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Bildersturm in Raten – Siegfriedskopf

Von Brynhild Amman

Am 13. Juli dieses Jahres wurde der in den Arkadenhof der Universität Wien verbannte Siegfriedskopf der Öffentlichkeit vorgestellt. Viel ist nicht geblieben vom Denkmal für die Gefallenen der Universität Wien. Der seit den achziger Jahren von deutschfeindlichen Gruppen zusehends propagandistisch mißbrauchte Siegfriedskopf wurde nun völlig entehrt: In drei Teile zerstückelt, lagern die Überreste des Denkmals in einer Art Glashülle, welche unweigerlich die Assoziation einer Baustelle hervorruft.
Der Siegfriedskopf steht für das Gedenken an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Studierenden und Lehrenden der Universität Wien und wurde auf Initiative der Deutschen Studentenschaft am 9. November 1923 in der Aula der Universität Wien errichtet. Die Deutsche Studentenschaft war seit 1919 der Dachverband aller reichsdeutschen, sudetendeutschen und österreichischen Studenten. 
Die Symbolik des klassizistischen Denkmals verweist auf die Siegfriedmythologie der Nibelungensage und den Dolchstoß, was die Inschriften des Marmorsockels – „Ehre, Freiheit, Vaterland“, „1914–1918“, „Den in Ehren gefallenen Helden unserer Universität“ sowie „Errichtet von der Deutschen Studentenschaft und ihren Lehrern“ verdeutlichen. Entworfen wurde der Siegfriedskopf von Josef Müllner, einem seinerzeit angesehenen Professor für bildende Kunst.
Beim Siegfriedskopf fanden sich die Burschenschafter bis vor kurzem jeweils Mittwochs zu ihrem Farbenbummel ein, um der Gefallenen zu gedenken, an die Zeit des Verbots der Bünde zu erinnern und um Informationsmaterial zu verteilen.
Erwartungsgemäß mißfiel das der erstarkenden linken Hochschülerschaft, welche in gewohnt radikaler, intoleranter Weise eine Propagandamaschinerie in Gang setzte, die ihresgleichen im universitären Bereich sucht:
Ominöse Recherchen Ende der achziger Jahre ergaben, daß der Kopf nicht nur dem Gedenken der Gefallenen des Ersten Weltkriegs diene, sondern auch die Ziele der „Deutschen Studentenschaft“ propagieren solle. Dieser wurde pauschalisierend ein antisemitischer und deutschnationaler Kurs vorgeworfen, welcher mit eindeutiger Absicht kurzerhand in Zusammenhang zum Denkmal gesetzt wurde.
Anfang der neunziger Jahre wurde ein weiterer Schritt zur Diffamierung des Denkmals gesetzt – eine mediale Polemisierungskampagne um die politische Bedeutung des Siegfriedskopfs, begleitet von Ausstellungen und Podiumsdiskussionen, sollte die breite Öffentlichkeit auf den dritten Schritt – die Angriffe des gewaltbereiten Flügels der Sozialisten – vorbereiten.
Vermummte beschmierten regelmäßig das Denkmal mit Farbe und Säure, durch ihre gezielten Provokationen kam es zu vermehrten Auseinandersetzungen mit den Burschenschaftern, welche das Denkmal vor den unwürdigen Angriffen zu schützen versuchten. Die SPÖ-nahe Studentenschaft versuchte 1995 gar, dem Siegfriedskopf einen Schweineschädel aufzusetzen, was durch die Abwehr der Burschenschafter mißlang.
Beteiligt an der Schändung des Totenmals waren auch Vertreter der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft: Der damalige ÖH-Vorsitzende der Universität Wien, Matthias Winkler, langjähriger Freund, Pressesprecher und heutiger Kabinettschef von Finanzminister Grasser, befürchtete gar „Wir werden es sicher nicht schaffen, das Denkmal ganz zu vernichten, aber es sollte wenigstens an einem anderen Platz mit einer erklärenden Tafel aufgestellt werden“. Im Sinne der allgegenwärtigen Gedenktafeldiktatur sollte eine ebensolche an die Opfer des Faschismus erinnern, eine Lösung, der sogar die stets passiv (im Sinne der reinen Verteidigung des Denkmals) agierenden Burschenschafter zustimmten.
Die Gewalttätigkeiten gegen das Totenmal gipfelten im Abschlagen der Nase des Siegfriedskopfes, was unter Johlgeschrei vom Staatsfernsehen ORF unterstürzend dokumentiert wurde.
Zuletzt wurde der Kopf des gemeuchelten deutschen Helden in einem Kubus aus gelben Verschalungsbrettern versteckt.

