Der Krieg des nationalsozialistischen Deutschlands gegen das kommunistische Rußland wird in den Medien weithin unter dem Stichwort „Vernichtungskrieg“ abgehandelt. Der Wehrmacht werden nicht nur bei der Bekämpfung der Partisanen, sondern auch bei der Behandlung der Kriegsgefangenen und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten ungeheure Verbrechen vorgeworfen. Doch dieses Bild ist von Historikern geprägt, die aus ideologischen Gründen bewußt viele Fakten unerwähnt lassen, um so ein einseitiges Bild zeichnen zu können. Der Historiker und pensionierte Bundeswehrgeneral Dirk Oetting hat in seinem Buch „Verbrannte Erde. Kein Krieg wie im Westen: Wehrmacht und Sowjetarmee im Russlandkrieg 1941–1945“ die einschlägige wissenschaftliche Literatur in ihrer Gesamtheit ausgewertet und kann so ein wesentlich differenzierteres Bild als das heute allgemein verbreitete zeichnen. Im Folgenden sind einige der wesentlichen Ergebnisse aus seinem Buch wiedergegeben. Wer sich eingehender mit dem Thema befassen will, wird um die Lektüre des faktengesättigten und wissenschaftlich einwandfrei dokumentierten Werkes nicht umhin kommen.
Die These vom geplanten „Vernichtungskrieg“ der Wehrmacht gegen Rußland stützt sich auf vier Befehle, die bereits in der Planungsphase des Feldzuges erlassen worden waren:
-Ein Befehl des Oberbefehlshabers des Heeres von Brauchitsch über die Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei und dem SD ermöglichte diesen und den Einsatzkommandos Massenerschießungen und andere Aktionen im rückwärtigen Heeresgebiet.
-Ein im Auftrag Hitlers von Keitel unterzeichneter Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit führte dazu, daß Personen, die in den Verdacht gerieten, Partisanen zu sein oder diese zu unterstützen, ohne Einschaltung eines Kriegsgerichts erschossen werden konnten und Kollektivstrafen gegen ganze Dörfer möglich waren.
-Eine Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht in bezug auf das „Verhalten der Truppe in Rußland“ stand unter der Prämisse: „Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen deutschen Volkes … Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jedes aktiven oder passiven Widerstands.“
-Letztlich ist der Kommissarbefehl des OKW zu nennen, wonach politische Kommissare als eigentliche Träger des Bolschewismus grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen seien.
Befehle dieser Art waren natürlich geeignet, den Krieg im Osten zu einem „Weltanschauungskrieg“ werden zu lassen, in dessen Zuge die meisten Regeln, wie sie für den Krieg in Westeuropa galten, als aufgehoben betrachtet wurden und die gnadenlose Vernichtung des Feindes im Vordergrund stand. Hannes Heer, verantwortlich für die erste Fassung der „Wehrmachtsausstellung“, behauptet sogar, daß die deutschen Soldaten zahllose Kriegsverbrechen aus eigenem, inneren Antrieb begangen hätten: „Was man mittlerweile bei den Einsatzgruppen und Polizeibataillonen an Mordlust und Gefühlskälte zuzugeben bereit ist, davon hat man auch bei durchschnittlichen Landsern auszugehen … Mordlust und Sadismus, Gefühlskälte und sexuelle Perversionen konnte man nicht befehlen, die brachten große Teile der Truppe mit. Aber die Gelegenheit, dieses Triebpotential auszuagieren, die stellten die Kommandeure her …“
Omer Bartov geht auch von einer allgemeinen Verstrickung der Truppe in unzählige Kriegsverbrechen aus und erklärt sie damit, daß es für viele Soldaten leichter gewesen sei, die „Brutalität der Offiziere zu ertragen, wenn man andere brutal behandeln durfte“. Einen Beleg für diese These kann er freilich nicht erbringen, denn im Unterschied zu anderen Armeen sind Morde an verhaßten Vorgesetzten in der Wehrmacht kaum nachzuweisen. Selbst nach der Kapitulation von 1945 gab es keine willkürlichen Angriffe von Mannschaftsdienstgraden oder aus der Zivilbevölkerung auf frühere Offiziere, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg durchaus verbreitet gewesen waren.
Gerade Hannes Heer konnten zudem viele bewußte Fälschungen nachgewiesen werden, wenn es darum ging, Verbrechen der Wehrmacht zu „beweisen“, sogar Bilder von Massakern der Bolschewiki hat seine Ausstellung zu Wehrmachtsverbrechen umgetextet. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist er nicht der einzige, der unhaltbare Vorwürfe als Fakten ausgibt.
Die vier eingangs genannten Befehle wurden von der Wehrmacht bei weitem nicht nahtlos oder in verbrecherischer Weise umgesetzt, der Kommissarbefehl teils offen abgelehnt. Das Vorgehen von SS und Polizei erfuhr nicht nur von Seiten der einfachen Soldaten heftigen Widerspruch. So meldete General Ulex im Februar 1940 aus Polen: „Die sich gerade in letzter Zeit anhäufenden Gewalttaten der polizeilichen Kräfte zeigen einen ganz unbegreiflichen Mangel menschlichen und sittlichen Empfindens.“ Generäle wie Ulex waren nicht informiert, daß diese Einsätze aufgrund höherer politischer Weisungen erfolgten, und nahmen sie nicht als gezieltes Morden, sondern als unkontrollierte Exzesse wahr. General Blaskowitz analysierte schon 1940 hellsichtig die psychologischen Zusammenhänge: „Wenn hohe Amtspersonen der SS und Polizei Gewalttaten und Brutalität verlangen und sie in der Öffentlichkeit belobigen, dann regiert in kürzester Zeit nur noch der Gewalttätige. Überraschend schnell finden sich Gleichgesinnte und charakterlich Angekränkelte zusammen, um, wie es in Polen der Fall ist, ihre tierischen und pathologischen Instinkte auszutoben.“ Selbst der bereits mehr als 90jährige Generalfeldmarschall von Mackensen schrieb 1940 an den Oberbefehlshaber des Heeres: „Das Ansehen und die Ehre (der Wehrmacht) darf nicht von den in Rede stehenden Untaten gedungener Untermenschen und freigelassener Verbrecher befleckt werden.“ Bemerkenswert ist, daß Mackensen unter „Untermenschen“ hier jene subsumiert, die letztlich Mordbefehle der politischen Führung exekutierten. Die Wehrmacht stand solchen Aktionen weithin ablehnend gegenüber, wie sich noch aus einem Befehl des Generals von Reichenau vom Oktober 1941 ablesen läßt, in dem dieser beklagt, daß immer noch Partisanen zu Kriegsgefangenen gemacht und immer noch Halbuniformierte oder in Zivil gekleidete Heckenschützen wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt würden, ja daß immer noch russische Landeseinwohner nicht nur mit Zigaretten und Brot beschenkt, sondern sogar von den Truppenküchen verpflegt würden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Dienstreisebericht des Majors Freiherr von Gersdorff, der feststellt, daß Judenerschießungen vom Offizierskorps der Wehrmacht nahezu generell als Verletzung der Ehre der deutschen Armee betrachtet wurden.
