Von Niels Wegner
Die relativ junge Musikrichtung des Martial Industrial hat sich aus dem Neofolk heraus entwickelt, dem bereits ein Beitrag in der NO 3/06 gewidmet war. Musik muß man freilich hören, um sie beurteilen zu können. Wir haben daher diesen Beitrag auf unsere Netzseite gestellt, und alle hier mit der Internetadresse angegebenen Musikbeispiele direkt verlinkt. Einfach anklicken und anhören!
November in der „Kantine“, Augsburg: Die Bühne ist ganz in Schwaden von Kunstnebel gehüllt, der im Scheinwerferlicht bläulich-kalt schimmert. Erwartungsvolle Stille hat das Publikum ergriffen – die wenigsten wissen, was sie erwartet. Sie sind gekommen, um ein Einmannprojekt zu sehen und fragen sich, wie der Künstler seine Musik ganz allein auf der großen Bühne realisieren will. Da klingen erste, elektronische Trommelschläge und Flötenklänge durch den Raum. Der Nebel beginnt sich sacht zu lichten und ganz allmählich schälen sich die Umrisse dreier Männer an großen Marschtrommeln heraus. In feinen Zwirn gekleidet, mit Schlips und Kragen, verharren sie zu dem Lied „Victoria“ in absoluter Bewegungslosigkeit und mit trotzig hochgerecktem Kinn, die Hände hinter dem Rücken verschränkt beim „Rührt Euch“. Es ist Christian Erdmann, einsamer Streiter hinter dem Berliner Projekt Triarii, flankiert von zwei Unterstützungsmusikern. Sie machen die perfektionierte Unterkühltheit zu ihrem Markenzeichen.
Als das triumphale Intro verklungen ist, erschallt eine laute, verzerrte Stimme: „Hail! Rome! Victorious!“ Eine Leinwand im Hintergrund zeigt Einblendungen von schreitenden Stiefeln, die Bühnenbeleuchtung wird schlagartig zu einem blutigen Rot, und nun kommt auch Bewegung in die starren Figuren. Die beiden Gäste beginnen, passend zu den einsetzenden Fanfaren, einen aufpeitschenden Marschrhythmus zu schlagen, während Erdmann ans Mikrofon tritt und mit ruhiger, ernster Stimme den Text seines Liedes „On Wings Of Steel“ vorträgt. Sofort werden Bilder von marschierenden Legionen, archaischen Schlachten und heroischen Triumphzügen wach. Das Publikum ist im Bann des Musikers, überall sieht man Körper, die sich trotz abendlicher Müdigkeit straffen und zur Bühne aufsehen. Das Konzept, Lieder aus der Retorte auf der Bühne zu untermalen, ist aufgegangen.
Triarii
Triarii sind die derzeit wohl exponiertesten deutschen Vertreter einer mysteriösen musikalischen Subkultur, die meist unter Schlagwörtern wie „Martial Industrial“ oder „Military Pop“ zusammengefaßt wird. Als eine Art Splittergruppe der Neofolk-Musik verwendet der Martial Industrial rein elektronische Mittel, um seine Botschaften zu vermitteln und beim Hörer Stimmungen zu erzeugen. Hierbei hat man sich jedoch gänzlich von der düsteren Romantik und der Naturverbundenheit des Neofolk verabschiedet. Leitmotiv ist der „heroische Realismus“, ein in der Weimarer Republik von Dr. Werner Best geprägter Begriff für die nüchtern-sachliche Exekution von Interessen, gerade im Krieg. Und der Krieg ist ein großes Thema im Martial Industrial. Ganz im Sinne Ernst Jüngers, der Bests Formulierung später auf seine eigenen Schriften münzte, wird der Krieg mithilfe martialischer Rhythmen, Streicherensembles, erhabener Fanfaren und obskurer, eingespielter Redebeiträge zwar unverblümt als menschenfressende Vernichtungsmaschinerie gezeigt, doch zugleich mit der dunklen Faszination gespielt, die dieser Themenkomplex seit Menschengedenken ausübt.
