Vieles ist bereits über den Deutschen Bund publiziert worden. Als ein Staatenbund von überwiegend deutschsprachigen Staaten zwischen 1815 und 1866 wurde er auf dem Wiener Kongreß 1814/15 ins Leben gerufen. Er folgte dem 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wie dem im selben Jahr gegründeten Rheinbund Napoleons I. als ein lockerer Zusammenschluß von einzelnen Staaten nach. Erste Ansätze zum Deutschen Bund gingen auf den Ersten Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 zurück, der eine Klausel über die Zukunft der deutschen Staaten beinhaltete. Diese sollten unabhängig voneinander sein, gleichzeitig jedoch durch ein gemeinsames föderatives Band miteinander verknüpft werden. Diese Vorgaben setzten die auf dem Wiener Kongreß versammelten Mächte durch die am 8. Juni 1815 paraphierte Bundesakte als völkerrechtliche Basis des Deutschen Bundes in die Tat um. Das zweite gleichberechtigte Bundesgrundgesetz trat am 8. Juni 1820 in Kraft, als die 39 Mitgliedsstaaten (35 Fürstentümer und vier Freie Städte) umfassende Bundesversammlung die Wiener Schlußakte vom 25. November 1819 unterzeichnete.
Nach Theodor Schieder ist das Bild des Deutschen Bundes wesentlich durch seine Funktion als „Vollstrecker der Restaurationsideen“ gekennzeichnet. Denn als leitender Staatsmann in Österreich sorgte Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich bis zu seinem Sturz am 13. März 1848 mittels polizeilicher Überwachung und rigoroser Zensur der Presse nicht nur in der Habsburgermonarchie dafür, daß sich nationale und liberale Gedanken so gut wie überhaupt nicht ausbreiten konnten. Auch dem Deutschen Bund verlieh er den Charakter eines bevormundenden Polizeistaates, der „Ruhe und Ordnung“ durchzusetzen suchte. So führte Metternich nach der Ermordung des russischen Staatsrats und Dichters August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 in Mannheim den Schlag, mit dem die liberale und nationale Bewegung in Deutschland niedergeworfen werden sollte.
Bevor er den Bundestag mit seinen Plänen befaßte, einigte sich Metternich mit Preußen über die nächsten Maßnahmen in der Teplitzer Punktation (1. August 1819), die das Restaurationssystem in Deutschland erst richtig begründet hat. Artikel 2 der Akte des Deutschen Bundes, der die Erhaltung von Deutschlands äußerer und innerer Sicherheit sowie der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten als Ziel aufstellte, wurde hier ganz im Sinne der Restauration gedeutet: Die beiden deutschen Hauptmächte einigten sich darauf, daß im Innern des Bundes keine mit seiner Existenz unvereinbaren Grundsätze zur Anwendung kommen dürften. Presse, Universitäten, Landtage sollten überwacht und der Artikel 13 („In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden.“) nur in einem sehr eingeschränkten Sinne ausgeführt werden.
Die Geschichte des Deutschen Bundes in der Zeit von 1815 bis 1866 wurde jedoch auch von dem Neben- und Gegeneinander der beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen sowie dem „Dritten Deutschland“, der „Trias“, geprägt. Solange die deutschen Großmächte zusammenwirkten, war der Deutsche Bund ein Instrument zur Disziplinierung der Klein- und Mittelstaaten. Dies kam z. B. immer dann zum Tragen, wenn dort Liberalisierungen in den Bereichen Vereins- oder Pressewesen stattfanden. Die Höhepunkte bildeten die Phasen der Restauration nach 1819 und der Reaktion nach 1849. Dagegen besaßen die kleineren und mittleren Staaten in Zeiten revolutionärer Unruhe – wie in der Julirevolution von 1830 und in der Revolution von 1848/49 – sowie während der einzelnen Phasen des preußisch-österreichischen Konflikts mehr Bewegungsspielraum. Doch die starke Position der beiden deutschen Großmächte entsprang nicht der Konstruktion des Bundes, sondern beruhte in ihrem Kern auf Machtpolitik, die sich notfalls auch militärischer Gewalt bediente. Weil die beiden deutschen Großmächte über die Grenzen des Bundes hinausreichten, konnten sie mehr Truppen unterhalten, als ihnen die Bundeskriegsverfassung von 1821 zugestand. Dieses unterschied sie ganz deutlich von den kleineren Mitgliedsstaaten des Bundes.
Der österreichisch-preußische Dualismus, der während der napoleonischen Kriege nur wegen der gemeinsamen Gegnerschaft zu Frankreich vorübergehend in den Hintergrund getreten war, konnte durch die Strukturen des Deutschen Bundes letztlich nicht neutralisiert werden. Als die Versuche einer Bundesreform gescheitert waren, erfolgte schon recht bald der offene Bruch zwischen Österreich und Preußen, der in den Krieg von 1866 mündete. Durch diesen wurde am Ende nicht nur der Deutsche Bund gesprengt; es wurden ebenso im Hinblick auf einen deutschen Nationalstaat die Weichen in Richtung der „kleindeutschen Lösung“ anstelle der „großdeutschen Lösung“ gestellt.