Sogar der Kommissarbefehl wurde nicht – wie heute behauptet – flächendeckend befolgt, sondern vielfach massiv kritisiert. General Manstein etwa schreibt, er würde „jedem soldatischen Empfinden widersprechen“, seine Ausführung „würde nicht nur die Ehre der Truppe, sondern auch ihre Moral“ gefährdet haben, weshalb er in seinem Befehlsbereich auch nicht durchgeführt würde. Sogar die offiziellen Zahlen zeigen, daß die große Mehrheit der Kommissare nicht nach ihrer Gefangennahme von der Fronttruppe ermordet wurde: Rund 1,3 % der sowjetischen Streitkräfte waren Politoffiziere („Kommissare“), damit bei Kriegsbeginn 66.000 von 5 Millionen Rotarmisten. Da 3,5 Millionen von ihnen bis April 1942 in Gefangenschaft geraten sind, mußten sich darunter mehr als 45.000 Kommissare befunden haben. Doch auch die offiziell ausgezeichnete Dissertation von Felix Römer über den Kommissarbefehl weist nur etwa 3.400 Exekutionen aus. Danach sind gerade 7,5 % aller potentiell gefangenen Kommissare ermordet worden. Selbst wenn man sich ganz Römers Berechnungen anschließt und dessen hohe Dunkelziffer akzeptiert, ergibt sich, daß letztlich nur 20 % aller gefangengenommenen Kommissare erschossen wurden. Letztlich wurde der umstrittene Kommissarbefehl von Adolf Hitler schon am 6. Mai 1942 wieder außer Kraft gesetzt.
Die Führung der Sowjetunion hatte schon vor dem Krieg mehrfach, zuletzt im Winterkrieg gegen Finnland, deutlich gemacht, daß sie sich nicht mehr an die Regeln des Kriegsrechts halten würde, wie sie in der Haager Landkriegsordnung festgelegt worden waren. Bei der Beurteilung des Vorgehens der Wehrmacht darf daher nicht außer acht gelassen werden, daß es, wie ein britischer Völkerrechtler formulierte, unmöglich ist, „sich die Führung von Kriegshandlungen vorzustellen, bei denen eine Partei durch Kriegsregeln gebunden wäre, ohne Nutzen aus ihnen zu ziehen, und die andere Partei von ihnen profitiert, ohne an sie gebunden zu sein.“
Ebensowenig darf vergessen werden, in welchem Maße der Durchgriff der politischen Führung auf die Spitze der Roten Armee erfolgt war: Während der großen Säuberungen 1937/38 waren 3 von 5 Marschällen, 13 von 15 Armeegenerälen, 8 von 9 Admirälen, 50 von 57 kommandierenden Generälen und 154 von 186 Divisionsgenerälen hingerichtet worden. Bogdan Musial macht in seinem Buch „Stalins Beutezug“ deutlich, daß der Massenterror der 30er Jahre überhaupt die Voraussetzungen für Stalins Sieg im Zweiten Weltkrieg geschaffen hatte: Die meisten der 1937 und 1938 ermordeten Menschen hätten den deutschen Angriff auf die Sowjetunion begrüßt, nicht wenige von ihnen hätten wohl auch zu den Waffen gegriffen, um gegen ihre bolschewistischen Peiniger zu kämpfen. Der Massenterror dieser Jahre war der Versuch, die sowjetische Gesellschaft von ihren inneren Feinden zu erlösen, er war eine sowjetische Variante der „Endlösung“. Nur in Gebieten wie der westlichen Ukraine oder dem Baltikum, wo diese „Befriedung durch Terror und Massenmord“ nicht vollkommen umgesetzt werden konnte, weil sie erst 1939/1940 besetzt worden waren, bildeten sich nennenswerte anti-sowjetische Partisanengruppen.
Der NKWD, also der sowjetische Geheimdienst, übte im Krieg dann auch eine absolute Kontrolle über die Rote Armee aus. Er verfügte in jeder Division über eine „besondere Abteilung“, deren Angehörige jeden Soldaten und auch jeden Offizier, selbst den Divisionskommandeur, ohne weitere Verfahrenshindernisse festnehmen und erschießen lassen konnten. Truppenteile des NKWD wurden zudem immer wieder als Sperrverbände eingesetzt, die jedes Zurückweichen der Kampftruppe mit der Waffe zu verhindern hatte.
Gerne wird eine solche personelle und materielle Überlegenheit der Wehrmacht behauptet, doch gab es diese allenfalls kurzfristig nach den ersten siegreichen Schlachten 1941, als ungeheure, offenbar für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff konzentrierte Rüstungsgüter in die Hände der Wehrmacht fielen oder zerstört werden konnten. Die Verlagerung der rüstungswirtschaftlich wichtigen Industrie aus den von der Wehrmacht bedrohten Gebiete nach Osten zählte hingegen zu den organisatorischen Meisterleistungen Stalins.
