigte ihr „filmhistorische Brillanz“ und führte ein „entspanntes Gespräch“ mit der Verfemten. Margarethe Mitscherlich sprach im Falle Riefenstahl von einem „Triumph der Verdrängung“. Riefenstahls 1987 erschienene Memoiren wurden von ihren Gegnern als „verlorener Kampf um die Erinnerung“ gewertet. In der Tat hat die Riefenstahl hier eine große Chance versäumt, nämlich sich offensiv mit ihrer Rolle im Dritten Reich auseinanderzusetzen. Vieles stellte sie ziemlich vereinfacht dar, zeitweise sagte sie die Unwahrheit und verwechselte Orte und Daten. Man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie sich reinwaschen wollte, statt zu ihrer echten Begeisterung für die Persönlichkeit Hitlers zu stehen, wie dies etwa Winifred Wagner tat. Schon seit langem hatten sich alle diejenigen im In- und Ausland, die ihr vordem noch stehende Ovationen dargebracht hatten, von ihr abgewandt. Dies, obwohl man ihr in ihrem „Entnazifierungspapier“ bescheinigte: „Propaganda zu treiben, lag ihr gänzlich fern.“ Daß ihre Werke zu ebensolchen Zwecken benutzt worden seien, könne „der Herstellerin nicht als Schuld zugerechnet werden“. „Gelitten habe ich nur darunter, daß ich nicht arbeiten konnte, meine Kreativität nicht ausleben konnte“, meinte sie in einem Interview. Zwar konnte sie niemals wieder an ihre einstigen großen Erfolge anknüpfen; viele ihrer Filmvorhaben wurden boykottiert, oder sie fand keine Produzenten dafür. Ihre Perfektion behielt sie jedoch bei, und ihr Bildband über den Stamm der Nuba von Kau, die im südlichen Sudan leben, erreichte sehr hohe Auflagen. Im Alter von bereits über 80 Jahren erlernte sie noch das Tauchen und machte herrliche Fotos der Unterwasserwelt, die ebenfalls als Buch veröffentlicht wurden. Bei den Olympischen Spielen in München 1972 fotografierte sie für das Sunday Times Magazine.

