Früher sagte man, England sei ein von Natur aus konservatives Land – und hin und wieder begegnet man dieser Meinung noch immer. Aber gleichgültig, wie viel Wahres an diesem Ausspruch jemals gewesen sein mag, er stimmt von Tag zu Tag weniger.
Gemeint ist damit sehr oft, daß England (zum Unterschied von „Großbritannien“) ein altes Land ist. Die Wurzeln der englischen Nation reichen bis zu König Alfred dem Großen ins neunte Jahrhundert zurück, und manche heute noch gepflegte Traditionen – zum Beispiel die Zeremonie der Krönung des Monarchen – können teilweise bis zu dieser Zeit zurückverfolgt werden. Alfred war nicht nur ein erfolgreicher Heerführer, der den Dänen 878 eine schwere Niederlage beibrachte und die erste Royal Navy gründete, er förderte auch die Bildung und die Übersetzung klassischer Texte ins Englische (so übersetzte er selbst den „Trost der Philosophie“ des Boethius).
Auch etwas spätere Neuerungen haben die Lebenswirklichkeit und Kultur Englands maßgeblich bestimmt. Um zwei naheliegende Beispiele zu nennen: es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Magna Charta, die König Johann im Jahre 1215 in Runnymede so widerwillig unterzeichnete, und dem heutigen Common Law sowie zwischen dem englischen Parlament des Simon de Montfort von 1257 und dem Parlament, das heute in Westminster tagt, welches einmal eine kleine, dornenbewachsene Insel am sumpfigen Rand der Themse war. Obwohl das heutige Großbritannien („Britain“) offiziell erst seit dem „Act of Union“ mit Irland im Jahre 1801 existiert, ist es unter dem Namen „England“ (der bis vor kurzem auch die schottische und die walisische Identität umfaßte) eines der ältesten Länder der Welt. Nur einige skandinavische Nationen können mit diesem Ausmaß an nationaler Kontinuität mithalten.
Obwohl England viele revolutionäre Veränderungen (einschließlich eines blutigen Bürgerkrieges) mitgemacht hat, sind von den alten Traditionen und Verbundenheiten noch genügend vorhanden, um die Engländer daran zu erinnern, wie alt ihr Land ist. Dieses Selbstgefühl, dieses Selbstvertrauen hat zu einer relativen gesellschaftlichen Stabilität geführt und mußte eine Art selbstgefälligen, fast apolitischen Konservativismus hervorbringen.
Ein großer Teil dieses sozialen Konservativismus ist ganz einfach darauf zurückzuführen, daß die Engländer auf einer Insel leben. Die britischen Konservativen haben sich lange Zeit wegen der angeblichen politischen Überlegenheit Englands beglückwünscht. Die unangenehme Wahrheit ist, daß das Land seine Stabilität hauptsächlich seiner geographischen Lage verdankt. Anders als die meisten europäischen Länder hat England seit 1066 keine erfolgreiche Invasion eines fremden Staates mehr erlebt.
Diese Tatsache hat zu dem Glauben geführt, daß die Institutionen Englands denen der anderen europäischen Länder von sich aus überlegen wären, während in Wirklichkeit ganz einfach der Ärmelkanal einen höchst wirksamen Wehrgraben gebildet hat, nicht nur gegen fremde Heere, sondern auch gegen manche intellektuelle Strömungen. Diese verhältnismäßige Isolation war sowohl gut als auch schlecht für England. Zum Beispiel erreichte die Mode des Barocks in der Architektur das Land erst spät und mutierte dabei zum „englischen Barock“. Andererseits griff die Französische Revolution unter anderem ganz einfach deshalb nicht auf England über – obwohl die sozialen Verhältnisse hier fast so schlecht wie in Frankreich waren –, weil es für die Agitatoren schwierig war, nach England zu gelangen, um ihre zerstörerische Botschaft zu verbreiten.
Es gibt noch andere mögliche Gründe für das mangelnde Interesse der Engländer am Intellektuellen: das traditionelle britische Ideal der „stiff upper lip“, das Erregbarkeit und emotionales Verhalten ablehnt, und die anglikanische Kirche, deren Bekenntnis immer funktionell und flexibel, der Mystik abhold und fähig war, viele weltanschauliche Schattierungen zu umfassen.
Der Intellektualismus, ob von rechts oder von links, ist aus welchen Gründen auch immer in England weniger hoch angesehen als in anderen Ländern Europas. Als der englische Philosoph Roger Scruton vor ein paar Jahren bei einer Tagung in Frankreich sagte, die Nationalphilosophie Englands sei der Empirismus, brachen die Zuhörer in Gelächter aus. Aber er hatte es nicht als Scherz gemeint. Viele Engländer haben für abstrakte Gedankengebäude einfach nichts übrig. Shakespeare drückte es einmal so aus: „Thoughts are but dreams till their effects be tried.“
Letztes Jahr fragten mich einige flämische Parlamentarier, die in London auf Besuch waren, ob ich ihnen „rechte“ Klubs, Salons oder Lokale nennen könnte, die sie während ihres Aufenthaltes in der Stadt besuchen könnten. Sie haben mir wohl nicht recht geglaubt, als ich ihnen sagte, daß ich nichts Derartiges kenne. Was einem „rechten“ Klub noch am nächsten kommt, ist der Carlton Club in St. James, der die Konservative Partei unterstützt, und auch der beschäftigt sich mehr mit Gaumenfreuden als mit geistigen Genüssen.