In der sowjetischen Propaganda spielte weniger die angebliche Vergewaltigung russischer Frauen durch Wehrmachtssoldaten eine Rolle, sondern die behauptete Ermordung russischer Kinder: „Ein Deutscher Soldat schleudert ein Baby, das er dessen Mutter entrissen hat, gegen eine Wand – die Mutter schreit, das Hirn des Babys spritzt heraus, der Soldat lacht.“ – Bilder wie dieses hämmerten Propagandisten vom Schlage Ilja Ehrenburgs immer und immer wieder in die Köpfe der Sowjetsoldaten. Vom ersten Kampftag an sollen sie Kinder lebend begraben, Säuglinge getötet, Frauen die Brüste abgeschnitten, Verwundete zu Tode gefoltert haben. Ehrenburg behauptete sogar, daß jüdische Kinder der Hitlerjugend als „lebende Zielscheiben“ zur Verfügung gestellt worden wären, die Rotarmisten wurden mit Berichten konfrontiert, wonach Wehrmachtssoldaten Kinder bei lebendigem Leib mit rostigen Sägen entzweigeschnitten, oder sie durch Abschneiden von Händen, Füßen und Ohren verstümmelt hätten. Hunderttausende Kinder sollen dieser „typisch deutschen“ perversen Mordlust zum Opfer gefallen sein.
Kein Wunder, daß der einfache Rotarmist nach einer Fülle solcher Geschichten Gleiches mit Gleichem vergelten, Rache nehmen wollte. Auch die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen – mehr als 2 Millionen sind ihnen zum Opfer gefallen – wurden durch diese Propaganda vorbereitet. Dabei sind Berichte nicht selten, wonach sowjetische Offiziere Soldaten wegen Vergewaltigungen erschossen haben.
Erst in jüngster Zeit sind absurde Behauptungen von Autorinnen wie Susan Brownmiller oder Ingrid Schmidt-Harzbach in die Welt gesetzt worden, wonach die Wehrmacht in Rußland systematisch vergewaltigt hätte, vielleicht, um den Vergewaltigungen seitens der Rotarmisten ein politisch erwünschtes Gegenstück zu erschaffen. Doch diese Anschuldigungen entbehren, wie die Schweizer Historikerin Birgit Beck nachwies, jeder Grundlage.
Disziplin und Kampfeskraft wurden in der Roten Armee überhaupt nur durch äußersten Zwang aufrechterhalten. Insgesamt ist von mehr als 300.000 Sowjetsoldaten auszugehen, die während des Krieges aus disziplinären Gründen von den eigenen Vorgesetzten getötet wurden – um Zehnerpotenzen mehr als Wehrmachtsangehörige oder Soldaten der Westmächte. Der einzelne Soldat galt im bolschewistischen System rein gar nichts, wer in Gefangenschaft geriet, wurde als Verräter betrachtet, insbesondere Offiziere mußten in diesem Fall mit Repressalien gegen ihre Angehörigen rechnen. Die Führung der Roten Armee kannte auch nur eine Taktik, nämlich die des Sturmangriffs, selbst bei völliger Unterlegenheit, und die Ausrüstung der sowjetischen Truppen war oft mehr als mangelhaft. Das Ergebnis waren außerordentlich hohe Verluste. Schon im finnischen Winterkrieg hatten die Sowjets 127.000 Mann gegenüber 27.000 Finnen verloren. Im Krieg gegen Deutschland lagen die Verluste nahezu beim Verhältnis von 1 : 3. Berücksichtigt man nur das erste Kriegsjahr und dabei auch noch die Gefangenen, ergibt sich sogar ein Verhältnis von 1 : 9.
Die sowjetische Propaganda behauptete oft und gern, deutschen Soldaten würden Kriegsgefangenen, bevor sie sie ermordeten, Ohren und Nase abschneiden, die Augen ausstechen oder sie auf andere Weise foltern. Die Tatsachen sehen allerdings ganz anders aus: Während es keinerlei Belege über solche Bestialitäten seitens der Wehrmachtssoldaten gibt, sind für die sowjetische Seite vom ersten Kriegstag an Greueltaten belegt, die nicht als verständliche Reaktion auf deutsche Mordtaten oder als Folge der später so erfolgreichen sowjetischen Haßpropaganda erklärt werden können. Folter und Mord an deutschen Kriegsgefangenen bis hin zu Leichen, denen Geschlechtsteile abgeschnitten und in den Mund gesteckt worden waren, grausige Verstümmelungen deutscher Rotkreuzschwestern, oder das Übergießen von deutschen Schwerverwundeten mit Wasser, um sie draußen erfrieren zu lassen, sind hier zu nennen. In Odessa und Sewastopol wurden nach den Aussagen russischer Militärärzte alle deutschen Verwundeten umgebracht, wobei sich die Täter ausdrücklich auf Stalins Rede vom 7. November 1941 beriefen, wonach die Okkupanten auf russischem Boden physisch vernichtet werden müßten. Dabei haben Befehlshaber der mittleren Führungsebene sich oft bemüht, das Erschießen oder gar Foltern von Gefangenen zu unterbinden, denn dieses sei ein „der Roten Armee unwürdiges Verhalten“. Dennoch waren solche Untaten auf sowjetischer Seite weit verbreitet, während sie der Wehrmacht von keinem erstzunehmenden Historiker vorgeworfen werden. Selbst als deutsche Soldaten 1943 im Raum Grischinow 596 Gefangene entdeckten, die bestialisch ermordet worden waren, gab der kommandierende General einen Tagesbefehl hinaus, in dem es hieß: „Wir wollen jedoch an dem soldatischen Grundsatz festhalten, daß der gefangene, uniformierte Gegner, der keinen Kampf mehr führen kann und wehrlos ist, ins Gefangenenlager gehört.“
