So mancher grimmiger NS-Gegner aus dem katholischen Bereich, von wackeren „Antifaschisten“ nach 1945 oft in höchsten Tönen gelobt, war ursprünglich ein verhinderter Brückenbauer zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich. Ein Musterbeispiel hierfür ist der Jesuitenpater Friedrich Muckermann (1883–1946), in der Weimarer Zeit einer der führenden Köpfe der reichsdeutschen katholischen Intelligenz. Mit seiner Exil-Zeitschrift „Der deutsche Weg“ entwickelte sich Muckermann ab Sommer 1934 zu einem leidenschaftlichen Anti-NS-Propagandisten, der in der ersten Phase des II. Weltkriegs durch Reden, die der französische Rundfunk ausstrahlte, objektiv zum Vaterlandsverräter wurde, obwohl er sich subjektiv durchaus für einen guten deutschen Patrioten hielt.
Schon 1923, im Krisenjahr der Weimarer Republik und im Zusammenhang mit dem Ruhrkampf, hatte Muckermann prophezeit: „Wenn einer käme, der es verstände, das Nationale und das Soziale in eine neue Einheit zu binden, darauf dann das Programm der Zukunft zu bauen, ein solcher Mann könnte Wunder wirken in Deutschland.“ An der damals noch kleinen NS-Bewegung mißfiel ihm vor allem das Treiben von „Wotansleuten“, und er bedauerte, daß „selbst in katholischen Städten unsere beste Jugend die katholische Fahne verläßt, um unter die Wotansleute zu gehen.“1 1930/31, nach großen Wahlerfolgen der Nationalsozialisten, machte sich Muckermann Gedanken über: „Die positive Überwindung des Nationalsozialismus.“ Er betonte: „Wir leugnen nicht den guten Kern, der in Adolf Hitlers Weltanschauung liegt. Wir lassen uns von ihm nicht übertreffen in dem starken Willen, unsere ganze Kraft für die Befreiung des deutschen Volkes einzusetzen. Auch wir wollen eine Ordnung, die wieder mehr mit den Kräften des Volkstums und des Bodens verwurzelt ist.“ Die „positiven Keime“ innerhalb der Hitler-Bewegung sollten zur Entfaltung gebracht werden: „Wir haben einfach die Pflicht, diese große Bewegung, in der so viele ideal gesinnte Leute vorhanden sind, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu einer Reformbewegung zu machen.“ Dieses Wunschdenken Muckermanns wurzelte unter anderem in seinem starken Antibolschewismus und in seiner Begeisterung für den Reichsgedanken nach Muckermann.
Der Feldgeistliche Muckermann war 1919 in Wilna in bolschewistische Gefangenschaft geraten; aus leidvoll-hautnaher Begegnung mit dem Bolschewismus erwuchs seine Sympathie für alles, was geeignet erschien, den Bolschewismus gedanklich und in der gesellschaftlich-staatlichen Wirklichkeit zu überwinden. Was die Reichsidee anbelangt, so sollte sich diese übernationale Idee als Wiedergeburt des Sacrum Imperium unter verändertem Vorzeichen in den nationalen Grenzen entfalten. Wie sehr ihn das emotional bewegte, zeigt eine Äußerung Muckermanns vom Januar 1928: „Das Reich, es ist der Inbegriff aller Dinge im nationalen Schicksal. Das Reich, es ist die Versammlung aller Großen, die je durch unsere Gaue geschritten sind. Das Reich, es ist der Sang unserer Schlachten und der Klang unserer Lieder. Das Reich, es ist das, was wir einst gewollt, als wir noch jung waren und mit Walther von der Vogelweide unser Tandaradei hinausjubilierten. Das Reich, es ist die Weisheit unserer Denker und der Traum unserer Dichter.“
In der Jubelstimmung des Frühjahrs 1933 kommentierte Muckermann Reichskanzler Hitlers Rede zum Ermächtigungsgesetz, in der dieser die christlichen Kirchen umwarb, wie folgt: „Hitlers Worte zwingen uns nicht zu einer Revision unserer Anschauungen, sondern sie geben uns im Gegenteil, falls ihnen wirklich die Tat folgt, durchaus Möglichkeiten, unsere Ideen vom Aufbau der Nation und von der Erneuerung der Gesamtkultur nun mit erneuter Kraft durchzuführen. Auf solche Weise würdigen wir des Kanzlers Worte mit vollkommener Loyalität, aber auch mit katholischem Stolze.“ Es ging Muckermann nun darum, den Nationalsozialisten den deutschen Katholizismus als einen unentbehrlichen Helfer beim sittlich-moralischen Neuaufbau des Reiches vorzustellen. Der Abschluß des Reichskonkordats im Sommer 1933 bestärkte den Pater in seiner Meinung. Verbale Entgleisungen und brutale Übergriffe von Nationalsozialisten bagatellisierte er, indem er an der Unterscheidung zwischen dem Führer, dem er damals noch hohe staatsmännische Qualitäten zusprach, und seiner Bewegung festhielt. Letztlich war es dann der Totalitätsanspruch der NS-Ideologie, sofern er in den religiösen Bereich einbrach, der bei Muckermann zu einem Umdenken führte.
Der Nationalsozialismus wurde für ihn zu einem System der Lüge im Dienste Luzifers. In „Der Gral“ (ursprünglich eine Literaturzeitschrift des Wiener Kralik-Kreises, deren Herausgeberschaft Muckermann in den 1920er Jahren übernommen hatte) veröffentlichte der Pater im Juni 1934 einen Artikel über den „Prunk des Teufels“ („Pompa diaboli“). Hier deutete er die geistigen Kämpfe dieser Zeit als Schlacht zwischen Christus und Luzifer. Weil er (als Folge des „Röhm-Putsches“ vom 30. Juni 1934) seine Verhaftung befürchtete, floh Pater Muckermann am 14. Juli 1934 in die Niederlande. In seinem propagandistischen Kampf gegen das Dritte Reich steigerte er sich in einen rigorosen Konfrontationskurs hinein, der sogar den deutschen Bischöfen, die immer wieder versuchten, mit den NS-Machthabern einen modus vivendi zu finden, lästig wurde. (Kardinal Faulhaber: „Es gehört nicht viel Mut dazu, aus dem sicheren Versteck eines Emigranten den deutschen Bischöfen vorzuschreiben, was sie zu tun hätten.“)
Die katholischen Brückenbauer zum Nationalsozialismus waren Deutsche, die keineswegs vorhatten, dem katholischen Glauben und der katholischen Kirche untreu zu werden oder ihr zu schaden. Sie wollten der Kirche helfen, in einer Zeit revolutionärer Gärung und Umgestaltung ihrem seelsorglichen Auftrag zeitgerecht nachzukommen und Gutes auch dort zu sehen (und an es anzuknüpfen), wo es nach ihrer Meinung bisher nicht erkannt oder falsch gedeutet worden war.