Es gibt ganz einfach kein britisches Äquivalent zur französischen „Nouvelle Droite“ oder zu den deutschen „konservativen Revolutionären“. Ideologische Moden wie Anarchismus, Kommunismus, Syndikalismus, Falangismus, Faschismus oder Nationalsozialismus haben in England nie richtig Fuß gefasst – daran erkennt man den wichtigsten Vorteil des Empirismus! Wenn in unserem Land jemand versucht, so eine Bewegung aufzuziehen, erleidet er immer Schiffbruch.
Die Konservative Partei ist oder war der hauptsächliche Bannerträger des Konservativismus in England. Der Begriff wurde 1833 von J. W. Croker in der altehrwürdigen Tory-Zeitschrift „The Quarterly Review“ geprägt, die übrigens in Bälde wieder zum Leben erweckt werden soll. Offiziell wurde er das erste Mal während der Amtszeit von Benjamin Disraeli als Parteiführer und Premierminister verwendet. Die „National Union of Conservatives“ wurde 1867 gegründet, ihr „Central Office“ (Parteihauptquartier) 1870.
Teilweise war die neue Konservative Partei eine Fortführung älterer religiöser Gruppierungen. Die Tories der Anfangszeit waren hauptsächlich Katholiken und Anglikaner; das Wort Tory kommt vom irischen toraidh, Gesetzlose, und bezieht sich auf die Iren, die im 17. Jahrhundert von Cromwells Truppen von ihrem Land vertrieben wurden. Der Whig-Liberalismus hingegen stammt vom schottischen Presbyterianismus ab; dieses Zugehörigkeitsgefühl zur „Low Church“ wandelte sich zum Radikalismus und in allerjüngster Zeit zu „New Labour“. (Ein geflügeltes Wort besagte, der britische Sozialismus sei dem Methodismus mehr verpflichtet als dem Marxismus.)
Diese religiösen Vereinigungen wandelten sich auch zu regionalen und politischen Zusammenschlüssen, wobei die Tories im allgemeinen die Interessen der Landwirtschaft vertraten und im Bürgerkrieg für den König Partei ergriffen. Später unterstützten die Tories unter Viscount Bolingbroke die Sache der Jakobiten in Schottland und schmachteten daher einen Großteil des 18. Jahrhunderts im politischen Abseits, da die Könige aus dem Hause Hannover verständlicherweise keine stuarttreue Regierung haben wollten. Bis heute sind die Tories in den Landgebieten am stärksten, und bis heute treten sie ein bißchen mehr für die Monarchie ein als ihre Gegner von der Labour Party. Zwar hat es immer Ausnahmen gegeben, wie zum Beispiel William Wilberforce, der eine Kampagne gegen die Sklaverei führte und religiösen Nonkonformismus mit einem Tory-Abgeordnetenmandat verband, doch ist es bemerkenswert, daß diese historischen Trennlinien in der Politik des 21. Jahrhunderts immer noch aufzuspüren sind.
Von 1783 bis 1830 konnten die Tories eine Reihe von Regierungen bilden, zunächst unter Pitt dem Jüngeren, danach unter Lord Liverpool; dann aber spalteten sie sich wegen Meinungsverschiedenheiten über die Emanzipation der Katholiken. Inzwischen war die Partei eine Domäne der Anglikaner geworden, was zu dem berühmten Spottwort Anlaß gab, die anglikanische Kirche sei die Tory-Partei beim Gebet.
Angesichts der allmählichen Ausweitung des Wahlrechts, des Wachstums der Städte und des Anwachsens des Sozialismus wurde allgemein erwartet, daß die Konservative Partei einfach dahinschwinden würde, aber dank der klugen Führung von Persönlichkeiten wie Peel, Canning, Disraeli, Salisbury und Baldwin konnten die Conservatives den Sturm bestehen, und es gelang ihnen, während des Großteils des 20. Jahrhunderts die Regierung zu stellen. Als das britische Weltreich wuchs, schaffte es ein konservativer Parteiführer nach dem anderen, mitsamt seiner Partei auf den imperialen Zug aufzuspringen, was natürlich bedeutete, daß die Partei Erfolg hatte, solange das Empire im Aufwind war, daß es aber mit ihr bergab zu gehen begann, als es mit dem Empire nach 1945 bergab ging.
In den Jahrzehnten seit dem Krieg haben sich die Konservativen länger an der Macht gehalten als die Labour Party, und in den frühen Achtzigerjahren sprach Margaret Thatcher von der konservativen Partei bereits als von der „natürlichen Regierungspartei“ – ein Anspruch, der uns heute eindeutig als überheblich erscheint. Aber trotz des politischen Erfolges der Konservativen in den Jahren nach 1945 ist die Gesellschaft Englands nicht gegen die Probleme immun geblieben, mit denen andere westliche Länder zu kämpfen haben – im Gegenteil. In mancher Hinsicht – zum Beispiel, was den Zustand der Familien betrifft – ist England vielleicht schlimmer dran als Frankreich, Deutschland oder die Vereinigten Staaten.
