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Stephanie Hollenstein

Von Brynhild Amann

Dürfen Künstler Patrioten sein?

Der kunstinteressierte Zeitgenosse wird schwer enttäuscht, wenn er sich in Österreichs Bibliotheken über die Vorarlberger Künstlerin Stephanie Hollenstein informieren will. Lediglich die Nationalbibliothek verfügt über ein Exemplar jenes Büchleins, das ihre Heimatgemeinde anläßlich ihres fünfzigsten Todestages 1994 herausgebracht hatte, dies allerdings gezwungenermaßen, da hier alle österreichischen Editionen vertreten sein müssen. Auch im Weltnetz wird die Künstlerin ignoriert, einzig eine Amerikanerin mit Österreichbezug, Evelyn Kain, geht näher auf Stephanie Hollenstein ein. Da ihr Forschungsbereich die Bereiche „Frauen / Künstlerinnen / Krieg“ abdeckt, widmet Kain sich der Malerin allerdings auf außerordentlich ambivalente Weise. Stephanie Hollenstein fasziniert sie einerseits soweit, daß sie gar eine Biographie herausgeben möchte – andererseits scheinen diverse Daten in Hollensteins Leben die politisch korrekte Kunsthistorikerin abzustoßen.
Wer aber war Stephanie Hollenstein, was ist bemerkenswert an ihr und warum wird sie trotz ihrer Erfolge von der eigenen Kunstlobby ignoriert und erfährt lediglich in linksdominierten Forschungsbereichen fragwürdige Aufmerksamkeit?

1886 in eine bodenständige Lustenauer Familie hineingeboren, mußte Stephanie sich schon in jungen Jahren am Broterwerb beteiligen. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend waren die Eltern gleichzeitig Bauern und Sticker, was dem für das Rheintal typischen „Zweisäulenmodell“ entsprach, zwei Erwerbsbereiche, die sich gegenseitig absicherten. Die kleine Steffi wurde zu naturverbundenen Tätigkeiten wie Ausmisten, Melken oder Hüten herangezogen, was sich im Weiteren auf ihre künstlerische Entwicklung auswirken sollte: während des Hütens im Lustenauer Ried malte sie ihre ersten Bilder, wobei ihrer Schaffenskraft keine Grenzen gesetzt waren – sie fertigte sich Pinsel aus Tierhaaren und Farben aus Beeren und Sträuchern. Diese frühen Naturerfahrungen sollten auf Lebenszeit ihren Stil und ihre Liebe zur Heimat und zur Natur im Allgemeinen prägen. Ihre träumerische Art brachte ihr erwartungsgemäß Probleme in der Schule, als Sonderling fand sie nie Zugang zur turbulenten Gemeinschaft der Lustenauer Schüler.
Durch eine glückliche Fügung fiel die Stephanies Begabung einer kunstverständigen Tochter des Landeshauptmanns auf. Sie überredete das Mädchen, sich um die Aufnahme an der renommierten Kunstakademie in München zu bemühen. Dies gelang Stephanie problemlos – sie wurde gar zum laufenden Semester zugelassen, ohne die übliche Aufnahmeprüfung – ihre Bilder aus dem Ried offenbarten genügend Begabung. In Rekordzeit erlangte sie das Diplom im Zeichenkurs und blieb im „Athen an der Isar“, wo sie mit den bedeutenden Malern der Moderne, auch jenem des Blauen Reiters, in Kontakt kam. Sie leitete eine eigene Malschule und erhielt nach kurzer Zeit auf Empfehlung von Franz Defregger ein Stipendium für eine längere Studienreise durch Italien. Weitere Reisepläne nach Frankreich wurden durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelt.
Ab hier nimmt die Biographie Hollensteins eine, für damalige Frauen unübliche Wendung: Von der allgemeinen Begeisterung erfaßt, wollte sie unbedingt dem Vaterland dienen und absolvierte zu diesem Zweck einen Rotkreuzkurs. Wegen ihrer schwachen Konstitution wurde sie allerdings nicht zum Dienst zugelassen, was sie aber nicht daran hinderte, im Mai 1915 als „Stephan Hollenstein“ mit den Lustenauer Standschützen einzurücken.