Vor diesem Hintergrund möchte sich der vorliegende Beitrag mit der Frage einer Reform des Deutschen Bundes sowie mit den wesentlichen Plänen hierzu auseinandersetzen, aber auch mit der so- genannten Punktation von Olmütz (1850), dem innen- und außenpolitischen Wandel in Österreich nach der Niederlage von 1859 und mit jenem in Preußen nach dem Amtsantritt Otto von Bismarcks. Erwähnung finden jedoch auch der große Reformplan Schmerlings und der Frankfurter Fürstentag von 1863. Letzterer ist auch unter der hypothetischen Fragestellung von einiger Relevanz, was wohl geschehen wäre, wenn Franz Joseph I. erfolgreich gewesen wäre und wenn Wilhelm I. entgegen dem Drängen Bismarcks doch eingelenkt hätte. Solche Überlegungen sollten auch dem Historiker zuweilen gestattet sein.
Metternich hatte mit seinen „Demagogenverfolgungen“ die Rückständigkeit des deutschen politischen Lebens jener Zeit entscheidend mit herbeigeführt, bis die Revolution von 1848 auch ihn hinweggefegt hatte. Mit der Ausnahme von Wien und Berlin, wo es also nach dem Ausbruch der sogenannten Märzrevolution zu Unruhen gekommen war, setzte sich die liberale Opposition in fast allen Staaten des Deutschen Bundes ohne größeren Widerstand rasch durch. Doch auch in Österreich und Preußen mußten die Regierenden dem Druck der Straße nachgeben. Während in fast allen Bundesstaaten die „Märzministerien“ aus meist gemäßigt liberalen Kräften die Regierungsgeschäfte übernahmen, waren die Fürsten – mit Ausnahme von Bayerns König Ludwig I., der zurücktreten mußte – in der Lage, im Amte zu bleiben.
Durch die Revolution war das Fortbestehen des Deutschen Bundes ganz unmittelbar in Frage gestellt, denn seine Institutionen galten als Inkarnation der restaurativen Ordnung und als Hindernis für die Gründung eines Nationalstaats. Der massive Legitimationsverlust des Deutschen Bundes ließ sich auch nicht mehr durch die nationale Begeisterung, die im Zuge der Schleswig-Holstein-Frage aufgekommen war, aufhalten. Durch die am 18. Mai 1848 in Frankfurt am Main zusammengetretene Nationalversammlung war der Deutsche Bund trotz Fortbestehens seiner Institutionen faktisch bereits entmachtet. Mit der Schaffung einer provisorischen Zentralgewalt und der Ernennung von Erzherzog Johann zum Reichsverweser im Juli 1848 erklärte die Bundesversammlung ihre Tätigkeit für beendet.
Die fehlgeschlagenen Bemühungen der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, einen demokratischen deutschen Nationalstaat zu schaffen, und der Sieg der Gegenrevolution führten im Jahre 1849 zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes. Allerdings war dessen Restitution von dem konfliktträchtigen Antagonismus zwischen Österreich und Preußen überschattet. Dieser machte auf Dauer nicht nur ein leidliches Funktionieren des Bundes immer schwerer, sondern letzten Endes schlicht und einfach unmöglich. Doch bevor es dazu kam, sollte mittels verschiedener Pläne noch eine Reform des Deutschen Bundes versucht werden.
Den Anfang machte Felix Prinz (genannt Fürst) zu Schwarzenberg, der als österreichischer Ministerpräsident in den dreieinhalb Jahren seiner Amtszeit (November 1848 bis April 1852) nicht nur die Revolution niedergekämpft und Österreichs Machtstellung in der europäischen Politik von neuem erkämpft hatte; er hatte auch für die wirtschaftliche und soziale Modernisierung des Habsburgerreichs die Grundlagen gelegt. Im Gegensatz zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, welche die Einbeziehung der deutschen Gebiete Österreichs in einen deutschen Nationalstaat forderte, erhob er im Sinne einer „großösterreichischen“ Lösung (gegen eine „großdeutsche“ Lösung) der deutschen Frage den Anspruch auf eine Beteiligung der gesamten Habsburgermonarchie an einer österreichisch-deutschen Staatenkonföderation. In seinem Regierungsprogramm vom 27. November 1848 stellte der Fürst die These auf:
„Österreichs Fortbestand in staatlicher Einheit ist ein deutsches wie ein europäisches Bedürfnis. Erst wenn das verjüngte Österreich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festeren Formen gelangt sind, wird es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen ernstlich zu bestimmen.“
Hier tritt eine neue Politik gegenüber der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche auf den Plan: keine Auflösung Österreichs, kein engerer und weiterer Bund, sondern Erhalt Großösterreichs neben Deutschland.
Parallel zu den Plänen Schwarzenbergs verfolgte einer seiner Minister das große Projekt einer „mitteleuropäische Zolleinigung“. Diese sollte nicht nur die Zoll-, sondern auch die Währungs- und Steuersysteme des Deutschen Zollvereins und Österreichs einander angleichen. Der Mann, der diesen Plan mit viel Leidenschaft verfolgte, war Schwarzenbergs Handelsminister Carl Ludwig Bruck (seit 1849 Freiherr), der gebürtig aus Elberfeld im Rheinland stammte. Bruck beabsichtigte mit seinem Plan einer „mitteleuropäischen Zolleinigung“ auch, die „großdeutsche“ Lösung des Problems der deutschen Einheit voranzutreiben. Damit lag er ganz auf der Linie seines Kabinettschefs Schwarzenberg. Doch bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1851 erreichte er sein Ziel nicht. 1852 führte er die österreichische Delegation bei der Unterzeichnung von Zoll- und Handelsverträgen zwischen Österreich und Preußen.