Der Grund dafür ist, daß die konservativen Parteiführer – Churchill, Eden, Macmillan, Douglas-Hume und Heath – nacheinander den sozialistischen, politisch korrekten Initiativen der Labourregierungen der Jahre 1945 bis 1951 zugestimmt und die Grundlegung des Wohlfahrtsstaates, die Auflösung der Familie, den Beginn der Masseneinwanderung und die zunehmenden Übergriffe durch die EU hingenommen haben. Die Tories, selbst zutiefst unideologisch, waren nicht vorbereitet auf den ideologischen Angriff der Linken, den „langen Marsch durch die Institutionen“, der in Frankfurt begann und über die kalifornische Universität von Berkeley nach England kam. Sie waren stolz auf ihren „Pragmatismus“ und bemerkten nicht, daß sie durch ihre Weigerung, die ideologischen Grundlagen für den „Nachkriegskonsens“ in Frage zu stellen, sich und dem Land eine radikale Agenda aufzwingen ließen, die von der äußersten Linken festgelegt wurde. Immer wieder nahmen konservative Politiker katastrophale Gesetze hin oder verabsäumten es, schlechte Gesetze wieder abzuschaffen, wenn sie dazu die Gelegenheit hatten. Mit Ausnahme einiger weniger Einzelpersönlichkeiten, wie des großen Enoch Powell, und teilweise mit Ausnahme der Ära Thatcher, scheinen sie nie begriffen zu haben, wie wichtig Ideen in einer sich ändernden Gesellschaft sein können. Sie ließen ganz einfach zu, daß destruktive Elemente die Lehrberufe, die Gewerkschaften, den Beamtenapparat, die Umweltbewegung, die Kunst, die Medien und den ehrenamtlichen Sektor übernahmen. Später sagte man über die Konservativen in der Zeit vor Margaret Thatcher, sie seien im Amt, aber nicht an der Macht gewesen.
Erst in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren und unter dem Einfluß zweier brillanter jüdischer Intellektueller, Keith Joseph und Alfred Sherman, versuchten die Konservativen, nunmehr unter der Führung von Margaret Thatcher, die Gesellschaft von den Grundwerten her zu überprüfen. Man begann in England den Begriff „Neue Rechte“ zu verwenden, obwohl dieser fast genau das Gegenteil zur „Nouvelle Droite“ von Alain de Benoist bedeutete. Mit dem Begriff „Neue Rechte“ waren jene gemeint, die ein marktwirtschaftliches, klassisch-liberales Credo vertraten, und nicht die „organischen Zugehörigkeiten“ von de Benoist oder den „Archaeofuturismus“ Guillaume Fayes. Es war die einzige Zeit in der Geschichte der Konservativen Partei, in der es intellektuell aufregend war, ein Konservativer zu sein (die „Federation of Conservative Students“ war so „aufregend“, daß sie von der Parteiführung aufgelöst wurde!) und in der die Partei intellektuell im Vorteil war. Die heutige Labour Party ist in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr sozialistisch, und der einzige Grund dafür ist das Wirken von Thatcher, Joseph, Sherman und einer Handvoll anderer klassisch-liberaler Denker, die nach und nach den Gedanken einer verstaatlichten Industrie unhaltbar machten.
Trotzdem wurde diese intellektuelle Auseinandersetzung nur an der Wirtschaftsfront ausgetragen, und auch noch während die Schlacht gewonnen wurde, zehrten der moralische Relativismus, der Zusammenbruch der Familien, die Masseneinwanderung und die „political correctness“ das Land von innen auf. Man könnte sagen, daß die Thatcher-Konservativen eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren haben. Margaret Thatcher glaubte offenbar, wenn man die Wirtschaft in Ordnung brächte, würden sich die meisten anderen Probleme wie durch Zauberhand von selbst lösen.
Trotz ihrer Fehler war sie aber doch eine Führungspersönlichkeit, die begeistern konnte – eine Eigenschaft, die John Major, William Hague, Iain Duncan Smith, Michael Howard und David Cameron völlig fehlt. Derzeit haben die Konservativen gerade einmal 198 Abgeordnete im Parlament – sogar weniger als nach der vernichtenden Niederlage im Jahre 1945. Und obwohl sie bei den Kommunalwahlen im Mai 2006 recht gut abgeschnitten und ungefähr 300 Gemeinderatsmandate erobert oder wiedererobert haben, sind sie in großen städtischen Regionen fast überhaupt nicht anzutreffen; zum Beispiel gibt es in Manchester kein einziges Tory-Ratsmitglied, ebensowenig in großen Gebieten von Nordengland, Schottland und Wales. Die Mitglieder der Partei sind oft ältere Leute, die meisten sind über fünfundsechzig, und in vielen Teilen des Landes gibt es keine lokale Parteiorganisation. Viele aktive Parteimitglieder sind aus Zorn über die EU-Politik der Tories zur „United Kingdom Independence Party“ übergelaufen, viele andere sind an Altersschwäche gestorben, haben sich auf einen Alterssitz nach Spanien zurückgezogen oder sind einfach aus Enttäuschung ausgestiegen.