„Stephan Hollenstein“ verteidigt das Vaterland in den Dolomiten

Bei den Kameraden war sie überaus beliebt und bekannt für mutige Einsätze, für welche sie auch offizielle Eintragungen im Bataillonsbericht erhielt. So meldete sie sich öfters freiwillig zu gefährlichen Aktionen, um kinderreiche Kameraden zu schonen, und scheute auch keineswegs die enormen körperlichen Strapazen und zermürbenden psychischen Belastungen, welchen die Vorarlberger Standschützen in den Dolomiten ausgesetzt waren. In dieser Zeit lernte sie das Soldatenleben hautnah kennen, eine sehr glückliche Zeit, wie einstimmig bei einem Veteranentreffen ihrer Kompanie bestätigt wurde. Ihr wurde das Kaiser-Karl-Truppen-Kreuz für die Dauer ihres Frontaufenthaltes verliehen.
Sehr zum Amüsement der Truppe, welche von Anfang an Bescheid wußte, wurde von einem Vorgesetzten das wahre Geschlecht des Standschützen Hollenstein aufgedeckt; Stephanie mußte trotz aller Fürbitten der Kameraden das Bataillon verlassen und wurde auf eigenes Bestreben hin der sogenannten „Kunstschwadron“ zugeteilt. Hierbei handelte es sich um teils berühmte Künstler und Autoren, welche die Kriegsberichterstattung in ihrem Fach übernahmen. Stephanie führte mehrere offizielle Missionen an der Dolomitenfront durch, wobei zahlreiche Bilder von Berglandschaften, Soldaten, Kasernen und Lazarettszenen entstanden, eine Welt, die sie sehr gut kannte und entsprechend realistisch und einfühlsam darzustellen verstand.
Als alle Frauen kriegsbedingt von der Front abgezogen wurden, wechselte sie ins Heeresgeschichtliche Museum, welches schließlich 87 ihrer Werke ankaufte.