Nach dem Einmarsch waren Wehrmachtssoldaten auch mit zahlreichen, kurz davor begangenen Massakern seitens der Bolschewiki konfrontiert. In den aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts 1939/1940 besetzten Gebieten Ostpolens und des Baltikums war das Wüten des NKWD so grausam gewesen, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung durch den Einmarsch der deutschen Truppen befreit fühlte. Nach dem Krieg versuchte die Sowjetunion viele selbst begangene Verbrechen den Deutschen in die Schuhe zu schieben, etwa das Massaker an polnischen Offizieren bei Katyn, wofür sieben Deutsche gehängt wurden. Selbst von der „Wehrmachtsausstellung“ wurden noch Bilder von eindeutigen Opfern des NKWD gezeigt, die der Wehrmacht angelastet wurden
Insgesamt waren mindestens 120.000 Menschen der sowjetischen Herrschaft im annektierten Ostpolen vor dem Einmarsch der Wehrmacht zum Opfer gefallen. Allein in Lemberg und Tarnopol fanden die deutschen Truppen nach der Eroberung Tausende von Gefangenen, die unmittelbar vor dem Rückzug der Sowjetmacht vom NKWD ermordet worden waren. In der Folge kam es zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung, die von Einheimischen weitgehend für die sowjetischen Greueltaten verantwortlich gemacht wurde, woran sich vereinzelt auch Soldaten der Wehrmacht und in größerem Maße Angehörige der später eintreffenden Einsatzkommandos beteiligten. Die meisten deutschen Soldaten lehnten die nun ausbrechenden Massaker allerdings gänzlich ab. Zum Verhalten der Polizeikräfte hieß es z. B. in einem Wehrmachtsbericht: „Sie stacheln durch rohestes und abstoßendes Verhalten gegenüber Wehrlosen die Bevölkerung auf. Die eigene Truppe ist, wie die Meldungen der Kompanien beweisen, über die Rohheitsakte und Quälereien empört.“
Der tatsächliche Erfolg der kommunistischen Partisanen ist bis heute umstritten. Während sowjetische Darstellungen von allein bis Ende 1943 über 300.000 getöteten deutschen Soldaten ausgehen, berechnen westliche Wissenschaftler für den gesamten Krieg nur 35.000 Tote auf deutscher Seite, wovon die Hälfte „fremdvölkische“ Truppenteile betroffen habe. Dabei wird oft unterstellt, daß es bis Mitte 1942 keine nennenswerte Partisanentätigkeit gegeben habe, und die sogenannte „Bekämpfung der Partisanen“ bis dahin nur dem Vorwand diente, Juden und Russen zu ermorden. Diese Behauptung ist so allerdings nicht aufrechtzuerhalten, da von sowjetischer Seite vom ersten Kriegstag an gezielt der Aufbau einer durchorganisierten Partisanenstreitmacht betrieben wurde. Daß Partisanen, ihre Mittäter und Gehilfen hingerichtet werden konnten, war dabei international unumstritten. Selbst die Exekution von Geiseln im Verhältnis 1 : 10 für jeden aus dem Hinterhalt getöteten Soldaten wurde generell als gerechtfertigt angesehen. Beim konkreten Anlaßfall hat sich die Wehrmacht allerdings sehr unterschiedlich verhalten. So gibt es einen OKW-Befehl, in dem das Verhältnis von 50 bis 100 „Kommunisten“ für jedes deutsche Soldatenleben als „angemessen“ bezeichnet wird, andererseits werden auch nach diesem OKW-Befehl von örtlichen Dienststellen noch Befehle erlassen, wonach nur doppelt so viele Geiseln erschossen werden sollen, wie deutsche Soldaten zu Schaden kamen. Vielerorts kooperierte die Zivilbevölkerung auch freiwillig, um Partisanenschlupfwinkel anzugeben, und freute sich, nach dem Vorgehen der Wehrmacht vom Partisanendruck befreit zu sein. Andernorts hingegen kam es zu Repressalien ohne jedes nachvollziehende Maß gegen die Zivilbevölkerung, welche langfristig den Interessen der Besatzungsmacht weit mehr geschadet als genutzt haben.
Dabei nahmen die Partisanen selbst auf die russische Zivilbevölkerung keinerlei Rücksicht. So mißlang 1941 die geplante Verseuchung des Trinkwassers der Millionenstadt Charkow nur, weil die Temperatur jahreszeitlich bedingt zu niedrig war. Wäre das Vorhaben gelungen, hätten nicht nur tausende deutsche Soldaten, sondern auch zehntausende russische Zivilisten den Tod gefunden. Am Land wurde der Bevölkerung von den verschiedenen Partisanengruppen oft die sprichwörtlich letzte Kuh weggenommen, Dörfer, die die Wehrmacht zu verpflegen hatten, mußten, wollten sie ungeschoren davonkommen, den Partisanen doppelt so viel Proviant liefern, wie sie an die Deutschen abgegeben hatten.
Die Partisanen-Verbände requirierten dabei auch weitere Mitkämpfer in der Art ordnungsgemäßer Einberufungsbefehle: Ganze Namenslisten von jungen Männern wurden verbreitet, die sich auf Befehl zu den Partisaneneinheiten zu melden hätten. Wo es zum Angriff auf deutsche Garnisonen kam, wurden in der Regel nicht nur die Besatzer und ihre unmittelbaren Helfer ermordet, sondern auch deren Familien und Angehörige. So wurden beim Partisanenüberfall auf das Dorf Lugomovici im März 1944 70 Deutsche, 180 weißrussische Polizisten und 400 Angehörige dieser Polizeieinheit getötet. Die Mehrzahl der Dörfer in den besetzten Gebieten beherbergte allerdings keine „Garnisonen“ der Besatzungsmacht oder der Partisanen, in ihnen konnte im allgemeinen die große Mehrheit der Einwohner überleben.
