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Verbrechen der Wehrmacht in Polen

Von Markus Krämer

Was in der Ausstellung verschwiegen wird

Noch in diesem Jahr soll die Ausstellung „Größte Härte – Verbrechen der Wehrmacht in Polen“ in Wien zu sehen sein. Seit August 2005 hat die als Nachfolger der Anti-Wehrmachtsschau des Reemtsma-Instituts konzipierte Ausstellung schon in etlichen deutschen Städten Station gemacht. Der hier wiedergegebene Artikel erschien bereits bei Anlaufen der Wanderausstellung in der deutschen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und faßt die Haupteinwände gegen die wiederum manipulative Darstelllungsweise zusammen.

In Polen wird die polnischsprachige Fassung der Ausstellung bereits seit September 2004 gezeigt. Der deutsche Ausstellungsleiter Jochen Böhler promovierte im Dezember 2004 an der Universität zu Köln bei Jost Dülffer über dieses Thema, wobei er sich aber weitestgehend aus zahlreichen polnischen Regionalstudien bediente.
Kernthese der eng vom Darmstädter Deutschen Poleninstitut betreuten Ausstellung, die zusammen mit polnischen Wissenschaftlern am Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau erarbeitet wurde, ist nach Böhler, der ebenfalls am DHI beschäftigt ist, „den deutschen Überfall auf Polen auch als Auftakt zum Vernichtungskrieg zu bezeichnen“. Damit solle einer „Legende“ widersprochen werden, welcher laut Reemtsmas Schau über den „Vernichtungskrieg der Wehrmacht“ Vorschub geleistet worden sei. Denn diese habe kolportiert, daß ein verbrecherischer Charakter in der Kriegführung der Wehrmacht erst nach dem Angriff auf die Sowjetunion zum Prinzip geworden sei. So behauptet Böhler, es sei schließlich „allgemein bekannt“, daß „überall im Lande Brandstiftungen und Erschießungen durch reguläre Einheiten des deutschen Heeres stattfanden, denen ebenfalls Tausende polnische und jüdische Zivilisten sowie Kriegsgefangene zum Opfer fielen“.
Um diese Ausstellung als Beitrag zu den „geschichtspolitischen Kontroversen über die Täter- und Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg“ zu plazieren, die von der „nachfolgenden Vertreibung der Deutschen überschatten“ werde, hat sich folgerichtig auch das Warschauer Institut des nationalen Gedenkens daran beteiligt.