Doch zurück zu Felix Fürst zu Schwarzenberg. Indem er die österreichischen Abgeordneten aus der Frankfurter Paulskirche zurückberief, büßte die dortige Versammlung ihren Anspruch darauf ein, die gesamte deutsche Nation zu repräsentieren. Ohnehin fand sie dann 1849 ein wenig rühmliches Ende, als sie fast vollständig unter den Einfluß der Linken geriet und Ende Mai desselben Jahres als Rumpfparlament nach Stuttgart verlegt wurde. Dort wurde dieses Rumpfparlament nach kurzer Zeit von württembergischem Militär gesprengt.
Als nach der Niederschlagung der 48er Revolution der Deutsche Bund wiederhergestellt war, stand nichtsdestoweniger die Frage einer Reform des Bundes weiter auf der Tagesordnung. Hierbei spielte der Berater König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen, der Freiherr Joseph Maria von Radowitz, der Nachkomme eines aus Ungarn stammenden Adelsgeschlechts und Katholik, eine Hauptrolle. Mit nur fünfzehn Jahren in die Armee König Jérômes von Westfalens, des Bruders Napoleons I., eingetreten, war er nach zehn Jahren in kurhessischem Dienst erst 1823 auf die preußische Seite übergetreten.
Bereits vor der Revolution von 1848 hatte Radowitz, der für Bismarck nur ein „geschickter Garderobier der mittelalterlichen Phantasie“ seines Monarchen war, konkrete Vorschläge für einen engeren Zusammenschluss der Staaten des Deutschen Bundes, für eine schrittweise zu entwickelnde nationale Einigung ausgearbeitet. Seit dem Mai 1849 unmittelbarer Berater des preußischen Königs und in dieser Funktion faktisch der informelle Leiter der preußischen Außenpolitik, gab der Freiherr von Radowitz bei all seiner Ideenfülle mit seinem Reformplan eine nicht allzu originelle Kopie des Entwurfs von Heinrich von Gagern, dem Präsidenten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, ab. Dieser zielte auf einen „engeren“ Bund der außerösterreichischen deutschen Staaten und einen „weiteren“ Bund dieses konstitutionellen Bundesstaates unter Führung des Königs von Preußen mit dem österreichischen Kaiserstaat ab („Deutsche Union“). Der maßgebliche Unterscheid zu Gagerns Plan bestand nun darin, daß an die Stelle eines entsprechenden Beschlusses einer verfassunggebenden Nationalversammlung der Beschluß der deutschen Fürsten und Freien Städte treten sollte. Es sollte also das monarchische Prinzip das sogenannte Prinzip der Volkssouveränität ersetzen. In diesem Sinn sollte nach den Vorstellungen Radowitz’ die Frankfurter Reichsverfassung, die zunächst als formaler äußerer Rahmen übernommen werden konnte, einer Revision unterzogen worden: durch Einführung eines an der Steuerleistung orientierten Wahlrechts; durch Schaffung eines speziellen Fürstenhauses; durch Begrenzung des parlamentarischen Budgetrechts; durch Stärkung der monarchischen Exekutive. Alles das hatte Preußen zum Vorbild, wo es unter Anleitung von Friedrich Julius Stahl und unter der tätigen Mitwirkung Otto von Bismarcks tatsächlich geschah.
Daß nun der Gedanke der nationalen Einheit, auf den sich Radowitz berief, in Hannover und Dresden, in Stuttgart und München als eine bloße Verschleierung des preußischen Machtinteresses und Hegemonialstrebens erschien und daß deshalb die dort Herrschenden auf Zeit spielten, hat er sich offenbar nicht recht vergegenwärtigt. Anders urteilte hier der nüchtern denkende Bismarck. Trotzdem schien im Frühjahr 1849 für den Reformplan Radowitz’ noch nicht jede Chance verspielt. Aber als in Baden wie in Ungarn die Gegenrevolution endgültig Herr der Lage geworden war, verstärkte sich in den deutschen Mittelstaaten ebenso wie in Österreich und unter den europäischen Mächten mehr und mehr der Widerstand. Während sich Radowitz’ Position auch im Innern (durch die aktiv werdenden altkonservativen preußischen Kreise) schwächte, trat Schwarzenberg immer entschlossener auf: Dieser kehrte vollständig auf die Grundlage des Bundesrechts zurück und brachte Rußland ins Spiel.
Dessen Stellung war seit seiner militärischen Hilfe bei der Niederwerfung des ungarischen Aufstands und der ungarischen Kapitulation von Villagos in Mitteleuropa dominierend geworden. Das zeigte sich u. a. darin, daß auf russischen Druck Preußen am 2. August 1850 einen Sonderfrieden mit Dänemark schließen mußte, gegen das es zusammen mit den meisten Staaten des Deutschen Bundes den Schleswig-Holsteinischen Krieg führte (seit 1848). Der russische Zar Nikolaus I. erblickte in den Plänen von Radowitz einzig und allein revolutionäre Experimente und lehnte sie kategorisch ab. So erfolgte von der Außenpolitik her die Zerstörung aller Grundlagen der in Radowitz’ Reformplänen enthaltenen Unionspolitik. König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen war zum Einlenken bereit, doch jetzt suchte Schwarzenberg im Nachstoß die große Entscheidung gegen Preußen und dessen hegemoniale Politik herbeizuführen. Es war das erste Mal im 19. Jahrhundert, daß die Möglichkeit eines preußisch-österreichischen Krieges um die führende Position in Deutschland aufschien. Das Jahr 1850 deutete schon auf das Jahr 1866.
