Die evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland ist immer für Überraschungen gut. Nein, es geht da nicht um den schon längst vollzogenen „Abfall vom Vaterland“ (A. Evertz) oder um die Unterstützung kommunistischer Aufstandsbewegungen in Afrika und Südamerika – das alles sind längst keine Neuigkeiten mehr. Auch die „Kircheneintrittsstellen“ oder die Trauung – pardon: Segnung – homosexueller und damit widernatürlicher, perverser „Partnerschaften“, sind damit nicht gemeint. Man hechelt eben dem Zeitgeist nach. Was kann man schon erwarten von einer christlichen Glaubensgemeinschaft, in der, dem Irrtum eines „Wertewandels“ folgend, den Zehn Geboten nur noch in Selbstauslegung nachgelebt wird, in der eine hochrangige „Priesterin“ in wilder Ehe lebt, weil sie „ihre Freiheit nicht aufgeben“ will? Welchen Geistes solche „Zeit-Geistliche“ wohl sind?
Nein, diesmal geht es um viel mehr. Im Herbst 2006 wurde in Deutschland eine „Bibel in gerechter Sprache“ vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine Neuübersetzung, die laut Werbetexten die Menschen in einer unkomplizierten, zeitgemäßen Sprache ansprechen will. Schon der Titel läßt Schlimmes erahnen: Bibel in gerechter Sprache. Das bedeutet doch im Umkehrschluß nichts anderes, als daß die Bibel bisher nicht gerecht vermittelt worden sei. Und dem sollte offenbar radikal abgeholfen werden.
Die Bibel ist die heilige Schrift aller Christen, das Wort Gottes. Ihre Übersetzung in die deutsche Sprache durch Martin Luther war ein literarisches und weltgeschichtliches Ereignis. Seither gab es zahlreiche weitere Übersetzungen, darunter die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene, ökumenisch anerkannte „Einheitsübersetzung“, die bisher den Theologen wie dem Kirchenvolk genügt hat. Jetzt hat man, um einem von einer Minderheit geäußerten, offenbar ganz dringenden Bedürfnis nachzukommen, die Bibel umgeschrieben. Man muß sich das erst so richtig zu Bewußtsein kommen lassen: die Bibel verändert, von Evangelischen, die das Wort, das unverfälschte Wort Gottes einst in den Mittelpunkt ihres Lebens und ihrer Glaubenspraxis gestellt haben!
Für diese neue Bibel zeichnen 52 männliche und weibliche Autoren verantwortlich, unter ihnen auch Katholiken. An dem Text wurde fünf Jahre lang gearbeitet. Das Projekt hat 400.000 Euro gekostet. Die Übersetzung wurde auch aus Österreich mitfinanziert, u. a. von der linkskatholisch-feministischen Organisation „Wir sind Kirche“. Diese vertritt Ziele, die eindeutig dem Protestantismus zuzuordnen sind. Sie lehnt die kirchliche Hierarchie ab, fordert den Zugang von Frauen zum Priesteramt sowie die Abschaffung des Zölibats. Sie steht somit in Gegensatz zur Lehre und wird daher von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannt.
Erstmals sei die Bibel mit der Absicht übersetzt worden – so die Projektleiterin Hanne Köhler im Oktober 2006 –, nicht nur um dem Urtext gerecht zu werden, sondern auch den Geschlechtern, dem christlich-jüdischen Dialog und den sozialen Verhältnissen. Der Gott der Bibel sei ein Gott der Befreiung und kein knechtender Herr, ergänzte dazu der Bielefelder Alttestamentler Franz Crusemann. Da konnte Martin Leutzsch von der Universität Paderborn nicht zurückstehen: „Wir haben die Gerechtigkeit zum Kriterium gemacht: die Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern und die Gerechtigkeit zwischen Christentum und Judentum. Diese zwei Dimensionen haben wir versucht, mit sozialgeschichtlichen, sprachlichen und exegetischen Erkenntnissen zu verbinden.“
Die Mitherausgeberin Ulrike Bail schreibt zur Neufassung der Bibel geradezu programmatisch (und stets gut feministisch mit Binnen-I): „Hier tritt zunächst das Verhältnis der Geschlechter in den Vordergrund. So werden auch Jüngerinnen Jesu erwähnt, die es sicher gegeben hat. So wird aber auch das Sprechen über Gott selbst von der einseitigen Festlegung auf männliche Bilder regelrecht befreit. Das zweite große Ziel dieser Neuübersetzung ist es, die Texte des Alten Testamentes (AT) als Dokumente Israels und seiner Erfahrung mit Gott und die Texte des Neuen Testamentes (NT) vor ihrem jüdischen Hintergrund zu lesen … So haben wir versucht, den Stereotypien des christlichen Antijudaismus nicht noch weitere Nahrung zu geben … Tatsächlich sind z. B. die Streitigkeiten zwischen Jesus-AnhängerInnen und PharisäerInnen, welche zwischen zwei Gruppen, die sich theologisch sehr nahestanden. Als drittes wollten wir dem Bedürfnis nach einer verständlichen Sprache nachkommen …“