Vor der NS-Machtübernahme im Jahre 1933 war die offizielle kirchliche Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eindeutig ablehnend gewesen. Kardinal Faulhaber brachte es am 19. November 1930 auf den Punkt: „Der Nationalsozialismus ist eine Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen.“2 Für dieses Urteil ließe sich einiges aus dem Ideenkonglomerat des Nationalsozialismus (und aus dem Verhalten von Mitgliedern und Funktionären der Partei) anführen. Die ablehnend-feindselige Haltung hängt aber auch mit einer wahlsoziologischen Tatsache zusammen. Im kleindeutschen Reich (und auch in der Weimarer Republik) war der katholische Volksteil in der Minderheit; als seine parlamentarische Interessensvertretung hatte sich seit dem Kulturkampf der Bismarckzeit die Zentrumspartei (in Bayern BVP) bewährt. Die Wahlerfolge der NSDAP minderten die Wahlchancen des Zentrums, auch wenn das seit Generationen eingeübte und verfestigte Wahlverhalten der kirchentreuen Katholiken nur schwer in kurzer Zeit durch eine neue Partei aufzubrechen war. Den Bischöfen jedenfalls schien das Zentrum zur Wahrung kirchlicher Rechte und Freiheiten unentbehrlich zu sein.
In Hitlers Regierungserklärung vom 23. März 1933 (zur Begründung des Ermächtigungsgesetzes) glaubten die katholischen Bischöfe Zusicherungen des Regierungschefs und Parteiführers für die Rechte und Freiheiten der Kirche zu erkennen. In einer Proklamation vom 28. März 1933 rückten die reichsdeutschen Oberhirten daher vorsichtig vom bisherigen Kurs der Verbote gegenüber der NS-Bewegung ab, ohne jedoch die Verurteilung gewisser religiös-sittlicher Irrtümer, die sie im Nationalsozialismus angelegt sahen, aufzugeben. In Teilen des reichsdeutschen Katholizismus wurde dies als ein Dammbruch angesehen; wer Brücken zum Nationalsozialismus bauen wollte, konnte sich nun ermutigt fühlen. Insbesondere wenn sie Formulierungen vernahmen, wie sie der Hirtenbrief der bayerischen Bischöfe vom 6. Mai 1933 enthielt: „Unsere jetzige Reichsregierung hat sich große und schwierige Aufgaben gestellt; sie will das deutsche Volk, das an den Folgen des verlorenen Weltkrieges und der Revolution so unsäglich viel leidet, wieder zur früheren Höhe emporführen durch eine geistige, sittliche und wirtschaftliche Erneuerung. Dieses Ziel kann angesichts unserer schrecklichen Not und Zerrissenheit nur erreicht werden, wenn alle, die ihr Vaterland wahrhaftig lieben, einmütig und opferbereit zusammenstehen und zusammenarbeiten.“3
Am 20. Juli 1933 wurde das Reichskonkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan abgeschlossen. Da ein solches Konkordat in der Weimarer Zeit nicht zustande gekommen war, steigerte der Abschluß Hoffnungen und Illusionen in weiten Teilen des deutschen Katholizismus. Ganz besonders die Brückenbauer mußten sich in ihrem Vorhaben bestätigt sehen.
Trotz verbaler Entgleisungen von NS-Funktionären, trotz zahlreicher Übergriffe gegen katholische Einrichtungen und Organisationen klammerte man sich damals in katholischen Kreisen an die Vorstellung von der „Front aller Gutwilligen“. Trotz vieler Vorbehalte gegen die revolutionäre Art nationalsozialistischer Machtausübung versicherte der Hirtenbrief der deutschen Oberhirten vom 8. Juni 1933: „Fest verwurzelt im deutschen Boden, aber nicht minder fest im Felsengrund Petri und unserer Kirche, reichen wir deutschen Bischöfe und Katholiken auch unseren anderen Brüdern die Hand, um mitzuhelfen am Wiederaufbau des Volkes.“4
Die neue Staats- und Regierungsform, die sich damals herausbildete, war für die katholische Kirche kein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit. Der spätere Papst Pius XII., damals noch Kardinalstaatssekretär Pacelli, wies die Reichsregierung in einem Promemoria vom 21. Jänner 1934 darauf hin, daß die Kirche eine staatliche Um- und Neuorganisation keineswegs ablehne. „Sie lebt in korrekten und guten Beziehungen zu Staaten der verschiedensten Regierungsformen und der unterschiedlichsten inneren Struktur. Sie hat Konkordate abgeschlossen mit Monarchien und Republiken, mit demokratisch und autoritär geleiteten Staaten.“5
Die Brückenbauer waren akademisch gebildete Deutsche, die teils als Einzelpersonen, teils in Zusammenschlüssen mit ihren Überlegungen auf das proklamierte Aufbauwerk einzuwirken trachteten. Erfaßt von der überschwenglichen nationalen Begeisterung des Jahres 1933, hofften sie, es werde gelingen, den Nationalsozialismus umzuformen, zu mäßigen, ja zu „taufen“.
Wegen des hohen emotionalen Wertes, den der Begriff „Reich“ für den Nationalsozialismus hatte, konnten katholische Priester und Laien, wenn sie sich um eine Reichsideologie oder eine Reichstheologie bemühten, vielleicht Zugänge zum Nationalsozialismus finden. Allerdings hätten sie damit rechnen müssen, daß ihre Denkbemühungen, sofern sie von NS-Seite zur Kenntnis genommen wurden, wegen des spezifisch christlichen Gehalts bei vielen Nationalsozialisten Aversionen hervorriefen. Ob solche Gedankengebäude aus katholischer Grundhaltung Reichsideologie oder Reichstheologie waren, hing von der Gewichtung bestimmter Strukturelemente ab. Reichsideologie ist eine aus der Betrachtung der Vergangenheit gewonnene Gegenwartsinterpretation, die zu einem gedanklichen Zukunftsentwurf ansetzt. Überwiegt in diesem Dreischrittverfahren das heilsgeschichtliche Element, handelt es sich um eine Reichstheologie.