Die „Schiefmalerin“

In Wien niedergelassen, verlor Stephanie Hollenstein nie den engen Bezug zum heimatlichen Lustenau, stets war sie im Sommer zuhause bei der Familie.
Die Zwischenkriegszeit war eine äußerst fruchtbare Phase im Leben der Künstlerin: Sezession, Künstlerhaus und Hagenbund stellten ihre Werke in Wien aus, in Berlin, Stockholms Helsingfors, Reval, St. Gallen, Basel und Winterthur wurden ihre eigenwilligen Werke von einem breiten Publikum anerkannt. Bereits 1923 fanden sich Zeichnungen von Stephanie Hollenstein in der Albertina, sie war in Fachkreisen sehr geschätzt und erhielt einen würdigenden Eintrag im „Thieme-Becker“, dem wichtigsten Kunstlexikon der Gegenwart.
Einen gravierenden Einschnitt in ihre Kreativität verursachte ein Unfall im Jahre 1928 – ein doppelter Knöchelbruch hemmte die Künstlerin fast vollständig, bis der berühmte, ebenfalls aus Vorarlberg stammende Unfallchirurg Lorenz Böhler mit einer bravourösen Operation dem Leiden ein Ende setzte. Stephanie konnte wieder malen und reisen und sah ihrer künstlerisch besten Phase entgegen. Sie erhielt zahlreiche Preise, darunter den Staatspreis 1931 und den Österreichischen Staatspreis für Malerei 1932.
Zahlreiche Studienreisen führten sie nach Tirol, in die Schweiz und nach Italien, wo sie auf geschickte und einzigartige Weise ihre bodenständige Naturverbundenheit mit den Stilen der modernen Malerei zu verbinden verstand. Sie präsentierte die Landschaft im Lichte eines expressiven Kolorits und formte sie bis zur räumlichen Verzerrung um, was ihr den Namen „Schiefmalerin“ einhandelte.
Bereits vor 1938 setzte sich Hollenstein für den Nationalsozialismus ein, verbreitete Propaganda-Zeitungen und Zeitschriften und wurde schließlich von der NSDAP-Ortsgruppe Lustenau für das Ehrenzeichen zur Erinnerung an den 13. März vorgeschlagen. Am 1. Mai 1938 trat sie der Partei bei. In ihrer Bibliothek finden sich eine Reihe politischer Werke, unter anderem ein persönlich signiertes Buch von Heimwehrführer Emil Fey. All dies hinderte sie aber nicht daran, sich 1938 für den Malerkollegen Albert Berchtold einzusetzen, der als „entarteter Künstler“ galt.
1938 wurde Stephanie Hollenstein Vorsitzende der „Vereinigung bildender Künstlerinnen der Reichsgaue der Ostmark“, der „Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs“ und der „Vereinigung bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen ‚Wiener Frauenkunst‘“, eine Position, die sie zur einflussreichsten Künstlerin Österreichs während des Dritten Reichs machte. Ihre Kontakte zu Baldur von Schirach und Arthur Seyss-Inquart ermöglichten es ihr, zahlreiche Unterstützungsprojekte für Künstlerinnen zu erlangen, ein Privileg, das Frauen weder in der Monarchie noch in der Ersten Republik je hatten. Schirach eröffnete Ausstellungen und setzte einen jährlichen Schirach-Preis aus, den er persönlich überreichte.
Der organisatorische Aufwand ihrer Stellung hinderte die Künstlerin allerdings, ihre Kreativität im selben Umfang fortzusetzen.
Stephanie Hollenstein hatte während des Krieges die Möglichkeit, drei umfassende Ausstellungen für die „Vereinigung bildender Künstlerinnen der Reichsgaue der Ostmark“ zu organisieren, wobei die letzte, 1944, ihrem eigenen Werk gegolten hätte, sie hätte den Schirach-Preis bekommen sollen, erlag aber im Mai des selben Jahres einem Herzleiden.
Die Biographie Stephanie Hollensteins wirft einige Fragen auf: Wie kommt eine Frau der Jahrhundertwende, noch dazu aus ländlichem Milieu stammend, dazu, eine künstlerische Karriere aufs Spiel zu setzen, indem sie freiwillig in den Krieg zieht? Wie weit kann ihre Liebe und Begeisterung für das Vaterland gehen, sodaß sie an der Front verharrt und mutwillig ihr Leben riskiert? Wie kann es sein, daß sie nach den grauenvollen Erlebnissen des Krieges weiterhin kreativ ist, ja sogar ihre beste Schaffensperiode erlebt und gerade in der kreativsten Zeit sich erneut politisch einsetzt – diesmal sogar für den Nationalsozialismus? Dies alles sind Irritationen für zeitgenössische Kunsthistoriker und Sozialwissenschaftler gleichermaßen, die alle in einer Frage gipfeln:

Kann ein bekennender Nationalsozialist künstlerisch begabt sein?