In der Neuübertragung kommen eindeutig egalitaristische, feministische, gesellschaftsverändernde und befreiungstheologische Ziele zum Vorschein. Gott ist nicht mehr der „Herr“. Der „Herr“ wurde abgeschafft. Während Luther an 7.000 Stellen der Bibel den Namen Gottes mit „Herr“ übersetzte – analog zum hebräischen „adonaj“ und zum griechischen „kyrios“ –, bietet die neue Bibel gleich eine ganze Auswahl von Titeln, und natürlich in beiden Geschlechtsformen: „Adonaj“, „die Lebendige“, „der Ewige“, „die Heilige“, „Sie“, „Du“. Allerorten tauchen Prophetinnen, Pharisäerinnen, Diakoninnen, Richterinnen, Handwerkerinnen und Hirtinnen auf, ja sogar Jüngerinnen und Apostelinnen! Daß weder unter den Jüngern noch unter den Aposteln sich eine Frau befunden hatte, tat für die „fortschrittliche“ Neuformulierung nichts zur Sache: es hätte ja doch so gewesen sein können! Im Paulus-Brief an die Römer wurde „Brüder“ durch „Geschwister“ ersetzt. Dann heißt es weiter: „Die Rache liegt in meinen Händen, ich werde alles Unrecht vergelten, spricht die Lebendige: Wenn dein Gegner hungert, gib ihm zu essen. Wenn deine Feindin Durst leidet, gib ihr zu trinken.“
Als Beispiel für die angestrebte Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum wird mit dem Argument, daß Jesus und seine „Jüngerinnen und Jünger“ ebenfalls Juden gewesen seien, der Begriff „die Juden“ nun getauscht gegen „andere jüdische Menschen“. Die Neuübertragung stellt auch Jesus anders dar als bisher bekannt: Jesus tritt als ein im Judentum verwurzelter Toralehrer auf. Ehemals als „Heuchler“ bezeichnete „Pharisäer und Schriftgelehrte“ werden jetzt zu „Scheinheiligen unter den Toragelehrten und pharisäischen Männern und Frauen“.
Auch historische Herrschaftsverhältnisse durften nicht weiter bestehen bleiben. Knechte und Mägde wurden zu „Sklavinnen und Sklaven“, die „müßigen Arbeiter“ im Weinberg zu „Arbeitslosen“ gemacht. Es darf eben nichts sein, was nicht „politisch korrekt“ ist. Mit anderen Worten: Wenn die Bibel nur von Jüngern und Aposteln spricht und nicht auch (möglichst quotenkonform) von Jüngerinnen und Apostelinnen, umso schlimmer dann für die Bibel:
Einen Höhepunkt stellt sicher die Verunstaltung des „Vater unser“ vor. KATH.NET dokumentiert, wie die biblischen Urtexte willkürlich verändert worden sind, an Hand von Matthäus 6, 9–13:
„So aber betet:
Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel,
dein Name werde geheiligt.
Deine gerechte Welt komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf der Erde.
Das Brot, das wir brauchen, gib uns heute.
Erlaß uns unsere Schulden, wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind.
Führe uns nicht zum Verrat an dir, sondern löse uns aus dem Bösen.“
Eine solche „Bibel in gerechter Sprache“ muß weithin auf Kritik stoßen. Die einhellige Meinung nicht zeitgeistgebundener Theologen geht dahin, daß eine Übersetzung der Bibel deren Urtext in seiner ursprünglichen Intention wiedergeben solle. Zeitgemäße Auslegung gehöre allenfalls in einen Kommentar, eine Fußnote oder eben in eine Predigt. Auch gebe es bereits eine „geschlechtsneutral“ revidierte (!) und ökumenisch anerkannte Neufassung der Heiligen Schrift mit dem Titel „Gute Nachricht Bibel“. Nach Auffassung des Münchner Neutestamentlers Jörg Frey werden in der Neuübertragung biblische Urtexte verfälscht und Leser in die Irre geführt. An den Texten sei „herumgedoktert“ worden, bis sie in die Ideologie der Herausgeber gepaßt hätten. Die Arbeit sei „wissenschaftlich unsachgemäß und unverantwortlich, weil nicht klar zwischen Übersetzung und Deutung unterschieden“ worden sei.
Der Zürcher Religionsphilosoph Ingolf U. Dalferth klassifiziert das Übersetzungswerk als „irreführend“. Irrtümer seien in keiner Übersetzung auszuschließen, „aber wenn man sich durchgehend nicht mehr darauf verlassen kann, daß das, was man im Deutschen liest, im biblischen Urtext steht, sollte man nicht mehr von Übersetzung reden“. Diese gehe von Annahmen aus, die sie weder begründe noch beweise. Der „geschlechtergerechte Antidiskrimierungswunsch“ sei der „Vater der Übersetzung“. Zuweilen geschehe diese „ohne Angst vor Absurditäten“. Dalferth ortet das Bemühen der Herausgeber, Differenzen zwischen der Lehre Jesu und dem Judentum zu verwischen. Die verschiedenen Namen Gottes würden „in völliger Willkür“ gewählt, wobei das übliche griechische „kyrios“ (Herr) eliminiert worden sei. Wenn eine Bibelübersetzung die geschichtlichen Entwicklungen des Glaubens negiere und religiöse Identitäten von Juden und Christen verwische, verfehle sie ihren Zweck: „Sie ist nicht textgerecht und richtig, sondern schlicht schlecht, falsch und nichtig.“ Sie trage „Züge einer schwärmerischen Ideologie“ und sei vielerorts „philologisch unzuverlässig, historisch irreführend und theologisch konfus“. Das breite Mitwirken protestantischer Kirchen an dieser Neuübertragung werfe „ein trauriges Licht auf den Zustand der protestantischen Theologie“, so der Religionsphilosoph.