Das Ende vom Lied war für Radowitz die sogenannte Olmützer Punktation (30. November 1850), mit der ein Krieg zwischen den beiden deutschen Großmächten und ihren Verbündeten gerade noch einmal vermieden werden konnte. In dieser Punktation verzichtete Preußen, das durch Otto von Manteuffel vertreten wurde, auf den Führungsanspruch als deutscher Staat. Zugleich wurde der durch die 48er Revolution schwer angeschlagene Deutsche Bund unter der Leitung Österreichs, das durch Felix Fürst zu Schwarzenberg vertreten wurde, restituiert. Weil Preußen unter dem äußeren Druck Rußlands zurückweichen mußte und deshalb an Reputation verlor, trug das Olmützer Abkommen im Endeffekt zur Verschärfung des preußisch-österreichischen Antagonismus bei. Preußische Patrioten sprachen unverhohlen von der „Olmützer Erniedrigung“. Der Freiherr von Radowitz jedoch hatte im Inneren dem Druck der altpreußischen Konservativen sowie von außen her dem gewaltigen Druck des zaristischen Russland weichen müssen.
Bevor mit dem Amtsantritt Otto von Bismarcks im September 1862 in Preußen ein grundlegender Wandel und ganz besonders eine außenpolitische Kursänderung erfolgte, brachte 1859 der Sardinische Krieg (auch Zweiter Italienischer Unabhängigkeitskrieg genannt) die europäischen Verhältnisse und zugleich auch die deutschen Zustände in Bewegung. Letzteres geschah tatsächlich erst durch dieses äußere Ereignis, bei dem verschiedene Kräfte zusammenwirkten: die italienische Nationalbewegung, die in dem piemontesischen Staatsmann Camillo Cavour einen virtuosen Meister der diplomatischen Kunst besaß; desweiteren die unruhige französische Machtpolitik Napoleons III., die das Prinzip der Nationalitäten zugleich als Programm verkündete wie als Instrument benutzte; und die Unsicherheit und Ungeschicklichkeit der Gegenwehr Österreichs, das auf politischem wie auf militärischem Gebiet schwere Rückschläge einstecken und letztlich die Lombardei räumen mußte. Die Lage des Deutschen Bundes und seiner Gliedstaaten (vor allem Preußens) in diesem Krieg hatte manche Ähnlichkeit mit der im vorausgegangenen Krimkrieg. In beiden Fällen handelte es sich bundesrechtlich um einen „die Verhältnisse und Verpflichtungen des Bundes nicht berührenden“, dem Bund „ganz fremden“ Krieg (Art. 46 der Wiener Schlußakte).
Doch der Krieg von 1859 war nicht wie der Krimkrieg ein rein diplomatischer Krieg, sondern ein Nationalkrieg mit nationalen wie revolutionären Zügen und wurde lediglich durch eine virtuose Diplomatie gezügelt. Aber auch das Eingreifen Frankreichs sowie Großbritanniens politisches Interesse geboten einen gewissen Einhalt. Wilhelm, der preußische Regent, und seine Regierung standen zwar der Situation entschlossener gegenüber als König Friedrich Wilhelm IV., waren jedoch in ihren Zielen letztlich auch nicht klarer. Wilhelm wollte Österreich nicht preisgeben, doch die preußische Hilfe auch nicht einfach so „verschenken“. Er strebte die Forderung nach dem Oberbefehl Preußens über alle Heereskontingente des Deutschen Bundes an, falls diese gegen das mit Piemont-Sardinien verbündete Frankreich marschieren sollten. Die Diplomatie Österreichs versuchte noch nach den verlustreichen Niederlagen von Magenta (4. Juni 1859) und Solferino (24. Juni 1859), Preußen zu diplomatischem Eingreifen zu bewegen. Die preußisch-österreichischen Unterhandlungen über eine Zweiteilung im Bundesoberbefehl (Preußen im Norden, Österreich im Süden) waren noch in vollem Gange, da schlossen Franz Joseph I. und Napoleon III. in Villafranca Waffenstillstand (8. Juli) und anschließend einen Präliminarfrieden (11. Juli). Durch diesen trat Österreich die Lombardei an Napoleon ab, der sie an Piemont-Sardinien weitergab und dafür Venetien behielt. Die Initiative zu dieser diplomatischen Überraschung hatte der Franzosenkaiser ergriffen, weil er von der Möglichkeit einer Intervention Preußens beunruhigt gewesen war. Hatte bereits die um ihre Vorteile feilschende Politik Preußens am Beginn und auf dem Gipfel des Krieges in Österreich – und im übrigen Deutschland – Entrüstung provoziert, so hinterließ jetzt das Ergebnis von Villafranca in Wien das bittere Gefühl, von dem Bundespartner in Berlin verraten und so zu einem Verzichtfrieden genötigt worden zu sein.
