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Die Totgesagten und die Totsager

Von Martin Lichtmesz

Im Juni 2011 erklärte die deutsch-türkische Professorin Inci Dirim gegenüber dem Standard, daß „Österreich schon integrationsbedingt ein mehrsprachiges Land“ sei, und „Türkisch keine Fremdsprache in Österreich, weil es hierzulande von so vielen Menschen gesprochen wird.” Der Spracherwerb als Grundforderung der Ausländerintegration sei eine Form von „Rassismus“, genannt „Linguizismus“, bei der „Menschen wegen ihrer Sprache ausgegrenzt werden.“ Ideologischer Ramsch, der es kaum wert ist, dementiert zu werden, der aber als Symptom ernstgenommen werden muß.

Dirim ist ein Beispiel für einen immer häufiger auftauchenden Typus, wie er in Deutschland am wohl bekanntesten durch die Politikwissenschaftlerin Naika Foroutan vertreten ist. Diese Akademiker, Publizisten, Medienleute „mit Migrationshintergrund“ gelten als erfolgreiche Vorzeige-Integrierte, liberal und aufgeklärt, jenseits von Kopftuch, Koran und Burka. Im Zweifelsfall wissen sie jedoch genau, wo ihre ethnischen und kulturellen Solidaritäten liegen. Ein nur dünn kaschierter Ethnozentrismus verbindet sich hier mit linken Ideologemen, die auf die Zerstörung des Eigenen und die Stärkung des Fremden zielen, mithin die Defragmentierung der Gesellschaft vorantreiben. Auf dem Rücken des liberalen „Integrations“-Diskurs wird hier ein Kulturkampf betrieben, dessen Ziel die immer weitere Aufspaltung der Kultur der Einwanderungsländer ist. Man ist also jenseits der eigenen „Integration“ zum Gegenangriff übergegangen. Es reicht nicht mehr aus, als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden: diese soll sich nun selbst nach den Maßstäben der Eingewanderten transformieren.
Ein weiteres Beispiel für diese Tendenz lieferte die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor am 1. Juni 2011 in dem Internetmagazin „Migazin“. Kaddor beschuldigte darin die deutsche Integrationsministerin Maria Böhmer der unaufrichtig geführten Debatte. „Statt öffentlich darüber nachzudenken, wie lange ein Migrant nun ein Migrant ist, und statt Forderungen zu stellen, daß man sein jeweiliges Herkunftsland loslassen müsse, muß es der Politik endlich darum gehen, der deutschen Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Dieses ist nicht mehr die homogene Gesellschaft der 50er Jahre – weitgehend ohne Asylanten, ohne Ausländer, ohne Menschen mit dunklerer Hautfarbe und schwarzen Haaren. Und zu dieser Gesellschaft werden wir auch nie wieder zurückkehren. Gesellschaften machen von jeher durch Zuzug und Abwanderung einen Wandel durch. Das ist ganz natürlich.“ Ihre Schlußfolgerung: „Ich weiß auch nicht, was die ‚deutsche Leitkultur‘ ist. Ich weiß lediglich, man kann auch deutsch sein, wenn man schwarze Haare hat und sogar wenn man Muslimin ist. Dass der Islam samt seinen Anhängern zur Realität dieses Landes gehört, bestreiten heute nur noch Menschen, die sich ihrerseits nicht in unsere Gesellschaft integriert haben. Der Deutsche ist tot. Lang lebe der Deutsche.“
Ob sich Kaddor der unterschwelligen Aggressivität einer solchen Deklaration bewußt ist? So weit ist es inzwischen gekommen: wir Nicht-„Migrations“-Deutschen werden nun also noch bei Lebzeiten zu Toten erklärt. Zu lebenden Toten, zu Untoten, zu Zombies? Zu Indianern, deren Zeit abgelaufen ist, und die nun bitteschön beiseite zu treten haben? Die Deutschen, die nun schon von denen, die sie aufgenommen haben, für obsolet erklärt werden, hätten sich das wohl kaum träumen lassen, als die ersten Einwanderungswellen einsetzten. „Integration“ bedeutete einmal in erster Linie „Assimilation“. Die Kapazitäten dazu sind schon lange erschöpft, und man hat auch alles getan, um sie zu schwächen. Die Deutschen haben diese Entwicklung weitgehend passiv hingenommen, trotz Warnungen, die mehr als dreieinhalb Jahrzehnte zurückliegen, hatten Vertrauen in die Volkspädagogen, die sie gegen „Fremdenfeindlichkeit“ und zur „Toleranz“ erzogen, sie fühlten sich wie gute und aufgeklärte Menschen dabei, die aus ihrer Vergangenheit gelernt hatten, und sie hatten wohl ein typisch deutsches Obrigkeitsvertrauen in ihre Regierungen, daß die Sache schon gut ausgehen würde.