Spätestens seit den Verrissen diverser Künstler des Dritten Reiches durch die linksdominierte Kunstlobby weiß man: ein wahrer Künstler kann nicht gleichzeitig begabt, einfühlsam, kreativ, originell sein und Begeisterung für die Ideologien des Nationalsozialismus empfinden, so etwas schließt sich aus. Andernfalls wird dem Künstler kurzerhand die Begabung abgesprochen, was nicht zuletzt in der Natur der Dinge liegt – wurden doch die Vertreter der „anderen“ Seite durchwegs als entartet deklariert, was sie in eine klare ästhetische Gegenposition zur anerkannten Kunst stellte, welche heute wiederum als unkreativ, unspektakulär und stümperhaft dargestellt wird.
Dem allgemeinen Diktat unterlegen, daß alles, was im Entferntesten mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, ausnahmslos schlecht, verwerflich, ja psychopathologisch sei, muß das Selbstverständnis eines Kunstschaffenden jene Kollegen aussondern, welche sich mit dieser Ideologie identifizierten, dies allein schon aus Selbstschutz.
Stephanie Hollenstein aber ist hier eine „störende“ Ausnahme. Genau deshalb zeigt ihr Fall einen weiteren Widerspruch innerhalb der politisch korrekten Gegenwart auf, in der hysterisch aufgezwungenes Schwarz-Weiß-Denken von den historischen Tatsachen ablenken soll.
Ihre durchwegs modernen, expressionistischen Bilder begeisterten vor 1938 auch jene Künstler und Kritiker, die sich als Gegner des Dritten Reichs verstanden. Begabung und Kreativität wurden ihr nie abgesprochen. Als aber bekannt wurde, daß sie sich offen für den Nationalsozialismus einsetzte und aus ihrer Begeisterung für das Vaterland, was immer sie darunter verstand, keinen Hehl machte, kam Verwirrung bei den Kunsthistorikern auf.
Ohne wirklich die damalige Realität des Alltags zu durchleuchten, begann man an der Person Hollensteins herumzudeuten. Ihr, von feministischer Seite zunächst positiv bewerteter (weil unweiblicher) Einsatz an der Front des Ersten Weltkriegs wurde nun umgedeutet und als problematisch hingestellt. Ihre dort geschaffene Kunst wäre Wegbereiter für die Ideologien des Dritten Reichs gewesen, das, obwohl sie das Soldatenleben in seiner grausigen Wirklichkeit darstellte, in ihren Bildern von einer Heroisierung nichts zu spüren ist. Man war plötzlich völlig verwundert über die Begeisterung einer „Proto-Feministin für eine frauenfeindliche Bewegung“ (Zitat E. Kain) und zu guter Letzt deutete man ihre lebenslange Begeisterung für die Heimat und allem, was sie damit verband, als Resultat einer paradoxen Persönlichkeit.
Evelyn Kain geht noch weiter; für sie war Stephanie Hollenstein „nicht nur eine expressionistische Malerin, sondern auch eine faschistische [sic!] Patriotin. Obwohl im Allgemeinen angenommen wird, daß sich diese beiden Eigenschaften gegenseitig ausschließen, vermischen sie sich nichtsdestoweniger nahtlos in ihrem Leben und Werk“. Ihre „scheinbar paradoxe Geschichte […] verdeckt in Wirklichkeit eine viel schockierendere Kompatibilität von zwei Ideologien [Expressionismus und Nationalsozialismus, d.V.], von denen angenommen wird, daß sie Welten auseinander liegen“.
Man mag zwar amüsiert sein über die politisch korrekte Betriebsblindheit solcher Aussagen, trotzdem muß man doch mit Erstaunen feststellen, mit welcher Starrköpfigkeit am totalen Dämonisierungsschema bezüglich des nationalen Deutschtums festgehalten wird. Heimatliebe, Naturverbundenheit, Begeisterungsfähigkeit, Einsatzfreude und Treue gegenüber Volk und Vaterland bilden den Grundstock abendländischer Kultur und Zivilisation. Sie haben aber keine Berechtigung im ewig schlechten Deutschen.
Evelyn Kain bringt es auf den Punkt: „[…] Hollensteins patriotische Kunst des Ersten Weltkriegs ist problematisch. Im Kontext ihrer Loyalität zu Kaiser Franz Joseph betrachtet, sind ihre Zeichnungen und Bilder von 1915 – 1917 willkommene, künstlerische und menschliche Zeitdokumente. Allein der Holocaust hindert uns daran, sich ihrer Karriere im Gesamten mit Sympathie zu nähern.“

 
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