Der Sardinische Krieg von 1859 zeitigte eine Reihe wesentlicher Folgen für die Geschichte Deutschlands. Zunächst rückte er die seit 1849 immer neu auflodernde Rivalität zwischen Österreich und Preußen als den beiden Großmächten im Deutschen Bund voll ins allgemeine Bewußtsein. Doch er löste auch in einzelnen deutschen Ländern und im gesamten Deutschland innere Bewegungen und Entwicklungen aus, von denen das deutsche Geschick im folgenden Jahrzehnt bestimmt wurde. In der Habsburgermonarchie wurde als eine mittelbare Folge der Niederlage das System des Schwarzenberg-Bachschen Zentralismus abgeschafft und eine Phase neuer Verfassungsexperimente begonnen, die das österreichische Reichsproblem von unterschiedlichen Seiten anpackten und die Konstitutionalisierung des Staatswesens einleiteten. So schuf das „Februarpatent“ von 1861, das der vom Kaiser zum neuen Staatsminister berufene Anton von Schmerling initiiert hatte, eine neue Ordnung: In ihrer Mitte stand als Zentrum des Reichs neben dem Kaiser der aus zwei Kammern bestehende „Reichsrat“. Ungarn war als „Transleithanien“ (seit 1867; gegenüber Cisleithanien als dem nördlichen und westlichen Teil der Doppelmonarchie) integraler Bestandteil dieses Systems und nahm in diesem eine Sonderstellung ein. Gegen die „Februarverfassung“ nahmen alle Schichten und politischen Richtungen der ungarischen Nation Partei und steigerten ihren Widerstand bis zur vollständigen Obstruktion. Da auch die übrigen slawischen Völker der Monarchie den Reichsrat boykottierten und dieser nur als Rumpfparlament zu tagen vermochte, dominierte dort das deutsch-liberale Bürgertum in Gestalt der „Verfassungspartei“. In dieser verband sich der deutsche Führungsanspruch im Habsburger Reich mit gesamtdeutschen Tendenzen. Als nun in Preußen die „Neue Ära“ durch den Verfassungskonflikt abgelöst wurde, beschritt Schmerlings liberale Verfassungspolitik den Weg „moralischer Eroberungen“ in Gesamtdeutschland. Hierin liegt die allgemein deutsche Bedeutung der Ära Schmerling in Österreich, die ihrerseits eine Konsequenz des Sardinischen Kriegs von 1859 darstellte.
Letzterer hatte aber auch sonst starken Einfluß auf die deutsche Politik ausgeübt. Ohne eine unmittelbare Anteilnahme der „großdeutschen“ oder „kleindeutschen“ Anhänger an den Erfolgen der italienischen Nationalbewegung erkannten die deutschen Nationalen Italien als mißbrauchtes Opfer der hinterhältigen Diplomatie und lernten doch viel von den Methoden und Organisationsformen der italienischen Nationalpartei. So wurde die italienische „Società Nazionale“ von 1856 das unmittelbare Vorbild für den im Januar bzw. Herbst 1859 gegründeten „Deutschen Nationalverein“. Er war aus der Verbindung nord- und süddeutscher Liberaler und Demokraten hervorgegangen und knüpfte an die Politik der „Erbkaiserlichen“ und „Gothaer“ an. Trotz eines Anstiegs der Mitgliederzahlen auf bis zu 25.000 stellte der Nationalverein keine auf eine breite Anhängerschaft gestützte Massenbewegung dar, sondern eher eine vorsichtige, die eigentlichen Ziele verhüllende Honoratiorenvereinigung. Alles in ihr strebte nach Vermittlung und Lavieren – klare Bekenntnisse suchte man vergebens. Je weiter Preußen sich von einer konstitutionellen Politik entfernte, desto prekärer gestaltete sich die Lage des Deutschen Nationalvereins. Der ihm entgegengesetzte Deutsche Reformverein (Oktober 1862) wurde anfänglich vom Aufschwung großdeutsch-österreichischer Sympathien getragen und vermochte die Unsicherheit des Nationalvereins für sich auszunutzen. Beide Vereinigungen waren jedoch nicht dafür bestimmt, als bewegende historische Kräfte in Erscheinung zu treten. Sie waren und blieben lediglich ein Symptom der inneren Unruhe jener Elemente, die nach neuen Formen suchten.
Die Bewegung der nachfolgenden Jahre wurde von anderer Stelle ausgelöst. Während die Krise von 1859 in den meisten Staaten des Deutschen Bundes das System der Reaktion aufweichte oder sogar beendete, legte der Krieg in Preußen die alten militärstaatlichen Grundlagen frei, auf denen der Staat, der auch schon einmal „eine Armee mit einem Staat“ genannt wurde, basierte. Die Forderungen, die der Regent Wilhelm (als Wilhelm I. seit dem 2. Januar 1861 preußischer König) an eine Stärkung und Verbesserung der Armee stellte, standen von Anfang an in Zusammenhang mit der Gesamtpolitik der preußischen Monarchie und speziell mit ihrer außenpolitischen Stellung. Wilhelm I. und der General Albrecht von Roon sahen in der Armee einen Garanten der Macht nach außen, aber auch ein Mittel zur Sicherung der Dominanz der Krone nach innen.
Roon, der im Dezember 1859 als Kriegsminister in das wesentlich noch liberale Ministerium eingetreten war, brachte es zustande, daß die Regierung im Februar 1860 das „Gesetz betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst“ im preußischen Abgeordnetenhaus vorlegte. Dieses Gesetz, das eine Modifikation des Wehrgesetzes vom 3. September 1814 darstellte, enthielt im Kern drei Aspekte: 1. Die Formationen des stehenden Heeres, der Linie und somit die Friedenspräsenzstärke wurden von 140.000 auf 200.000 Mann erhöht. 2. Die in dem Wehrgesetz von 1814 festgelegte Dienstzeit von drei Jahren, die nach einer temporären Verkürzung seit 1856 wieder existierte, sollte gesetzlich von Neuem fixiert werden. 3. Die Position der Landwehr, die in Hermann von Boyens Gesetz von 1814 neben der Linie und unabhängig von ihr bestanden hatte, erfuhr eine wesentliche Schwächung. Das preußische Abgeordnetenhaus, das als Mitinhaber des Budgetrechtes auch über den Militäretat zu entscheiden befugt war, wollte dagegen die allgemeine Wehrpflicht auf zwei Jahre begrenzen, die Schwächung der Landwehr verhindern und die für die Reform zu bewilligenden Gelder im ersten Budgetjahr von neun auf zwei Millionen Taler verringern. Trotzdem bewilligte es am 15. Mai 1860 für das erste Jahr dieser Reorganisation (bis zum 1. Juli 1861) neun Millionen Taler provisorisch. Und im Frühjahr 1861 fand sich nochmals eine Mehrheit für eine Verlängerung.