Gerechterweise muß man sagen, daß unter David Cameron die intellektuelle Aktivität eine leichte Wiederbelebung erfahren hat, aber die Überlegungen der Parteivordenker haben sich bis jetzt auf „weiche“ Themen, wie Umwelt-, Wohnungs- und Gesundheitspolitik sowie Lokalautonomie, beschränkt. In der Europapolitik ist die Parteilinie gemäßigt euroskeptisch, und es gibt einige wenige Parlaments- und Europaabgeordnete, die anfangen, von einem Totalrückzug aus der EU zu sprechen. Zugleich gibt es wenig oder keine Diskussion über die Auswirkungen eines möglichen EU-Beitritts der Türkei, über das Einwanderungsproblem, über Möglichkeiten zur Bekämpfung der Kriminalität oder zur Wiederbelebung der Familie im traditionellen Sinn.
Als die USA den Irak angriffen, kam praktisch einstimmige, unreflektierte Zustimmung von den Konservativen, die unter „dem Westen“ oft einfach nur England und Amerika zu verstehen scheinen (wozu üblicherweise noch Kanada, Australien und Neuseeland kommen). Früher einmal meinte man, die Konservativen seien amerikafeindlich; für sie sei Amerika ein vulgärer Emporkömmling, der zu viel Macht hätte. Der letzte prominente Vertreter dieser Ansicht war Enoch Powell, der meinte, England solle sich lieber mit Rußland verbünden als mit einem Amerika, dessen militärische und kulturelle Macht er fürchtete (Powell war ein entschiedener Gegner des ersten Golfkrieges) und dessen großzügigen Interventionismus er für gefährlich naiv hielt. In neuerer Zeit, seit Margaret Thatcher, haben die Konservativen die „besonderen Beziehungen“ zwischen England und Amerika als sakrosankt betrachtet – und es gab nur sehr wenige konservative Kritiker des Irakkrieges. Manche Konservative sehnen sogar eine transatlantische Erweiterung der NAFTA (der Nordamerikanischen Freihandelszone, bestehend aus den USA, Kanada und Mexiko) als Ersatz für die EU-Mitgliedschaft Englands herbei.
Die traditionalistischen „rechten“ Gruppen innerhalb der Partei sind entweder ganz verschwunden (wie die „Selsdon Group“, „No Turning Back“ und „Tory Action“) oder sind marginalisiert worden, wie der Londoner „Swinton Circle“ und der „Monday Club“, der einmal tausende Mitglieder zählte und von vierzig Abgeordneten unterstützt wurde, während er jetzt nur noch ein paar hundert, meist ältere Mitglieder hat und von keinem Abgeordneten mehr unterstützt wird. (Die letzten drei Abgeordneten mußten den Klub auf Weisung Ian Duncan Smiths verlassen, und zwar im Jahre 2001, als auch die Zeitschrift „Right Now“ ins Kreuzfeuer der Kritik geriet.) Die aktivste Gruppe am rechten Flügel der Partei ist die Gruppe „Conservative Way Forward (CWF)“, die sich aber auf das Gebiet der Wirtschaftspolitik konzentriert. Eine Gruppe von ungefähr zwanzig Abgeordneten bildete im Jahre 2005 die „Cornerstone Group“, die versprach, für „Glaube, Fahne und Familie“ zu kämpfen; sie ist allerdings verstummt, seit ihr Anführer im Jahr 2005 bei dem Versuch, Chef der Tories zu werden, kläglich Schiffbruch erlitt. Es gibt allerdings einige frischgebackene Abgeordnete wie zum Beispiel Philip Davies, die offen verlangen, mit dem „wirren liberalen Denken“ Schluß zu machen, und die gegen die „political correctness“ ankämpfen – obwohl sie sich derzeit noch bei weitem in der Minderheit befinden.
Nordirland
Seit ihrer Gründung hat die Konservative Partei traditionsgemäß die Unionisten Nordirlands unterstützt, die ungefähr 60 % der Bevölkerung der Provinz ausmachen. Ebenso traditionsgemäß hat die Labour Party dazu geneigt, die Bestrebungen der Republikaner zu unterstützen. Irlands Regierungen haben sich unterdessen in Sonntagsreden zu einem vereinigten Irland bekannt und sich gleichzeitig davor gehütet, diese Einheit herbeizuführen – denn sie waren vernünftig genug, einzusehen, daß es wohl nicht die ideale Maßnahme zur Herbeiführung des inneren Friedens wäre, eine Million tatkräftiger, unzufriedener Unionisten in den Staat einzugliedern. Die irische Polizei und die irischen Streitkräfte sind bei der IRA verhaßt, weil sie mit großem Erfolg den Waffenschmuggel zum Stillstand gebracht und führende IRA-Mitglieder eingekerkert haben, die von Südirland aus operiert hatten. Vor ein paar Jahren hat die Regierung in aller Stille auf den verfassungsmäßigen Anspruch auf das nordirische Gebiet verzichtet; es gab nur halblaute Proteste.
Früher einmal waren die britischen Konservativen und die Unionisten von Ulster sowohl glaubensmäßig als auch politisch geeint gegen ihre Gegner, die meist katholisch und politisch linksstehend waren. (Die Sinn-Fein-Partei ist viel eher eine marxistische Partei alten Stils als eine echte nationalistische Partei, was sie erst vor kurzem unter Beweis stellte, als sie ankündigte, die Einwanderung fördern und Einwanderer als Anhänger gewinnen zu wollen.) In jüngerer Zeit haben die Konservativen erkannt, daß eine Lockerung der politischen Bindungen zwischen England und Nordirland einen Präzedenzfall für Schottland und Wales und vielleicht sogar für einige Regionen Englands darstellen und so das Vereinigte Königreich nach und nach auflösen könnte.