Jetzt standen die Chancen für die Denkmalstürmer besser

Hatte der Akademische Senat der Universität Wien bereits 1990 beschlossen, den Siegfriedskopf aus der Aula zu versetzen, wurde er noch von einem damals standfesten Denkmalamt an diesem verächtlichen Vorhaben gehindert. 2005 standen die Weichen für die Denkmalstürzer besser.
In typisch österreichischer Manier wurde der Siegfriedskopf nun auf Umwegen, klammheimlich sozusagen, entsorgt. Von der leidenschaftlichen Anmut des Denkmals ist nichts mehr zu erkennen, weil das Totenmal kurzerhand zerstückelt, deplaziert und mit mehreren, die Sicht irritierenden, weil mit Texten eng bedruckten Glasschichten überzogen, in einer Ecke des Arkadenhofs, zwischen Büschen gleichsam, sein Dasein fristet. Dies nicht genug, wird daneben ein Info-Bildschirm aufgestellt, man kann sich das entstellte Denkmal virtuell zu Gemüte führen.
Ihr wahres Gesicht zeigen die Initiatoren, wenn sie behaupten, die Texte auf den umständlich und kostspielig erstellten Glashüllen enthielten unterschiedliche Standpunkte zur Auseinandersetzung um das Denkmal: Die inneren Glasschichten zeigen angeblich kontroversielle Inhalte.
Der alles dominierende Text aber ist jener auf der äußersten Glasschicht, weil er durch Witterungsverhältnisse und, von den Künstlern durchaus gewollte, zukünftige Farbattacken, die Sicht auf das Innere trübt. Der sandgestrahlte Text wird mit jeder Beeinträchtigung dunkler; „er verteidigt sich selbst“, wie die Künstlerin Belle Marx meint.
Das nur vordergründig um Ausgleich bemühte Konzept befindet sich allerdings in einer Schieflage: Jener äußerste, zeitgenössische Text stammt von der Pädagogin Minna Lachs. Sie beschwert sich darin über ihre Benachteiligung durch einen Professor, was sie erwartungsgemäß auf ihre jüdische Herkunft zurückführt (eine Nichtjüdin hätte wohl eher ihr Geschlecht als Ursache der Benachteiligung gedeutet). Das derart benachteiligte Fräulein Lachs erfährt wider Erwarten ausgerechnet durch Burschenschafter rege Schützenhilfe gegenüber dem Professor, was sie in der Folge mit der generalisierenden Beschuldigung der Burschenschaften dankt, welche regelmäßig jüdische Kommilitonen aus den Hörsälen geholt und krankenhausreif geprügelt hätten.
Wes Kind die Gesamtkonzeption ist, offenbarte die Eröffnungsrede, in der groteskerweise Ingeborg Bachmann zitiert wurde: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Man fragt sich, ob die Initiatoren hierbei einer Autosuggestion im Sinne Freuds aufgesessen sind, jenem Freud, dessen Büste nunmehr statt des deutschen Siegfried die Aula ziert.
Weiters wurde der Siegfriedskopf von der Vortragenden Angelica Bäumer als „melodramatisch“, „scheußlich“ und „lächerlich“ bezeichnet, der Begriff des Helden verhöhnt und dem Werk von Müllner gar die kunsthistorische Bedeutung abgesprochen, diese erlange das Denkmal erst durch die Neugestaltung.
Ähnlich autosuggestiv wie Frau Bäumer agierte der wissenschaftliche Berater des Projektes, der Leiter des Institutes für Zeitgeschichte, Friedrich Stadler, für den der Siegfriedskopf „Ausdruck eines undemokratischen, ethnozentrischen Geistes“ ist.
Selbst der Rektor der Universität Wien leistete einen unfreiwilligen Offenbarungseid, als er meinte: „Das Erscheinungsbild der Aula vermittelte bis zu den Renovierungsarbeiten seit dem Frühjahr 2005 ‚die Aura der Zwischenkriegszeit’ […] Wir wollten den Siegfriedskopf nicht eins zu eins wieder aufstellen, sondern einer verstärkten historischen Analyse unterwerfen.“
Hier ist eine krankhafte Generation am Werk, die vor nichts halt macht, auch nicht vor der Ehre der Toten. Den tieferen Sinn eines Denkmals unfähig zu erfassen, ist sie von der panischen Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit getrieben, welche mit dem manischen Drang, alles und jedem die eigene Meinung aufdrängen zu müssen, kompensiert wird.
Was in den frühen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts mit Grabschändungen, Kirchen- und Denkmalzerstörungen begann, wird nun in abgeänderter Form weitergeführt: die transzendenten Gefühle anderer sollen in Ermangelung eigener zerstört werden.
Wie formuliert es Winckler: „Ich gehe davon aus, daß alle akzeptieren, daß wir im 21. Jahrhundert angekommen sind.“

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com