Somit schien die Heeresreform nur noch eine Frage des Budgetrechtes zu sein. Die Kammer überließ die Entscheidung über die bewilligten Mittel der Regierung, was ein schwerer Fehler in der Taktik war. Denn was das Parlament als provisorische Bewilligung auffasste, verstanden Wilhelm I. und seine Ratgeber als endgültige Entscheidung. Er zählte den Inhalt der Heeresreform zum Bereich königlichen Ermessens, der gar nicht der Regelung durch ein von Verfassungsorganen zu billigendes Gesetz unterliegen konnte. Mit dieser Auffassung, die Wilhelm I. dann am 18. Januar 1861 in seiner Allerhöchsten Kabinettsorder festschrieb, war die Kontroverse zu den Grundfragen der politischen und gesellschaftlichen Verfassung vorgestoßen: Während die nach den Wirren der Revolution restituierte Krone das Fundament ihrer Macht von den im Parlament vertretenen Kräften freihalten wollte, ging es dem Abgeordnetenhaus durch die von ihm nun begonnene Haushaltsblockade um eine Ausweitung der parlamentarischen Kompetenzen. Weil Neuwahlen nur eine Mehrheit der Kräfte brachten, welche den Konflikt mit der Krone suchten, und kein Kompromiss in Sicht war, resignierte Wilhelm I. und plante schon seine Abdankung zugunsten seines Sohnes Friedrich Wilhelm.
Die Bewältigung dieser schweren innenpolitischen Krise gelang erst, als Wilhelm I. am 23. September 1862 Otto von Bismarck, vormals Preußens Botschafter in Paris, zum neuen preußischen Ministerpräsidenten ernannte. Bismarck war die Ursache des Streites zwischen der Krone und dem Abgeordnetenhaus gleichgültig. Er wollte primär verhindern, daß die Rechte der Krone durch den Landtag geschmälert wurden. Zunächst trieb Bismarck seinem schon fast resignierten König den Gedanken an einen Rücktritt aus. Der neue Ministerpräsident gewann ihn durch seine bedingungslose Zusage, sich ihm als „Vasall, der seinen Lehnsherrn in Gefahr sieht“, zur Verfügung zu stellen, „nicht als konstitutioneller Minister in der üblichen Bedeutung des Wortes“. Dieses Vorgehen gab Bismarck auch Gelegenheit, sich von Anfang an keine Fesseln durch ein vom König entworfenes Programm anlegen zu lassen. Er trat in den Verfassungskonflikt ein und verschärfte ihn, doch er stellte ihn von vornherein ganz in den Dienst viel höher gerichteter politischer Zielsetzungen, als sie Wilhelm I. fassen konnte. Somit stellt die Rettung und Erhöhung der preußischen Monarchie nicht das Werk des Monarchen, sondern das eines großen Vasallen dar, der sich in seiner geschichtlichen Leistung am ehesten mit dem Kardinal Richelieu vergleichen läßt. Und mehr als das: Otto von Bismarck nutzte Preußens innere Krise für den Beginn eines Prozesses, an dessen Abschluss 1870/71 Deutschlands Einigung (allerdings auf kleindeutscher Basis) stehen sollte.
Wenn Bismarck anfangs eine Annäherung an die Opposition nicht ganz ausschließen wollte, dann deshalb, weil er den Konflikt „als ein wesentliches und schweres Hindernis unserer Geltung und unserer Aktion nach außen“ erkannte. Auch das in der Budgetkommission am 30. September 1862 gefallene Wort („Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut.“) appellierte mehr an die nationalen Stimmungen, als daß es ein Affront gegen die Abgeordneten sein sollte. In jenem Gespräch im Zug von Jüterbog nach Berlin, das er in „Gedanken und Erinnerungen“ geschildert hat, sicherte sich Bismarck den Rückhalt König Wilhelms I. und konnte den Kampf gegen die Mehrheit im Parlament von da an mit rücksichtsloser Energie organisieren. Die erste Hälfte des Jahres 1863 war von rigorosen Maßnahmen der Regierung gegen die Opposition und gegen die liberal eingestellte öffentliche Meinung geprägt – mit dem Ziel, durch diese Methode der Einschüchterung die Gegenpartei mürbe zu machen. Das Abgeordnetenhaus wurde vorzeitig geschlossen und aufgelöst, den Verwaltungsbehörden ein fast unbegrenztes Zensurrecht eingeräumt. Ohne Zweifel hat Otto von Bismarck in jenen Monaten mit dem Gedanken eines Staatsstreichs gespielt. Die Beseitigung des Dreiklassenwahlrechts, das dem liberalen Bürgertum von Nutzen war, und seine Ersetzung durch das allgemeine und gleiche Wahlrecht erschien als Waffe in dem Kampf gegen die liberale Opposition. Bismarcks Vorgehensweise war von Erfolg gekrönt: Bis 1867 regierte er ohne die Zustimmung des Abgeordnetenhauses zum Staatshaushalt.
