Der vorliegende Beitrag möchte einige antikatholische Auffassungen und Vorurteile unter die Lupe nehmen, die von evangelikalen und fundamentalistischen Protestanten, „Bibelchristen“ unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung, zu denen der Verfasser vor seiner Konversion zur Kirche selbst zählte, im Gespräch mit Katholiken und in Publikationen mit bedauernswert großem Erfolg vorgetragen werden. Nach einer knappen Begriffsbestimmung geben wir hierbei jeweils zunächst die antikatholische Position wieder, um sie anschließend kritisch zu beleuchten. Dieser Artikel ist nur als erste Hinführung und als Denkanstoß gedacht, denn aus Platzgründen kann er nur vier Themen, und auch diese wiederum nicht erschöpfend, behandeln. Dafür sei der Leser auf weiterführende, umfassende kontroverstheologische Abhandlungen in der Auswahlbibliographie verwiesen.
Unter Evangelikalen verstehen wir hier konservative Protestanten, die besonderen Wert auf ein persönliches Bekehrungserlebnis, christozentrische Frömmigkeit und missionarische Aktivität legen. Die Bibel als Wort Gottes ist für sie die Grundlage des Glaubens, eventuell ergänzt durch die Bekenntnisschriften der jeweiligen Denomination, die jedoch nur zum richtigen Verständnis der Schrift dienen sollen und ihr untergeordnet sind. Fundamentalisten mit ihrem wörtlichen Schriftverständnis betonen Evangelisation und Mission, wenden sich aber kämpferisch gegen Bibelkritik und kulturellen Modernismus, die darwinistische Evolutionstheorie und den Ökumenismus; da eine gemeinsame Lehrautorität fehlt, neigen sie zur separatistischen Bildung neuer freikirchlicher Gemeinschaften. Zwar können Evangelikalismus und Fundamentalismus nicht gleichgesetzt werden, und so gibt es gerade im deutschsprachigen Raum auch sehr viele moderate Evangelikale, die der katholischen Kirche wohlwollend gegenüberstehen und eine Zusammenarbeit mit ihr nicht ablehnen. Allerdings bestehen zwischen beiden Strömungen zahlreiche Überschneidungen, die eine Unterscheidung im Einzelfall erschweren, und grundsätzlich wird antikatholisches Gedankengut von beiden vertreten.
Die protestantischen Reformatoren behaupteten, daß die Bibel die alleinige, autoritative und unfehlbare Quelle der christlichen Wahrheit sei, deren richtiges Verständnis vom einzelnen Gläubigen aus den Worten ihres Textes selbst gewonnen werden müsse. Die reformatorische Lehre des „sola scriptura“ – „allein die Schrift“, stellt in der Dogmengeschichte eine absolute Neuerung dar; zuvor hatte die gesamte Christenheit daran festgehalten, daß die Offenbarung Gottes auch durch die mündliche apostolische Überlieferung und die Lehrautorität der Kirche übermittelt worden sei. Jene von praktisch allen protestantischen Denominationen vertretene Idee hingegen geht davon aus, daß jede christliche Glaubenslehre, die nicht ausdrücklich in der Schrift zu finden sei, „unbiblisch“ sei. Allerdings sagt die Bibel selbst an keiner Stelle, welche Bücher in sie aufgenommen werden sollen oder von Gott inspiriert sind. Abgesehen vom Apostel Johannes in der Apokalypse, behauptet kein Autor der neutestamentlichen Bücher, daß er unter göttlicher Inspiration geschrieben habe. Diese Tatsache zwingt uns dazu, außerhalb der Bibel nach einem Beurteilungsmaßstab für ihren Kanon zu suchen. Dies steht in eklatantem Widerspruch zur Sola-scriptura-Theorie: Der Kanon der biblischen Bücher wurde von der katholischen Kirche auf Regionalkonzilien in Rom (382 n. Chr.), Hippo (393) und Karthago (397) festgelegt. Vor diesen Definitionen gab es keinen von allen Christengemeinden anerkannten Kanon. Alle Christen, die den biblischen Kanon akzeptieren, stützen sich also auf eine unfehlbare Entscheidung der katholischen Kirche!