Mit der Zeit entstanden ganze „Partisanenrepubliken“, mehr als 1000 Quadratkilometer große Gebiete, in denen die deutsche Besatzungsmacht jede Kontrolle verlor. Diese versuchte in der Folge, sogenannte Wüstenzonen zu schaffen, in denen Partisanen keinerlei Unterstützung aus dem ländlichen Umfeld mehr erlangen konnten. Die Dörfer dieser Zonen wurden niedergebrannt, die Bevölkerung evakuiert, wobei ihr die Mitnahme von Lebensmitteln und sonstigem wichtigen Besitz erlaubt wurde. Nach diesen Maßnahmen folgte ein konzentrierter Großangriff auf die verbliebenen Partisaneneinheiten. Dazu konnte es, wie beim Unternehmen „Cottbus“ bei Minsk im Frühjahr 1943, wo die berüchtigte Brigade Dirlewanger eingesetzt wurde, zu Feindverlusten in folgender Größenordnung kommen: Im Kampf Gefallene 6.087, „Erledigte“ 3.709, Gefangene 599. Dem standen 476 deutsche und 196 fremdvölkische Tote, Verwundete und Vermißte gegenüber.
In manchen von den Deutschen besetzten Gebieten entstand eine verwirrende Situation gegenseitiger Feindschaften. So kämpften im ehemaligen, 1939 sowjetisch besetzten Ostpolen bolschewistische und polnisch-nationale Partisanengruppen auch gegeneinander, wobei letztere mit den Deutschen teilweise Waffenstillstand schlossen und sich von ihnen sogar mit Munition versorgen ließen. Zwischen diesen beiden Gruppen standen jüdische Partisanenverbände, die teilweise sogar von den sowjetischen Partisanen wegen ihrer zionistischen Ausrichtung bekämpft wurden. Andererseits griff im Jänner 1944 nach polnischen Angaben eine jüdisch-bolschewistische Bande ein Dorf in der Nähe von Wilna an und setzte es in Brand, Verwundete sollen bei lebendigem Leib ins Feuer geworfen worden sein.
Noch komplizierter war die Situation in der Ukraine, wo es zwei nationalistische Fraktionen gab, von denen die eine, die OUN-M, mit den Deutschen kollaborierte, während die radikaleren Anhänger von Stephan Bandera als OUN-B gleichermaßen gegen die Besatzer wie gegen die bolschewistischen Partisanen kämpften. Das Wirrwarr war auf deutscher Seite nicht kleiner – im Gegenteil: Rosenberg, der Minister für die besetzten Ostgebiete, strebte ein Bündnis mit allen nichtrussischen Völkern des Ostens an und wollte sie entsprechend gut behandeln. Erich Koch hingegen, der von Hitler gehaltene, Rosenberg aber eigentlich unterstellte Reichskommissar der Ukraine verkündete zur Freude Stalins ganz im Widerspruch dazu offen, er würde jeden Ukrainer, der es wert wäre, mit ihm an einem Tisch zu sitzen, sofort erschießen lassen, und trieb damit ein Volk, das in seiner Mehrheit die Wehrmacht mit Brot und Salz als Befreier begrüßt hatte, binnen Jahresfrist in die Arme der kommunistischen Partisanen. Saukel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, konnte wiederum mit den zivilen Verfahrensweisen der Anwerbung nicht genügend Freiwillige als Gastarbeiter gewinnen und begann sich Methoden der Zwangsaushebung und Pressung zu bedienen, wie sie nicht einmal bei der britischen Marine im 18. Jahrhundert üblich gewesen waren. Daneben operierten die vom Reichsführer SS befehligten Einsatzkommandos und Sondereinheiten von Polizei und SD selbst in Gebieten, die eigentlich noch der Wehrmacht unterstellt waren – das Ergebnis war ein Durcheinander an Kompetenzen und Pflichten, weshalb der Reichsfinanzminister 1942 notierte, daß niemand mehr wisse, wer weisungsbefugt sei und wer nicht, wer zu einer Behörde oder zu einer halbamtlichen Firma gehöre, oder aber zu der großen Gruppe der in diesem Gebiet „auf eigene Faust operierenden Hyänen“.
Das spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Befunden der Historiker wider: So kam es im rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Mitte zu Vernichtungsaktionen verschiedener Einsatzkommandos unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung, während solches etwa bei der Heeresgruppe Süd nicht der Fall war.
Während Autoren wie Hannes Heer und Omer Bartov nun behaupten, daß 60 bis 80 % aller im Osten eingesetzten Soldaten an Kriegsverbrechen beteiligt oder zumindest Mitwisser solcher waren, ergeben faktennahe Berechnungen von Christian Hartmann oder Walter Post einen Satz von deutlich weniger als 5 %. Greuelgeschichten hört man dabei auch von Russen, die die deutsche Besatzung selbst erlebt haben, nur selten. So erklärte mir gegenüber eine alte Dame, deren Mann als hochdekorierter Offizier der Roten Armee schließlich siegreich in Wien einzog, daß die deutschen Besatzungssoldaten in Charkow alles in ihrer Macht Stehende getan hätten, die Zivilbevölkerung zu schützen.
Schon am 3. Juli 1941 hatte Stalin in einer Rede gefordert, daß dem Feind keine einzige Lokomotive, kein einziger Waggon, kein Kilogramm Getreide, kein Liter Treibstoff überlassen werden dürfe. Was nicht weggeschafft werden könne, müsse vernichtet werden: „In den okkupierten Gebieten müssen für den Feind und alle seine Helfeshelfer unerträgliche Bedingungen geschaffen werden. …“, sogar alle Siedlungen bis zu 30 Kilometer links und rechts der Straßen seien niederzubrennen.