Indem Bismarck in der deutschen Frage eine „wahre, aus direkter Beteiligung der ganzen Nation nach dem Maßstab der Bevölkerung hervorgehende Nationalvertretung“ befürwortete, schien er, der Minister des Verfassungskonflikts und Gegner des preußischen Parlaments, unglaubhaft zu werden. Doch in der Realität repräsentierte dies einen wahrhaft Bismarckschen Gedanken, weil sich hierin die Umrisse seiner aus konservativen, machtstaatlichen und national-plebiszitären Elementen gemischten nationalen Politik erstmalig abzeichneten. Ihr Erfolg lag letzten Endes in der Tatsache begründet, daß sie die zwei stärksten Triebkräfte der deutschen Politik – den preußischen Staatsgeist und die deutsche Nationalbewegung – miteinander zu verbinden vermochte. Und genau darin bestand ihre Überlegenheit über die reiche, mit historischem Erbe angefüllte Reformpolitik Österreichs, die stärker die Vielfalt des deutschen politischen Lebens berücksichtigte. Mit ihr suchte – in den Worten Heinrich Ritter von Srbiks – „noch einmal die deutsche Vergangenheit den Weg zur Zukunft und konnte ihn nicht finden“.
Oft wurde Otto von Bismarck von seinen Gegnern vorgeworfen, er hätte bedenkenlos die deutsche Einigung geopfert, wenn er so die Stellung der preußischen Monarchie noch weiter hätte erhöhen können. Dies ist ein Vorwurf, der je nach Standpunkt berechtigt ist oder völlig fehlgeht. Aus der Sicht der „großdeutsch“ Gesinnten hat Bismarck mit seiner eine Konfrontation mit Österreich bewusst in Kauf nehmenden Politik, die in den Krieg von 1866 mündete, einen deutschen Nationalstaat von „großdeutschem“ Zuschnitt als historische Chance vergeben. Aus preußisch dominierter Sicht hatte der große Staatsmann hin gegen ganz klar erkannt, daß Deutschlands Einigung Preußens „Beruf“ war und daß die preußische Monarchie auf dem Weg zu diesem Ziel vorangehen mußte, wenn es denn jemals erreicht werden sollte.
Bismarck machte von Beginn seiner politischen Laufbahn an immer wieder deutlich, daß er Österreich als Rivalen Preußens betrachtete und eine Dominanz der zweiten deutschen Großmacht im Deutschen Bund mit allen Mitteln zu bekämpfen versuchte. Für ihn war die „Hauptfrage, die Krieg und Frieden birgt, die Gestaltung Deutschlands, die Regelung der Verhältnisse [zwischen] Preußen und Österreich“, wie er es in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ später formulierte. Er fand, „daß die preußische Politik in deutscher Richtung [...] von Österreich keine Unterstützung zu erwarten hatte“ und verspürte kein „Entgegenkommen des Wiener Kabinetts für dualistische Neigungen“. Zwar kann Bismarck nicht einfach unterstellt werden, daß er zielgerichtet auf einen „Bruderkrieg“ gegen Österreich hingearbeitet habe; doch ist er – anders als die Leiter preußischer Politik vor ihm – diesem auch nicht im Geringsten ausgewichen, sondern hat es auf die Konfrontation ankommen lassen. Was nicht heißen soll, daß er einen gleichberechtigten österreichisch-preußischen Dualismus verworfen hätte, wäre er denn zustande gekommen.
Unruhig war die deutsche Politik in jenen Zeiten. Die Renaissance der nationalen Bewegung seit 1859, der preußische Verfassungskonflikt und dessen Zuspitzung seit dem Regierungsantritt Otto von Bismarcks steigerten das Bewußtsein von der Unhaltbarkeit der deutschen Verfassungszustände. Während sich Preußen durch seine antiliberale Politik definitiv um die Führungsrolle in Deutschland zu bringen schien, ging von dem Österreich der liberaleren Verfassungspolitik Schmerlings eine sehr viel größere Anziehungskraft auf die wieder erwachenden großdeutschen Stimmungen aus, die in dem Deutschen Reformverein ein Zentrum gefunden hatten. In diesem Moment machte Österreich erneut den Versuch, eine Reform der deutschen Bundesverfassung durchzuführen, die unter Wahrung des staatenbündisch-föderativen Charakters eine Stärkung der Bundesorgane und einen Ausgleich mit der nationalen Bewegung zu erzielen versuchte.
Dieses geschah mit dem großen österreichischen Bundesreformprojekt, dessen Schicksal sich auf dem Frankfurter Fürstentag vom August 1863 entscheiden sollte. In diesen Reformplan, der die gewaltigste von Österreich in der Bundesreformpolitik überhaupt unternommene Anstrengung war, sind die unterschiedlichsten publizistischen, privaten und amtlichen Anregungen eingegangen. Am Eingang steht der großdeutsche Publizist Julius Froebel mit seiner Denkschrift vom Juni 1863 sowie mittelbar auch Constantin Frantz. Den größten Anteil hat indes der hessische Großdeutsche Ludwig von Biegeleben, deutscher Referent in der österreichischen Staatskanzlei. Halb aus patriarchalischem Reichsgefühl, halb aus Eigeninteresse beteiligte sich das Haus Thurn und Taxis, der Inhaber des alten Reichspostregals, dessen letzte Rechte auf dem Spiel standen. Sie alle standen Pate bei dem Entwurf, der die Exekutive des Deutschen Bundes durch die Einsetzung eines fünfköpfigen Direktoriums von Fürsten verstärken und daneben ein Delegiertenparlament aus 300 Abgeordneten etablieren wollte.