Am 6. Juli 1933 stand in der zentrumsorientierten Rhein-Mainischen Volkszeitung folgender Satz aus der Feder von Robert Grosche (Jg. 1888, Dominikaner, promovierter Kunsthistoriker, Dozent an der Düsseldorfer Kunstakademie, Kölner Universitätsprediger): „Das Reich … ist die politische Lebensform der christlichen Völker, die wesentliche Verwirklichung des Christentums im politischen Bereich … Der Staat gehört dem Bereich der Natur an, aber das Reich dem Bereich der Geschichte, der Heilsgeschichte ist. Durch das Reich wird der Staat getauft und erlöst, wird befreit von seiner gefährlichen Absolutheit … Träger des so verstandenen Reiches ist das deutsche Volk. Deutschland besitzt eine ursprüngliche Bestimmung zum Reich … Die Übertragung des Reiches auf die Deutschen muß als Berufung und Begnadung angesehen werden, als Vollendung der Natur durch Gnade.“6 1934 faßte Grosche seine thomistisch geprägten Überlegungen7 in dem Satz zusammen: „Das Reich ist die Säkularisation des Reiches Gottes.“ Grosche konnte aber auch politisch konkreter werden. So etwa im Oktober 1933, als er, noch in naivem Vertrauen auf das Reichskonkordat, andeutete, wie sich nach seiner Meinung die deutschen Katholiken das neue Reich wünschten: „Dieser neue deutsche Staat ist, wenn er sich zum berufsständischen Aufbau bekennt, wenn er weiter im Führergedanken ein echt deutsches Prinzip wieder aufgenommen hat, und wenn er endlich das Problem der Arbeit vom Volk aus zu lösen unternimmt, auf dem Wege zum Reich. Aber wenn sich die katholischen Deutschen … in echtem Konservatismus christlichen Denkens zum Reich bekennen, so schließt das nicht aus, vielmehr ein, daß sie sich auch zum Staat bekennen; es fordert, daß sie ohne eine falsche Angst vor dem totalen Staat, der die Rechte der Kirche zu beeinträchtigen, wie die Erfahrung zeigt, keine Anstalten macht, mit ihren Kräften an dem Aufbau dieses Staates bauen, der Keimzelle des Reiches sein kann, wenn er Staat voll echter Autorität und echter Würde ist.“8
Der promovierte Benediktiner Damasus Winzen (Jg. 1901) aus Maria Laach (Eifel) baute die Reichstheologie noch stärker aus als Grosche. Für ein „Erwachen des Reichsbewußtseins“ sah Winzen im Frühjahr 1933 gute Chancen. Zum einen wegen der natürlichen Veranlagung des deutschen Volkes, zum anderen wegen der sich abzeichnenden Überwindung der Ideen der Französischen Revolution: „Führertum steht gegen Gleichheit; organische Bindung und Universalismus gegen Freiheit und Internationale; nationale Arbeit gegen die Ideologie des Klassenkampfes und des Materialismus. Der endgültige Sieg des deutschen Reichsgedankens aber wird davon abhängen, ob diese drei Ideen entschlossen auf ihre letzte Grundlage zurückgeführt werden, auf den lebendigen Gott, der der ewige Vater aller Herrschaft … ist.“
Im Dezember 1933 arbeitete in den „Werkblättern“ des ND-Älterenbundes der promovierte Religionslehrer Rudolf Graber, Jg. 1903 (später in der BRD Bischof von Regensburg), die geographischen, historischen, biologischen und heilsgeschichtlichen Gründe zur Beantwortung der Frage heraus, warum das deutsche Volk Träger des Reiches geworden sei. Bis wenige Monate zuvor hatte Graber den Älterenbund von „Norddeutschland“ geleitet, der die Studenten und Berufstätigen umfaßte. (Zahlenmäßig weit stärker war der ND-Jüngerenbund, in dem katholische höhere Schüler zusammengeschlossen waren.) Den rassischen Faktor benannte Graber so: „Die germanische Rasse trat als eine gesunde, unverbrauchte Rasse ein in die Geschichte. Sie ist nicht angekränkelt von der sittlichen Fäulnis der ausgehenden Antike, von deren müder Resignation und Untergangsstimmung, sondern tritt froh und freudig mit ihren blauen Augen und blonden Haaren hinein in die Welt, die ihr gehört. Soll das heilige Reich einem greisenhaft abgelebten, sterbenden Volk oder einem in jugendlicher Kraft strotzenden Volke anvertraut werden? Diese Rasse hat … eine überschäumende, fast unheimliche Fruchtbarkeit an differenzierten Volkstumskräften in sich …“
Im eigenen Bund stieß Graber neben Zustimmung auch auf entschiedenen Widerspruch. So etwa: „Das Träumen vom Reich ist sinnlos, die harte Wirklichkeit, in der der Staat steht, soll man nicht durch die Sakralisierung des Reichsbegriffs verwischen.“
Reichstheologie gab es natürlich auch in Österreich. Ein typisches Beispiel hierfür sind Worte, die Anton Böhm beim Deutschen Katholikentag 1933 in Wien sprach. Böhm war Bundesführer des Bundes Neuland, der am ehesten mit dem im Deutschen Reich wirkenden jugendbewegten Bund Neudeutschland verglichen werden kann. (Nach dem II. Weltkrieg war Böhm lange Jahre führend beim „Rheinischen Merkur“ tätig.) Damals sagte er: „Das Reich braucht Menschen, die das Reich in sich tragen. Wir selbst sind das Reich. Wir können das Reich in uns erwecken, indem wir ganz bescheiden und im kleinen … das Vorbild des wahren Reiches verwirklichen, und wir können es schließlich dadurch vorbereiten, daß wir uns dem mystischen Leib Christi fester und immer fester eingliedern … So wächst mit dem Gottesreich auch der Keim des Reiches der Deutschen. Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles übrige, auch das Reich der Deutschen, wird euch hinzugegeben werden.“
Geistliches Zentrum dieser politischen Theologie war 1933 die Benediktinerabtei Maria Laach. Vom 21.–23. Juli 1933 fand hier die berühmt gewordene Tagung des Katholischen Akademikerverbandes statt, die ganz im Zeichen der Reichsidee stand. Unter den 150 Teilnehmern waren prominente Professoren (u. a. Alois Dempf, Martin Spahn, Carl Schmitt, Franz Schnabel, Peter Wust), die führenden Reichstheologen, die Publizisten Edgar J. Jung, Emil Ritter und Wilhelm Spael, an politischer Prominenz u. a. Vizekanzler Franz von Papen, der Oberpräsident der Rheinprovinz Herman von Lüninck, der Kölner Regierungspräsident zur Bonsen, der Industrielle Fritz Thyssen. Auch Uniformierte waren unter den Teilnehmern: in Uniform der NS-Organisationen, andere in Stahlhelm-Uniform (wie etwa Prinz Albrecht von Hohenzollern-Namedy). Der Hausherr von Maria Laach, Abt Ildefons Herwegen (Jg. 1874), bekannte sich zum nationalsozialistischen Staat, wobei er bereit war, die für den Katholizismus schmerzlichen Beeinträchtigungen hinzunehmen: „Sagen wir ein rückhaltloses Ja zu dem neuen soziologischen Gebilde des totalen Staates, das durchaus analog gedacht ist dem Aufbau der Kirche. Die Kirche steht in der Welt wie das heutige Deutschland in der Politik. Der Schritt aus der Idee zur Wirklichkeit vollzieht sich nicht immer glatt. Etwas so Ungeheures, wie es sich jetzt vollzieht, kann nicht ohne Leiden sein. Das Leiden hat eine große Funktion innerhalb der Geschichte der Menschheit.“ Später wandte sich der Abt entsetzt von den Realitäten des Dritten Reiches ab, das ihm in die Hände von Verbrechern gefallen zu sein schien.