Auf Befehl Stalins wurden ganze Stadtteile sowjetischer Großstädte unterminiert und für eine spätere Sprengung vorgesehen, so in Leningrad und Moskau, aber auch in Kiew und Odessa, wo derartige Sprengungen mittels Fernzündung nach der Einnahme durch die Deutschen ausgelöst wurden. In Kiew hatte ein sowjetisches Vernichtungsbataillon die Wasserversorgung der Großstadt unterbunden und so mit den ausgelösten Sprengungen die Ursache für großflächige Brände gelegt, die sich von der Wehrmacht nur durch die Schaffung großer Brandschneisen eindämmen ließen, was wesentlich zur Verwüstung der goldenen Stadt des alten Rußlands beitrug.
Stalins „Fackelmännerbefehle“ verlangen, daß Dörfer in bestimmten Räumen niedergebrannt und die flüchtenden Bewohner mit Handgranaten und Feuerwerfern zu vernichten seien. Als sie zum Rückzug gezwungen wurde, wandte auch die Wehrmacht dieses Prinzip der „verbrannten Erde“ an. Besonders schwer hatte die Bevölkerung im Umland von Moskau zu leiden: Zunächst wurde „verbrannte Erde“ beim Rückzug der sowjetischen Truppen geschaffen, dann gab es weitere Zerstörungen bei den Kämpfen während des deutschen Angriffs, schließlich versuchen Partisanen die noch verbliebene Infrastruktur in deutscher Hand zu vernichten, während der Rest den Rückzugsgefechten der Wehrmacht und letztlich deren übernommenen Taktik der „verbrannten Erde“ zum Opfer fiel.
Die Wehrmacht war für einen Winterkrieg in Rußland nicht vorbereitet, weder was die Lebensmittelversorgung, noch was die sonstigen notwendigen Ausrüstungsgegenstände betraf. So wurden, schlicht aus Not, russischen Kriegsgefangenen Mäntel und Stiefel weggenommen, was deren Überlebenschancen im ersten Kriegswinter massiv beeinträchtigte.
Noch gravierender war jedoch die Frage nach der Lebensmittelversorgung. Hat die nationalsozialistische Führung, wie Christian Gerlach behauptet, tatsächlich schon vor Kriegsbeginn ein Verhungern von Millionen von Sowjetbürgern beabsichtigt, ja geplant?
Auf die Möglichkeit eines solchen millionenfachen Hungertods wurde bei internen Besprechungen verantwortlicher deutscher Stellen zwar von einzelnen Personen hingewiesen, jedoch nicht in Form eines Plans, sondern eher in Form einer Warnung, wobei diese die persönliche Meinung des Sprechers wiedergab. Natürlich mußte die Notwendigkeit der Ernährung eines Millionenheeres aus dem Lande und der zusätzliche Plan eines Zwangsexports von Lebensmitteln in den eroberten Gebieten für die einheimische Bevölkerung zu extremen Belastungen führen. Dennoch überstiegen die beschlagnahmten Getreidemengen sowohl für die Versorgung der Truppe als auch für den Abtransport nach Deutschland bis zum Sommer 1942 nicht jene Größenordnungen, die aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts vor Kriegsbeginn als Liefermenge aus der UdSSR nach Deutschland vertraglich zugesichert worden war! Ende November 1940 hatte sich die Sowjetunion verpflichtet, pro Monat 140.000 Tonnen Getreide nach Deutschland zu exportieren, zwischen September 1941 und April 1942 wurden jedoch nur 100.000 Tonnen Getreide pro Monat von der deutschen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Bei derartigen Zahlen läßt sich die Planung eines Hungerkrieges und dessen gezielte Durchführung nicht nachweisen. Die nach dem Kriegsausbruch beschlagnahmte Getreidemenge lag jedenfalls unter der, die die UdSSR zuvor als Export nach Deutschland zugesichert hatte. Daß Stalins Politik der „verbrannten Erde“ diesbezüglich die Voraussetzungen verändert hatte, muß freilich berücksichtigt werden.
Mit dem Zurückdrängen der Sowjetmacht war allerdings auch die Verantwortung für die Bevölkerung der nunmehr besetzten Gebiete auf die deutsche Seite übergegangen. Die Politik der „verbrannten Erde“ führte hier zu einer erheblichen Reduktion der Erntemenge. In dieser Lage setzte die Wehrmacht ihre Prioritäten bei der Versorgung der eigenen Truppe -- Hungersnöte bei der Bevölkerung und insbesondere bei den sowjetischen Kriegsgefangenen waren die logische Folge. In dieser Lage untersagte die Wehrmachtsführung mehrfach die Abgabe von Truppenverpflegungsmitteln an die Bevölkerung der besetzten Gebiete – offenbar kam es trotz eigener Versorgungsknappheit immer wieder dazu.