Proteste der Wehrmacht können dokumentiert werden

Sollten aber tatsächlich sechzig Jahre deutsche Militärforschung etwas übersehen haben? Daß ab Ende September im Sinne der von Reinhard Heydrich angeordneten „Flurbereinigung“ Sondereinheiten der SS, Ordnungspolizei und Danziger Gestapo polnische Intellektuelle liquidierten, war seit langem bekannt. Obwohl die zahlreichen Massaker der polnischen Armee, paramilitärischer Verbände und auch gewöhnlicher Zivilisten an den Volksdeutschen zu Kriegsbeginn für starke Erbitterung im Heer sorgten, können jedoch die scharfen und nachhaltigen Proteste der Wehrmachtführung wie auch einfacher Soldaten und Unterführer bestens dokumentiert werden. Als besonderes Beispiel „größter Härte“ wird abermals die als Terrorangriff bezeichnete Bombardierung der Grenzstadt Wielun herausgehoben, die der Luftkriegsexperte Horst Boog in dieser Zeitung als eindeutig „taktischen Luftangriff im Frontbereich“ qualifizierte (JF 40/04).
Genau in der Ausklammerung dieser Fakten sowie der Nichtberücksichtigung dieser polnischen Verbrechen liegt der wesentliche Schwachpunkt der Ausstellung. Böhler folgt komplett der alten, erledigten Diversionsthese (nach der Volksdeutsche auf polnische Armeeverbände geschossen hätten und damit Opfer einer gerechtfertigten „Gegenwehr der polnischen Truppen“ wurden) und ist sich auch nicht zu schade dafür, die ermordeten Volksdeutschen von Bromberg und Umgebung am 3. September 1939 (dem Tag der Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an das Deutsche Reich) auf einhundert bis dreihundert herunterzurechnen. Dabei hat der westpreußische Historiker Hugo Rasmus in jahrzehntelanger Arbeit ohne Widerspruch der polnischen Kollegen (zum Beispiel Wlodzimierz Jastrerebski) akribisch die Opferzahl nur aus Bromberg mit 981 Ermordeten ermittelt.
Bei der Schilderung der Vorgänge Anfang September 1939 folgt die Ausstellung komplett und uneingeschränkt der polnischen Diktion. Die Ausstellungsmacher begnügen sich mit einer analysefreien Aneinanderreihung einer deutschen Gewalttat gegen Polen an die andere. Dank der Nichtberücksichtigung maßgeblicher Standardwerke und der Ergebnisse der Posener Gräberzentrale, die wissenschaftlich fundiert die tausendfachen Übergriffe und Morde an der deutschen Minderheit in Polen gleich zu Beginn des Krieges dokumentiert, erstrahlt das Bild der polnischen Feinde der Wehrmacht in betäubender Makellosigkeit. Entgegenstehende Forschungsmeinungen werden ignoriert, Zahlenkaskaden nur mit polnischen Forschungsergebnissen belegt.
Mit der Wahrheit, die wir uns im deutsch-polnischen Verhältnis schuldig sein sollten – so die Ausstellungsmacher –, hat ihre Methode kaum mehr etwas zu tun. Hier wird eine Ausstellung publiziert, die den Leidensweg der Volksdeutschen im polnischen Machtbereich im September 1939 völlig ignoriert. Plakate, Ton und Tenor verraten eine Selbstgerechtigkeit, die ebenso abwegig wie töricht ist.
Mit der Zuspitzung des deutsch-polnischen Konfliktes ab dem März 1939 geriet die deutsche Volksgruppe in Polen zunehmend in Bedrängnis. Die Haltung des polnischen Staates und der polnischen Bevölkerung wurde immer feindseliger und artete in den Sommermonaten vor Kriegsbeginn 1939 in offene Verfolgung (71 ermordete Volksdeutsche sowie 70.000 volksdeutsche Flüchtlinge vor Kriegsausbruch) aus.
Den Höhepunkt der Leidenszeit brachte der Kriegsausbruch. (Der Sender Warschau funkte ununterbrochen den geheimnisvollen Befehl: „Uwaga! Uwaga! Instrukcje K 03031 wykonac!“ – Achtung! Achtung! Die Dienstanweisung K 03031 ausführen!) Der Begriff „Bromberger Blutsonntag“ umfaßt alle Pogrome an Volksdeutschen in Polen im September 1939, auch das Blutbad unter den volksdeutschen Weichselbauern und die Ausrottung der gesamten männlichen volksdeutschen Bevölkerung in Slonsk an der Weichsel und Dembina in Mittelpolen.
Diese deutsche Inselsiedlung Dembina zählte etwa zehn deutsche Bauerngehöfte. Vermutlich wurden die fremden polnischen Soldaten durch Polen aus den Nachbardörfern genauestens darüber aufgeklärt, wessen Söhne in den letzten Monaten nach Deutschland geflohen waren. Am 11. September begann das Morden. Alle Männer, die nicht vorher geflohen waren, wurden getötet – durch reguläre polnische Armeeeinheiten. Am 30. September gruben volksdeutsche Bauern, die sich zum Tatzeitpunkt versteckt gehalten hatten, zusammen mit Wehrmachtsoldaten das Massengrab aus – die meisten Ermordeten wiesen grausame Bajonettstiche auf. Der Kirchendiener von Moosburg gab später im Posener Tagblatt (25. April 1940) einen erschütternden Bericht darüber ab. Am Sonntag, dem 3. September 1939 erreichten die Verschleppungsmärsche ihren Höhepunkt.
Für die deutschen Bewohner Polens begann das bisher traurigste Kapitel ihrer Geschichte mit den ungeheuren Blutopfern in den ersten Septembertagen 1939 bis zum Einmarsch der deutschen Truppen. Beispiele wie diese eindeutigen Kriegsverbrechen finden in „Größte Härte …“ keine Berücksichtigung. So werden die in der Ausstellung präsentierten Beispiele von der Verfolgung und Liquidierung „polnischer Partisanen“, die man seitens der siegreichen Deutschen – berechtigterweise oder oft auch zu Unrecht – dieser Mordtaten bezichtigte, ohne einen Kausalzusammenhang gezeigt.