Um die deutschen Katholiken an das neue Reich heranzuführen, war im April 1933 unter der Schirmherrschaft Franz von Papens der Bund „Kreuz und Adler“ gegründet worden; schon die Symbolik des Namens sprach für sich. Papen hatte das benötigte Gründungskapital von 30.000,– Reichsmark zur Verfügung gestellt. Im Gründungsaufruf hieß es: „Wir dürfen es nicht genug sein lassen, daß das neue Deutschland Christentum und Kirche achtet, daß es die Irrwege des Liberalismus zu meiden sucht, vielmehr müssen wir uns bereit machen, in freudiger Hingabe am kommenden Reich mitzubauen … Wir wollen uns nicht kleinmütig und mißtrauisch auf die Selbstbehauptung beschränken, sondern mit gläubigem Wagemut allen die Hand reichen, die Volks- und Staatsordnung in christlich-deutschem Geiste zu erneuern streben.“ Der Vorsitzende des Bundes, der Publizist Emil Ritter (Jg. 1881), ein Experte katholischer Volksbildungsarbeit, stellte klar, der Bund wolle „keine kirchliche Vereinigung, sondern ein freier Zusammenschluß von Deutschen katholischen Glaubens zu nationalen, nicht zu konfessionellen Zwecken“ sein. Die Ausrichtung von „Kreuz und Adler“ war betont großdeutsch, wie es den Traditionen des deutschen Katholizismus entsprach. Dem Bundesausschuß gehörten mehrere prominente Österreicher an, die Koordinierungsstelle für Österreich übernahm der junge Eugen M. Kogon aus Wien (der später in der BRD zu den führenden Umerziehungspublizisten zählte).
Schon im Oktober 1933 wurde der Bund aufgelöst, eine „Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher“ sollte ihn ersetzen. Die Arbeitsgemeinschaft sah es als eine dringliche Erziehungsaufgabe an, den katholischen Volksteil in seiner Gesamtheit für den nationalsozialistischen Aufbau zu gewinnen und bei auftretenden Schwierigkeiten zwischen Kirche, Staat und NSDAP Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Im September 1934 wurde die Arbeitsgemeinschaft aufgelöst, die NSDAP betrachtete sie als überflüssig. Begründet wurde die Auflösung wie folgt: Die Reichsparteileitung der NSDAP werde in der Abteilung für kulturellen Frieden alle Fragen, die das Verhältnis von Kirche und Staat betreffen, unmittelbar bearbeiten.
Einige prominente Geistliche, die an reichsdeutschen Universitäten lehrten, gingen, erfaßt von der Woge nationaler Begeisterung, daran, Berührungspunkte zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche aufzuzeigen, um die Konfrontation der vergangenen Jahre zu überwinden, Konflikte zu entschärfen und neue Spannungen zu vermeiden. Unter ihnen hatte das größte innerkirchliche Ansehen der Tübinger Dogmatiker Karl Adam (Jg. 1876). Hitler faszinierte ihn: „Ein solcher Mensch, der ganz und gar Volk und nichts als Volk war, ein Volkskanzler mußte kommen, wenn anders das deutsche Volk in seinem Innersten berührt und zu neuem Lebenswillen erweckt werden sollte.“9 Deutsches Volkstum und katholische Kirche gehörten für Adam zusammen wie Natur und Übernatur. Der katholische Christ muß nach Adam deutsche Wesensart und deutsche Nation bis zu einer Grenze bejahen, wo nationale Forderungen nicht mehr mit dem Christentum vereinbar sind. Diese Grenze zog der Gelehrte sehr weit. Für ihn war es z. B. „eine Forderung der deutschen Selbstbehauptung, die Reinheit und Frische dieses Blutes [d. h. des deutschen Blutes] zu wahren und durch Gesetze zu sichern“; er verwies dabei auf die alttestamentarische Ordnung. Entsprechende staatliche Regelungen müßten aber mit „Gerechtigkeit und Liebe“ erfolgen. Adam wurde 1934 der SA mißliebig, ja er erhielt sogar zeitweilig Lehrverbot. Dennoch hielt er an seiner Grundüberzeugung fest, das Christentum in deutschen Landen müsse vom Deutschtum durchdrungen sein. Im Dezember 1939 sprach Adam in Aachen vor 1.000 Zuhörern über das Verhältnis der deutschen katholischen Kirche zum Nationalsozialismus und forderte: „Wir müssen katholisch sein bis zur letzten Faser unseres Herzens, aber wir müssen auch – um des Katholischen willen – deutsch sein bis ins Mark.“
Die staatliche Akademie Braunsberg (Ermland) war, bedingt durch die prekäre Lage Ostpreußens (entsprechend der Versailler Ordnung) und durch die Exzesse des polnischen Chauvinismus, eine Hochburg des Nationalsozialismus. Der katholische Kirchenrechtler Hans Barion (Jg. 1899) war ebenso Mitglied der NSDAP wie sein Konfrater Karl Eschweiler (Jg. 1886), Inhaber des Dogmatik-Lehrstuhls der theologischen Fakultät. Eschweiler sah 1933 die Möglichkeit, daß der Nationalsozialismus „in der Kirche Christi seine Zucht und Ordnung findet“. Er verstieg sich zu der Mutmaßung: „Das neue Reich will beten.“
Ebenfalls in Braunschweig lehrte der Kirchenhistoriker Joseph Lortz (Jg. 1887), auch er Parteigenosse. Ende Juni 1933 hielt er vor Königsberger Studenten einen Vortrag über: „Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus, kirchengeschichtlich gesehen.“ Der Vortrag kam dann als Nr. 1 der Schriftenreihe „Reich und Kirche“ heraus.10 Diese Schriftenreihe, die in einem als betont katholisch geltenden Verlag erschien, sah sich „getragen von der Überzeugung, daß zwischen der natürlichen völkischen Wiedergeburt unserer Tage und dem übernatürlichen Leben der Kirche kein grundsätzlicher Widerspruch besteht“. Den Nationalsozialismus sah Lortz als eine rein politische Bewegung, die sich mit ihrem Totalitätsanspruch nicht auf den religiös-kirchlichen Bereich ausdehnen wolle. Der Nationalsozialismus war Lortz sympathisch als wesenhafter Gegner des gottlos-materialistischen Bolschewismus, des Liberalismus und des Relativismus. Nationalsozialistische Orientierung an einer natürlichen Lebensordnung, an Traditionsbewußtsein, ständischer Ordnung, Gläubigkeit, Antiintellektualismus, Gemeinschaftsbewußtsein – derartige Gemeinsamkeiten ermöglichten den Katholiken die Mitarbeit, wobei Lortz so manches in den Nationalsozialismus hineinprojizierte, was derart eindeutig nicht praktiziert wurde. Volkstum als „Mutterboden des kirchlichen Wachstums“: in dieser Perspektive hielt Lortz (der später als Reformationsforscher berühmt wurde) auch eine Milderung der konfessionellen Spaltung durch den Nationalsozialismus für möglich. „Trübes, Unrechtes, Härte“, die im stürmischen Aufbruch der NS-Revolution an die Oberfläche kamen, übersah Lortz nicht. Aber, so sein Fazit: „Entweder reißt diese Bewegung hindurch zur Rettung, oder wir landen im Chaos … das Chaos aber wäre die Vernichtung der Nation und der Ruin der deutschen Kirche.“