Zudem ist der Grundsatz „allein die Schrift“ selbst völlig unbiblisch! Die ersten Christen verharrten in der „Lehre der Apostel“ (Apg 2,42; vgl. 2. Tim 1,14) lange vor der Niederschrift des Neuen Testaments und Jahrhunderte vor der Festlegung des neutestamentlichen Kanons. In Joh 21,25 steht, daß nicht alles, was Christus tat, in den Evangelien aufgezeichnet wurde. Die Bibel betont, daß die christliche Botschaft „verkündet“ werden soll (1. Petr 1,25), daß die Nachfolger der Apostel lehren sollen, was sie „gehört“ haben (2. Tim 2,2) und daß die christliche Überlieferung „mündlich oder brieflich“ weiterzugeben ist (2. Thess 2,15; vgl. 1. Kor 11,2). Die Schreiber des Neuen Testaments bedienten sich der heiligen Tradition. So wird z. B. in Apg 20,35 ein nicht in den Evangelien enthaltener Ausspruch Jesu zitiert. Zudem bedarf die Bibel einer autoritativen Auslegungsinstanz, die ihr richtiges Verständnis gewährleistet und eine willkürlich-eigenmächtige Auslegung schwer zu verstehender Passagen zum Verderben der Ungebildeten und Ungefestigten verhindert (Apg 8,30–31; 2.
Petr 1,20–21; 3,15–16). Christus stiftete eine Kirche, die mit göttlicher Autorität in seinem Namen lehren sollte (Mt 16,13–20; 18,18; Lk 10,16). Sie wird bis ans Ende der Tage bestehen bleiben, und der Heilige Geist schützt sie in ihrer Lehre vor Irrtum und Verderbnis (Mt 16,18; 28,19–20; Joh 14,16). Diese „Kirche des lebendigen Gottes“ – und nicht etwa die Bibel! – ist die „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3,15). Die Heilige Schrift bezeichnet sich nicht als ausschließliche Quelle des Wortes Gottes. Jesus Christus selbst ist das Wort, das Fleisch wurde und unter uns gewohnt hat (Joh 1,1.14), und Paulus geht in seinem ersten Brief auf „das von uns gehörte Wort Gottes“ ein, welches die Gläubigen „nicht als Menschenwort aufgenommen“ haben, sondern „als Gotteswort“ (1. Thess 2,13). Dort greift er eindeutig auf die mündliche apostolische Überlieferung, die Tradition, zurück.
Wer die Schrift für seine alleinige Lehrinstanz hält, indem er an seine eigenen, irrigen Auslegungen der Bibel und damit letztlich an die Unfehlbarkeit seines Privaturteils glaubt, unterstellt sich nicht der Autorität Christi. Die protestantische Glaubensregel ist unzulänglich, sehr unsicher und hat zur Entstehung von weltweit über 30.000 unterschiedlichen Denominationen geführt. Diese enorme Zersplitterung der Christenheit entspricht nicht dem Willen des gottmenschlichen Stifters der Kirche (Joh 17,21) und stellt ein großes Ärgernis vor der Welt dar. Die katholische Glaubensregel (Schrift, Tradition und Magisterium als Glaubensquellen) hingegen hat die Einheit bewahrt.
