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Ein Jude will Preußen wiederherstellen

Von Univ.-Prof. Dr. Paul Gottfried

Einem Monarchisten jüdischen Glaubens, nämlich Hans-Joachim Schoeps (1909–1980), fühle ich mich schon lange schicksalhaft verbunden. Als seine preußischen Vorfahren für das verehrte Haus Hohenzollern im Ersten Weltkrieg zu Felde zogen, meldeten sich zeitgleich meine österreichisch-jüdischen Onkel zum Kriegsdienst für Kaiser und König. Auch als Greis mit steigender Hinfälligkeit schlug sich Schoeps mit Deutschhassern jeder Couleur und vor allem den Verächtern des preußischen Erbes.

Während einer nicht lange zurückliegenden Lektüre von Frank Lothar Krolls Monographie über Schoeps’ Leben und Wirken, „Hans-Joachim Schoeps und Preußen“, wurde ich angeregt, über bestimmte Anklagen gegen Krolls Thema nachzudenken. Die Beschäftigung wurde durch ein Gespräch mit meinem älteren Sohn ausgelöst, nachdem er
Schoeps’ „Preußen. Geschichte eines Staates“ von 1966 mit Gewinn gelesen hatte. Es fiel meinem Sohn auf, wie über alle Erwartung ausgereift und unbefangen darin die historischen Urteile darin sind. Schoeps scheint keineswegs von dem letzten Kaiser geblendet zu sein, und er betrachtet die deutsche Reichsgründung unter Bismarck als einen Fehler, durch den die bereits geregelten internationalen Beziehungen in Mitteleuropa gefährlich kompliziert wurden.
Des Weiteren kritisiert er die „Verausgabung“ der alten preußischen Kraftquellen auf dem Weg zum Deutschen Reich. Besser wäre es für die jenseits der Elbe siedelnden Deutschen gewesen, wenn Preußen nie in Deutschland aufgegangen wäre. Schoeps beruft sich auf die Verfechter einer älteren, gutsherrlichen und christlich gebundenen deutschen Tradition, die in Preußen auf dem Lande Wurzeln geschlagen hatten und in dieser Sphäre langfristig gediehen waren. Diesem „anderen Preußen“ widmete er 1951 ein Werk, worin er hervorragende „konservative Gestalten“ im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. herausstellt und als politische Vorbilder preist. In die gleiche Kerbe schlägt er in seinen eingehenden Schilderungen von Ernst Ludwig und Leopold von Gerlach, den altkonservativen Gegnern, mit denen Bismarck sich zerstritten hatte. Diese von Schoeps verehrten Adelsgestalten lehnten das Vereinigungsstreben der Kleindeutschen und des Eisernen Kanzlers rundweg ab und bekannten sich weiter zu der hergebrachten Vorstellung von Preußen als einem Königtum, das Teil des von den Habsburgern geführten Reiches ist. Wenn man in Schoeps’ Geschichte Preußens das Deutschnationale sucht, dann ist man gewiß auf dem falschen Dampfer.

