Hexerei ist ein aktuelles Thema. Erst vor wenigen Jahren ist in London die Leiche eines afrikanischen Knaben entdeckt worden, der offenbar nur zu dem Zweck nach Großbritannien gebracht worden war, um dort in einem Ritual geopfert zu werden. In Afrika wird Jahr für Jahr nicht nur eine unbestimmte Zahl von Menschen durch Hexer geopfert, sondern auch Tausende von Frauen zu Unrecht wegen Hexerei getötet – allein für den Nordwesten Tansanias sind für die Jahre 1997-99 ganze 185 Fälle belegt. Auch in anderen Weltregionen sind solche Vorstellungen noch weit verbreitet. In Europa haben sie zu einer Verfolgungswelle geführt, die heute als eines der größten Schandmale der Kirche gilt. Doch die meisten diesbezüglich verbreiteten Klischees halten einer historischen Überprüfung nicht statt.
Die größten Irrtümer im Überblick:
Die Hexenverfolgung war kein Phänomen des Mittelalters, sondern der Neuzeit, sie beginnt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und erreicht zwischen 1580 und 1670 ihren Höhepunkt.
Es sind ihr nicht 9 Millionen Frauen zum Opfer gefallen, wie von Heinrich Himmler bis zu modernen Feministinnen immer wieder behauptet wurde; die Gesamtopferzahl betrug 50–60.000 in ganz Europa.
Die These von der „Vernichtung der weisen Frauen“ ist gänzlich unhaltbar, sieht man sich die Akten der Verfahren genauer an, außerdem waren 25–30% der Verbrannten Männer. Diese These geht davon aus, daß Staat und Kirche im 16. Jahrhundert gezielt Frauen verfolgten, die Abtreibungen durchführen konnten, um die Geburtenrate zu steigern. Doch eine pharmaziehistorische Studie (bei Angenendt zitiert) hat eindeutig nachgewiesen, daß im Verlaufe des 16. und 17. Jhdts. weder das Wissen um Abtreibungsmittel, noch um Geburtenkontrolle zurückgegangen ist.
Es war nicht die Kirche oder die Inquisition, die diese Verfolgung anheizte – im Gegenteil, wie weiter unten ausführlich dargestellt wird.
Es handelte sich zwar um eine Art Massenpsychose (die allerdings immer eine große Zahl von Kritikern hatte), der viele Unschuldige zum Opfer fielen, dennoch hatte diese einige rationale Ursachen, und nicht alle Prozesse wurden gegen Unschuldige geführt.
Der Glaube an Hexen und Schadenszauber ist keine Erfindung der Kirche, sondern tief im europäischen Heidentum verwurzelt. Noch im Jahr 1180 schrieb Papst Gregor VII. einen Brief an den Dänenkönig Harald, in dem es hieß: „Außerdem glaubt nicht, ihr dürfet euch gegenüber Frauen versündigen, die [weil man sie für Unwetter und Krankheiten verantwortlich machte] mit ebensolcher Unmenschlichkeit nach einem barbarischen Brauch abgeurteilt werden“, der Zorn Gottes drohe dem Dänenkönig, so schrieb der Papst, wenn er weiterhin über „jene unschuldigen Frauen Verderben“ brächte. Nur wenige Jahre später fielen die Einwohner eines Dorfes in der Nähe von Weihenstephan (Bayern) über drei Einwohnerinnen her und versuchten sie durch Folter und Wasserprobe der Hexerei zu überführen. Obwohl sie kein Geständnis erpressen konnten, verbrannten sie schließlich alle drei Frauen, die in den Annalen des benachbarten Benediktinerklosters als „Märtyrerinnen“ bezeichnet und von den Mönchen schließlich christlich begraben wurden. Schon Karl d. Große hatte sich nach dem Sieg über die Sachsen gegen den Hexenglauben gewandt und in einem 780 verabschiedeten Gesetz verkündet: „Wenn jemand nach der Art der Heiden, getäuscht durch den Teufel, glauben würde, daß irgend ein Mann oder eine Frau eine ‚Striga‘ sei und Menschen verzehre, und sie deswegen verbrenne oder deren Fleisch zum Essen gibt, oder sie selbst ißt, wird er mit der Todesstrafe bestraft werden.“
Es gab auch Frauen, die von selbst behaupteten, daß sie zu nächtlicher Stunde mit Genossinnen auf bestimmten Tieren durch die Lüfte reiten und von der heidnischen Göttin Diana zum Dienst herbeigerufen würden, wie der Canon Episcopi beklagt. Erstaunlich modern klingt der Rat, den dieser Canon, eine Sammlung christlicher Rechtssätze aus dem 9. Jahrhundert, den Geistlichen für den Umgang mit diesen Frauen gibt: „Die Priester sollen mit allem Nachdruck predigen, daß diese Auffassung gänzlich falsch ist … Wer ist nicht schon in Träumen und nächtlichen Visionen aus sich selbst hinausgeführt worden, hat viele Dinge im Schlaf gesehen, die er zuvor niemals im Wachen gesehen hatte. Wer aber ist so töricht und einfältig, daß er meint, daß alle diese Dinge, die allein im Geist geschehen, auch im Körper geschehen?“.