Die zwar heute seltener vorgebrachte, aber in der Literatur immer noch anzutreffende These, daß der Papst bzw. das Papsttum der Antichrist sei, ist seit der Reformationszeit Bestandteil der antikatholischen Polemik. Damals rechtfertigten die protestantischen Neuerer ihr Verlassen der katholischen Kirche damit. In den im Konkordienbuch, der vollständigen Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften, enthaltenen Schmalkaldischen Artikeln von 1537 schreibt Luther selbst, daß der Papst „der rechte Endchrist oder Widerchrist sei, der sich über und gegen Christus gesetzt und erhöht hat, weil er die Christen nicht selig sein lassen will ohne seine Gewalt, welche doch nichts ist, von Gott nicht geordnet noch geboten. Das heißt eigentlich, »über Gott und gegen Gott sich setzen«, wie S. Paulus sagt (2. Thess 2,4). … Darum, so wenig wir den Teufel selbst als einen Herrn oder Gott anbeten können, so wenig können wir auch seinen Apostel, den Papst oder Endchrist, in seinem Regiment als Haupt oder Herrn leiden“ (II, 4). Eine der letzten Schmähschriften des Wittenberger Theologieprofessors trug den Titel „Wider das Bapstum zu Rom, vom Teuffel gestiftet“ (1545). Im presbyterianisch-reformierten Westminster-Glaubensbekenntnis von 1647 heißt es ähnlich: „Es gibt kein anderes Haupt der Kirche außer dem Herrn Jesus Christus. Auch der Papst von Rom kann nicht in irgendeinem Sinne ihr Haupt sein, sondern er ist der Antichrist, der Mensch der Sünde und Sohn des Verderbens, der sich selbst in der Kirche gegen Christus und alles, was Gott genannt wird, erhebt“ (25,6). Damit sie die biblischen Prophezeiungen über den Antichrist auf das Papsttum anwenden konnten, behaupteten manche sogar, daß der „Tempel Gottes“, in welchem der Antichrist sich als Gott verehren lasse (2. Thess 2,4), der Vatikan sei.
Obgleich die Kirchenväter unterschiedliche Spekulationen über den Antichrist anstellten, hätten sie diesem Argument nie zugestimmt. Vielmehr gingen sie davon aus, daß dieser Tempel der vom Antichrist in Jerusalem wiedererbaute, jüdische Tempel sein würde. Die frühen Väter erwarteten als Antichrist nicht etwa den Bischof von Rom, sondern einen Herrscher, einen König, der nach dem Fall des Römischen Reiches an die Macht kommen würde, vermutlich einen Juden aus dem Stamm Dan, der mit der Verwirklichung der politischen Erwartungshaltungen der Juden für den Messias den Großteil des jüdischen Volkes verführen würde. Der Papst erhebt tatsächlich den Anspruch, der Stellvertreter oder Statthalter Christi zu sein; der Antichrist hingegen würde behaupten, daß Jesus nicht der Christus, der Messias, sein würde, sondern daß er selbst dies sei. Das hat noch nie ein Papst für sich in Anspruch genommen, und es wird auch nie geschehen, weil er dadurch sein eigenes Petrusamt, das ja auf der Einsetzung durch Jesus Christus, den Sohn Gottes, beruht, ad absurdum führen würde. Zudem wird der antichristliche Geist in der Bibel wie folgt definiert: „Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus als den im Fleische gekommenen Christus bekennt, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Und das ist der Geist des Antichrist“ (1. Joh 4,2–3). In der gesamten Geschichte des Papsttums und der römisch-katholischen Kirche ist es erwiesenermaßen noch nie vorgekommen, daß ein Papst die Wahrheit der Menschwerdung Christi geleugnet hätte.