Michael Schmaus (Jg. 1897), Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie in Münster, hielt im Juli 1933 einen Vortrag über „Begegnung zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung“ im Auditorium Maximum seiner Universität. Der Vortrag erschien als Nr. 2 der Schriftenreihe „Reich und Kirche“.9 Schmaus deutete den Nationalsozialismus als Protest und Gegenschlag gegen die Geistigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts, indem er eine „organische Weltanschauung“ und die „Bindung an das Gegebene, an die Erde, an die Gemeinschaft“ als typisch nationalsozialistisch herausstellte. Katholisches und nationalsozialistisches Denken widersprächen einander nicht; so deutete er auch die Erklärungen des reichsdeutschen Episkopats seit März 1933. Die tragenden Ideen Gemeinschaft, Volk, Bindung, Autorität führen nach Schmaus zu folgenden wesentlichen Zielen des Nationalsozialismus: „… zum Vorrang der Volksgemeinschaft und des Staates vor den Interessen des Individuums, zur Ablösung der liberal-kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch die korporative, zum Umbau der klassenkämpferisch orientierten Gesellschaft zu einer organischen Gesellschaft.“ Der Katholik sieht „in dem aus Blut und Boden, aus Schicksal und Aufgabe gewachsenen Volksganzen ein Werk der göttlichen Vorsehung“. In diesen Zusammenhang gehört „die gerechte Sorge für die Reinerhaltung des Blutes, dieser Grundlage für die geistige Struktur eines Volkes“. Zugleich aber hob Schmaus auch das Übernationale an der katholischen Kirche hervor, sie stelle jedem Volkstum die Aufgabe, „der unendlichen Fülle Gottes entgegenzuwachsen“. Die Lehren der Kirche und des Nationalsozialismus seien nicht deckungsgleich, aber: „Je tiefer alle Männer und Frauen des deutschen Volkes zu den Schätzen des Volkstums und des Glaubens vorstoßen, … um so zuversichtlicher können wir vertrauen, daß der Bau des Reiches gelingt …, des Reiches, das sein wird eine Opfergemeinschaft von unerschütterlich in Gott gegründeten, aus dem deutschen Volkstum genährten, demütig auf Gott vertrauenden, ihrer Verantwortung bewußten, von Christus geformten deutschen Menschen.“ Dazu aber hätte es nun wirklich einer „Taufe“ von NS-Ideologie und NS-Bewegung bedurft!
Wurden bisher vorwiegend Beiträge priesterlicher Brückenbauer vorgestellt, so sollen nunmehr auch einige Beispiele für Brückenbau-Versuche katholischer Laien angeführt werden. Wie wirksam die Euphorie des Jahres 1933 war, kann man an einem führenden Katholiken der Katholischen Aktion erkennen, bei dem man derartiges zunächst nicht vermutet hätte: Ministerialdirektor Erich Klausner (Jg. 1885), von der SS 1934 im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhm-Putsch ermordet. Als Zentrumsmann hatte er der Regierung Hitler innerlich zunächst ablehnend gegenübergestanden. Doch bald beeindruckte ihn die Art, wie die Nationalsozialisten bei ihrem Aufbauwerk frisch zupackten. Eine Symbiose von Nationalsozialismus und katholischem Christentum schien ihm nun möglich zu sein, wenn die NS-Machthaber sich an die Konkordatslinie hielten. Schon im März 1933 klang das bei Klausner an, als er katholischen Schülern Berlins zurief: „Seid katholisch und deutsch! Als Bürger unseres Vaterlandes fühlen wir den heißen Strom nationaler Begeisterung, der durch unser Volk geht. Denn wir fühlen uns diesem Volk verbunden. Sein Blut ist unser Blut, seine Ehre ist unsere Ehre. Aus unserer religiösen Überzeugung erwächst die Pflicht und Kraft der Hingabe an Volk und Nation. Der ganze katholische Mensch ist auch der ganze deutsche Mensch.“
Klausner verstand es, die Diaspora-Katholiken der deutschen Reichshauptstadt in Großkundgebungen zusammenzuführen. Dabei machte er immer wieder den Beitrag deutlich, den der katholische Volksteil zu erbringen hatte. So vor 55.000 Zuhörern am 25. Juni 1933: „Wir müssen uns alle klar werden, daß mit äußeren Mitteln allein die sittliche Wiedergeburt unseres Volkes nicht bewerkstelligt werden kann. Wenn die Revolution der nationalen Erhebung nicht begleitet ist von einer Revolution der inneren, geistigen Erneuerung, dann ist alle Kraft und alles Mühen vergebens gewesen.“12
Weniger gefährlich erschien denjenigen Nationalsozialisten, die eine „Front aller Gutgesinnten“ aus taktischen Gründen allenfalls 1933 für kurze Zeit zulassen wollten, ein Mann wie Theodor Brauer (Jg. 1880). Er kam aus der Sozialarbeit des Volksvereins für das katholische Deutschland und aus den Christlichen Gewerkschaften und hatte es vom Gewerkschaftssekretär zum Honorarprofessor an der Universität Köln gebracht. Schon im März 1933 verkündete Brauer bei einer Gewerkschaftstagung in Essen: „Wir haben es tausendfach erlebt, daß namentlich die junge Arbeiterwelt an der deutschen Reichsidee und an der Sendung des deutschen Menschen und des deutschen Volkes in der Welt sich begeistert hat. Es ist fast so, als werde bei der Berührung dieser Frage auch in den arbeitenden Menschen ein Erbe wach, das in ihnen schlummert und das nur der leisesten Berührung bedarf, um jäh zum lebendigen Leben vorzustoßen … Unsere tiefste Sehnsucht geht dahin, daß unser Deutschland unsterblich sei.“ Wenig später 1933 publizierte er seine Auffassungen zu diesem Thema: „Der Katholik im neuen Reich. Seine Aufgabe und sein Anteil.“13 Brauer, der 1933 noch „Blut und Boden“ voll akzeptiert hatte, wurde 1935 wegen einiger kritischer Anmerkungen zur NS-Rassenpolitik denunziert. Weiteres wissenschaftliches Arbeiten an der Universität Köln wurde ihm unmöglich gemacht. Um seine Familie ernähren zu können, übernahm er einen Lehrstuhl in den USA.