Alltagsmagie war bis ins Spätmittelalter eine Sache für den Seelsorger und nicht für den Inquisitor. Auch Bernhard Gui, dem Umberto Eco im „Namen der Rose“ unterstellt, ein eifriger Hexenverfolger gewesen zu sein, hat während seiner ganzen Laufbahn nicht ein einziges Todesurteil wegen Hexerei verhängt.
Der Glaube an schwarze Magie war nicht ganz wahnhaft. Jedenfalls gab es Menschen, die ihre üblen Absichten mit allen möglichen Mitteln verwirklichen wollten und sich dabei auch zauberischer Praxis bedienten. Die Frage nach deren Wirksamkeit stellt sich dabei gar nicht in erster Linie. Sogar von Priestern wurden, wie Reinhard Becker in seinem Buch „Die Päpste und die Hexen“ schildert, solche Praktiken angewendet, darunter ein Bischof, dessen Fall erstaunliche Parallelen zum Voodoo-Zauber aufweist.
Gegen Hugues Géraud, den Bischof von Cahors, wurden schwerwiegende Vorwürfe in bezug auf Machtmißbrauch und Simonie, also den Verkauf kirchlicher Ämter, erhoben. Schließlich zitierte ihn Johannes XXII. in seine Residenz nach Avignon, wo der Bischof die Amtsenthebung befürchten mußte. Um dem zu entgehen, faßte er den Plan, sowohl den Papst als auch zwei seiner Kardinäle zu ermorden. Es wurden Ritter am päpstlichen Hof bestochen, Johannes XXII. durch regelmäßige Gaben geringer Mengen Gift ums Leben zu bringen. Dazu wurden Kröten, Eidechsen, Spinnen und Rattenschwänze zu Pulver verbrannt, mit Arsen, Quecksilber, Eisenkraut, Salbei und anderen Kräutern vermischt, schließlich Fleisch, Haare und Zehennägel eines Erhängten und der Schwanz eines toten Hundes beigefügt. Darüber hinaus wurden aber auch Wachsbilder der drei Zielpersonen angefertigt, die in einem magischen Ritus symbolisch getötet werden sollten. Als erstes war die Figur des Kardinal Jaques de Via fertig. Sie wurde im Jänner 1317 in Anwesenheit eines jüdischen Magiers vom Bischof getauft(!) und dann unter der Rezitierung magischer Formeln mit kleinen Messern gestochen. Letzteres Ritual sollte einmal wöchentlich wiederholt werden – und tatsächlich starb Kardinal Jaques de Via im Juni desselben Jahres, was, wie der aufgeklärte Leser denken mag, wohl ein Zufall gewesen sein wird, obwohl es sich bei ihm um einen verhältnismäßig jungen Mann gehandelt hat. Da waren die Verschwörer aber bereits aufgeflogen, weil das Gift beim Versuch, es nach Avignon zu schmuggeln, wohl aufgrund einer anonymen Denunziation entdeckt worden war. Am 3. September 1317 wurde Bischof Hugues Géraud, an die Schwänze zweier Pferde gebunden, durch die ganze Stadt geschleift und schließlich im Feuer verbrannt.
Verschwörungen dieser Art gegen Bischöfe und selbst Päpste waren keine Einzelfälle. Noch 1635 werden drei geistliche Teufelsbündner in Rom hingerichtet und fünf weitere zu verschieden langen Galeerenstrafen verurteilt. Auch sie wollten den Papst mit magischen Formeln sterben lassen, bildeten ihm einen Wachsstatuette mit Stola, Mitra und Pallium nach, ließen sie gar taufen und mit Öl salben, und durchbohrten sie hernach mit Nadeln. Als alle Zeremonien und stundenlangen Beschwörungen keinerlei Folgen zeitigen, beschließen sie, einen ihrer Mitverschwörer den Dämonen zu opfern. Dieser jedoch belauscht das Gespräch, flieht und entdeckt den Behörden das Komplott.