Weiterhin wird, insbesondere in adventistischen Veröffentlichungen, geltend gemacht, daß das Papsttum das Tier aus Offb 13 sei. Als „Beweis“ führt man an, daß der Zahlenwert des auf der Tiara in Diamanten auf Latein eingravierten Titels des Papstes, Vicarius Filii Dei (Stellvertreter des Sohnes Gottes), die Zahl 666 ergebe – die in Offb 13,18 genannte „Zahl des Tieres“. Das Problem an diesem rechnerisch richtigen Argument ist nur, daß kein Papst je den offiziellen Titel Vicarius Filii Dei getragen hat. Der Haupttitel des Papstes ist Vicarius Christi (Stellvertreter Christi), doch zum Leidwesen von Siebenten-Tags-Adventisten und anderen Antikatholiken, die diesen Trick einsetzen, ergibt diese Amtsbezeichnung Vicarius Christi nur den mickrigen Zahlenwert 214, nicht den teuflischen 666. Zudem handelt es sich bei der als Beleg abgebildeten Tiara um eine Zeichnung, nicht um eine Fotografie eines Museumsstücks oder um ein Foto eines Gemäldes mit der Tiara. Natürlich mußte sie erstellt werden, weil die Papstkrone mit der „Zahl des Tieres“ nur in den Köpfen der Erfinder dieses Mythos existiert.
Im Zusammenhang damit findet sich in der protestantischen Polemik häufig die Behauptung, die katholische Kirche sei die in Offb 17 und 18 beschriebene Hure Babylon. Die von dem amerikanischen Antikatholiken und christlichen Zionisten Dave Hunt beispielhaft in seinem inzwischen in der dritten deutsche Auflage vorliegenden Buch Die Frau und das Tier als Belege für diese These vorgebrachten Argumente werden auch von anderen Fundamentalisten angeführt, lassen sich aber anhand des Bibeltextes leicht entkräften.
Zunächst stellt der Apostel Johannes die Hure vor: „Und einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen hatten, kam und redete mit mir also: «Komm, ich will dir das Gericht über die große Hure zeigen, die an vielen Wassern sitzt. Die Könige der Erde haben mit ihr Hurerei getrieben, und die Bewohner der Erde sind trunken geworden vom Wein ihrer Hurerei.» Und er entrückte mich im Geiste in eine Wüste. Und ich sah ein Weib auf einem scharlachroten Tiere sitzen; das Tier war ganz voll von lästerlichen Namen und hatte sieben Köpfe und zehn Hörner. Und das Weib war in Purpur und Scharlach gehüllt und überladen mit Schmuck aus Gold und Edelgestein und Perlen; es hielt einen goldenen Becher in seiner Hand, ganz voll von Abscheulichkeiten und von dem Unrat seiner Hurerei. Und auf seiner Stirne stand ein Name geschrieben, ein Geheimnis: «Babylon, die Große, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde.» Und ich sah das Weib trunken vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu. Und mein Staunen bei seinem Anblick war gar groß“ (Offb 17,1–6).
Dieser Abschnitt enthält mehrere Informationen über die Hure: a) Sie ist eine internationale Macht, da sie „an vielen Wassern sitzt“, die „Völker und Horden und Nationen und Sprachen“ (17,15) sind, und sie hat Hurerei mit den „Königen der Erde“ getrieben und „die Bewohner der Erde“ „trunken“ gemacht mit „dem Wein ihrer Hurerei“. b) Sie ist mit dem siebenköpfigen Tier aus Offb 13,1–10 verbündet. Dieses Tier war ein großes heidnisches Reich, da seine Symbolik Tierelemente aus vier anderen heidnischen Großreichen miteinander vereinte (vgl. Offb 13,1–2 mit Dan 7,1–8). c) Das Weib ist mit dem Königtum verbunden, da es mit der königlichen Farbe Purpur bekleidet ist. d) Das Weib ist reich, denn es ist „überladen mit Schmuck aus Gold und Edelgestein und Perlen“ und „hielt einen goldenen Becher in seiner Hand“. e) Es hat eine Form von Hurerei begangen, die in der Schrift häufig ein Symbol für falsche Religion ist, eine mangelnde Treue dem Gott gegenüber, der Himmel und Erde erschaffen hat. f) Symbolisch ist die Hure als Babylon bekannt. f) Sie ist eine Hauptursache der „Greuel“ auf Erden, die sich insbesondere auf Gott beleidigende religiöse Praktiken beziehen. Und schließlich verfolgt das Weib Christen, es ist „trunken vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu“.