So mancher, von dem man es nicht erwartet hätte, bemühte sich 1933 um verbale Brückenschläge zum NS-System. So etwa der Journalist Walter Dirks (Jg. 1901; später in der BRD mit den „Frankfurter Heften“ einer der Köpfe des bundesdeutschen Linkskatholizismus). Für ihn war 1933 das „sozialistische Reich der Deutschen“ im Werden, eine „Sinn-Ordnung, in der zugleich die Klassenspaltung, die gesellschaftliche Anarchie und die Krisen- und Kampfgebärden der Anarchie der Produktion überwunden“ sind. Noch im November 1933 sah Dirks gute Gründe für eine Bejahung der NS-Ordnung: „Liegt denn nicht der eigentlich verpflichtende Charakter des Nationalsozialismus und die eigentliche Begründung für die Wendung des Katholizismus darin, daß dem Nationalsozialismus die reale Verantwortung für das reale Deutschland zugefallen ist, das wir lieben und dem wir verpflichtet sind? So wie einer vor 1866 ein Bismarck-Deutschland ablehnen konnte und nach 1866 anerkennen mußte, so muß der Katholik sich heute in Deutschland zum heutigen Deutschland bekennen.“14
Um einen versuchten Brückenschlag handelt es sich auch bei einer Schrift, die der Soziologe und Philosoph Josef Pieper (Jg. 1904) im März 1934 als Heft 5 in der Reihe „Reich und Kirche“ veröffentlichte. Mit seinem Beitrag „Das Arbeitsrecht des neuen Reiches und die Enzyklika Quadragesimo Anno“ wollte er die NS-Sozialpolitik, die ihm noch nicht endgültig festgelegt zu sein schien, beeinflussen. Piepers Ergebnis: Die erstaunlichen Übereinstimmungen zwischen dem Richtbild der Enzyklika und der bis dahin proklamierten und verwirklichten NS-Sozialpolitik, seien nicht irgendwelche Ähnlichkeiten, sondern es handele sich um eine Übereinstimmung in den Grundgedanken. Einer 2. Auflage der Schrift stimmte Pieper nicht zu, da er inzwischen desillusioniert war. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kam es in der Zeit vom 13. Oktober 2005 und dem 1. Februar 2006 zu einer heftigen Leserbriefdiskussion über Piepers Verhalten. Da er sich mit seinen philosophisch-theologischen Schriften im deutschen Katholizismus über Jahrzehnte hin großes Ansehen erworben hatte, waren manche Pieper-Verehrer nun sehr irritiert.
Sogar bei Bischöfen gab es Brückenschlag-Versuche. Unter den reichsdeutschen Oberhirten hatte sich Wilhelm Berning (Jg. 1877), Bischof von Osnabrück, bei den Nationalsozialisten Ansehen erworben. Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring ernannte Berning zum Preußischen Staatsrat. Durchaus im Sinne eines Brückenbaus war eine Schrift Bernings zu verstehen, die er in der Reihe „Das Neue Reich“ (als Heft 8) 1934 erscheinen ließ. Diese Reihe wurde herausgegeben von der Deutschen Akademie, einem Institut „zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums“. Die Schriftenreihe sollte die Deutschen „mit den Grundgedanken, die dem kulturellen, politischen und sozialen Aufbau des neuen Staates Antrieb und Auftrieb verleihen“ vertraut machen und „zugleich dem Ausland das geistige Gerüst des deutschen völkischen Neuaufbaus in klaren Linien“ aufzeigen. So aus der Selbstdarstellung der Akademie, der Bischof Berning als „Senator“ angehörte.15
Der Bischof stellte seine kleine Studie unter das Thema „Katholische Kirche und deutsches Volkstum“, sie handelte über die „Werte des Blutes, der Sprache und der Kultur“ als der „Substanz des Volkstums“. Aus dem von ihm aufgezeigten Bekenntnis der Kirche zur deutschen Bluts-, Sprach- und Kulturgemeinschaft leitete Berning die Hoffnung ab, daß „aus der engen Zusammenarbeit von Kirche und Staat, aus der innigen Verbindung von Glaube und Volkstum eine glückliche Zukunft des neuen deutschen Reiches erblühen“ werde. Diese Hoffnung wurde in den folgenden Jahren, als Berning im Auftrag der Bischöfe mit der Reichsregierung über die Ausführungsbestimmungen zum Reichskonkordat verhandelte, immer wieder enttäuscht.16
Conrad Gröber (Jg. 1872), Erzbischof von Freiburg, Förderndes Mitglied der SS, war in seiner regimefreundlichen Haltung schon stark desillusioniert worden, als er 1937 ein „Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen“ herausgab. Nur noch bedingt kann man die Artikel zu brisanten, die Politik berührenden Fragen als Brückenschlag zum Nationalsozialismus verstehen. Auf den Weltanschauungskampf des Dritten Reiches spielt zum Beispiel der Artikel „Vaterlandsliebe“ an, in dem es heißt: „Es ist nicht zu leugnen, daß sich zwischen Staat und Kirche aus der Natur ihres gegenseitigen Verhältnisses Mißverständnisse und Spannungen ergeben können und daß der Christ, der seine Pflicht gegenüber dem Staate ebenso wie gegenüber der Kirche zu erfüllen entschlossen ist, dabei in schwierige Lagen kommen kann. Grundsätzlich aber gilt, daß dort, wo im Hinblick auf den Schöpfergott die natürliche Verbundenheit mit dem Heimatlande, mit der Volksgemeinschaft und dem nationalen Schicksal bejaht und zur sittlichen Tugend emporgestaltet wird, ein gesundes und starkes Christentum mit der Vaterlandsliebe so wenig unverträglich ist, daß diese vielmehr aus dem religiösen Erdreich ihre stärksten Kräfte des Opfers und der Hingabe zieht.“ Zur „Rassengesetzgebung der Gegenwart“ heißt es, sie könne „nur darin ihren Sinn haben, daß die Heimrassigkeit und die Heimkultur vor Entartung bewahrt und gepflegt werden soll“. Als Richtschnur wurde herausgestellt: „Will ein Volk seine Eigenart erhalten, so müssen die erbgesunden Söhne und Töchter heimrassiger Familien in gleichartige Familien hineinheiraten und die Ehen mit Fremdrassigen im obigen Sinne meiden.“ Zugleich wurde deutlich eine Grenze gezogen: „Eine Rassenkunde und Rassenpflege, die die Rasse selbst zum höchsten Wert als Welt- und Lebensanschauung erhebe würde und sich dazu verleiten lassen sollte, das Christentum selbst anzutasten, wäre auf einem verhängnisvollen Irrwege.“17
1938 schloß Himmler den Erzbischof aus der SS aus; zu diesem Zeitpunkt war der „braune Konrad“ (wie viele ihn nannten) schon zu einem entscheidenden NS-Gegner geworden.