Christian Erdmann beschäftigt sich damit auf sehr hohem Niveau. In Liedern wie „Serpent, Sun & World Ending“, „Ode To The Sun“, „Dark Skies Over Europe“, „Imperium“ oder „Heaven & Hell“ klingt bei Triarii trotz mitreißenden Bombasts immer auch das Leid der Menschen durch – ebenso wie die Hoffnung auf das Neue. Erdmann selbst sprach in einem Interview von „den Triarii-typischen Themen wie Krieg, Fatalismus, Verfall, Zerstörung und Neubeginn“.
Exemplarisch hierfür kann das Lied „Fatalist“ aus dem aktuellen Album „Muse In Arms“ stehen, in dem zu Glockengeläut und düsteren Klängen ein Zitat aus dem DAF-Propagandafilm „Ein Lied vom Stahl“ eingespielt wird: „Jugend wir einer eisernen Zeit, Jugend, Stahl und Eisen geweiht! Unser Leben für Deutschland, ein flammend Fanal! Jugend wir, aus Eisen und Stahl!“ Auf der Augsburger Bühne wird dieses Lied durch Filmeinblendungen auf der Leinwand untermalt, die abwechselnd fallende Soldaten und Truppen beim ausgelassenen Feiern und Tanzen zeigen.
Puissance
Nicht minder bombastisch, doch mit anderer inhaltlicher Richtung, geht das schwedische Duo Puissance zu Werke. Hier beschränken sich die Musiker Henry Möller und Fredrik Söderlund nicht darauf, die großen Konflikte der Menschheitsgeschichte zu reflektieren und künstlerisch umzusetzen, sondern widmen sich unter dem Leitstern einer fundamentalen Misanthropie – wenn auch stets mit einem ironischen Augenzwinkern – gleich der vollständigen Ausrottung der menschlichen Spezies. Stilistisch verbinden sie sakral anmutende Klänge mit einem beinahe als schüchtern zu bezeichnenden, sanften Sprechgesang. In einem ihrer bekanntesten Stücke, „Totalitarian Hearts“, heißt es „With strength came freedom – through blind genocide“ („Mit der Stärke kam die Freiheit – durch blindwütigen Massenmord“). Lieder wie „In Shining Armor“ und „Hail The Mushroom Cloud“ preisen die tödliche Kraft der Atombombe.
Arditi
Ein Nebenprojekt von Puissance ist Arditi. Benannt nach den Schwadronen („Die Wagemutigen“) des italienischen Dichters und Putschisten Gabriele D’Annunzio und inspiriert von der futuristischen Bewegung der Zwischenkriegszeit, sind Arditi wiederum der Ästhetisierung des Krieges verschworen. Nicht umsonst findet sich im Beiheft des aktuellen Albums „Omne Ensis Impera“ der dem Futuristischen Manifest entlehnt anmutende Leitspruch „Wir singen die Lobpreisung des Krieges. Nicht dafür, wie er Menschen sterben lässt, sondern dafür, wie er Menschen aufleben lässt“. Sie gehören definitiv zu den bekanntesten Gruppen, was eindeutig an der Qualität ihrer Produktion und der unverwechselbaren, bedrohlichen Stimmung liegt, die ihre Musik hervorruft. Signifikant ist auch, daß im Internet eine beachtliche Anzahl von Videos zu ihren Liedern kursieren, die von Hörern erstellt wurden und die Musik in der Mehrzahl vortrefflich ergänzen.
Paradebeispiel hierfür dürfte das Fanvideo zum Stück „That Day Of Infamy“ ein. Passend zur eingespielten Erläuterung aus einer amerikanischen Dokumentation über die SS-Leibstandarte werden im Film Ausschnitte paradierender Uniformierter und musizierender Hitlerjugend aus Riefenstahls „Triumph des Willens“ gezeigt, deren Schritt durch nachträgliche Bearbeitung genau auf den Rhythmus des Liedes abgestimmt wurde.