Ein anderer, europaweit berühmter Fall hat den Zeitgenossen des 15. Jahrhunderts noch weit deutlicher vor Augen geführt, daß es Menschen gab, die im Dienste schwarzer Magie unglaubliche Grausamkeiten begingen. Gemeint ist der Fall des Gilles de Rais – und auch niemand, der heute davon hört, wird abstreiten können, daß es vielleicht „Hexerei“ als solche nicht gibt, sehr wohl aber „Hexer“ der übelsten Sorte: Gilles de Rais war zu seiner Zeit einer der reichsten Männer Europas und als Marschall Frankreichs und Mitkämpfer der Jeanne d’Arc der vielleicht mächtigste Adelige seines Landes. Privat frönte er einem ausschweifenden Lebensstil und im Geheimen seinen pädophilen und extrem sadistischen Neigungen, denen Bauernkinder beiderlei Geschlechts zum Opfer fielen. Er quälte diese Kinder aber nicht nur zu Tode, sondern verwendete ihr Blut zumindest in seinen späteren Lebensjahren auch für magische und alchimistische Zwecke. 1440 wurde er wegen Hexerei angeklagt und gestand zahlreiche Morde – interessanterweise nicht unter der Folter, sondern erst danach, um der Strafe der Exkommunikation zu entgehen. Allein im Turm eines seiner fünf Landgüter wurden die Überreste von mehr als 50 zerstückelten Kindern entdeckt, insgesamt hat Gille de Rais jedoch mindestens 200, nach Auffassung mancher Historiker sogar an die 800 Kinder getötet. Dieser Prozeß, der wenige Jahrzehnte vor der Veröffentlichung des Hexenhammers erfolgte, war in den europäischen Adels- und Kirchenkreisen jedem Zeitgenossen wohlbekannt und hat wohl auch den Boden dafür aufbereitet, daß so viele an die Existenz einer Sekte hochgefährlicher Teufelsanbeter zu glauben begannen.
Die noch furchtbareren Verbrechen der Gräfin Elisabeth Báthory trugen sich sogar genau während der Hoch-Zeit der Hexenverfolgung in Ungarn zu. Schon als Kind war Erzebet Báthory durch einen offen satanistischen Onkel mit schwarzmagischen Praktiken aller Art bekannt geworden, die sie später mit ihren eigenen, perversen sexuellen und sadistischen Neigungen verband. Ihre Opfer waren fast ausschließlich Bauernmädchen, die als Mägde angeworben wurden. Ihnen biß die Báthory stückweise Fleisch aus Gesicht und Brüsten, nähte ihnen den Mund zu, zerfleischte ihre Geschlechtsteile mit eigens dafür konstruierten Geräten oder ließ sie im Winter nackt so lange mit Wasser übergießen, bis sie zu Statuen gefroren waren. Als das angsterfüllte Flüstern der Bauern nicht mehr zu überhören war und sich unter den Opfern die ersten Töchter des niedrigen Adels befanden, wurde ihr der Prozeß gemacht. Das Gericht sprach sie schließlich 1611 wegen 80 Morden schuldig, doch die meisten Historiker sind der Auffassung, daß sich die Gesamtopferzahl zwischen 300 und 650 Mädchen belaufen haben muß. Während die große Zahl von Báthorys Folterknechten und Gehilfen hingerichtet wurde, mauerte man die Gräfin selbst in ihrer Burg ein, wo sie nur durch einen schmalen Schlitz mit Lebensmitteln versorgt wurde. Dreieinhalb Jahre später ist sie dort gestorben.