In Bremen befürchtet der Pastor Jens Motschmann, „daß diese neue Bibelübersetzung ein weiterer markanter Schritt auf dem Weg zur Selbstzerstörung der evangelischen Kirche ist“. Für den Gebrauch in der Gemeinde sei diese Bibel ungeeignet, „denn sie dient einem anderen Gott als dem Vater Jesu Christi“. Sie verleugne das urchristliche Bekenntnis, wie es der Jünger Thomas vor Jesus ausgesprochen habe: „Mein Herr und Gott“ (Johannes 20, 28). Für Motschmann ist die „Bibel in gerechter Sprache“ die „Bibel der Feministinnen und Feministen“.
Scharfe Kritik kommt auch von Pastor Ulrich Russ, dem Vorsitzenden der Hamburger „Kirchlichen Sammlung von Bibel und Bekenntnis“. Die Bibel sei von Vertretern der links-feministischen Theologie „frisiert“, der Urtext „manipulativ und verfälschend“ verbogen worden. Theologisch sei das Werk „unseriös“ und „bekenntniswidrig“, Gott werde zum unpersönlichen Es. Jesus würden Worte in den Mund gelegt, die er nie gesprochen habe, beispielsweise im „Vater unser“: „Du Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel“. Es fehle nur noch, daß man von „Jesa Christa“ spreche. Wenn die evangelische Kirche nicht gänzlich ihre Daseinsberechtigung verlieren wolle – schließt Russ –, müsse die Autorität, Verbindlichkeit und Heiligkeit des Wortes Gottes gefördert werden.
Anders natürlich die zeitgeistig gelenkten Medien, die Vertreter der veröffentlichten Meinung. Das bundesdeutsche Fernsehen berichtete ausführlich über die Vorstellung des solcherart verfälschten Wortes unseres Herrn. Dabei zeigte sich in einer Sendung das zu mehr als 90 % aus Frauen bestehende Auditorium mit der neuen, verschlechtbesserten Fassung der Heiligen Schrift hochzufrieden. Eine Religionslehrerin fand nur lobende Worte für die ihrer Meinung zufolge schon längst fällig gewesene geschlechtsneutrale Formulierung. Sie werde diese Bibel zukünftig in ihrem Unterricht verwenden.
Der Verfasser des vorliegenden Berichtes konnte in Gesprächen mit gläubigen evangelischen Christen deren zwischen tiefer Enttäuschung und ebenso tiefer Verärgerung schwankende Reaktion auf die Neuübersetzung feststellen. Bissig geht es im Chat-Room des Internets zu: „Die Bibel in Newspeak“, „Vom Koran werden die Bücherstürmer wohlweislich die Finger gelassen haben“ oder „Nun hat das getarnte Antichristentum auch noch seine verhunzte Bibel“.
Allen Kommentaren ist eines gemeinsam: Mit der „Bibel in gerechter Sprache“ hat man sich am Wort Gottes vergriffen. Diese Neufassung stellt einen weiteren Schritt in Richtung auf das „Weltethos“ des häretischen katholischen Theologen Hans Küng dar. Ob auch die Loge mitgewirkt hat? In jedem Fall ist das Werk zu weiteren „politisch korrekten“ Konditionierung des deutschen Volkes bestimmt.
Der in beiden (noch!) großen christlichen Bekenntnissen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – herrschende Modernismus in Verein mit dem unablässigen Streben nach „political correctness“ macht es den Gläubigen nicht leicht, am Glauben festzuhalten. Sie müssen eine hohe, für manchen nicht mehr erträgliche Elastizität aufweisen, um den jeweiligen „Verbesserungen“ in Lehre und Liturgie folgen zu können. Das Ergebnis ist, daß sich immer mehr Gläubige von den Amtskirchen abwenden.
Für die neue katholische Liturgie hat Martin Mosebach das treffende Wort von der „Häresie der Formlosigkeit“ geprägt. Die Umänderung der Bibel, die sich vorwiegend evangelische Christen zu Schulde haben kommen lassen, darf man wohl als „Häresie des Fälschertums“ bezeichnen. Den Auftrag Luthers „Das Wort sie sollen lassen stahn“ haben die an der Herausgabe dieses Konstrukts Beteiligten jedenfalls nicht beherzigt. Sich anzumaßen, das Wort Gottes zu „verbessern“ – ist das nun bloß Fälschertum oder bereits Blasphemie?