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Hiroshima und Nagasaki

Von Ralph Raico

„Der stärkste Schlag gegen die christliche Zivilisation“

Für immer werden die Atombomben auf Hiroshima am 6. August und auf Nagasaki am 9. August 1945 mit dem Namen des damaligen demokratischen US-Präsidenten Harry S. Truman verbunden sein. Wahrscheinlich um die 200.000 Menschen wurden bei den Angriffen und durch die folgende radioaktive Verseuchung getötet; die große Mehrheit davon waren Zivilisten, einschließlich mehrerer tausend koreanischer Arbeiter. Auch zwölf US-Marineflieger, die im Gefängnis von Hiroshima einsaßen, waren unter den Toten.

Um die Bombenabwürfe gab es immer eine heftige Kontroverse. Truman insistierte von Anfang an darauf, daß die Entscheidung, die Bomben einzusetzen, und die Verantwortung, die damit verbunden war, ganz auf sein Konto gingen. Allerdings lieferte er im Laufe der Jahre widersprüchliche Erklärungen für die Entscheidung. Manchmal deutete er an, daß einfache Rachegefühle seine Handlungen bestimmt hätten. Einem Geistlichen, der ihn kritisierte, antwortete Truman gereizt: „Niemand ist so beunruhigt wie ich wegen des Einsatzes von Atombomben, aber ich war auch sehr beunruhigt wegen der ungerechtfertigten Angriffe der Japaner auf Pearl Harbor und die Ermordung unserer Kriegsgefangenen. Die einzige Sprache, die sie zu verstehen scheinen, ist die der Bomben, die wir verwendet haben.“ Wie aber kann die Brutalität des japanischen Militärs die tödliche Vergeltung an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern rechtfertigen? Truman war sich dieser Problematik zweifellos bewußt, daher verkündete er am 9. August 1945: „Die Welt wird feststellen, daß die erste Atombombe auf Hiroshima, eine Militärbasis, abgeworfen wurde. Dies geschah, da wir wünschten, den Tod von Zivilisten bei diesem ersten Angriff so weit wie möglich zu vermeiden.“ Diese Erklärung war aber absurd. Pearl Harbor war eine Militärbasis. Hiroshima war eine Stadt mit etwa 300.000 Einwohnern, worunter sich auch Militärs befanden. Zudem war Hiroshima militärisch effektiv ausgeschaltet, da der Hafen vermint war und die US-Marine und die Luftwaffe die Gewässer ringsum kontrollierten. Bei anderer Gelegenheit behauptete Truman, Hiroshima sei bombardiert worden, weil die Stadt ein industrielles Zentrum gewesen sei. Jedoch vermerkte die vom US-Militär erstellte „Strategic Bombing Survey“ später, daß „alle größeren Fabriken in Hiroshima in den Außenbezirken der Stadt lagen und einer ernsthaften Beschädigung entgingen.“ Die Atombombe traf das Stadtzentrum. Daß Truman verstand, welche Opfer seine Bomben traf, wird aus einer Bemerkung deutlich, die er am 10. August in einer Kabinettssitzung machte, um seine Abneigung gegen eine dritte Bombe zu erklären: „Der Gedanke, noch einmal 100.000 Leute auszuradieren, war zu schrecklich“, sagte er. Die Vorstellung, „all diese Kinder“ zu töten, gefalle ihm nicht.
Die Ansicht, Hiroshima sei ein wichtiges militärisches oder industrielles Zentrum gewesen, ist offensichtlich nicht plausibel. Die Stadt wurde über Jahre von den verheerenden Luftangriffen auf die japanischen Inseln verschont und tauchte niemals auf der Liste des Bomber Command mit den 33 Hauptzielen auf. Die heute oft gehörte Begründung für den Abwurf der Atombomben, die eine überraschende Anhängerschaft gewonnen hat, beruht auf einer gigantischen Lüge: Allgemein wird behauptet, daß Hiroshima und Nagasaki notwendig gewesen seien, um das Leben vieler amerikanischer Soldaten zu retten. Die Zahl, die oft genannt wird, lautet eine halbe Million oder mehr. Dies angeblich ist die Zahl der amerikanischen Soldaten, die bei der geplanten Invasion von Kyushu im Dezember 1945 und bei der Hauptinvasion auf Honshu im nächsten Jahr voraussichtlich gefallen wären. Aber das schlimmste Szenario der militärischen Führung bei einer totalen Invasion Japans rechnete