An die Möglichkeit eines Brückenschlags zum Nationalsozialismus glaubte auch der Augsburger Weihbischof Franz Xaver Eberle (Jg. 1875). Seine Begeisterung über den Anschluß Österreichs ans Reich drückte Eberle im März 1938 in einem Brief an Hitler aus: „Ich liebe mein Vaterland glühend und stelle mich meinem Führer jederzeit zur Verfügung. Es ist mir eine herzliche Freude, daß es mir am 6. Dezember 1937 vergönnt war, Auge in Auge mit dem Manne zu stehen, dem das größer gewordene Deutschland so viel verdankt.“18 Goebbels erfuhr von Hitler über die damalige Unterredung und notierte Hitlers Eindruck von Eberle am 7. Dezember 1937 in seinem Tagebuch: „Ein Patriot.“ Vor allem im Hinblick auf den Vatikan und die meisten deutschen Bischöfe fügte Goebbels als eigene Bemerkung hinzu: „Die Pfaffen sind ja so dumm! Was hätten sie nicht alles erreichen können.“
Als besonders gefährlich sah die oberste Führung des Dritten Reiches die österreichische Variante einer Aussöhnung zwischen Nationalsozialismus und Kirche an, die von dem Rektor der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’ Anima in Rom, Alois Hudal, ausging. 1933 war Hudal (Jg. 1885) zum Titularbischof ernannt worden. Der aus Graz stammende Hudal wählte, beeinflußt von den Erfahrungen des Grenzlanddeutschtums, zu seinem bischöflichen Wahlspruch „Ecclesiae et Nationi“ und deutete damit die ihn fesselnde Synthese von Christentum und nationalem Denken an. Gleichsam als Gegenentwurf zu Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ brachte der frühere Grazer Professor für Bibelwissenschaft im November 1936 seine ideengeschichtliche Untersuchung „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“ heraus: „Dieses Buch, das mit meinem Herzblut geschrieben ist, weihe ich dem inneren Frieden unseres deutschen Volkes.“19
Hudals Analyse lief darauf hinaus, bei der NSDAP müsse zwischen einem linksradikalen, kirchenfeindlichen und einem rechtskonservativen, christlich beeinflußbaren Parteiflügel unterschieden werden. Der Fehler einer solchen Betrachtungsweise besteht darin, daß Hitler verkannt wird. Dieser bündelte mit seinem Charisma weit mehr als zwei politisch-ideologische Strömungen in der Partei, und er war keineswegs der Kopf einer nationalkonservativen Richtung, wie Hudal annahm. Diese von Hudal vorgeführte Aufteilung der Partei machte es Goebbels leicht, Hudals Förderer Franz von Papen beim Führer auszumanövrieren, so daß das Buch im Reich nicht erscheinen durfte, während es in Österreich schnell mehrere Auflagen hatte.20
Hudals Wunschvision: „Je mehr in der nationalsozialistischen Bewegung das Mythische der Klarheit weicht, desto früher kann sie die große nationale Einheitspartei der Deutschen über alle Hemmungen und Unterschiede hinweg werden, die jeden in seiner religiösen Weltanschauung das Glück und den Frieden des Herzens finden läßt.“ Zu diesem Zweck müßte der Nationalsozialismus sich darauf beschränken, eine politisch-soziale Bewegung im Kampf gegen die Weltgefahr des Bolschewismus zu sein, nicht aber eine in Dogmen und einem Mythos verklärte Weltanschauung.
Im Vatikan erntete Hudal für seine Denkbemühungen um einen christlichen Nationalsozialismus keinen Dank, die Emigrantenpresse fiel über ihn her, und selbst die historische Forschung zeichnet in Verkennung der schwierigen Umstände das abstoßende Bild eines menschlich überaus unzulänglichen „Nazi-Bischofs“.21 Man sollte Hudal auch im Kontext anderer österreichischer Ausgleichsbemühungen sehen. Kardinal Innitzer (Wien) verteidigte Hudal gegen innerkirchliche Kritiker. Innitzers Vorgänger Kardinal Piffl hatte noch kurz vor seinem Tod 1932 vorgeschlagen, in Wien möge ein Arbeitskreis von Nationalsozialisten und Katholiken eingerichtet werden. Auch Bundeskanzler Seipel (ein katholischer Priester) glaubte, daß es möglich sei, die NS-Ideologie zu mildern, wenn die Bewegung erst einmal ihre „Flegeljahre“ hinter sich haben werde.22
Natürlich ist auch die feierliche Erklärung, mit der die österreichischen Bischöfe die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich begrüßten, als ein Versuch des Brückenbaus anzusehen. Wie Kardinal Innitzer in einem Schreiben vom 31. März 1938 an Gauleiter Bürckel betonte, war es ein „der Stimme unseres gemeinsamen Blutes entsprungenes Bekenntnis“ und von der Hoffnung begleitet, es möge „ein Wendepunkt im religiös-kulturellen Leben unseres Gesamtvolkes eingetreten sein“, der „eine Zeit großer innerer Befriedung und Aussöhnung zwischen Kirche, Staat und Partei einleitet“.
Der Brückenbau mißlang. Es wäre allzu billig, den Grund für das Scheitern nur auf einer Seite zu suchen. Selbst in der größten Euphorie des Jahres 1933 verharrte im Reich ein prozentual kaum zu bestimmender Teil der Katholiken in einer feindlich-ablehnender Haltung zum Nationalsozialismus. Hier wirkte nicht nur die rationale und emotionale Beeinflussung der Gläubigen durch die Kirche nach. Diese NS-Gegner konnten den Untergang der Zentrumspartei nicht verwinden und waren empört über die Beeinträchtigung des breitgefächerten katholischen Vereinswesens. Ihre Zahl wuchs sehr in dem Maße, in dem Katholiken, die sich gerne in eine „Front aller Gutgesinnten“ einreihen wollten, durch den aufflammenden Weltanschauungskampf im Dritten Reich23 vor den Kopf gestoßen wurden. Und im Vatikan wuchs die Zahl der Gegner des nationalsozialistischen Regimes in dem Maße, in dem das Reichskonkordat verletzt und ausgehöhlt und die NS-Propaganda antikirchlich und antichristlich eingefärbt wurde.