In diesem Reformplan mischten sich großdeutsch-universalistischer Reichspatriotismus und Eigeninteresse Österreichs. Auf jeden Fall mußte Preußen den Plan als eine Fortsetzung der Versuche empfinden, den Deutschen Bund zugunsten der Habsburgermonarchie und zu Lasten des Königreichs Preußen zu verstärken. Österreichs Politik mußte deshalb von Anfang an die Möglichkeit ins Auge fassen, daß Preußen fernblieb. Fürs Erste glaubte sie daran, durch Überrumpelung zu ihrem Ziel zu gelangen. Am 3. August 1863 überreichte in Gastein Kaiser Franz Joseph I. König Wilhelm I. den Reformplan und lud ihn für den 16. August nach Frankfurt am Main zu einem Fürstenkongreß ein. Doch der gewitzte und stets hellwache Bismarck erkannte darin sogleich eine List und empfand die Einladung außerdem als eine „Ladung“ und Geringschätzung des preußischen Monarchen. In den „Gedanken und Erinnerungen“ Bismarcks heißt es dazu ganz unmißverständlich:
„Der österreichische Vorschlag gefiel ihm [Wilhelm I.] vielleicht wegen des darinliegenden Elementes fürstlicher Solidarität in dem Kampfe gegen den parlamentarischen Liberalismus, durch den er selbst in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin [...], die wir auf der Reise von Gastein nach Baden in Wildbad trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehen. Ich erwiderte: ‚Wenn der König sich nicht anders entschließt, so werde ich gehen und dort seine Geschäfte machen, aber nicht als Minister nach Berlin zurückkehren. Die Königin schien über diese Aussicht beunruhigt und hörte auf, meine Auffassung beim Könige zu bekämpfen.‘
Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürstenkongreß die preußisch-österreichische Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des Konstitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich geblieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem österreichischen Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt, seine Verfassung in analoger Weise revidieren zu lassen, wie das mit der hannoverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehen war, damit aber den nationalstaatlichen Weg geschlossen.“
Besonders bemerkenswert an diesen Ausführungen Bismarcks ist es, daß er Österreich den Vorwurf macht, es hätte bei der Durchsetzung seines großen Bundesreformplans den Weg zu einem deutschen Nationalstaat „geschlossen“. Jedenfalls war es für Bismarck nicht eben leicht, Wilhelm I. von seiner Reise nach Frankfurt abzubringen. Als er ihn auf der Fahrt von Wildbad bis Baden-Baden schon so weit zu haben schien, begegnete ihnen dort König Johann von Sachsen, der im Auftrag aller Fürsten die Einladung erneuerte. Doch nach hartnäckigem Ringen erhielt Bismarck am Ende dieses Tages Wilhelms Unterschrift für die Absage an den König von Sachsen, die er mündlich dessen Minister, dem Freiherrn von Beust, der später in österreichische Dienste trat, mitteilte.
Mit Preußens Absage war der Frankfurter Fürstentag politisch eigentlich bereits gescheitert. Bismarck stellte drei „Präjudizialpunkte“ als Bedingungen für eine Annahme des Frankfurter Entwurfs auf, die in Wirklichkeit dessen vollständige Ablehnung bedeuteten: das Vetorecht der zwei deutschen Großmächte zumindest gegen Kriegerklärungen des Bundes; die Parität Preußens mit Österreich im Bundesvorsitz; schließlich eine „wahre, aus direkter Beteiligung der ganzen Nation nach dem Maßstab der Bevölkerung hervorgehende Nationalvertretung“. Die Umrisse von Bismarcks aus konservativen, machtstaatlichen und national-plebiszitären Elementen zusammengesetzten Nationalpolitik zeichneten sich hier erstmals ab.
Nach der von Bismarck selbst in „Gedanken und Erinnerungen“ geäußerten Meinung war die durch Preußens Ablehnung erzeugte Verstimmung primär der Antrieb, der das Wiener Kabinett zu einer Verständigung mit Preußen im Gegensatz zur Auffassung des Bundestags bestimmte. Diese neue Richtung habe der Interessenlage Österreichs entsprochen, auch wenn sie länger beibehalten worden wäre. Und hier schließen sich nun einige kontrafaktische Überlegungen Bismarcks an, was gewesen wäre, wenn diese österreichisch-preußische Verständigung gehalten hätte. Grundvoraussetzung dafür wäre der Verbleib des Grafen Rechberg als Österreichs Gesandter am Frankfurter Bundestag gewesen, mit dem er während der gemeinsamen Zeit am Bundestag gute Beziehungen angeknüpft hatte. Wäre auf diese Weise eine dualistische, auf ehrlicher Parität beruhende österreichisch-preußische Führung des Bundes hergestellt worden, der sich die übrigen Bundesmitglieder nicht hätten versagen können, würden auch die von Bismarck so genannten „Rheinbundgelüste“ einiger süddeutscher Minister gegen das aufrichtige Einverständnis zwischen den beiden deutschen Führungsmächten verstummt sein. Das alles legt die Annahme nahe, daß für einen österreichisch-preußischen Dualismus mit gleichrangiger Führung innerhalb des Deutschen Bundes durchaus eine realistische Grundlage bestand. Ob allerdings dieses friedlich-kollegiale Einvernehmen auf Dauer gehalten hätte, ob daraus sogar ein großdeutscher Nationalstaat unter Einschluß (Deutsch-)Österreichs hätte erwachsen können, erscheint doch überaus fraglich. Auch stellt sich die Frage, warum Bismarck – wenn er laut seinen Memoiren dem Dualismus Österreich – Preußen so zugeneigt war – letztlich einen Kurs gesteuert hat, der eine Konfrontation mit der Donaumonarchie fest einkalkuliert und 1866 mit herbeigeführt hat. Die Motivierung, daß er deren Vormachtstreben gegenüber Preußen nicht länger habe tolerieren wollen, reicht wohl nicht aus.