Die Riefenstahl als Teil der Pop-Kultur

Bei den Vorbereitungen ihrer Sudan-Expedition lernte sie 1968 den 40 Jahre jüngeren Horst Kettner kennen, den sie als Kameramann ausbildete und der seitdem ihr ständiger – auch privater – Begleiter wurde. Der Dokumentarfilmer Ray Müller brachte die Riefenstahl Anfang der 1990er Jahre mit seiner Dokumentation Die Macht der Bilder wieder in das öffentliche Bewußtsein. Unbestritten, daß die Riefenstahlsche Filmästhetik etwa seit Ende der 1980er Jahre eine bemerkenswerte Renaissance erlebte, in die allerdings bis zum heutigen Tage jeder etwas anderes hineininterpretiert. Unbestritten und für jedermann offensichtlich auch, daß ihre Handschrift die Werbestrategen von Davidoff, Wolfgang Joop und Calvin Klein beeinflußt hat, die sich vorurteilslos der von ihr favorisierten Kameraeinstellungen bedienten. Insoweit wurde auch Susan Sontag inzwischen Lügen gestraft, die noch 1974 behaupten konnte: „Keiner der heutigen Filmemacher greift auf die Riefenstahl zurück.“
In verstärktem Maße zog die Riefenstahl in die Pop-Kultur ein. Den Anfang machte das Cover der Schallplatte „Flesh and Blood“ von Brian Ferrys Band Roxy Music. Auch in etlichen modernen Musikvideos ist die Handschrift Leni Riefenstahls wiederzuerkennen, man denke nur an „Trans Europa Express“ (TEE) der Düsseldorfer Formation Kraftwerk, an „Go West“ von den Pet Shop Boys oder an „Stripped“ von Rammstein. Anläßlich ihres 90. Geburtstages würdigte man ihr Lebenswerk vor allem in den USA und Japan. Die Designerin Eiko Ishioka, eine Mitarbeiterin von Francis Ford Coppola, arrangierte 1991 eine große Riefenstahl-Ausstellung in Tokio. Coppola selbst und Steven Spielberg bezeichneten sich als ihre Bewunderer, und George Lucas nahm viele Riefenstahl-Anleihen für seinen Krieg der Sterne. Annie Leibovitz fotografierte die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta im Riefenstahl-Stil, und das Time Magazine wählte sie als einzige Frau unter die 100 wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Andy Warhol war begeistert von ihrem Lebenswerk, Siegfried und Roy fotografierten sie mit ihren weißen Tigern, Mick Jagger bekannte, einige ihrer Filme bis zu 15 Mal gesehen zu haben. Helmut Newton bat sie vor seiner Linse zu posieren, nannte ihre „Nazi-Sujets“ jedoch „beschissen“. Jodie Foster und Madonna wollten ihr Leben in einer Hollywood-Produktion darstellen. Selbst Alice Schwarzer feierte Leni Riefenstahls „alterslose Präsenz und Vitalität“.
1966 fand die erste Filmretrospektive im New Yorker Museum of Modern Art statt, 1974 war sie gar Ehrengast des ersten feministischen Filmfestivals in Colorado. Im Jahre 1995 veranstaltete die Stadt Mailand eine große Retrospektive auf Veranlassung der Fürstin Alessandra Borghese. Zwei Jahre später fand Gleiches in Rom statt. Endlich würdigte man ihr Werk auch in Deutschland, so 1998 in einer große Wellen schlagenden Retrospektive in Potsdam, der erfolgreichsten des Museums überhaupt. Schon einige Jahre zuvor hatte Johann Kresnik, der bereits Choreographien über Ernst Jünger und Gustav Gründgens inszeniert hatte, das Thema „Riefenstahl“ als Tanztheater auf die Bühne gebracht. Aufsehen erregte die 98jährige Greisin noch einmal, als sie im Sudan Opfer eines Hubschrauberabsturzes wurde – und mit nur wenigen Blessuren überlebte. Zuletzt erschien ein monumentaler Riefenstahl-Bildband unter dem Titel Fünf Leben. Die Riefenstahl nunmehr Teil der Pop-Kultur? Und seit dem Jahre 2002, als sie ihren 100. Geburtstag beging, noch zusätzlich mit dem geradezu unangreifbaren Nimbus des Ur-Alters, wie es Ernst Jünger nannte, versehen?
Leni Riefenstahls Name steht für eine geniale Filmregisseurin und Dokumentarfilmerin, aber auch als Beispiel geglückter Frauenemanzipation in einer restlos von Männern dominierten Welt, so daß sie streckenweise gar als Kultfigur der Frauenbewegung galt. Er steht aber auch für eine Mesalliance mit der Macht und für die Verstrickung in undurchschaubare politische Mechanismen in einer Zeit, die nach den Worten Egon Friedells wie eine „schwarze Wolke“ über Europa gefallen war. 1932 hatte Friedell über die „Zukunft der Menschheit“ prophezeit:
„Und nun fällt eine schwarze Wolke über Europa, und wenn sie sich wieder teilt, wird der Mensch der Neuzeit dahingegangen sein, weggeweht, in die Nacht des Gewesenen, in die tiefe Ewigkeit; eine dunkle Sage, ein dunkles Gerücht, eine bleibende Erinnerung. Eine der zahllosen Spielarten des menschlichen Geschlechts hat ihr Ziel erreicht und ist unsterblich zum Bilde geworden.“
Leni Riefenstahl starb am 8. September 2003 in ihrem Haus in Pöcking.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Wiedergabe eines Kapitels aus folgendem Buch:

Werner Bräuninger
„Ich wollte nicht daneben stehen …“
Lebensentwürfe von Alfred Baeumler bis Ernst Jünger Essays
352 Seiten, ca. 40 Fotos, Hardcover
Preis: € 19,90, ISBN 978-3-902475-32-9

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So gut auch die Zeit des Dritten Reiches erforscht ist, so wenig bekannt ist die Mentalitätsgeschichte dieser Zeit, insbesondere, was die Motive und geistigen Hintergründe jener konservativen und rechten Intellektuellen betrifft, die nur zu oft zwischen Hingabe, innerer Emigration und offenem Widerstand schwankten. 14 Essays über Vertreter der „Inneren Emigration“, NS-Dissidenten und Bruchlinien jener Zeit.
Behandelt werden u. a. Arno Breker, Ernst Jünger, Winifred Wagner, Leni Riefenstahl und Ernst Kantorowicz, der deutsch-jüdische Historiker aus dem Kreis um Stefan George. Auch dem „NS-Vorzeigephilosoph“ Alfred Baeumler, dem ehemaligen Generalintendanten des Weimarer Nationaltheaters Hans Severus Ziegler, Hans-Peter des Coudres, einst Bibliothekar der SS auf der Wewelsburg, dem Historiker Christoph Steding und dem Dichter Ernst Bertram, einem engen Freund Thomas Manns, sind Kapitel gewidmet, daneben der für die Geschichte der „Inneren Emigration“ wichtigen Literaturzeitschrift „Das Innere Reich“ sowie der deutschen Wochenzeitung „Das Reich“.


 
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