Abschließend ein Fall aus Deutschland: Eine Landstreichersippe aus dem 16. Jahrhundert, die sogenannte Pappenheimer-Familie, war eigentlich auf Raubmord und Überfälle auf einsame Gehöfte im Stile der damals europaweit gefürchteten Mordbrenner spezialisiert. Daneben lauerte man aber auch Hochschwangeren auf und tötete sie, um dem noch lebenden Fötus die Hände abzutrennen. Diese wurden entweder als ganzes getrocknet, um Diebe als Talisman (die Hand eines unschuldigen Kindes schützt) vor dem Entdecktwerden zu bewahren, oder sie wurden nach dem Trocknen zu Pulver vermahlen, um Bestandteil diverser Zaubermittel zu werden. Als die Familie schließlich im Jahre 1600 dingfest gemacht werden und ihr allein 12 zu schwarzmagischen Praktiken ermordete Schwangere nachgewiesen werden konnten (die Gesamtzahl der Opfer belief sich auf über 100, schon der jüngste Sohn der Familie war mit seinen acht Jahren zum Mehrfachmörder geworden), kannte die Erregung der Öffentlichkeit keine Grenzen. Die gesamte Sippschaft wurde, einschließlich der Kinder, hingerichtet, die Eltern als Anführer in ausgesucht grausamer Weise, wie der Kriminalhistoriker Michael Horn im Buch „Serienmord und Kannibalismus in Deutschland“ schildert. Ob die Teufelsbundschaft, die einige der Angeklagten im Verhör zugaben, nur der Phantasie der untersuchenden Behörden entsprungen, oder schon ursprünglich Teil der Gedankenwelt der Pappenheimer gewesen war, läßt sich aus heutiger Sicht nicht mehr ermitteln. Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß sich unter den 50–60.000 verbrannten „Hexen“ in Europa auch eine nicht unbeträchtliche Zahl solcher echter Kriminalfälle befunden hat.
Wie bereits eingangs angeführt, hat die Kirche bis ins Spätmittelalter Zauberei und Hexenwesen für heidnischen Aberglauben gehalten und als solchen bekämpft, nicht aber Frauen als „Hexen“ verfolgt. Noch im 15. Jahrhundert wird Zauberei in der Steiermark mit einer geringen Geldstrafe geahndet. Natürlich war das Phänomen der Besessenheit auch bekannt. Im Mittelalter wurde Menschen, die vom Teufel besessen waren, aber eher mit Mitleid begegnet, was sich sogar Betrüger zu Nutze machten. Noch bis Mitte des 16. Jahrhunderts erheischten Bettler mit dem Argument, vom Teufel besessen zu sein, Almosen. In den Hexenprozessen spielte der altbekannte Exorzismus, die Teufelsaustreibung, aber keine Rolle mehr: Besessenheit galt jetzt nicht mehr als individuelles Schicksal, sondern als Verrat an der Christenheit. In diesem 16. Jahrhunderts erfuhr der Kampf der Kirche eine grundlegende Veränderung, als nunmehr die magischen Praktiken nicht mehr als Ausdruck abergläubischer Vorstellungen betrachtet, sondern als solche kriminalisiert wurden. Aber noch 1484 erschien gleichzeitig mit dem Hexenhammer des Heinrich Institoris eine Schrift des Wiener Propstes Stephan von Lanzkrammer, in denen er „Frau Percht“, „Frau Hold“, „Truden“, „Unholde“ und „Werwölfe“ als „Lepperei und Gedichtung“ erachtet und nicht die Hexen, sondern die Wahnvorstellungen von ihnen im Sinne des christlichen Weltbildes verfolgen möchte. Dennoch tauchen jetzt Vorstellungen von Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und Hexensabbat als miteinander verbundene, kostituierende Elemente des „modernen“ Hexenglaubens auf, während solche Vorstellungen in früheren Jahrhunderten nur sporadisch da und dort mit dem Phänomen des Schadenszaubers verbunden waren.
Der Mittelalter-Historiker Ernst Schubert hat in seinem letzten, erst posthum veröffentlichten Buch über Verbrechen und Strafe im Mittelalter die Unterschiede zwischen altem und neuem Hexenglauben und die Hintergründe der Massenpsychose, die Zehntausenden Frauen und Männer das Leben kostete, genau herausgearbeitet.
Die Hexenprozesse sind in seiner Sicht auch im Zusammenhang mit der Ausweitung fürstlicher Herrschaft zu sehen. So gab es im Mittelalter keinen einzigen Fall einer Massenverfolgung von Schadenszauberei. Der Glaube magischer Künste war freilich im Volk weit verbreitet, doch daß es sozusagen eine allgemeine Verschwörung, ein dahinterstehendes System gäbe, wurde erst von neuzeitlichen Juristen behauptet und ist ins Volk hineinmissioniert, denn in der europäischen Bevölkerung galt bis ins Spätmittelalter weder der Gebrauch, noch die Inanspruchnahme magischer Praktiken grundsätzlich als Sünde oder Delikt.
Zu dem uralten Glauben an Schadenszauber tritt jetzt jedoch neu die Vorstellung von Hexen als einem Geheimbund von Teufelsanhängern hinzu. Die Durchsetzung dieser Vorstellung dauerte ihre Zeit: Der Rat von Bern begnadigt auch noch 1519 eine Frau, die „aus Narrheit“ behauptet hatte, Umgang mit dem Teufel zu haben, und selbst 1538 erklärten die Nürnberger auf eine Anfrage aus Ulm, wo man nicht wußte, wie man mit einer der Hexerei bezichtigten Frau umgehen solle, daß sie den Hexenglauben für eine Wahnvorstellung hielten und Verdächtige lediglich der Stadt verwiesen.