Insgesamt überstieg jedoch das bewußt von sowjetischer Seite herbeigeführte Chaos die Möglichkeiten der Besatzungsmacht. In Charkow waren fast alle größeren Betriebe, Transportmittel und Lebensmittellager restlos zerstört worden, die Stadt daher von der Hungerkatastrophe ganz besonders betroffen. Der Intendant des 55. Armeekorps stellte jedoch im November 1941 fest, daß das langsame Verhungern der Stadtbevölkerung zwar der „Handlungsweise unserer Feinde (z. B. Engländer im Falle des Burenkrieges, Russen im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen mit den Bolschewiki)“ entsprochen hätte, keinesfalls jedoch eine Maxime der Wehrmacht sein dürfe. Auch der Oberquartiermeister des auf der Krim eingesetzten AOK 11 formulierte im Jänner 1942 ähnlich: „Die bisher stets entgegenkommende Einstellung der Zivilbevölkerung gegenüber der deutschen Wehrmacht muß unter allen Umständen erhalten werden. Es ist daher verboten, den Bauern die für ihre Lebenserhaltung unbedingt notwendige letzte Kuh aus dem Stall zu holen.“
Natürlich war den Verantwortlichen bewußt, daß die eigene Truppe angesichts der sich ausbreitenden Versorgungsknappheit dazu übergehen würde, sich selbst ungeregelt und spontan aus dem Lande zu versorgen. Mit zahlreichen Befehlen versuchten sie daher zu verhindern, daß den Bauern die sprichwörtliche „letzte Kuh“ aus dem Stall getrieben, das Saatgut für die Verpflegung der Truppe verwendet oder Zuchttiere geschlachtet würden, darüberhinaus hieß es wörtlich: „Alle entnommenen Verpflegungs- und Futtermittel, die nicht zweifelsfreie Beute, das heißt ehemaliges Eigentum der sowjetrussischen Wehrmacht sind, sind ordnungsgemäß zu bezahlen!“
Das wachsende Elend der Russen griff vielen deutschen Soldaten ans Herz. So schrieb der erste Generalstabsoffizier der 4. Armee, Helmut Stieff: „Es ist schon besser, die Bevölkerung verhungert und erfriert, als wir. Man wird entsetzlich roh, denn gut 95 % der Bevölkerung ist anständig und vertrauensselig. Aber es geht hier für uns um die nackte Existenz.“ Dabei verfiel die Wehrmacht auf die Idee einer Evakuierung der Bevölkerung der großen Städte nach Richtung Osten. Der Grundgedanke war einfach: Sollte doch Stalin für seine Leute sorgen, der ihnen durch seine Politik der „verbrannten Erde“ jegliche Existenzgrundlage geraubt hatte. So formulierte der Stadtkommandeur von Charkow in einem Befehl schon im Oktober 1941: „Die deutsche Wehrmacht hat kein Interesse, die Bevölkerung Charkows in der Stadt zu halten, Abwanderungsabsichten sind zu unterstützen und zu fördern, jedoch nur in die ostwärtige Richtung“. Der Bevölkerung wurde erlaubt, persönliche Habe und einen Verpflegungsvorrat für sechs Tage mitzunehmen.
Stalin wollte sich selbst aber nicht mit schwierig zu versorgenden Flüchtlingsmassen belasten und unterband etwa im Falle Stalingrad jede Evakuierung oder eigenständige Flucht der Bevölkerung, nachdem das für ihn wichtige Personal wie Ingenieure und Facharbeiter aus der Stadt geschafft worden waren. Daher flohen 80.000 Einwohner bei den beginnenden Kämpfen in die andere Richtung, nämlich in die Arme der Deutschen – und diese fanden tatsächlich Mittel und Wege, sie zu versorgen und schließlich ihren Abtransport in rückwärtige Gebiete zu organisieren.
In den Regionen um Leningrad hatte die Rote Armee genug Zeit gehabt, alle Vorräte und die gesamte Ernte abzutransportieren. In der Stadt selber wurden keine ausreichenden Depots geschaffen, tausende Tonnen an Vieh und Getreide sogar erst kurz vor der Einschließung an der Stadt vorbei nach Osten abtransportiert. Nur 200.000 von 3 Millionen Einwohnern waren evakuiert worden, die meisten wohl, weil sie kriegswichtigen Berufsgruppen angehörten.
Eine Studie des örtlichen Armeeoberkommandos vom 4. November 1941 machte klar, daß eine vollständige Abschließung der Stadt zum Hungertod der Eingeschlossenen führen mußte und andererseits eine Aufnahme und Versorgung von Millionen Hungerflüchtlingen aus Leningrad für die Wehrmacht nicht wünschenswert und insbesondere kaum möglich gewesen wäre. So wurde eine Flucht der Zivilbevölkerung durch einen Korridor hinter die russische Front ermöglicht, was aber von der Roten Armee anfangs nicht zugelassen wurde. Erst nach mehrmonatiger Belagerung wurden ab Jänner 1942 größere Teile der Bevölkerung über den zugefrorenen Ladogasee evakuiert. Damals waren aber fast schon eine Million Leningrader verhungert. Jörg Ganzmüller bezeichnet dies in der „Zeit“ als „stillen Völkermord“ und unterstellt der Wehrmacht die strategische Absicht, die Bevölkerung einer ganzen Stadt gezielt verhungern zu lassen. Eine solche Strategie hat es allerdings nicht gegeben, selbst die sowjetische Seite legte im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeß ein Dokument vor, wonach die Wehrmacht jede Flüchtlingsbewegung hin zu ihren eigenen Linie unterbunden, dafür aber gezielt Lücken für eine Flucht nach Innerrußland offengelassen hat.
Ein Angriff auf die Millionenstadt wäre nur unter hohen eigenen Verlusten erfolgreich gewesen, und auch das nur vor dem Zufrieren des Ladogasees, über den die russische Seite später nahezu unbeschränkt Menschenmaterial in die Stadt hinein- und aus ihr herausschaffen konnte. Außerdem hatte Stalin nahezu die gesamte Innenstadt zur Sprengung vorbereiten lassen – mit diesen Maßnahmen hatte die Wehrmacht bereits in Kiew, Charkow und Odessa Bekanntschaft gemacht, wo viele Gebäude erst dann gesprengt worden waren, wenn sich in ihnen bereits Wehrmachtseinheiten niedergelassen hatten.
Die russische Seite hat auch zu keinem Zeitpunkt eine Übergabe der Stadt angeboten. Aus diesem Grund war die Belagerung Leningrads kein Kriegsverbrechen, selbst wenn dies heute oft anders dargestellt wird. Zwar ist dabei festzuhalten, daß Hitler Ende September 1941 befohlen hatte, daß eine Kapitulation Leningrads nicht angenommen werde dürfe, doch die Planungen des örtlichen Armee-Oberkommandos befaßten sich dennoch weiter mit dieser Möglichkeit. Somit trifft die Hauptschuld am Hungertod von einer Million Menschen ganz eindeutig die sowjetische Seite, die weder versucht hatte, die Zivilbevölkerung der Stadt ausreichend zu versorgen, noch sie zeitgerecht zu evakuieren, und die auch zu keinem Zeitpunkt eine Kapitulation auch nur ernsthaft erwogen hat.