Aber die Beziehungen zwischen englischen Politikern des Mutterlandes und der irischen Unionisten waren in der Vergangenheit oft schwierig. Es war ein konservativer Nordirlandminister, der nach seinem ersten Besuch sagte: „Scheußliches Land, scheußliche Leute!“ Die Unionisten Nordirlands sind wild entschlossen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, und viele von ihnen sind bereit, ihren Glauben und ihre Lebensweise bis zum Tode zu verteidigen. Viele von ihnen vertreten immer noch ultrakonservative Positionen zu Themen wie Abtreibung und Homosexualität. Durch diese „naiven“ Ansichten werden sie den meisten englischen Konservativen (und den meisten Engländern), die zur „political correctness“ gefunden und dabei ihre Überzeugungen verloren haben, immer unähnlicher. Die Diskrepanz ist in den letzten Jahren noch größer geworden, seit die ‚gemäßigtere’ „Ulster Unionist Party“ von Ian Paisleys „Democratic Unionist Party“ verdrängt worden ist; diese ist noch weniger bereit, mit der Sinn Fein zu verhandeln, die sie nicht ohne Grund als eine getarnte IRA ansieht.
Margaret Thatcher unterstützte zwar nachhaltig die Unionisten, aber sogar sie fühlte sich verpflichtet, bestimmte Klagen anzuerkennen, die von gemäßigten Republikanern wie jenen in der irischen Social Democratic and Labour Party, vorgebracht wurden. Die Unionisten fühlten sich verraten, als sie 1985 das englisch-irische Übereinkommen unterzeichnete, das der irischen Regierung eine beratende Funktion bei der Regierung Nordirlands einräumte und gleichzeitig betonte, daß Nordirland ein Teil des Vereinigten Königreiches bleiben würde, solange die Mehrheit der Bevölkerung der Provinz dies wünschte. Sogar Margaret Thatcher scheint die Geduld mit der Provinz verloren zu haben. Ihr ehemaliger Verteidigungsminister Alan Clark kam einmal in Schwierigkeiten, als er sagte, seine Lösung des Nordirlandproblems würde darin bestehen, „die Oranier bis zu den Zähnen zu bewaffnen und dann zu schauen, daß wir schleunigst dort rauskommen“.
John Major war am Zustandekommen des „Karfreitagsabkommens“ beteiligt, das dann im Jahre 1998 von Tony Blair unterzeichnet wurde. Das Abkommen schuf mehrere grenzüberschreitende Kollektivorgane und versuchte die Einziehung paramilitärischer Waffen einzuleiten. Es war insofern erfolgreich, als die Zahl der politischen Morde fast auf null gesunken ist und es zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit gekommen ist – allerdings hat es bei der Ablieferung von Waffen nur geringe Fortschritte gegeben. Die Unionisten sind immer noch mißtrauisch, die Republikaner immer noch unzufrieden, und eine echte Lösung scheint so weit entfernt wie eh und je. Die Risse in der Wand sind nur zugekleistert worden. Man hört manchmal die Ansicht, durch die höhere Geburtenrate bei den Katholiken würde sich das Problem von selbst lösen, aber in den letzten Jahren haben sich die Unterschiede bei der Geburtenrate von Katholiken und Protestanten ausgeglichen, und das Verhältnis der Bevölkerungsanteile ist stabil.
Es ist aber wahrscheinlich, daß die alten Loyalitätsverhältnisse an Bedeutung verlieren werden, und zwar wegen der zunehmenden wirtschaftlichen Prosperität und – ein schlechtes Vorzeichen – wegen der verstärkten Einwanderung aus außereuropäischen Ländern, die ein Teil der „Friedensdividende“ war.
Die wichtigste Alternative zur Konservativen Partei ist die 1993 von dem an der London School of Economics tätigen Historiker Dr. Alan Sked gegründete „United Kingdom Independence Party“. Heute hat die UKIP zehn Sitze im Europaparlament, ungefähr 50 Sitze in den Gemeinde- und Grafschaftsräten und 20.000 bis 25.000 Mitglieder. Parlamentsmandate hat sie jedoch keine, und zwar wegen des englischen Mehrheitswahlrechtes. Nur auf europäischer Ebene, wo das Verhältniswahlrecht gilt, hat die Partei je Erfolg gehabt. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2006 schnitt sie äußerst schlecht ab: sie gewann nur einen neuen Sitz, was dadurch ausgeglichen wurde, daß sie einen anderen verlor.