Schubert sieht in der Mordbrenner-Furcht seit den 1540er Jahren das „Missing link“ zwischen spätmittelalterlichem Schadenszauber und den seit etwa 1580 europaweit vermehrt anrollenden Hexenverfolgungen. Der Gedanke, daß kriminelle Vereinigungen über ein geheimes, nur ihren Mitgliedern bekanntes Zeichensystem verfügen, anhand derer sie sich verständigen und erkennen, tritt erst mit diesen Räubergruppen ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Das System der Gaunerzinken war der Sache nach freilich älter, wurde aber erst jetzt in dieser Breite wahrgenommen. Die Mordbrenner-Hysterie beruhte – ohne Frage – auf realen Grundlagen – dem sich verbreitenden Bandenunwesen – steigerte sich aber zu einer von den Obrigkeiten behaupteten Vorstellung einer terroristischen Verschwörung, die es so nicht gegeben hat: „Deren Grundgedanke, wonach es sich um die Aufdeckung einer vom Teufel initiierten Vereinigung gegen die nota bene christliche Gesellschaft handelte, erschien einleuchtend angesichts der Mordbrenner-Psychosen, die seit 1540 ebenfalls in Wellen die deutschen Lande heimsuchten. Die Furcht vor den Mordbrennern war real. Sie ließ auch bei den einfachen Menschen die Gefahr einer terroristischen Vereinigung – denn darum handelte es sich bei der Hexengefahr – als drohend erscheinen.“ Auch in der Unterdrückung des spätmittelalterlichen Bordellwesens in der frühen Neuzeit sieht Schubert einen Zusammenhang mit den Hexenprozessen: Die Menschen brauchten im Spätmittelalter jedenfalls nicht die Teufelsbuhlschaft, um ihre sexuellen Phantasien auszuleben, weshalb die Hexenprozesse auch als Folge der neuen Sittlichkeit, die nun durchgesetzt wurde, verstanden werden können.
In diesem Zusammenhang verweist der Mediävist Schubert auch auf den Unterschied von Hexenprozessen und spätmittelalterlicher Strafverfolgung: Voraussetzung für die Durchführung von Folter waren im Mittelalter einerseits „öffentliches Geschrei“, also lauthals geäußerter Verdacht, und andererseits Indizien, eine einigermaßen vorhandene Beweislage, welche erst durch das – unter Folter erbrachte – Geständnis abgesichert werden sollte. „Die Folter der Hexenprozesse hingegen schuf erst, was im mittelalterlichen Verständnis unerhört gewesen wäre – die Indizien, zum Beispiel mit Hilfe der Nadelprobe (die Hexe blutet nicht, HD). Das aber, was ursprünglich als ‚Fama‘ an die Öffentlichkeit gebunden war, wurde jetzt verkürzt. Aus dem öffentlichen ‚Geschrei‘ wurde die individuelle Denunziation. Verhängnisvoll wirkte sich dabei aus, daß in der frühen Neuzeit die Gerichtsverhandlungen in geschlossene Räume verlegt worden waren.“ Ja, nach erfolgter Anklage galt nun nicht mehr, daß die Schuld des Bezichtigten zu beweisen war, dieser hingegen mußte seine Unschuld beweisen.