Das so entstandene Gesamtkunstwerk ist von einer geradezu hypnotischen Wirkung, was einen Betrachter zu dem folgenden Kommentar motivierte: „For those who don’t understand ... this is how we should have looked ... how we once looked ... now this world is nothing ... europe is nothing ... but there is still a struggle going on ... for the hearts and minds of the once proud ... to feel the burning passion once more!“ („Für diejenigen, die es nicht verstehen ... So hätten wir aussehen sollen ... So haben wir einmal ausgesehen ... Jetzt ist diese Welt ein Nichts ... Europa ist ein Nichts ... Aber noch immer ist ein Ringen im Gange ... um die Herzen der einstmals Stolzen ... um noch einmal die glühende Leidenschaft zu spüren!“) Es zeigt sich: Die Schattenseiten der Geschichte, insbesondere der Krieg, bergen eine mächtige Faszination. Die heutige Tabuisierung und der allfällig erhobene moralische Zeigefinger haben ihren Teil dazu beigetragen.
Kreuzweg Ost
Von der anderen Seite her betrachtet das außergewöhnliche österreichische Projekt Kreuzweg Ost die Zeitgeschichte. Besonders bemerkenswert ist, daß auf ihren beiden bisherigen Alben „Iron Avantgarde“ und „Edelrost“ nicht ein einziges Mal vokale Beiträge der Künstler enthalten waren, sondern ausschließlich Einspielungen unterschiedlichster Quellen, die für sich eigene kleine Geschichten erzählen. Während bei „Eiserne Menschen“ die Stimme Romy Schneiders aus dem Film „Mädchen in Uniform“ die bedrückenden Doktrinen wiedergibt, die ihr in einem Internat eingetrichtert wurden, und „Eduard Rüttelmeier“ mit Originalmitschnitten die ganze Bestialität des Volksgerichtshofsvorsitzenden Dr. Roland Freisler herausstellt, hört man in „Für Kaiser, Gott und Vaterland“ neben studentischen Ritualen Sätze aus der Verfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“ – ein mahnender Hymnus an die Jugend, die auf den Schlachtfeldern Europas verblutete. So gelingt es Kreuzweg Ost, trotz aller Schönheit ihrer Kompositionen, Albtraumbilder zu beschwören, die den Hörer in Nachdenklichkeit zurücklassen.
Eine „rechte“ Musikrichtung?
Die politische Einordnung der Martial-Industrial-Szene ist sehr schwierig. Die Künstler selbst halten sich mit politischen Äußerungen sehr stark zurück oder bezeichnen sich selbst als desinteressiert; lieber wird über die Allmacht der Ästhetik gesprochen. So versucht man, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig den eigenen, elitär-distanzierten Nimbus zu pflegen. Lediglich Puissance heben sich etwas ab: Sie sind Teil des Künstlerkollektivs „Artists against the New World Order“ („Künstler gegen die Neue Weltordnung“), das sich – ungeachtet der verschiedenen kulturellen Hintergründe und politischen Ansichten der Beteiligten – strikt gegen die Idee einer Weltregierung und die von ihr ausgeübte „Sklaverei“ wenden. Auf der Triarii-Internetpräsenz ist über das aktuelle Album zu lesen: „Muse In Arms is dedicated to all narrow-minded people, to all those who are afraid of asking questions and those who are even more afraid of receiving answers. Art is never only left or right, nor is it only black and white. Life is not that simple!“ („Muse In Arms ist allen unbelehrbaren Leuten gewidmet. Solchen, die sich fürchten, Fragen zu stellen, und solchen, die sich noch mehr davor fürchten, Antworten zu bekommen. Kunst ist niemals links oder rechts, genausowenig, wie sie nur schwarz oder weiß ist. So einfach ist das Leben nicht!“)