Es ist eine leider unbestreitbare Tatsache, daß die russischen Kriegsgefangenen von deutscher Seite schlecht behandelt wurden, viele von ihnen verhungerten. Christian Streit hat in seinem als Standardwerk geltenden Buch „Keine Kameraden“ dargestellt, daß 3,3 Mio von den insgesamt 7 Mio sowjetischen Kriegsgefangenen, also ganze 58 % in deutscher Gefangenschaft umgekommen sind. Dem gegenüber habe die Todesrate deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion nur zwischen 35,2 % und 37,4 % betragen. Doch es gibt auch andere Schätzungen ernstzunehmender Historiker, die diesbezüglich zu höheren Werten kommen, wie es ebenso Berechnungen gibt, die eine deutlich niedrigere Todesrate bei den russischen Kriegsgefangenen ausweisen. Der Wiener Militärhistoriker Horst Magenheimer hat etwa anhand von Zahlen, die aus den Archiven des sowjetischen Generalstabs stammen, errechnet, daß nur etwa ein Drittel der russischen Gefangenen in deutschem Gewahrsam verstarben.
Besonders hoch waren die Sterberaten im ersten Kriegswinter. Unerwartet viele Rotarmisten waren in deutsche Gefangenschaft geraten. Ihre Zahl war gleich hoch wie die an der ganzen Ostfront eingesetzten deutschen Soldaten! Die Politik der verbrannten Erde hatte zudem in den frisch besetzten Gebieten nahezu keine Nahrungsmittelvorräte hinterlassen, und die primitiven Verhältnisse in den ersten, notdürftig aufgebauten Lagern hatten unvermeidlich zum Ausbruch von Seuchen geführt.
Von den Entwicklungen der ersten Kriegsmonate war die Wehrmacht überfordert. Bis zum Dezember 1941 marschierten Kolonnen von 2.000 und mehr Kriegsgefangenen in die rückwärtigen Lager und wurden bei diesem Marsch von nicht mehr als sechs(!) deutschen Soldaten bewacht. Viele Rotarmisten waren bereits in einem geschwächten Gesundheitszustand in Gefangenschaft geraten und nicht mehr in der Lage, weite Verlegungsmärsche mit mangelnder Nahrungsversorgung durchzustehen. Wer zusammenbrach, wurde in der Regel erschossen, was sich aus dem Mangel an Bewachungspersonal erklären, aber sicher nicht rechtfertigen läßt. Der Eindruck auf die russische Zivilbevölkerung war verheerend.
Zu den genannten Gründen kam noch eine weitere Ursache für die hohen Todeszahlen dazu, nämlich die rassenideologischen Vernichtungsabsichten der politischen Führung. Kommissare und jüdische Gefangene wurden oftmals ausgesondert und erschossen, auch ein Massensterben unter den russischen Gefangenen mußte den grundsätzlichen Plänen Hitlers in bezug auf Russland entgegenkommen. Dennoch läßt sich letztlich nicht nachweisen, was Christian Streit zu suggerieren versucht, nämlich, daß diese ideologischen Motive der Hauptgrund für das Massensterben russischer Kriegsgefangener gewesen wären.
Selbst die US-Army war bei Kriegsende angesichts der großen Zahl deutscher Kriegsgefangener auf den Rheinwiesen-Lagern offenbar nicht in der Lage, diese ordnungsgemäß unterzubringen und zu verpflegen. Auch bei den 1941/42 in russische Gefangenschaft geratenen Wehrmachtssoldaten war die Todesrate extrem hoch und lag bei 90 %–95 %. 1943 lag sie immer noch bei 60 %–70 %, um dann 1944 auf 30 %–40 % und schließlich 1945 auf 20 %–25 % zurückzugehen. Im Vergleich dazu ergibt sich, selbst wenn man von der relativ hohen Schätzung Christian Streits bezüglich der Todesrate russischer Gefangener ausgeht, ein interessantes Bild: Demnach sind von den 1941 in Gefangenschaft geratenen Rotarmisten in den ersten Monaten 60 % umgekommen, während ab 1942 die durchschnittliche jährliche Todesrate nur mehr bei etwa 14 % lag. So ergibt sich bei aller Furchtbarkeit des Gesamtgeschehens ein anderes Bild, das sich noch mehr verschiebt, wenn man nicht von Streits Zahlen ausgeht, sondern von denen Magenheimers oder von jenen Alfred Streims, dessen Berechnung eine Mittelposition einnimmt.
Die Verbesserung der Lage der russischen Kriegsgefangenen war mehreren Faktoren zu verdanken. Bei vielen unmittelbar verantwortlichen Offizieren spielten, wie sich nicht nur aus Tagebüchern, sondern auch aus amtlichen Dokumenten ergibt, humanitäre Motive eine große Rolle. Daneben waren es natürlich auch rein pragmatische Gesichtspunkte, so, weil man die Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte benutzen wollte.
Das Schicksal dieser Rotarmisten erfuhr aber auch nach ihrer Befreiung aus der deutschen Gefangenschaft keine grundsätzliche Wende zum Besseren. Für Stalin waren sie Verräter, schon im finnischen Winterkrieg sind die nach dem Krieg aus der Gefangenschaft repatriierten Sowjetsoldaten in weiten Teilen erschossen worden. Dies konnte auch den aus deutscher Gefangenschaft zurückkehrenden Soldaten drohen, zumindest wurden sie als Verräter an der kommunistischen Sache stigmatisiert und aus der Gesellschaft ausgestoßen, sie verloren jeden Anspruch auf Versorgungsbezüge und landeten oft im Gulag. Noch Schlimmeres widerfuhr gefangengenommenen Offizieren, deren Familien in Sippenhaft genommen, deportiert und oft ermordet wurden.
Dirk W. Oetting
VERBRANNTE ERDE
Kein Krieg wie im Westen: Wehrmacht und Sowjetarmee im Russlandkrieg 1941–1945.
Mit einem Anhang von Heinz Magenheimer über den militärischen Verlauf des Krieges
384 Seiten, 15 x 23 cm, Hardcover