Die Mitglieder der UKIP sind hauptsächlich frühere Konservative, deren allmählicher Rückzug aus der Partei die Tories einiger ihrer begeistertsten und tatkräftigsten Aktivisten beraubt hat. Obwohl die UKIP ein vollständiges Parteiprogramm hat, ist sie hauptsächlich wegen ihrer Forderung nach einem ehestmöglichen Austritt aus der EU bekannt. Diese einfache Forderung ist den Wählern und auch den Medien leicht zu vermitteln. Sie erweckt aber den Eindruck, als sei die UKIP eine Ein-Thema-Partei und hätte zu anderen Fragen keine Meinung – ein Eindruck, der durch den Namen der Partei noch verstärkt wird. Und der Wunsch nach einem Austritt aus der EU ist auch das einzige, was alle Parteimitglieder gemeinsam haben. Viele UKIP-Mitglieder scheinen zu glauben, daß, wenn die EU sich morgen in Luft auflösen sollte, England automatisch in eine Art goldenes Zeitalter im Stil der Fünfzigerjahre zurückversetzt würde. Die EU ist aber doch eher ein Krankheitssymptom als die Krankheit selbst. Das jetzige Führungsteam der Partei ist zwar das beste, das sie je gehabt hat, es ist aber vorsichtig darauf bedacht, sich nicht dem Vorwurf des „Extremismus“ auszusetzen – vielleicht zu sehr, um eine wirkliche Wende in der britischen Politik herbeizuführen. Trotz dieser Vorsicht sehen viele Linke die Leute von der UKIP als insgeheim bigott und fremdenfeindlich an; eine Zeitung bezeichnete die UKIP als „die British National Party im Sonntagsanzug“. Eine kurz vor den Kommunalwahlen im Mai 2006 durchgeführte Meinungsumfrage ergab auch, daß die Wähler die UKIP und die British National Party für untereinander austauschbar hielten.
Der zweite große Nachteil der UKIP ist ihr althergebrachter Hang zu gehässigen inneren Streitigkeiten. Die unrühmliche Geschichte dieser Auseinandersetzungen geht bis zur Gründung der Partei zurück und macht sich noch heute bemerkbar. Sobald jemand die Partei verläßt, denunziert er alle seine ehemaligen Freunde als „Extremisten“ und „Rassisten“. Unter der nachgiebigen Führung des ehemaligen Tory-Ministers Roger Knapman, der derzeit Vorsitzender der UKIP und einer ihrer Europaabgeordneten ist, hatten sich die Dinge entscheidend gebessert – doch dann, im Jahre 2004, warb die Partei einen ehemaligen Fernsehmoderator namens Robert Kilroy-Silk an.
Kilroy-Silk, der durch seine anspruchslose Fernsehshow über eine ansehnliche Anhängerschaft verfügte, war ein Gewinn für die Partei, als er ihr beitrat. Bei den Europawahlen im Juni 2004 wurde er gemeinsam mit elf anderen Kandidaten der UKIP gewählt, womit sich der Mandatsstand seiner Partei im Europaparlament vervierfachte – ein gewaltiger Triumph für die Partei. Dieser Sieg war zum Teil Kilroy-Silks Verdienst. Er dachte aber, er wäre zur Gänze sein Verdienst! Sofort, nachdem er gewählt war, begann er gegen seine Abgeordnetenkollegen zu intrigieren und versuchte, die Partei unter seine Kontrolle zu bringen. Schließlich trat er inmitten eines Wirbels von Verleumdungen und Beschimpfungen aus und gründete unter dem Namen „Veritas“ seine eigene Partei. Diese Idee war überhaupt nicht durchdacht. „Veritas“ schnitt bei den allgemeinen Wahlen im Jahre 2005 dementsprechend schlecht ab und steht nun vor dem Zusammenbruch. Ein weiterer Abgeordneter der UKIP, Ashley Mote, ist mittlerweile ein „wilder“ Abgeordneter geworden.
Die Mitglieder der konservativen Partei, der UKIP und der „British National Party“ haben zwar ähnliche Ansichten, jedoch stammen die ungefähr 8.000 Mitglieder der BNP zu einem größeren Teil aus der Arbeiterklasse, und die Partei ist in früheren Labour-Hochburgen am stärksten. Sie ist auch die einzige ernstzunehmende Partei Englands, die konsequent heruntergemacht wird – oft zu unrecht, und meist ohne sich verteidigen zu dürfen. Die von dem vor kurzem an einem Herzinfarkt verstorbenen Hitleranhänger John Tyndall gegründete Partei versucht noch immer, ihre peinliche politische Vergangenheit vergessen zu machen. Sie hat nach wie vor Mitglieder, die an „jüdische Verschwörungen“ glauben oder wegen schwerer Straftaten verurteilt sind (solche Leute sind zwar auch in den Großparteien zu finden, aber für die scheint sich niemand zu interessieren).
Der BNP-Vorsitzende Nick Griffin hat in Cambridge sein Jusstudium absolviert, stammt aus einer konservativen Familie und hat einmal ein hohes Amt in der National Front (NF) bekleidet. Während seiner Zeit in der NF gehörte er zur sogenannten „Political Soldier“-Fraktion, die sich für den katholischen Fundamentalismus, für das Genossenschaftswesen und die Social-Credit-Bewegung interessierte und sich mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Ayatollah Khomeini, Oberst Gaddafi und Louis Farrakhan verbünden wollte. Jetzt hat er sich als populistischer Nationalist selbst neu erfunden und die Linie seiner Partei nach dem Vorbild der Partei Jörg Haiders, der „Alleanza Nazionale“ und der norwegischen Fortschrittspartei ausgerichtet. Er versucht, die „Alleanza Nazionale“ nachzuahmen und aus der BNP eine moderne, „postfaschistische“ Partei zu machen, so wie ehemalige kommunistische Parteien in Osteuropa zu „postkommunistischen“ Sozialdemokraten geworden sind.