Die symbolische Bezeichnung „Babylon“ läßt zwei Deutungsmöglichkeiten zu: das heidnische Rom und das abtrünnige Jerusalem. Es ist bekannt, daß die Kirchenväter das heidnische Rom als „Babylon“ bezeichneten (vgl. auch 1. Petr 5,13); allerdings deutet in der Offenbarung auch einiges darauf hin, daß die Hure das abtrünnige Jerusalem sein könnte.
Weiter im Text erläutert der Engel dem Apostel Johannes die Symbolik des Weibes: „Hier heißt es den Verstand gebrauchen, der Weisheit besitzt! Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen das Weib sitzt. Und es sind sieben Könige; die fünf sind gefallen, der eine ist da, der andere ist noch nicht gekommen, und wenn er kommt, muß er kurze Zeit bleiben“ (Offb 17,9–10).
Fundamentalisten behaupten, daß diese sieben Berge die sieben Hügel des alten Rom sein müßten. Allerdings wird das hier verwendete griechische Wort, horos, in der Bibel fast immer mit „Berg“ übersetzt. Berge sind in der Schrift oft Symbole für Königreiche (vgl. Ps 68,15; Dan 2,35; Am 4,1; 6,1), weshalb die sieben Köpfe auch sieben Könige symbolisieren können. Die Berge stehen für eine Reihe von sieben Königen, von denen fünf bereits gefallen sind. Das Symbol findet mehrfache Erfüllung. Auch die Berge könnten sich auf das heidnische Rom beziehen, die Hure hingegen könnte für das abtrünnige Jerusalem stehen. In diesem Falle wäre ihr „Sitzen“ auf dem Tier nicht als geographische Ortsangabe, sondern als Bündnis zwischen den beiden Mächten zu verstehen. Die Hure (Jerusalem) hätte sich mit dem Tier (Rom) zum Verfolgen „der Heiligen“ und „der Zeugen Jesu“ zusammengetan. Überdies sitzt die Hure auch auf vielen Wassern, was „Völker und Horden und Nationen und Sprachen“ (17,15) sind. Der Zusammenhang macht also deutlich, daß ihr „Sitzen“ auf etwas keine Ortsangabe ist. Zudem darf man nicht vergessen, daß die Vatikanstadt auf einem Hügel, dem Vatikan, liegt, nicht auf sieben Hügeln, und keineswegs mit der Stadt Rom als ganzer identisch ist.
In diesem Abschnitt finden wir einen der Gründe, weshalb die katholische Kirche nicht die Hure sein kann. Wie wir sahen, sind die Köpfe „sieben Könige; die fünf sind gefallen, der eine ist da, der andere ist noch nicht gekommen“ (17,10). Wenn fünf dieser Könige in der Zeit des Johannes gefallen waren und einer noch da war, dann muß die Hure bereits zu Lebzeiten des Apostels existiert haben. Das christliche Rom und die Vatikanstadt bestanden noch nicht. Allerdings gab es im heidnischen Rom eine Reihe von Kaisern, und die Mehrheit der Ausleger sieht diese als die Sukzession der Könige an, auf die sich 17,10 bezieht. Fünf dieser Kaiser sind bereits gefallen, einer herrscht in der Zeit des Johannes noch, und ein anderer wird erst noch kommen. Da Jerusalem im ersten Jahrhundert keine solche Herrscherlinie aufweisen konnte, liegt es nahe, daß das Tier (allerdings nicht die Hure) Rom ist.
Weiter heißt es: „Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige, die noch nicht die Herrschaft empfangen haben; vielmehr empfangen sie Macht wie Könige, eine Stunde lang zusammen mit dem Tier. Diese sind eines Sinnes und geben ihre Kraft und Macht dem Tier. Diese werden mit dem Lamm Krieg führen, aber das Lamm wird sie besiegen, denn es ist der Herr der Herren und der König der Könige, und sein Gefolge sind Berufene, Auserwählte und Getreue“ (17,12–14).
