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Seledec und das ,,Charakterschwein"

Von Achim Lang

Daß aus der Teilnahme des ORF-Chefredakteurs Walter Seledec an einer Kranzniederlegung am Grab Walter Nowotnys durch den Ring Freiheitlicher Jugend ein Skandal gezimmert werden würde, war abzusehen.* Einerseits war da die private Teilnahme an einer parteipolitischen Veranstaltung, was naturgemäß Grüne und SPÖ erregte – obwohl doch das enge Verhältnis, das ORF-Generalin Monika Lindner mit der niederösterreichischen ÖVP hütet, bisher genausowenig Anlaß für Aufregung bot wie früher die nachgerade intimen Beziehungen etlicher prominenter ORF-Journalisten zur Sozialdemokratie.
Andererseits war da die Kranzniederlegung am Grab eines „NS-Luftwaffenoffiziers“, die Fritz Muliar sosehr erregt hat, daß er von Seledec als dem „Arschlecker“ einer vergangenen Zeit sprach. Gut, Fritz Muliar ist Fritz Muliar, man muß ihm seine Lebensgeschichte zugute halten, sein cholerisches Temperament und sein Alter. Andererseits hätte man gerade von ihm, der sich noch vor einigen Jahren für die Errichtung eines Ehrenmals für die gefallenen österreichischen Soldaten vor Stalingrad einsetzte, erwarten können, daß er nicht auf den Antifa-Schmäh hineinfallen würde, Nowotny würde als „NS-Held“ verehrt, sondern erkennen würde, daß dieser nur von jenen als Symbol hochgehalten wird, die sich gegen die Verdammung der gesamten Kriegsgeneration in Bausch und Bogen zur Wehr setzen. Zumal Walter Seledec in seiner journalistischen Arbeit noch niemals Tendenz nachzuweisen war, hätte also auch ein Fritz Muliar – Lebensgeschichte hin, Parteipolitik her – erkennen können, daß der Vorwurf des „Arschleckers“ einer vergangenen Zeit einfach ungerechtfertigt ist.
Der eigentliche Skandal folgte aber erst. Als nämlich der Vorsitzende des ORF-Publikumsrates, in dessen Sitzung die Äußerung gefallen war, Muliar in der „Quintessenz“ zustimmte, diesen aber bat, die Verbalinjurie aus dem Protokoll streichen zu lassen, trat ausgerechnet ein Kirchenvertreter, der calvinistische Superintendent Peter Karner, mit der Begründung dagegen auf, beim Wort „Arschlecker“ handle es sich um eine zutreffende Bezeichnung für ein „Charakterschwein“.
Stellen wir in Rechnung, daß Totengedenken zu Allerseelen eine grundlegende Säule der christlichen Kultur darstellt, und bedenken wir, daß Christus selbst von den Soldaten eben nicht verlangt hat, zu entscheiden, ob ein bestimmter Krieg gerecht oder der Landesherr Christ ist, sondern nur, selbst nicht sündhaft zu handeln, ermißt sich, wie unchristlich die Aussage des calvinischen Oberpastors war.
Bedenkt man ferner, daß „Charakterschwein“ die Bezeichnung für jemanden ist, der seine Gesinnung, seine Freunde oder seine Werte aus niedrigen Beweggründen verrät, ergibt sich von selbst, daß diese Bezeichnung auf Walter Seledec gerade nicht zutreffen kann, wenn dieser für eine Demonstration seiner Gesinnung sogar berufliche und persönliche Nachteile inkauf nimmt.
Es fragt sich vielmehr, ob nicht (um in der Sprache der Herren Publikumsräte zu bleiben) eher für Superpastor Karner die Bezeichnung „Arschlecker“ – diesmal des Zeitgeistes – zutreffend wäre, ist er doch offensichtlich bereit, für eine Anbiederung an diesen auch christliche Wertvorstellungen fahren zu lassen. Aber das ist offenbar ohnedies ein Problem der ganzen calvinistischen Kirche – siehe Homosegnungen und dergleichen mehr.
Doch weder diesen Vorwurf noch jenen des Charakterschweines will die NO wiederholen: Erstens, weil wir der Auffassung sind, daß Menschen so schnell nicht übereinander richten sollten (angebliche Kirchenmänner noch viel weniger als andere), und zweitens, weil wir eine solche Wortwahl für den Ausdruck niedrigster Gesinnung halten, insbesondere wenn sie nicht im momentanen Affekt erfolgt, sondern mit Bedacht in die Zeilen einer Zeitung gesetzt oder kalten Blutes in das Protokoll einer Ausschußsitzung hineinreklamiert wird, ohne Mitleid für den, dem zugemutet wird, eine solche öffentliche Abstempelung widerspruchslos hinzunehmen.

 
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