Damit war er recht erfolgreich. Die Partei hat derzeit ihren bisher stärksten Anhang in der Bevölkerung und mancherorts echte Wurzeln geschlagen. Ihre monatlich erscheinende Zeitung hat eine Auflage von 60.000, und ihre Website ist eine der meistbesuchten politischen Websites im Vereinigten Königreich. Die Partei beginnt, Anhänger aus der Mittelschicht zu gewinnen, und Griffin schlägt sich wacker gegen feindlich gesinnte Reporter.
Bei den allgemeinen Wahlen im Jahr 2005 erzielte die Partei in manchen Gebieten hohe Gewinne, namentlich in Barking im östlichen London, wo sie beinahe 17 % erreichte, und in Dewsbury im Westen von Yorkshire, wo sie auf über 13 % kam. Bei den diesjährigen Kommunalwahlen eroberte sie weitere 23 Gemeinderatssitze – insgesamt hat sie derzeit fast fünfzig – , und es gelang ihr der Einbruch in neue Gebiete, namentlich in Dagenham im östlichen London, wo die BNP jetzt die zweitgrößte Partei ist.
Ein Vorteil der BNP gegenüber der UKIP besteht darin, daß die Forderung, für die sie vor allem bekannt ist – nämlich die Beschränkung der Einwanderung und die Rückführung illegaler Einwanderer – bei den Wählern äußerst gut ankommt, noch viel besser als der Austritt aus der EU.
Außerhalb der politischen Arena gibt es ein breites Spektrum an Gruppen, die man als „konservativ mit kleinem k“ bezeichnen könnte. Es dürfte über hundert verschiedene derartige Organisationen geben, von denen allerdings die meisten sehr klein sind. Sie setzen sich teils für die Neuverhandlung der EU-Verträge ein, teils für den Austritt aus der EU überhaupt oder treten nur gegen bestimmte Aspekte der Europäischen Union auf, wie z. B. die metrischen Maßeinheiten oder die Regionalisierung.
Die wichtigsten dieser Gruppen sind „Freedom Association“, „Democracy Movement“, „Bruges Group“ und das „European Journal“. Sie alle sind relativ große Organisationen, deren Anhängerschaft hauptsächlich aus Konservativen oder ehemaligen Konservativen besteht, von denen viele zur UKIP gewechselt sind.
Diese Organisationen werden zwar von klugen Männern und Frauen geführt, wenn man aber in der Hierarchie etwas weiter hinuntersteigt, so merkt man, daß bei vielen Anhängern Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien ein wichtiger Motivationsfaktor sind – wobei sich letztere hauptsächlich auf Deutsche, Franzosen, Katholiken und sogar Freimaurer beziehen.
In vielen Fällen handelt es sich um ein Generationsproblem, weil sich viele britische Euroskeptiker noch an den Zweiten Weltkrieg erinnern (der Euroskeptizismus ist überhaupt eine Bewegung, die hauptsächlich aus älteren Menschen besteht) und in der EU eine Fortsetzung der Pläne Hitlers sehen. In diesem Glauben werden sie von einigen britischen Zeitungen bestärkt, die sich darin gefallen, einen Vulgär-Antigermanismus zu fördern, wie man ihn in alten Karikaturen findet – ebenso, wie ähnliche Presseerzeugnisse früher die Franzosen verächtlich gemacht haben. Es handelt sich in vielfacher Hinsicht um eine Haßliebe, weil sich Engländer und Deutsche in Wirklichkeit sehr ähnlich sind – aber mit diesem Faktor wird man solange rechnen müssen, bis die ältere Generation mit ihren persönlichen Erinnerungen an den Krieg einmal von der Bühne abgetreten sein wird. In naher Zukunft werden antideutsche (und antikatholische) Vorurteile stark an Bedeutung verlieren.
Jenseits des Europathemas gibt es Think Tanks mit einem weiteren Wirkungskreis, wie das „Institute of Economic Affairs“, „Civitas“ und das „Social Affairs Unit“. Manche von ihnen erreichen sehr viel. Es gibt auch Gruppen, die für die Familie, für die Erhaltung traditioneller Gottesdienstformen, gegen die Kriminalität und gegen asoziales Verhalten auftreten; eine weitere Gruppe, „Migration Watch“, kämpft gegen die Masseneinwanderung (eine zweite solche Gruppe steht vor ihrer Gründung). Es gibt sogar Gruppierungen, die für die Sache der Jakobiten, für eine bessere englische Umgangssprache und gegen die Musikberieselung in Lokalen eintreten. Aber diese Gruppen sind meist klein und haben wenig Einfluß.
Ihre Arbeit wird hin und wieder von einigen wenigen rechts von der Mitte angesiedelter Medienkommentatoren, hauptsächlich von den Zeitungen „Daily Telegraph“ und „Daily Mail“ und dem Magazin „Spectator“, unterstützt, beispielsweise von Simon Heffer, Charles Moore, Peter Hitchens, Peter Oborne und Christopher Booker. Aber diese Kolumnisten scheinen sich – ebenso wie viele Konservative – in eine gewisse Verzweiflung hineingeredet zu haben, sie beklagen mehr, als sie vorschlagen.