Wer hätte sich noch vor 20 Jahren vorstellen können, daß eben diese Regierungen es tatsächlich sehenden Auges zulassen würden, daß das eigene Staatsvolk zur Minderheit schrumpft und von neuen, künftigen Mehrheiten verdrängt wird, die bereits derart angewachsen sind, daß sie sich in einer Position sehen, die deutsche Identität aus ihrer Perspektive heraus umzudefinieren? Genau diese Tatsache ist der „reine Wein“, den die Böhmers dem Noch-Mehrheitsvolk nicht einzuschenken wagen, das harte Faktum, das sie hinter Phrasen wie „Vielfalt“, „Buntheit“ und „Weltoffenheit“ zu kaschieren versuchen.
 Dieser „Zuzug“ war alles andere als „natürlich“. Er war ein beispielloser Verrat der Eliten Westeuropas an ihren Völkern, abgewickelt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, Beschwichtigungen, Heucheleien und falschen Versprechen. Dem Volk wurde niemals ein Mitspracherecht über diese Entscheidungen eingeräumt, es wurde nicht einmal über die langzeitigen Konsequenzen hinreichend aufgeklärt.
Inzwischen ist die demographische Lage zum offen ausgesprochenen Kalkül jener geworden, die in Europa schon längst eine Art von islamischer Kolonie sehen. Wer es nicht glaubt, sollte sich zum Beispiel die auf Youtube einsichtbaren Videos des einflußreichen ägyptischen TV-Predigers Amr Khaled ansehen. Dieser empfiehlt in einem Interview zur Lage der Muslime in Europa seinen Glaubensbrüdern, doch den Bombenjuckreiz hintanzustellen, wenn mal wieder (etwa durch freie Meinungsäußerung) der Prophet oder der Islam „beleidigt“ werden sollten. Sie sollten stattdessen die Gesellschaft „infiltrieren“, wirtschaftlich erfolgreich sein und gesellschaftlich angepaßt, um zu „wandelnden Propagandamaschinen für den Islam“ zu werden. Denn die Demographie werde sie über kurz oder lang ohnehin sicher ans Ziel bringen, auch ohne Terrorismus.
Nun sind die dummen deutschen Michels unsanft im Prozeß der rapiden kulturellen, demographischen und territorialen Enteignung aufgewacht, verraten und verkauft von jenen, die ihren Willen vertreten und erfüllen sollten.Wenn sie nicht auch noch für ihre Schlafmützigkeit verhöhnt werden, wird ihnen bedeutet, das alles als unabänderliches Kismet gefällig hinzunehmen. Guten Morgen! Game over! Leider Pech gehabt! Datum abgelaufen! Selber schuld! Tut uns leid, es gibt keine Alternative! Denkt nicht einmal daran! So etwas wie Selbstbehauptung ist ja undenkbar nach Siewissenschonwem, und nebenbei ist die Existenz einer deutschen Identität oder Nation ohnehin schon längst von linken und migrationshintergründlerischen Akademikern „wissenschaftlich“ widerlegt worden.
Das ganze Gerede darüber, ob der Islam „in Deutschland angekommen“ ist oder „zur Realität in diesem Land gehört“, oder was auch immer für eine Formel man hier finden möchte, hat den Charakter eines klaustrophobischen Alpdrucks aufgenommen. Ich hatte früher nie negative Gefühle gegenüber der islamischen Welt. Heute, da sie vor jedermanns Haustür geschleppt wurde, und die Auseinandersetzung mit ihr unvermeidbar ist, aber kaum ehrlich geführt werden darf, fühle ich mich zunehmends wie das Objekt einer schleichenden Kolonialisierung, wie ein Palästinenser der Dreißiger Jahre, der schon dunkel ahnt, daß ein 1948 für ihn vorgesehen ist.
In meiner Kindheit in den Achtziger Jahren, als man noch von „Gastarbeitern“ sprach, gab es einen Einwanderungs- und Fremdenfeindlichkeits-Diskurs, aber noch keinen Islam-Diskurs mit innenpolitischer Relevanz. Es gab den Terrorismus, es gab die Kriege im Nahen Osten, es gab die Köpfe von Arafat und Khomeini im Fernsehen. Aber all dies war kein Problem, das uns direkt betraf. Heute ist es auch unser Problem, und der Diskurs darüber ist überall, unaufhörlich, an jeder Ecke, in jedem Medium, privat oder öffentlich. Es gibt kaum Rückzugsgebiete mehr.
Einst vertraute Orte sind heute komplett oder teilweise orientalisiert, bevölkert von Fremden, die sich abwechselnd beschweren, abwechselnd Forderungen stellen, die es genauso wie alle Menschen vorziehen, unter sich zu bleiben, die auf unserem Territorium eine Sprache sprechen, die wir nicht verstehen, die Zeitungen lesen, die wir nicht lesen können, die Schriften benutzen, die wir nicht beherrschen. Wir wissen nicht, was sie über uns sagen, denken, fühlen. Wir wissen nicht mehr, ob unsere angenommenen sozialen Erwartungen die ihren sind. Wir wissen nicht, was die Blätter propagieren, die sie lesen, aber wir haben schon mal gehört, daß das Motto der „Hürriyet“ übersetzt „die Türkei den Türken“ lautet, was analog auf unser eigenes Land übertragen den Staatsanwalt aufs Spiel rufen kann.