tatsächlich nur mit 46.000 Gefallenen. Die lächerlich aufgeblasene Zahl von einer halben Million Männern – das würde fast dem Doppelten des amerikanischen Blutzolls auf allen Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs entsprechen – wird nun routinemäßig in Schul- und Lehrbüchern wiedergegeben. Unwissende Kommentatoren plappern sie nach. Es überrascht auch nicht, daß der Preis für die größte Albernheit in dieser Hinsicht an George Bush senior geht, der 1991 behauptete, die Bombenabwürfe hätten „Millionen von Amerikanern das Leben gerettet“. Trumans vielfältige Täuschungen und Selbsttäuschungen sind verständlich, bedenkt man, welche Horrortat er veranlaßte. Ebenso verständlich ist, daß die US-Besatzungskräfte Berichte aus den verwüsteten Städten zensierten und nicht zuließen, daß Bilder oder Filme von den Tausenden von Leichen und den schrecklich verstümmelten Überlebenden der Öffentlichkeit zugänglich wurden. Andernfalls hätten nicht nur die Amerikaner vielleicht beunruhigende Vergleiche zu jenen Bildern aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten gezogen, die zu dieser Zeit ans Licht kamen. Höchste amerikanische Offiziere, darunter die Generale Eisenhower und MacArthur, verurteilten die Bombenabwürfe als barbarisch. Typisch war die Einschätzung von Admiral William D. Leahy, Trumans eigenem Chef des Stabes: „Der Einsatz dieser barbarischen Waffe gegen Hiroshima und Nagasaki war keine wesentliche Hilfe in unserem Krieg gegen Japan. … Nach meinem eigenen Gefühl haben wir, als erste, die sie einsetzten, einen ethischen Standard ähnlich dem der Barbaren der dunklen Vorzeit angenommen. Mir wurde nicht beigebracht, Kriege auf diese Art zu führen, und Kriege können nicht gewonnen werden, indem man Frauen und Kinder tötet.“
Amerikas politische Elite fürchtete, die Bombenabwürfe könnten in der Öffentlichkeit einen Rückschlag zum greulichen „Isolationismus“ der Vorkriegszeit bewirken. Rasch wurden apologetische Bücher gedruckt, damit nicht öffentlicher Ekel wegen des widerwärtigen Kriegsverbrechens die Begeisterung für das globalistische Projekt erodieren lasse. Aber kein Grund zur Besorgnis. Das amerikanische Volk hatte einen tiefen Einstellungswandel vollzogen. Damals und auch später haben Umfragen immer ergeben, daß die große Mehrheit der Befragten Truman unterstützte. Sie glaubten wohl, daß die Bombenabwürfe notwendig waren, um den Krieg zu beenden und um den Tod Hunderttausender amerikanischer Soldaten zu vermeiden. Vielleicht war es ihnen auch egal. Wer angesichts der Kosten-Nutzen-Rechnung mit Hunderttausenden von menschlichen Leben (unschuldige japanische Zivilisten versus amerikanische Soldaten) erschrickt, der mag das Urteil der katholischen Philosophin G. E. M. Anscombe von der Universität Oxford bedenken. Als Truman dort im Juni 1956 die Ehrendoktorwürde verliehen wurde, protestierte sie gegen die Auszeichnung eines Kriegsverbrechers. Was sei der Unterschied, fragte Anscombe, zwischen der Massakrierung von Zivilisten aus der Luft, wie in Hiroshima und Nagasaki geschehen, und der Ermordung der Einwohner eines tschechischen oder polnischen Dorfes, wie unter der NS-Besatzung geschehen? Anscombes Argumentation ist es wert, etwas weiter verfolgt zu werden. Nehmen wir einmal an, die US-Führung hätte beim Einmarsch der amerikanischen Truppen nach Deutschland im Frühjahr 1945 geglaubt, die Exekution aller Einwohner von Aachen oder Trier oder einer anderen rheinländischen Stadt würde den Willen der Deutschen brechen oder sie dazu bewegen, sich sofort zu ergeben. Auf diese Weise wäre der Krieg vielleicht schneller beendet worden, wodurch viele amerikanische Soldaten hätten gerettet werden können. Aber hätte dies die Erschießung von Tausenden von deutschen Zivilisten, einschließlich Frauen und Kindern, moralisch gerechtfertigt? Inwiefern unterschiede sich ein derartiges Vorgehen ethisch von den Atombombenabwürfen?