Hieraus wird ersichtlich, daß das Tier mit zehn geringeren Königen und mit ihren Territorien verbündet ist. Manche Fundamentalisten, die diesen Schriftabschnitt auf die moderne Zeit und die katholische Kirche anwenden wollen, haben behauptet, daß die Hörner sich auf die Europäische Union (EU) und ein wiederhergestelltes Römisches Reich mit der katholischen Kirche an der Spitze beziehe. Hier ist jedoch von zehn Königen die Rede; zur EU gehören deutlich mehr als zehn Nationen.
Das, was wir über die Hörner lesen, paßt aber zu einer der anderen Kandidatinnen für die Hure, nämlich das abtrünnige Jerusalem: „Und die zehn Hörner, die du sahst, und das Tier, sie werden die Hure hassen und werden sie bis zur Nacktheit ausplündern und ihr Fleisch verzehren und sie im Feuer verbrennen. Denn Gott hat ihnen ins Herz gegeben, seinen Plan zu vollziehen und nach einheitlichem Plan zu handeln und ihre Herrschaft dem Tier zu geben, bis die Worte Gottes erfüllt werden“ (17, 16–17).
Wenn die Hure Jerusalem und das Tier das Römische Reich (mit den zehn Hörnern als Vasallenstaaten) ist, dann ergibt die Prophetie durchaus Sinn. Das Bündnis zwischen den beiden, die gemeinsam die Christen verfolgten, zerbrach in den Jahren 66 bis 70 n. Chr., als Rom und seine verbündeten Streitkräfte Israel eroberten und dann Jerusalem mit dem Tempel zerstörten, plünderten und verbrannten, so wie Jesus es vorausgesagt hatte (Lk 21,5–24).
Schließlich sprach der Engel zu Johannes: „Und das Weib, das du sahst, ist die große Stadt, die über die Könige der Erde die Herrschaft hat“ (17,18). Dies deutet wiederum auf das heidnische Rom oder auf das abtrünnige Jerusalem hin. Im ersteren Falle hätte die Herrschaft politischen Charakter; im letzteren könnte sie vielerlei Gestalt angenommen haben. Es könnte insofern eine geistliche Herrschaft gewesen sein, als Jerusalem die Religion des wahren Gottes besaß. Es könnte sich auch darauf beziehen, daß gewisse Juden und jüdische Führer die Heiden zur Christenverfolgung animierten.
In Kapitel 18 sieht Johannes das Gericht über die Hure, und dort treten einige Fakten zutage, die deutlich machen, daß sie nicht die katholische Kirche sein kann. Zum einen wird sie als ein wichtiges Zentrum des internationalen Handels beschrieben. Anläßlich ihrer Zerstörung lesen wir: „Und die Kaufleute der Erde weinen und klagen über sie; denn niemand kauft mehr ihre Ware“ (18,11), „und jeder Kapitän und die ganze Menge derer, die auf den Schiffen sind, und die Matrosen, und alle, die auf dem Meer arbeiten … schrien unter Weinen und Jammern und sprachen: Wehe, wehe, du große Stadt, an deren Wohlstand alle sich bereicherten, die Schiffe auf dem Meere haben“ (18,17–19).
Das heidnische Rom war in seiner Zeit tatsächlich ein Welthandelszentrum, unterstützt durch seine Handelsflotte im Mittelmeer; das christliche Rom hingegen ist keine Drehscheibe des Welthandels. Nach der Reformation waren Deutschland, die Niederlande und England die größten Wirtschaftsmächte, und in jüngster Zeit waren dies die Vereinigten Staaten und Japan.