Deutschland trotz Hitler

Dennoch steht Schoeps immer noch unter der belastenden Behauptung, daß er und seine Mitkämpfer nach Hitlers Machtantritt in dem rechtsgerichteten deutsch-jüdischen Verein „Vortrupp. Gefolgschaft Deutscher Juden“ für das heraufziehende Dritte Reich eingetreten seien. Wie Kroll hieb- und stichfest beweist, gibt es für diese schon oft ausgebreitete Anklage keine Begründung. Außer einer allgemeinen Versicherung seitens des Vereins, daß ihre Mitglieder dem deutschen Vaterland fest verbunden blieben, besteht in seinem Bekenntnis zum Deutschtum kein Hinweis dafür, daß die Unterzeichner Hitlers Machtstellung begrüßt hätten.
Etliche deutsche Zionisten, allen voran Joachim Prinz, der in die USA auswanderte, haben die Nazis anfangs schwärmerisch begrüßt. Diese jüdisch-nationalen Gegner der Assimilierung erhofften sich, daß ihre Stammesgenossen durch die Nazis in dem Maß ausgegrenzt werden würden, daß sie samt und sonders nach Palästina aufbrechen würden. Nach seiner Emigration galt Prinz als dezidiert „antifaschistisch“, und in den 1960ern wurde er zu einem Linksaktivisten, der sich mit besonderem Nachdruck gegen das bis dahin gewohnte Schulgebet in den staatlichen Schulen wendete.
Es gibt auch einen Briefwechsel zwischen Schoeps und dem bereits emigrierten deutschen Zionisten, Gershom Scholem, worin Scholem Schoeps vorwirft, den deutschen Juden Sand in die Augen gestreut zu haben. Wenn er seinen Mitjuden behilflich sein wollte, dann müsse er, so Scholem (geborener Fried), Himmel und Erde in Bewegung setzen, um das jüdische Volk von Deutschland zu entfernen. Es ist beachtenswert, daß Scholem mehr als zwanzig Jahre als überzeugter Zionist agiert hatte, bevor er die genannte Ansicht vorbrachte. Im Ersten Weltkrieg stellte er sich gegen die deutsche Seite, um seine kaisertreuen Eltern zu schockieren und um eine bewusste Distanz zu seinem nichtjüdischen Geburtsort zu bekunden.
Es ist fraglich, ob Schoeps weniger tiefblickend gewesen ist als sein Gesprächspartner. Eher ist doch darauf zu schließen, daß Schoeps unbeirrten Vaterlandssinn bewies. Das führte dazu, daß er in den 30er Jahren durch Deutschland zog und andere Juden aufrief, auf ihren Posten weiter auszuharren, bis die schreckliche Krise vorüber sei. Rückblickend war das unklug, aber verständlich, wenn man bedenkt, daß Schoeps bis zu seiner eigenen Flucht (am Heiligabend 1938 nach Schweden) die Hoffnung hegte, daß die Diktatur gestürzt werden könnte.
Daß er die Lage falsch einschätzte, ist bestimmt nicht mit einer Mittäterschaft gleichzusetzen. Und es wäre unberechtigt, seinem zionistischen Gegner zuviel Einsicht zuzuschreiben. Scholems borniert-antideutsche Haltung entstammte einer früheren Epoche, und sie bildete sich bei ihm lange vor der katastrophalen Entwicklung, die sein Antideutschtum zu rechtfertigen schien. Keinesfalls kann er schon 1913 den gesamten Verlauf der Geschichte vom Kaiserreich bis zur NS-Gewaltherrschaft vorausgeahnt haben.

Warum Monarchismus?