In diesem Zusammenhang muß kurz auf die Inquisition eingegangen werden. Die Kirche war im Mittelalter nach dem Verständnis der Menschen keine vom Staat getrennte Institution. Wer ihre Dogmen angriff, wandte sich damit zugleich gegen die Fundamente der gesellschaftlichen Ordnung. Augenscheinlich wurde dies bei Gruppen wie den Katharern, die die Welt als solche ja als vom Bösen geschaffen ansahen und damit kirchliche wie staatliche Ordnung ablehnten. Sie waren in ihrer Zeit das, was man heute „Verfassungsfeinde“ nennen würde: Extremisten, gegen die auch die demokratischen Staaten des 21. Jahrhunderts mit aller Härte vorgehen. Nachdem anfangs ein gewaltsames Vorgehen gegen Häretiker innerkirchlich abgelehnt worden war, kam es daher in der Mitte des 11. Jahrhunderts in Frankreich zu den ersten Ketzer-Verbrennungen durch die königliche Gewalt. Jedoch wurde erst mit dem Laterankonzil von 1215 die Todesstrafe für Häretiker, wenn keine Hoffnung auf Besserung mehr bestehe, kirchenrechtlich festgeschrieben. Dies mag heute unverständlich erscheinen, doch mußte damals jeder kleine Dieb und Münzfälscher mit der Hinrichtung rechnen. Den Zeitgenossen erschien daher die Todesstrafe für Ketzer nur logisch, wie dies der Historiker Walter Brandmüller in seinem Buch „Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden“ darlegt: „Denn es ist viel schwerwiegender, den Glauben, durch den die Seele lebt, zu zersetzen, als das Geld zu fälschen, das der Erhaltung des leiblichen Lebens dient. Wenn darum Falschmünzer und andere Verbrecher durch die Fürsten gerechter Weise dem Tod überliefert werden, dann können erst recht die Häretiker hingerichtet werden, wenn sie überführt sind.“ Das Problematische des Inquisitionsverfahrens war jedoch, daß sich der angezeigte Häretiker nicht wie früher durch einen bloßen Eid reinigen konnte, sondern ein förmliches Verfahren eingeleitet wurde, bei dem der Name des Anzeigenden geheim blieb – was dem Mißbrauch Tür und Tor öffnete. Dem geständigen Häretiker drohten in der Regel erst nur milde Bußstrafen, wer jedoch erneut in den Verdacht der Ketzerei geriet, dem war der Weg auf den Scheiterhaufen fast gewiß. Dabei muß auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Todesstrafe im Inquisitions-, aber auch im Hexenprozeß einerseits und der Verfolgung Andersdenkender durch moderne Regime hingewiesen werden: Die Massenmörder der Französischen Revolution oder der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts glaubten nicht an das Unzerstörbare im Menschen, sie wollten ihre Feinde und Gegner ganz und auf ewig auslöschen. Wo aber die Inquisition zum Tode verurteilte, richtete sie nach ihrem eigenen Verständnis das Vergängliche hin, um das Unvergängliche zu retten.
Auch ist die heutige Darstellung falsch, wonach Inquisitionsverfahren in der Regel zum Tode führten. Der bereits erwähnte Bernardo Gui, den Umberto Eco in seinem Roman„Der Name der Rose“ als blutrünstigen Ketzerverfolger schildert, hat in seiner ganzen Laufbahn 930 Urteile gefällt: Nur 42 von ihnen waren Todesurteile. 139 Fälle endeten mit Freispruch, 442 Häretikern wurden Wallfahrten und andere Bußwerke auferlegt, 307 erhielten eine Haftstrafe.
Dazu noch als Beispiel ein Inquisitionsprozeß aus Deutschland: Kay Peter Jankrift, Privatdozent für Geschichte in Bochum und Münster, hat sich in seinem Buch „Henker, Huren, Handelsherren“ mit dem Alltag des mittelalterlichen Augsburg auseinandergesetzt. Dort geriet gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine Gruppe von Handwerkern in Ketzerverdacht, weshalb ein Inquisitor in die Stadt gerufen wurde. Kaum hatte dieser mit seinen Nachforschungen begonnen, als schon ein Mordanschlag auf ihn verübt wurde. Doch der gedungene Attentäter konnte gefangen werden und nannte unter Folter Namen. Innerhalb kurzer Zeit wurden 34 Männer und Frauen verhaftet. Da alle rasch abschworen und Buße gelobten, bestand die Strafe trotz des versuchten Mordanschlags nur im symbolischen Tragen von auf der Kleidung aufgenähten gelben Kreuzen für die Dauer eines Jahres und einer sieben Mal durchzuführenden Bußprozession durch die Stadt. 14 der verurteilten Ketzer gelang es sogar wenige Monate später, sich mit dem Bischof dahingehend zu verständigen, daß sie gegen eine Bußzahlung auch die gelben Kreuze nicht weiter tragen mußten. Doch diese Milde ging dem Rat der Stadt zu weit. Auf eigene Faust wurden die fünf Wortführer dieser Aktion verhaftet und verbrannt, die restlichen Ketzer mußten die Stoffkreuze wieder anlegen.