Zum Fall der Hure heißt es: „Freue dich über sie, du Himmel, und ihr Heiligen, ihr Apostel und Propheten. Denn Gott hat für euch das Gericht an ihr vollstreckt. … Und in ihr fand sich das Blut von Propheten und Heiligen und von allen, die auf Erden hingeschlachtet wurden“ (18,20–24). Dies zeigt, daß die Hure nicht nur Christen, sondern Apostel und Propheten verfolgte. Apostel gab es nur im ersten Jahrhundert, da ein Apostel unbedingt den auferstandenen Christus persönlich gesehen haben mußte (1. Kor 9,1). Propheten gab es als Gruppe nur im Alten Testament und im ersten nachchristlichen Jahrhundert (Apg 11,27–28; 13,1; 15,32; 21,10).
Da die Hure Apostel und Propheten verfolgte, muß sie im ersten Jahrhundert existiert haben. Diese Tatsache widerlegt endgültig die Behauptung, daß das christliche Rom oder die Vatikanstadt die Hure sei. Rom war in jener Zeit keine christliche Stadt, und die Vatikanstadt existierte nicht einmal, so daß keine von beiden die Hure sein kann. Außerdem behaupten Fundamentalisten dezidiert (wenn auch zu Unrecht), daß der Katholizismus im ersten Jahrhundert noch nicht existiert habe, womit sie aufgrund ihres eigenen Arguments zugeben, daß der Katholizismus nicht die Hure sein kann!
Fundamentalisten mutmaßen gern, daß es in den letzten Tagen ein „wiederhergestelltes Römisches Reich“ geben werde, ähnlich jenem, das im ersten Jahrhundert Christen verfolgte. Allerdings ziehen sie nie die Schlußfolgerung, daß dieses Reich von einem wiederbelebten heidnischen Rom, in dem der Bischof von Rom die Untergrundkirche anführt, bestimmt würde, so wie es im ersten Jahrhundert der Fall war.
Dennoch beweist Offb 18,20.24, daß die Hure bereits im ersten Jahrhundert vorhanden gewesen sein muß, was die katholische Kirche, nach fundamentalistischer Sichtweise, nicht war, da der Frühkatholizismus sich erst wesentlich später entwickelt habe. Nach ihrem eigenen Verständnis ist ihre Gleichsetzung der katholischen Kirche mit der Hure also völlig unmöglich! Nur das antike, heidnische Rom oder das abtrünnige Jerusalem können die Hure Babylon gewesen sein.
Kein Evangelikaler oder Fundamentalist bestreitet, daß Maria den Herrn Jesus Christus als Jungfrau empfangen und geboren hat. Sobald man ihnen gegenüber aber die logische Konsequenz aus diesem wahrhaft fundamentalen Glaubenssatz zieht und sie, im Sinne der Kirche, als Mutter Gottes bezeichnet, regt sich bei ihnen Widerspruch, der sich etwa so äußert: „Maria ist nicht die Mutter Gottes. Wie kann Gott denn eine Mutter haben? Ist sie etwa älter als Gott? Sie ist nur die Mutter Christi, des Menschen Jesus, und zweifellos eine fromme und vorbildliche Frau, aber ansonsten ein normaler Mensch. Nicht Gott wurde in Bethlehem geboren, sondern «der Mensch Christus Jesus» (1. Tim 2,5)“. Sie bekennen zwar, daß Jesus Gott ist, schrecken aber vor jenem schönen Titel, den die Ostkirchen Maria gaben, Theotokos (Gottesgebärerin), zurück. Sie hätten ein Problem mit der Aussage, daß Gott von der Jungfrau Maria geboren wurde, daß Gott auf Golgotha sein Blut für uns vergoß und daß Gott dort starb. Fundamentalisten sind jedoch nicht die Erfinder dieser Häresie des Nestorianismus, die als eine der ersten von der Kirche zurückgewiesen wurde. Der Patriarch von Konstantinopel, Nestorius (* nach 381; † um 451), wurde vom Konzil von Ephesus (431) verurteilt und abgesetzt. Dieses erklärte:
„1. Wer nicht bekennt, daß der Emmanuel wahrhaftig Gott und deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist (denn sie hat das Wort, das aus Gott ist und Fleisch wurde, dem Fleisch nach geboren), der sei mit dem Anathema belegt. 2. Wer nicht bekennt, daß das Wort, das aus Gott, dem Vater, ist, mit dem Fleisch der Hypostase nach geeint ist und daß Christus mit seinem eigenen Fleisch einer ist, nämlich als derselbe zugleich Gott und Mensch, der sei mit dem Anathema belegt“ (DH 252–253). Die nestorianische Irrlehre kam immer wieder auf und wurde in unserer Zeit wiederbelebt.