Eine für mich weniger verständliche Seite von Schoeps’ Tätigkeit bildete die langjährige Bestrebung, die Hohenzollernmonarchie nach 1945 wiederherzustellen. Obwohl sich Kroll bei seinem Thema von früheren Darstellungen abgrenzt, läßt er keinen Zweifel daran, daß Schoeps nach seiner Rückkehr stets auf eine monarchistische Restauration hingearbeitet hat. Zum Thronprätendenten Louis Ferdinand von Hohenzollern (1907–1994) knüpfte er nahe Beziehungen. In einem Vortrag über Preußen 1951 in Erlangen, nachdem er auf einen dortigen Lehrstuhl berufen worden war, preschte Schoeps beim Einsatz für die Wiederherstellung der „monarchischen Staatsform in Deutschland“ besonders eifrig vor.
Parallel dazu verschrieb sich Schoeps der Wiederherstellung eines preußischen Staatsgebiets. Er brachte seinen Zorn darüber zum Ausdruck, daß die Alliierten die Wurzeln des „Nazismus“ im preußischen Militärgeist orteten. Aufgrund dieses Irrtums machten sich die Siegermächte daran, Preußen als Begriff und als Verwaltungsgebiet abzuschaffen, um es endlich aus dem Sinn der Deutschen zu drängen. Für Schoeps bilden Preußen und die Monarchie eine Einheit. Die Erneuerung eines ausgeprägt preußischen Bewußtseins und die Wiedereinführung des dazugehörigen Ortsbezuges gingen ihm mit einer monarchischen Staatsform Hand in Hand. Aus seiner Sichtweise waren diese beiden Vorgaben untrennbar; und beides zielte auf eine moralische Wiederbewaffnung der deutschen Nation ab, die nur im Zusammenhang mit einer erneuerten traditionsgebundenen Identität zu erlangen war. Schoeps bezweifelte, daß die „liberaldemokratische“ Staatsform mit ihrer Betonung auf Erwerbstätigkeit und Konsum die erwünschte „Umkehr“ bewirken könne. Nur die Wiederaufwertung der preußischen Dienstethik mit einem „mehr an Autorität“ von altkonservativer Ausprägung, so Schoeps in einem „nicht gehaltenen Vortrag in eigener Sache“ vom Februar 1968, würde es den Deutschen erlauben, zu einem hohen Ziel zu gelangen.
Offen ist die Frage, auf welche Weise die angestrebte Restauration bei den gegebenen Umständen die erwünschte Wirkung haben sollte. Auf Schoeps entfällt die Beweislast dafür, daß die Rückkehr zu einer monarchischen Staatsform die Genesung seiner zerstörten Heimat beschleunigen könnte. In diesbezüglichen Plädoyers äußerte er keine Absicht, eine echte Restauration anzustreben, um zur kaiserlichen Herrschaft, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg bestanden hatte, zurückzukehren. Und ebensowenig befürwortete er eine etwas verminderte, aber dennoch beträchtliche kaiserliche Befugnis, die das Wesen und nicht nur den Schatten der Verfassungsordnung des Zweiten Reiches bewahrt hätte.
Was er eigentlich verlangt, ist eine Galionsfigurmonarchie von einer Art, wie sie schon in den Benelux-Ländern und in Großbritannien zu finden war. Eine solche begrenzte Restauration strebte er an, als er in seiner „ Konservativen Erneuerung. Ideen zur deutschen Politik“ (1958) ausführte: Die monarchische Staatsform dient als Ausgleich der nivellierenden Mittelstandsgesellschaft sowie Korrektiv zur „antiautoritären Vermassung und Entpersönlichung des öffentlichen Lebens“. Bei allem Respekt deutet Schoeps auf keinen Heiligen Gral sondern auf die Ausdehnung einer in Westeuropa bereits vorhandenen „figure head monarchy“ auf die Deutschen.
In westlichen Ländern bildet dieser Anschein von Tradition allerdings kein Gegenmittel zur Auflockerung der Sitten. Es wäre einfältig zu glauben, daß Schweden und England, um nur zwei treffende Beispiele anzuführen, den schädlichen Folgen der Spätmoderne entfliehen, nur weil sie eine monarchische Galionsfigur beibehalten. Sie eilen der Vermassung und Entpersönlichung, die Schoeps beunruhigten, mit unverminderter Geschwindigkeit entgegen, trotz der entkräfteten musealen Zierde an der Staatsspitze. In dieser Hinsicht erweist sich Schoeps als „politischer Romantiker“ schlechthin, eine Darstellung, die er übrigens keineswegs von sich gewiesen hätte.
Die Vokabel gehört an diese Stelle, aber nicht in der Bedeutung, die ihr Carl Schmitt in seiner berühmten Schrift beilegte. Darunter ist jemand zu verstehen, der gewissen Veränderungen eine welthistorische Bedeutung beimißt, die schwerlich mit ihrer tatsächlichen Größe übereinstimmt. In den USA sinniert mancher „Konservativer“ über die von der Republikanischen Partei lauthals geforderten Sparmaßnahmen, die, sobald umgesetzt, sofort eine neue Weltepoche einläuten würden. Wenn man den Bundesetat auf den Pegelstand von vor drei Jahren zurückfahren könnte, so wäre es weiter möglich, die Reformen der Roosevelt-Ära rückgängig zu machen etc. Nur der erste Schritt sei Voraussetzung, damit man es zu etwas Weltbewegendem bringen könne. Doch das ist natürlich Illusion. Bestenfalls tut man einen winzig kleinen Schritt in Richtung einer gerade vergangenen historischen Lage. Und auch das geschieht nicht immer planmäßig.

Opfer linker Studenten

Tieftraurig endete Schoeps’ akademische Laufbahn, als der „Sozialistische Deutsche Studentenbund“ in Erlangen ihn 1967 unter Drohungen aus den Seminaren trieb. Wie bei einem Zwischenfall in Konstanz, wo die Fakultät sich kürzlich weigerte, Professor Jost Bauch gegen Ausschreitungen von Studenten zu unterstützen, wurde Schoeps damals von der Philosophischen Fakultät im Stich gelassen. Bis zu seinem Lebensende hat er keine Fakultätssitzungen mehr besucht, und trotz seines internationalen Rufes als Sachverständiger für die urchristliche Kirche und deren Beziehung zur alten jüdischen Kulturwelt hat Schoeps nie wieder in einem akademischen Zusammenhang sein Fachwissen vermitteln können.
Sein Gegengift gegen die massendemokratische Zerrüttung hätte aber kaum ausgereicht, das Übel zu mildern – geschweige denn zu aufzuheben. Die Wiederherstellung der spanischen Monarchie nach Francos Tod bewirkte nicht, Spanien auf einer mäßigen Kursrichtung zu halten. Das Land schwenkte danach in kulturellen sowie wirtschaftlichen Angelegenheiten ausufernd nach links, trotz eines Bourbonen als König. Warum sollte es in Deutschland anders verlaufen sein, auch wenn es dem wackeren Schoeps gelungen wäre, sich programmatisch durchzusetzen?

 

 

 
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