Selbsternannte Antifaschisten machen es sich sehr leicht. Die wenigen Konzerte, die es in diesem Sektor gibt, werden regelmäßig auf einschlägigen Internetportalen zum Gegenstand verleumderischer Beschreibungen und kaum verhohlener Aufrufe zur Gewalt. Ganz wie im Muttergenre Neofolk genügen den linksextremen Gesinnungswächtern auch beim Martial Industrial ästhetische und künstlerische Bezüge, um eine akute kulturkämpferische Bedrohung zu konstruieren: „Faschismus raus aus den Köpfen! Nieder mit aller Unterdrückung und Unkultur! Rechte-Neofolk und die ganze braune Kacke zerlegen.“ Vielen Angehörigen der „Schwarzen Szene“ dürfte auch das Wave-Gotik-Festival in Leipzig 2007 noch gut in Erinnerung sein, bei dem im linksdominierten Stadtteil Connewitz die „Antifaschisten“ ganze Straßenbahnzüge mit Barrikaden zum Halt brachten, um sie nach uniformartig gekleideten Konzertbesuchern zu durchkämmen und dann brutal zusammenzuschlagen. Als bisheriger Gipfel der Ausschreitungen folgte im Oktober 2008 der Überfall eines 40köpfigen Rollkommandos auf eine Freiburger Konzerthalle, bei dem Instrumente sowie die komplette Inneneinrichtung gezielt zerstört wurden, um den Auftritt zweier Neofolk-Bands zu verhindern. Daß derartige Meldungen noch kaum für die Martial-Industrial-Szene zu vermelden sind, liegt wohl nur daran, daß die häufig nur aus Einzelpersonen bestehenden Musikprojekte generell selten auf der Bühne stehen.
Wer hört diese Musik?
Zuallererst Anhänger des Neofolk, denen martialische Ästhetik und Selbstinszenierung nicht fremd sind und die sich auch von der härteren musikalischen Gangart nicht abschrecken lassen. Doch auch Angehörige der Gothic-Szene sowie Metal-Hörer werden vom Martial Industrial angezogen. Die einen, weil sie die Darstellung menschlichen Elends, Verfalls und nihilistischer Ausweglosigkeit in den Bann schlägt, die anderen, weil sie mit der Thematisierung des Krieges seit jeher vertraut sind oder wie bei Kreuzweg Ost bereits bekannte Musiker hinter den Projekten stehen. Dies heißt jedoch keinesfalls, daß man auf derartigen Konzerten auch zur Metal-„Pommesgabel“ in die Luft gereckte Arme zu sehen bekäme. Vielmehr ist bei beinahe jedem Zuschauer, egal in welcher Szene er sich sonst bewegen mag, ein ruhiges und fasziniertes Ausharren zu beobachten. Ein Genießen ist es sicherlich nicht, denn dafür sind die behandelten Themen viel zu dramatisch, doch gelingt es der Musik stets, das Publikum in ihren Bann zu schlagen.
In jedem Fall darf man sich weder von provozierender Symbolik und harscher Selbstinszenierung noch von Projektnamen wie „Seuchensturm“, „Waffenruhe“ oder „Barbarossa Umtrunk“ abschrecken lassen. Doch sollte der Interessierte über ein gewisses geschichtliches Wissen verfügen, da ihm anderenfalls so manche Ironie der Künstler entgehen könnte. Insgesamt dürfte es eine Einstellungsfrage sein, ob man diese merkwürdige Musik mag oder nicht. Daseinsberechtigung hat sie jedenfalls, da der Krieg und die ihn begleitenden Schrecken und Wirren seit Menschengedenken die Gemüter bewegen und immer schon in der Kunst rezipiert worden sind – man könnte beinahe behaupten, daß Martial Industrial als postmoderne Entsprechung zu den Kriegsgedichten des Andreas Gryphius gesehen werden kann: Eine bedrückende, doch nicht moralinsaure Meditation über menschliche Abgründe, so gar nicht nach dem Geschmack der linken Pädagogen, ein akustisches Stahlgewitter ganz im Sinne des Triarii-Wahlspruchs „Vivere militare est.“