Natürlich kannte die christliche Ketzerverfolgung auch das Extrem in die andere Richtung, so soll der am Kreuzzug gegen die Katharer (= Albigenser) teilnehmende Zisterzienser-Abt Arnold Amaury bei der Eroberung der Stadt Béziers, in der sich nicht nur Katharer, sondern auch eine große Zahl Katholiken befanden, den katholischen Rittern zugerufen haben: „Tötet sie alle; Gott wird die seinen erkennen!“ Andererseits wurden am Montségur, dem Hauptsitz der Katharer nach zehnmonatiger Belagerung über 5.600 Gefangene gemacht, jedoch kein einziges Todesurteil verhängt, sondern nur 23 Gefängnisstrafen und 184 Bußstrafen des Kreuztragens, wie Jörg Oberste in seiner Studie „Ketzerei und Inquisition im Mittelalter“ feststellt. Zu berücksichtigen dabei ist freilich, daß die katharischen Führer bereits während der Eroberung von Montségur Selbstmord verübt hatten.
Wie der Priester und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt, der in Toronto, Bochum und Münster Kirchengeschichte lehrte, in seinem Buch „Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ deutlich macht, war die Zahl der zum Tode Verurteilten wesentlich von der Person des Inquisitors abhängig. Konrad von Marburg, der Seelenführer der hl. Elisabeth von Thüringen, war freilich einer der schrecklichsten inquisitorischen Verfolger. In Österreich und Böhmen haben wiederum zwischen 1335 und 1350 von 4.400 angeklagten Waldensern nur 220 den Feuertod erlitten.
Auch die so übelbeleumundete spanische Inquisition hat nach Angenendt in der ersten, „wilden Phase“ bis 1530 zwar fast 5.000 Opfer gefordert, in der „gemäßigten Phase“ 1540–1700 aber nur 826 Todesurteile verhängt, von denen nicht einmal alle exekutiert wurden. – Insgesamt hat die spanische Inquisition also deutlich weniger als 6.000 Menschen das Leben gekostet, nur 1,8 % aller angeklagten Personen wurden hingerichtet.
Noch bescheidener fallen die Zahlen der römischen Inquisition aus: Zwischen 1542 und 1661 wurden in Rom wegen direkter Glaubensvergehen – also vor allem wegen protestantischer Neigungen – ganze 47 Menschen hingerichtet. Im viel kleineren Nürnberg sind im selben Zeitraum 939 Menschen wegen verschiedener Verbrechen justifiziert worden, davon sogar 50 durch Rädern.
Bedenkt man, daß sich Spanien und Italien dadurch die blutigen religiösen Bürgerkriege erspart haben, die Deutschland und Frankreich verheerten und auch die Greuel einer französischen Revolution, die in manchen Phasen Woche für Woche mehr Menschen in den Tod schickte als die Inquisition in Jahrhunderten, sieht man den ordnungspolitischen Erfolg dieser katholischen Institution vielleicht mit anderen Augen, auch wenn man festhalten muß, daß der Vorgang als solcher in eklatantem Widerspruch zum christlichen Freiheitsverständnis stand. Während dieser aber immer noch als Argument gegen die Kirche ins Treffen geführt wird, scheint sich niemand daran zu stören, daß die „liberté, egalité, fraternité“ der Französischen Revolution mit 50.000 Hinrichtungen und 117.000 zum überwiegenden Teil massakrierten Bauern in der Vendée erkauft wurde.
Die institutionell verankerte Inquisition in Spanien und im päpstlichen Italien ging bemerkenswert zurückhaltend mit dem Phänomen der Hexerei um, wie Rainer Decker in seinem bereits erwähnten Buch eindrucksvoll aufzeigt.
In Spanien befaßte sich seit 1526 eine Sonderkommission mit dem Thema und hielt fest, daß die meisten Juristen des Königreiches sicher seien, daß es keine Hexen gäbe. Dennoch entschied sich die Kommission mit 6 : 5 Stimmen für die Möglichkeit der Hexerei und damit auch der Hexenverfolgung, hielt aber fest: „Niemand soll verhaftet oder abgeurteilt werden nur aufgrund der Bezichtigungen anderer Hexen.“ Anders als in Deutschland blieb für die schuldig Befundenen sogar der alte Grundsatz des Kirchenrechts in Kraft, daß reuige Ersttäter mit einer Bußstrafe zu belegen seien, nicht einmal ihr Vermögen sollte konfisziert werden. Als 1532 eine Hexenverfolgung in Navarra drohte, instruierte der oberste Rat der spanischen Inquisition den beauftragten Inquisitor mit folgenden Worten: „Bezüglich Ihres Berichts, daß die Hexen in den Schlaf verfallen, wenn sie zum Sabbat reisen, untersuchen Sie die Sache sehr sorgfältig. Es ist nicht sicher, daß sie sich so verhalten, und ihre Behauptung, sie handelten so, kann eine Täuschung sein. … Sie sollten mit den führenden und am meisten aufgeklärten Einwohnern sprechen und ihnen dabei erklären, daß, wenn die Ernte nicht gerät oder die Früchte beschädigt sind, es Gott sein kann, der es wegen unserer Sünden zuläßt. Oder es mag einfach am Wetter liegen. So etwas kommt auch in Gegenden vor, wo kein Verdacht wegen Hexerei besteht … und wir sollten nicht alles glauben, was im Hexenhammer steht.“ Insgesamt richtete die Spanische Inquisition während aller Jahrhunderte ihres Bestehens nur 58 der Hexerei bezichtigten Personen hin, 250 weitere fielen staatlichen Gerichten oder der Lynchjustiz zum Opfer.