Und auch im besten Fall werden ihre Bemühungen sogar innerhalb ihrer eigenen Presseorgane durch andere Kolumnisten und durch eine Berichterstattung aufgewogen, die tendenziell „neokonservativ“ oder sogar linksgerichtet ist. Noch dazu steht die „Times“ eher links als rechts, außerdem gibt es zwei einflußreiche linksgerichtete Zeitungen, den „Guardian“ und den „Independent“, und die BBC steht der „Rechten“ fast ausschließlich feindlich gegenüber. Man kann zwar sagen, daß die britischen Medien vielfältiger sind als die Medien in manchen anderen Ländern, doch sie sind von Inzucht und Nepotismus geprägt und mit sich selbst beschäftigt. Kolumnisten wechseln unbeschwert von einer Zeitung zur anderen, und die BBC rekrutiert ihren Nachwuchs aus den eigenen Reihen oder durch Inserate im „Guardian“.
Etwas abseits der großen Medien – obwohl mit ihnen in Verbindung stehend – gibt es noch zwei unabhängige konservative Zeitschriften, die „Salisbury Review“ und „Right Now“, die über eine Leserschaft von einigen tausend, einen Stall von bekannten Journalisten und – wie ich mir selbst schmeichle – einen recht guten Ruf verfügen. Aber man muß sagen, daß der Beitrag dieser beiden Zeitungen schon allein durch die Anzahl an linksgerichteten Zeitungen aufgewogen wird – wieder ein Beispiel dafür, wie der „Pragmatismus“ der Konservativen und ihre Weigerung, Ideen ernstzunehmen, eine entscheidende Schwachstelle verursacht hat.
Ein weiteres Magazin, das man erwähnen sollte, ist der interessante „Scorpion“. Er wird von Michael Walker herausgegeben, der jetzt in Deutschland lebt. Der „Scorpion“ ist von allen englischsprachigen Pubikationen noch am ehesten mit „Éléments“ oder der „Nouvelle École“ zu vergleichen, er erscheint aber jetzt nur noch einmal im Jahr.
Das bisher Gesagte mag zwar recht entmutigend klingen, es gibt aber doch Dinge, die zur Hoffnung Anlaß geben.
Der hauptsächliche Grund zum Optimismus ist die Tatsache, daß viele Briten trotz jahrzehntelanger politisch korrekter Propaganda ein beträchtliches Maß an gesundem Menschenverstand und Hartnäckigkeit bewahrt haben. Die breite, wenn auch letztlich erfolglose Kampagne zur Erhaltung der Fuchsjagd hat gezeigt, daß in England noch tiefliegende Kraftreserven zu finden sind. Die Bombenanschläge vom 9. September und vom 7. Juli haben bei vielen Männern und Frauen in England ein latentes Gefühl der Unsicherheit wegen der Einwanderungsproblematik geweckt. Sogar manche Vertreter der Linken haben in letzter Zeit zugegeben, daß die Idee des Multikulturalismus gestorben sei; Tony Blair selbst hat geäußert, es sei „weder extremistisch noch rassistisch, sich wegen der Einwanderung Sorgen zu machen“. Was das hochwichtige Thema Einwanderung betrifft, das auch in hohem Maße Symbolcharakter hat, so hat die Linke zweifellos die intellektuelle Führerschaft verloren – und es gibt auch Anzeichen einer Gegenbewegung in anderen Themenbereichen wie zum Beispiel der Familienpolitik.
Nimmt man den Anhang der Konservativen Partei, der UKIP und der BNP zusammen, so wäre dieser eindeutig größer als der Anhang der Labour Party und der Liberaldemokraten, wenn nur die Anhänger der genannten drei Parteien an einem Strang ziehen würden. Außerdem könnten zumindest theoretisch viele Millionen Labour-Stammwähler in den Zentren der Städte von England, Schottland und Wales durch einen populistisch geführten konservativen Wahlkampf aus ihren alten Bindungen weggelockt werden, der sich auf die Themen Einwanderung, Kriminalität und EU konzentrieren und gleichzeitig die Erhaltung des öffentlichen Gesundheitswesens und der britischen Industrie sowie bestimmte „grüne“ Forderungen unterstützen müßte. Im heutigen England, das in der Fragmentierung begriffen ist, zerfällt sogar der „liberale Grundkonsens“, und eine kluge Tory-Führung könnte auch jetzt noch eine Umkehr des Verfallsprozesses bewirken.
An der intellektuellen Front gibt es für engagierte englische Zeitungen und Journalisten Möglichkeiten, die Medien des Mainstreams durch eine häufigere und kreativere Verwendung des Internets zu umgehen und so eigene Strukturen zu schaffen. Noch weniger Menschen haben versucht, konservative Werte in der Kunst zu betonen und somit nicht nur einen politischen, sondern einen metapolitischen Krieg zu führen. Filmemacher, Schriftsteller, Dichter, Maler und Fotografen haben oft mehr Einfluß auf die Kultur eines Landes als alle Politiker zusammen, und auf all diesen Gebieten könnte noch viel mehr getan werden.
Die Linke ist nun also intellektuell im Nachteil, und es gibt viele Möglichkeiten, ihr noch mehr wehzutun, wenn man flexibel und ein Querdenker ist. Ironischerweise besteht die große Gefahr darin, daß die britischen Konservativen zu konservativ sein könnten, um aus diesen Vorteilen und Möglichkeiten das Beste herauszuholen.
Derek Turner ist der Herausgeber der Zeitschrift „Right Now“:
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