Todesmärsche finden keine Erwähnung in der Ausstellung

Unter der Einwirkung einer antideutschen Propaganda und einer künstlich erzeugten Spionen- und Diversanten-Psychose fanden mehr als 5.000 Volksdeutsche den Tod. Massenerschießungen durch das polnische Militär fanden auch in Wierzbie bei Sompolno, Tarnowo bei Turek statt. Todesmärsche, unvorstellbare Verstümmelungen und Mißhandlungen, mittelbar von der polnischen Armeeführung und den Behörden in Kauf genommen, sind den Ausstellungsmachern keine Erwähnung wert. Daß dies geschah, bevor sich das NS-Regime mit seinen Verbrechen etablieren konnte, bleibt ausgeblendet.
Es war also eine Zeit, in der sich noch niemand in Polen auf die Untaten des deutschen Unrechtsregimes berufen und behaupten konnte, aus Rache blind zu handeln.
Auch dürfte eine Ausstellung zum September 1939 das Verhalten der zurückflutenden polnischen Armee nicht unberücksichtigt lassen. Am Mittwoch, dem 13. März 1940 titelte der Ostdeutsche Beobachter in Posen: „Polnische Morde an volksdeutschen Soldaten. Eidesstattliche Erklärung eines Nationalpolen: eine einzige Kompanie erschoß dreißig Volksdeutsche aus ihren eigenen Reihen. Insgesamt sind bisher 5.200 von den Polen eingezogene Deutsche als vermißt festgestellt.“
Obwohl die Presse im Nationalsozialismus dem Auftrag des Propagandaministeriums oft willfährig folgte, muß diese Zahl dennoch stutzig machen, steht sie doch im Kontrast zu den offiziell von Hitler zu propagandistischen Zwecken stets behaupteten 58.000 Opfern unter den Volksdeutschen.
So gab Pawel Pawliczak aus dem polnischen Infanterieregiment 58, 9. Ersatzkompanie, vor der Zentrale für Gräber ermordeter Volksdeutscher in Posen eine eidesstattliche Erklärung ab, in der er ausführlich die Ermordung von dreißig Kameraden und auch Zivilisten auf Befehl der Kompanieoffiziere schilderte, die als Angehörige der deutschen Minderheit in der polnischen Armee dienten. „Auf dem Rückmarsche nach Warschau wurden dann noch weitere Deutsche aus unserer Truppe erschossen. Zusammen mögen es ungefähr zwanzig gewesen sein. Ich war bei allen Erschießungen Augenzeuge, doch wurde ich selbst nie zum Erschießen abkommandiert. Untersuchungen und Standgerichte haben nicht stattgefunden. ‚Co szwab, to szpieg, nie potrzebuje zyc‘, – Wer ein Deutscher ist, ist ein Spion und braucht nicht zu leben, das war die Begründung für die Erschießung. Ferner hat unsere Truppe auf dem Marsche regelmäßig jeden Deutschen erschossen, der Zivilkleidung anhatte. Wenn ich mich nicht irre, so sind allein von meiner Kompanie mehr als zehn solcher Zivilisten erschossen worden. (…) In der Nähe von Warschau habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß vier Deutsche, ein Mann, eine Frau und zwei Kinder, mit den Zungen an den Tisch genagelt waren.“

Eine wissenschaftliche Fundierung vermißt man oft

Von der Posener Gräberzentrale wurde festgestellt, daß von den mehr als 5.200 verschollenen volksdeutschen Soldaten (ihre Militärpässe wurden mit einem roten Stempel gekennzeichnet) die Mehrzahl von ihren eigenen „Kameraden“ erschossen worden sein muß. So hat nach dem Zeugnis des Lehrers Otto Leischner aus Slonsk selbst der in deutscher Gefangenschaft befindliche General Wladislaw Bortnowski (Befehlshaber der Armee „Pomorze“ – er starb 1966 in einem Krankenhaus bei New York) erklärt: „Alle Deutschen müssen ausgerottet werden.“
Unstreitig sind auch von der Wehrmacht im September 1939 Einzelverbrechen verübt worden, deren Ursache nichts mit den vorherigen Übergriffen an Deutschen zu tun gehabt haben. Allzu oft vermißt man aber eine wissenschaftliche Fundierung der geschildeten Fälle. In der Regel werden die deutschen Verbrechen so dargestellt, als folgten sie einem von der Wehrmachtsführung angeordneten gängigen Prinzip, dessen stichhaltigen Beleg man jedoch vergeblich erwartet.
Grundsätzlich ist die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen für die Nachwelt von Nutzen, um die Abscheulichkeit des Krieges an sich deutlich zu machen. Wenn aber über Verbrechen der Wehrmacht berichtet wird, muß auch das Verhalten des militärischen Gegners bildlich und textlich in der Ausstellung manifestiert werden, denn schließlich werden gerade durch die Ausstellung „Größte Härte“ nach Reemtsmaschem Vorbild viele eher unbedarfte Schulklassen durchgeschleust. Nur eine objektive Darstellung kann tatsächlich der Verständigung und Aussöhnung dienen.


„J. F.“, 30. September 2005

 
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