Die Kirche sagt nicht, daß Maria die Mutter des Vaters oder des Heiligen Geistes sei, sondern nur, daß sie die Mutter der zweiten Person der Dreieinigkeit, des Sohnes Gottes, des Herrn Jesu Christi, ist. Vor seiner Menschwerdung war der ewige Sohn reiner Geist, wie der Vater und der Heilige Geist. In einem Akt der Selbstentäußerung, den kein menschlicher Geist zu ermessen vermag, wurde die zweite Person der Dreifaltigkeit mit einem menschlichen Leib vereinigt, der allen Naturgesetzen unterworfen war, und wurde zum Gottmensch. Als Gottmensch erstand Jesus drei Tage nach seiner Kreuzigung von den Toten auf, und als Gottmensch regiert er heute im Himmel und wird, gemäß seiner Verheißung, am Ende der Tage auf die Erde wiederkommen.
Wenn Jesus Christus Gott ist und Maria nicht die Mutter Gottes ist, dann muß Jesus aus zwei verschiedenen Personen bestehen – einer menschlichen Person und einer göttlichen Person. Kein Fundamentalist hält aber zwei Personen in Jesus für möglich.
Die von Theologen getroffene Unterscheidung besagt, daß Jesus eine Person mit zwei Naturen ist – einer menschlichen Natur und einer göttlichen Natur, die in der hypostatischen Union miteinander vereinigt sind. Maria ist die Mutter der menschlichen Natur Christi, doch weil Jesus eine einzige Person, der Gottmensch, ist und Maria die Mutter dieser Person ist, ist Maria zugleich die Mutter Gottes. Damit, daß die Kirche sie als Gottesgebärerin anerkennt, glaubt und bezeugt sie zugleich, daß Gott der Sohn Mensch wurde. Zudem gebären Frauen nicht eine „menschliche Natur“, sondern menschliche Personen, die eine menschliche Natur haben.
Niemals gab es einen bloßen Menschen Jesus vor der Vereinigung und Verbindung Gottes mit ihm.
Weil die Inkarnation und die hypostatische Union ein Mysterium ist, das der menschliche Geist nicht vollkommen zu ergründen vermag, wissen wir nicht, was genau in der Menschwerdung vor sich ging; wir kennen aber das Ergebnis, daß die menschliche Natur Christi wesenhaft mit seiner göttlichen vereinigt war. Der fundamentalistische Irrtum rührt daher, daß man geneigt ist, das nicht Verständliche abzulehnen; wollte man diese Linie aber in letzter Konsequenz durchziehen, so müßte man Gott selbst leugnen.
Die Heilige Schrift lehrt an mehreren Stellen die Gottesmutterschaft Mariens der Sache nach, indem sie einerseits die wahre Gottheit Christi und andererseits die wahre Mutterschaft Mariens bezeugt (vgl. Jes 7,14; Joh 2,1; Mt 1,18–25; Mt 2,1–10; Lk 1,31). Am eindeutigsten sind Lk 1,43: „Woher kommt mir dies, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (der HERR, der Jahweh des Alten Bundes, ist Jesus Christus seiner göttlichen Natur nach), und Gal 4,4: „Als aber die Fülle der Zeit kam, entsandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau.“ Die Frau, die den Sohn Gottes, den Herrn, geboren hat, ist Gottesgebärerin oder Gottesmutter. Dieser Titel schließt das Bekenntnis der Gottheit Christi in sich.
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