Täglich wird gestritten und debattiert um Moscheen, Kantinenspeisen, Kopftuchverbote, Schächtverbote, Burkaverbote, Minarettverbote, Muezzinverbote, Islamisten, Dschihadisten, Ehrenmorde, Frauenverachtung, Christenverfolgung, Zwangsverheiratungen, den „wahren Koran“, den „wahren Islam“, islamische „Homophobie“, moslemischen Antisemitismus und deutsche „Islamophobie“, um „Deutschenfeindlichkeit“, Jugendkriminalität in den Schulen, Straßen und U-Bahnen, Vergewaltigungen, „Parallelwelten“, Widerstand gegen die Polizeigewalt, politische Attentate,durchgeführt von Terroristen mit dem Paß ihrer Geburtsländer, das Auftreten von militanten Konvertiten, Gewaltandrohungen bei „Beleidigungen“ und den vorauseilenden Gehorsam der Eingeschüchterten - die Liste könnte man endlos fortsetzen.
Eingebrockte Suppen, aufgehalste Lasten, unlösbare Probleme, implantierte Zeitbomben, Dinge, die „zur Realität dieses Landes gehören“, die aber nicht substanziell zu uns gehören, die nie zu uns gehörten, die heute nicht zu uns gehören würden, wenn wir sie nicht in unsere Mauern importiert hätten, oder vielmehr: wenn nicht sie nicht von unverantwortlichen Entscheidungsträgern und blinden Ideologen in unsere Mauern importiert worden wären.
Und dann die auf den brodelnden Kochtopf gepreßten Deckel: die Integrationslügen, der „Vielfalts“-Kitsch, der unaufhörliche öffentliche Druck und die Ermahnungen und Appelle und Ukas der Bundestanten und -onkels: Toleriert den Islam! Respektiert den Islam! Anerkennt den Islam! Akzeptiert den Islam! Versteht den Islam! Betrachtet differenziert den Islam! Fürchtet nicht den Islam! Willkommenskulturt den Islam! Umarmt den Islam! Integriert den Islam! Öffnet euch dem Islam! Macht Platz für den Islam! Liebt den Islam!
So geht es am laufenden Band, bis man anfängt, halbmondförmige Hautausschläge zu bekommen. Und dann ist sie größer denn je, die Sehnsucht nach einem europäischen Europa, einem christlichen Europa, einem abendländischen Europa, einem deutschen Deutschland, einem englischen England, einem französischen Frankreich, einem italienischen Italien, einem schwedischen Schweden, anstelle eines von Norden bis Süden heranwachsenden, zunehmend ubiquitären, dysfunktionalen „Eurabiens“ das ohne Charme und ohne Anmut ist und eher einem entorteten und herabgekommenen Orient gleicht, Symptom und Vorbote einer Welt, die aus den Fugen geraten ist.
Einige von uns erinnern sich noch, was das ist, eine Heimat, in der man immer genug Probleme haben wird, in der man sich aber nicht erklären muß. In der man sich zurückziehen kann in das Vertraute, in der man die Spielregeln kennt, in der man nicht gezwungen ist, ständig das Fremde zu konfrontieren und zu tolerieren und zu debattieren und zu exkulpieren und zu integrieren, und nicht genötigt wird, ständig das Eigene abzuwerten, zu hinterfragen, zu dekonstruieren, kleinzureden, wegzureden, auszureden und zu beschuldigen. Überall dorthin, wo es noch Flecken gibt, in denen das nicht der Fall ist, wird die Kampfzone ausgeweitet werden: die angeblich „Integrierten“, die „neuen Deutschen“, die bestreiten, daß wir eine Identität haben, ihre eigene aber sehr wohl kennen, sie haben uns für tot erklärt und sich selbst für quicklebendig.
Kaddor behauptet, die Politik „tabuisiere“ die „Botschaft“, daß sich „solche Veränderungen nicht aufhalten lassen“. Daß mit anderen Worten der Widerstand gegen die Beschlagnahmung und Zerstörung des Eigenen zwecklos sei, ist allerdings alles andere als eine „tabuisierte“ Botschaft. Im Gegenteil wagt es kaum jemand, dieser Prämisse zu widersprechen. Sie ist unter dem Namen der „bunten Republik“ die offizielle „alternativlose“ Leitkultur der Böhmers und Wulffs und Merkels. Sie sprechen es aber nicht mit derselben Ehrlichkeit und Direktheit aus wie Kaddor. Wenn sie „reinen Wein“ einschenken würden, würde sich dann Widerstand regen, würde die Lethargie dann ein Ende haben, würde man sich dann dagegen wehren, bei lebendigem Leibe einsargt zu werden? „Wer diese Veränderung der deutschen Gesellschaft nicht wahrhaben will, soll klar und unmissverständlich sagen, wie er sie aufhalten will, oder für immer schweigen,“ schreibt Kaddor. Hier ist ihr beizupflichten: entweder man fängt an, jetzt offen darüber zu reden, oder man soll – und wird – „für immer schweigen“. Tote reden nicht, aber Totgesagte leben länger.

 
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