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Bitte keine Ausreden mehr

Von Alain de Benoist

Nach den Unruhen in England: Nicht die Einwanderer, sondern Migration und Entwurzelung sind schuld

Die Unruhen, die vom Londoner Stadtteil Tottenham aus auf verschiedene britische Städte übergriffen, haben auf der anderen Seite des Ärmelkanals schlimme Erinnerungen wachgerufen. Allzu lebhaft standen den Franzosen noch die Szenen vor Augen, die sich 2005 in ihren eigenen Vorstädten, den berüchtigten Banlieues, abspielten. Die damaligen Krawalle begannen am 27. Oktober in Clichy-sous-Bois in der Nähe von Paris und breiteten sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land aus. Hunderte von „Jugendlichen“, die größtenteils aus Einwandererfamilien stammten, griffen die Polizei mit Molotowcocktails an. Unzählige Geschäfte wurden geplündert, über zehntausend Autos in Brand gesteckt, 300 öffentliche Gebäude angezündet, Schulen mutwillig beschädigt und Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln bedroht. Am 8. November wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Insgesamt dauerte es einen Monat, bis das Land wieder zur Ruhe kam. Das Ausmaß der Sachschäden belief sich auf schätzunsgweise 200 Millionen Euro.
Aus dem Vergleich zwischen den Ereignissen, die sich seinerzeit in Frankreich abspielten, und den jüngsten Bildern aus Großbritannien lassen sich einige lehrreiche Schlüsse ziehen. In Frankreich wurden die Ausschreitungen damals als Ergebnis einer „gescheiterten Integration“ der jungen Einwanderergeneration dargestellt, die vor allem auf die miserablen Lebensbedingungen zurückzuführen sei, unter denen sie ihr Dasein fristeten. Zu ihrer Verteidigung wurde die „unmenschliche“ Verstädterung angeführt, die „Häuserblöcke“, in denen ein menschenwürdiges Leben praktisch unmöglich sei.
Als Grund für die Unruhen in Großbritannien wurden immer wieder die mangelnden Bildungschancen für junge Einwanderer angeführt. Wie in Amerika seien die Eliteinstitutionen auch hier den Kindern wohlbetuchter Eltern vorbehalten. Das stimmt zwar, trifft aber wiederum auf Frankreich nicht zu. Dort sind die Schulen und Universitäten kostenlos und frei zugänglich. Dennoch ist der Bildungsstand der „Jugendlichen“ sehr niedrig. Allgemein ist daran zu erinnern, daß die britischen und französischen Regierungen im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre eine völlig unterschiedliche Einwanderungspolitik verfolgt haben. Getreu ihrer jakobinischen Tradition war für die Franzosen Integration stets gleichbedeutend mit Assimilation. Die Engländer dagegen favorisierten den „multikulturellen“ Ansatz. Keine dieser beiden grundverschiedenen Philosophien hat die Entstehung von Spannungen verhindern können, die sich nun gewalttätig entladen.
Der Vergleich zwischen den zwei Systemen zeigt somit, daß die sozialen Ursachen, die zur Erklärung herangezogen werden, wahrscheinlich nicht der entscheidende Faktor sind. Das soll nicht heißen, daß sie reine Chimären wären oder überhaupt keine Rolle spielten. Der Anstieg einer nicht bloß konjunkturellen, sondern strukturellen Arbeitslosigkeit, die in beiden Ländern vor allem junge Menschen betrifft, hat selbstverständlich nicht zur Entschärfung der Lage beigetragen. Soziale Ursachen alleine erklären jedoch nicht alles. Wer sie heraufbeschwört, um die „Kultur der Ausreden“ zu legitimieren, wie der französische Kriminologe Xavier Raufer sie bezeichnet, vernebelt den wahren Kern des Problems. Oft wird soziale Gewalt durch Armut erklärt. Aber längst nicht alle Armen zünden Gebäude an oder plündern Geschäfte. Sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich ist die Kriminalitätsrate in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, obwohl die Armut dank der globalen Finanzkrise weiterhin steigt. Zudem werden nicht etwa Bäckereien oder Fleischergeschäfte geplündert, sondern vor allem Elektronikmärkte. Wenn mit der „Kultur der Ausreden“ aufgeräumt wird, lautet die erste Hypothese oft, ob nicht gewisse gesellschaftliche Gruppen eine stärkere Neigung zur Gewalttätigkeit aufweisen als andere. Im Klartext: Die ethnische Herkunft der Randalierer wird thematisiert.
Doch auch mit dieser Erklärung macht man es sich wohl allzu einfach. Das wird schon ersichtlich, wenn man die Kriminalitätsrate der Einwanderer hierzulande mit derjenigen in ihren Herkunftsländern vergleicht. Die in Frankreich lebenden Malier sind sehr viel krimineller als die Malier in Mali, und das gleiche gilt für die in Frankreich lebenden Algerier. Der entscheidende Faktor scheint also nicht etwa die ethnische Herkunft von Migranten zu sein, sondern vielmehr die Migration an sich, die einzelne und Gruppen einer sozialen Entwurzelung und Entfremdung aussetzt, die Kriminalität und Gewalt begünstigt. Die Einwanderer sind nicht von Natur aus kriminell, sondern Migration führt zu Kriminalität.
Auffällig ist zudem, daß in England die von indischen oder pakistanischen Einwanderern betriebenen Geschäfte oft als erstes angegriffen wurden und daß die Täter zumeist afro-karibischer Herkunft waren. Indes waren die islamischen Organisationen in keiner Weise an den Unruhen beteiligt. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Ländern liegt im Umgang der staatlichen Institutionen mit den Krawallen. In England wurde schnell sehr hart durchgegriffen. Selbst die oppositionelle Labour-Partei stärkte der Regierung hierin den Rücken. Als Experten und Berater wurden dabei eher Kriminologen als Soziologen herangezogen. In Frankreich verhielt es sich dagegen umgekehrt. Hier ließ man die Sozialwissenschaftler mit ihrer „Kultur der Ausreden“ zu Wort kommen. Die Linke protestierte vehement gegen die „Brutalität“, mit der die Polizei auf die Ausschreitungen reagierte, und forderte sogar die Entlassung des Innenministers und die Aufhebung des Ausnahmezustands. Das Ergebnis: In Frankreich dauerten die Krawalle mehrere Wochen lang an. In England war nach fünf Tagen und Nächten der Spuk vorbei – zweifellos nur eine vorläufige Atempause.


Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung „Junge Freiheit“

 
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