Wahnsinnige Formel  „Bedingungslose Kapitulation“

Anfang des Sommers 1945 war den Japanern vollkommen klar, daß sie geschlagen waren. Weshalb kämpften sie trotzdem weiter? Anscombe schrieb, „die Wurzel des Übels lag im (amerikanischen) Beharren auf bedingungsloser Kapitulation“. Diese wahnsinnige Formel hatte Roosevelt auf der Konferenz in Casablanca geprägt. Von Churchill enthusiastisch aufgegriffen, wurde die Forderung nach „bedingungsloser Kapitulation“ zur Losung der Alliierten. Zuerst verlängerte sie den Krieg in Europa, dann im Pazifik. Bei der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 gab Truman eine Erklärung an die Japaner ab, worin er ihnen mit „äußerster Verwüstung“ ihres Heimatlandes drohte, wenn sie nicht bedingungslos kapitulierten. Zu den Bedingungen der Alliierten gehörte die Forderung, „für alle Zeiten die Autorität und den Einfluß jener auszuschalten, die das japanische Volk getäuscht und verführt haben, zur Eroberung der Welt zu schreiten“. Alle Kriegsverbrecher erwarte eine „harte Gerechtigkeit“.
Für die Japaner hieß dies nichts anderes, als daß ihr Kaiser, den sie als einen direkten Nachfolger des Sonnengottes ansahen, vom Thron gestoßen und vermutlich als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt und dann gehängt würde. Tatsächlich hatte die US-Führung nicht vor, den Kaiser abdanken zu lassen oder zu bestrafen, aber den Japanern, die „bedingungslos kapitulieren“ sollten, wurde dies nicht mitgeteilt. Schließlich, nach Nagasaki, gestand Washington ihnen zu, die Dynastie zu behalten und sogar Hirohito selbst als Kaiser zu belassen.

Amerikanische Konservative verurteilten den Abwurf

Während die US-Massenmedien papageienhaft die offizielle positive Erklärung der Regierung zu den Atombomben nachplapperten, gab es prominente amerikanische Konservative, die Hiroshima und Nagasaki als unaussprechliche Kriegsverbrechen verurteilten. Felix Morley, bekannter Verfassungsrechtler und Mitbegründer der Zeitschrift Human Events, beklagte den Horror der Atomabwürfe und erinnerte an „die Tausenden von Kindern, in der Falle sitzend in den 33 Schulen Hiroshimas, die zerstört wurden“. Morley schlug seinen Landsleuten vor, Gruppen von Amerikanern sollten nach Hiroshima reisen, um die Zerstörung zu sehen, ähnlich wie die deutschen Zivilisten, die nach dem Krieg in die Konzentrationslager geführt wurden, um dort Zeuge der Untaten der Nazis zu werden.
Andere große Namen der traditionellen US-Rechten wie Pater James Gillis, der Herausgeber von „The Catholic World“, verurteilte die Atombomben als „den stärksten Schlag, der jemals gegen die christliche Zivilisation und das moralische Gesetz ausgeführt wurde“. Der geachtete konservative Philosoph Richard Weaver schrieb in „A Dialectic of Total War“ angewidert über das „Spektakel, daß Jungen aus Texas und Kansas das nichtmilitärische Dresden in einen Holocaust verwandeln (…) alte Kulturstätten wie Monte Cassino und Nürnberg zertrümmern und die atomare Auslöschung über Hiroshima und Nagasaki bringen“. Weaver bewertete solche Grausamkeiten als „äußerst feindlich gegen die Grundlagen der Zivilisation gerichtet“. Heute verleumden selbsternannte US-Konservative jeden als „antiamerikanisch“, der nur im geringsten beunruhigt ist über Trumans Massaker an so vielen Zehntausenden von unschuldigen Japanern. Dies verdeutlicht einmal mehr den Unterschied zwischen den heutigen „Konservativen“ und jenen, die diesen Namen einmal verdienten. Leo Szilard, der weltbekannte Physiker, der den von Einstein unterzeichneten Brief an Roosevelt wegen des Manhattan-Projekts aufsetzte, sagte 1960 kurz vor seinem Tod: „Wenn statt unser die Deutschen Atombomben auf Städte abgeworfen hätten, würden wir den Abwurf von Atombomben auf Städte als ein Kriegsverbrechen bezeichnen, und die Deutschen, die sich dieses Verbrechens schuldig gemacht hätten, wären von uns in Nürnberg zum Tode verurteilt und gehängt worden.“

Prof. Dr. Ralph Raico lehrt Geschichte an der State University of New York in Buffalo. Er ist Autor von „Die Partei der Freiheit. Studien zur Geschichte des deutschen Liberalismus“ (Stuttgart, 1999). Der vorliegende Text basiert auf seinem Beitrag „Harry S. Truman: Advancing the Revolution“ aus dem von John Denson herausgegebenen Band „Reassessing the Presidency“.


Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung „Junge Freiheit“.

 
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