Als im März 1938 die österreichischen Bischöfe viel weiter gingen als ihre reichsdeutschen Amtskollegen, ernteten sie aus dem Vatikan harsche Kritik. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorbereitungen für eine feierliche Verurteilung des Nationalsozialismus (große Häresie des 20. Jahrhunderts!) schon weit gediehen. Papst Pius XI. aber zögerte die Verkündung hinaus – aus Furcht vor den absehbaren Folgen; auch Pius XII. blieb später bei dieser abwartenden Haltung.24
Bei den Nationalsozialisten fehlten wichtige Voraussetzungen für ein Gelingen des Brückenschlags. Hitler, der letztlich alle wichtigen Entscheidungen traf, war schon lange vor seiner Berufung zum Reichskanzler ein abgefallener Katholik. Seine Feindschaft gegen Christentum und Kirche verstand er (aus taktischen Erwägungen) fast gänzlich zu verbergen. Aber im inneren Zirkel (Tischgespräche!) ließ er seinem Haß gelegentlich freien Lauf. Auch Mussolini, der politisch als marxistischer Funktionär begann, hatte schon früh den Glauben seiner katholischen Vorfahren verloren, doch er war als Duce klug genug, eine pragmatische Haltung einzunehmen, ohne dabei ganz auf Konflikte mit der Kirche zu verzichten.25
In der Führungsspitze der NSDAP gab es neben lauen bzw. abgefallenen Protestanten (z. B. Göring, Rosenberg) nur abständige bzw. abgefallene Katholiken (z. B. Himmler, Goebbels). Eine Ausnahme war der Katholik Gregor Strasser. Aber er war schon 1932 Hitler im innerparteilichen Machtkampf unterlegen und wurde 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermordet. Bei den Amtswaltern der NSDAP traf man durchaus auch auf gläubige und praktizierende Protestanten und Katholiken, aber sie stellten keineswegs die Mehrheit. Diese Mehrheit hatte kaum Gewissensbedenken, den Parteikurs mitzutragen, als die „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ immer stärker Züge einer Entchristlichung annahm: Das Christentum, das als ein nur oberflächlich übertünchtes Judentum angesehen wurde, sollte absterben. So entstand ein Klima, in dem die Chancen für ein Gelingen des Brückenbaus immer geringer wurden.
Die kirchengeschichtliche Forschung hat die Brückenbau-Bemühungen entweder bagatellisiert oder als von vornherein aussichtslos abgetan. Wer je (wie der Verfasser dieser Zeilen) den Nationalsozialismus lokalgeschichtlich erforscht hat, weiß, daß es 1933 (und darüber hinaus) auf allen Ebenen Bekundungen und Gesten gegeben hat (bei Priestern und bei Laien), die auf den Versuch eines Brückenschlags hinausliefen. Erstaunlich dabei war, wie viele spätere entschiedene Gegner des Dritten Reiches zunächst noch offen für eine Zusammenarbeit waren. „Es wäre ein lohnendes Forschungsprojekt, die zahlreichen lokal- und regionalgeschichtlichen Arbeiten über die katholischen Gebiete des Reichs unter dem Gesichtspunkt „Brückenbau“ auszuwerten.
Im übrigen sollten sich Katholiken, die Kirche und Nation lieben, fragen, ob nicht so manches von den Denkbemühungen der damaligen Zeit auch für heute wichtig sein könnte. Was damals als gut katholische Auffassung von Volk, Heimat, Vaterland, Nation und Reich galt, kann heute doch nicht gänzlich wertlos sein. Manches könnte sogar unter dem Druck von Globalisierung und ethnischer Umwandlung neue Aktualität gewinnen.
1 Die Muckermann-Zitate stammen aus: Johannes Schwarte: Friedrich Muckermann S. J. (1883–1946), in: Die Neue Ordnung (Walberberg), 3/2006, S. 201–216.
Hubert Gruber: Friedrich Muckermann. S. J. Ein katholischer Publizist in der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, Mainz 1993.
2 Zit. Georg May: Kirchenkampf oder Katholikenverfolgung? Ein Beitrag zu dem gegenseitigen Verhalten von Nationalsozialismus und christlichen Bekenntnissen, Stein a. Rhein 1991, S. 197.
3 Zit. Katholische Kirche und Nationalsozialismus, hg. v. Hans Müller, München 1965, S. 140.
4 Zit. ebenda, S. 173.
5 Zit. Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2, Berlin 1985, S. 123.
6 Sofern im folgenden nichts anderes vermerkt ist, stammen die Zitate aus: Klaus Breuning: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929–1934), München 1969.
7 Vgl. Breuning, S. 244 ff.; Heinz Hürten: Deutsche Katholiken 1918 bis 1945, Paderborn 1992, S. 217 f.
8 Zit. Wilhelm Spael: Das katholische Deutschland im 20. Jahrhundert. Seine Pionier- und Krisenzeiten 1890–1945, S. 312.
9 Zit. Hürten, S. 219; Zitate im folgenden, soweit nichts anderes vermerkt ist, nach Hürten.
10 Im folgenden sind die Zitate dem Text der 2. Aufl. Münster/W. 1934 entnommen.
11 Zit. nach der 2. Aufl. dieser Broschüre (Münster/W. 1934).
12 Zit. Tilman Pünder: Erich Klausener (1885–1934). Staatsdiener und Kirchenmann-Märtyrer, in: Düsseldorfer Jahrbuch 75 (2004/05), S. 403 u. 405.
13 München 1933.
14 Zit. Hürten, S. 219; Franz M. Kapfhammer: Neuland. Erlebnis einer Jugendbewegung, Graz 1987, S. 100.
15 Ähnlich NS-freundlich war der Benediktinerabt Albert Schmitt (Grüssau und Wimpfen), der zwar nicht wie Abt Alban Schachleiter Mitglied der NSDAP war (1937 von Hitler durch ein Staatsbegräbnis geehrt), aber in der Hochstimmung der Jahre 1933/34 eifrig um einen Brückenbau bemüht war. Vgl. Brigitte Lob: Albert Schmitt O. S. B. Sein kirchengeschichtliches Handeln in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Köln 2000.
16 Zitate aus der 1934 in München erschienenen Schrift, S. 8, 15 u. 41.
17 Zit. Conrad Gröber (Hg.): Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen, Freiburg/Br. 1937, S. 621 u. 536 f.
18 Zit. Georg Denzler: Widerstand oder Anpassung? Katholische Kirche und Drittes Reich, München 1984, S. 97.
19 Die Hudal-Zitate sind dem Faksimile-Druck Bremen 1982 entnommen.
20 Eintragungen im Goebbels-Tagebuch v. 19., 26., 27. Juni u. 14. November 1936. Vgl. Peter Godman: Der Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive. München 2004, S. 186. Nach Godman wurden 2.000 Exemplare an ausgesuchte Parteigenossen verteilt.
21 Wer Godmans Buch gelesen hat, sollte zum Vergleich die posthum erschienenen Memoiren Hudals heranziehen: Römisches Tagebuch. Lebensbeichte eines alten Bischofs, Graz 1976.
22 Hudal: Römisches Tagebuch, S. 142 f.; Kampfhammer, S. 96 f.
23 Vgl. Manfred Müller: „Selbst eine Kirche werden“. Christentum und Politik im Dritten Reich, in: Neue Ordnung (Graz), II/05, S. 20–25.
24 Godman, S. 231 ff.
25 Ebenda, S. 29 ff. u. 227 ff.