Im Unterschied zur Ketzerverfolgung des Mittelalters wird die Inquisition der Neuzeit von einer zentralen Behörde an der Kurie, dem Heiligen Offizium, gesteuert. Obwohl der Geltungsanspruch dieser neuen Instanz sich nach eigenem Bekunden auf die ganze Welt erstreckte, blieb er faktisch auf Italien begrenzt. Dort wirkte die Inquisition durchaus erfolgreich: Die Apenninenhalbinsel blieb, anders als Deutschland und Frankreich, zur Gänze katholisch.
Die römische Inquisition hat nur während des verhängnisvollen Wirkens von Heinrich Institoris (recte Heinrich Kramer) in größerem Maße Hexen verbrannt. Der gebürtige Elsässer begann ab 1483 mit der Hexenverfolgung und widmete sich ihr – im Auftrag des Papstes auf dem Gebiet des römisch-deutschen Reiches – bis zu seinem Tod im Jahre 1505. Er selbst brüstete sich damit, 200 „gerichtet“ zu haben, wobei unklar bleibt, ob damit „hingerichtet“ oder „verurteilt“ gemeint ist. Aber auch in diesen ersten Jahrzehnten der Hexenverfolgung fielen den römischen Inquisitoren in ganz Italien (nicht nur im Kirchenstaat) deutlich weniger als tausend Menschen zum Opfer. Diese Verfolgungswelle führte jedoch zu einer intensiven Diskussion von Theologen und Juristen, in der die Kritiker auf die Fiktivität der Hexerei pochten und daraus die Schuldlosigkeit der betroffenen Frauen folgerten, während die Befürworter dagegenhielten, daß, unabhängig von der Frage, ob solche Dinge tatsächlich möglich seien oder nicht, schon der Wille zum Paktieren mit dem Bösen, zum Teufelspakt, unabhängig von der Möglichkeit einer Realisierung, verwerflich sei und aufs ärgste bestraft werden müsse. Die Diskussion über die Realität des Hexensabbats wurde dabei durchaus offen geführt. Rainer Becker zählt von der Mitte des 15. bis zum ersten Drittel des 16. Jahrhunderts acht bedeutende Pro-Autoren (zumeist Dominikaner) und sieben wichtige Kontra-Autoren (zumeist weltliche Juristen wie der Deutsche Ulrich Molitor, aber auch der Franziskaner Samuel Cassinis)auf. Der wirksamste Gegner der Hexenverfolgung war dann wieder ein Kirchenmann, nämlich der 1635 verstorbene Jesuit Friedrich Spee. Ursprünglich von der Existenz von Zauberern und Hexen ausgehend, kritisierte er die Verfahrensweise, insbesondere die Folterpraxis der Prozesse, um dann als Beichtvater dieser Gefangenen zum Urteil zu kommen „daß man Schuldlose für schuldig hält“. Mit biblischen Argumenten wie „wenn Gefahr droht, daß zugleich der Weizen mit ausgerauft werde, dann darf das Unkraut nicht vertilgt werden“ trug er ebenso wie mit seiner juristischen Kritik an der Art der Hexenprozesse (etwa forderte er den Grundsatz der Unschuldsvermutung wie auch ein Verbot der Folter) wesentlich zu deren Ende bei – leider dauerte es allerdings Jahrzehnte, bis sich sein Standpunkt durchsetzen konnte.
Von der neuzeitlichen, 1542 gegründeten römischen Inquisition wurden aber bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts insgesamt weniger als 100 Männer und Frauen wegen Hexerei hingerichtet. Schon im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, als in Südwestdeutschland die Hexenverfolgung ein vorher nie gekanntes Ausmaß erreichte, hatte die römische Inquisition grundsätzlich umzudenken begonnen. So wurden 1579/80 fünf Frauen in Como wegen Hexerei angeklagt, eine leugnete trotz Folter, die anderen gestanden das Übliche und darüber hinaus sogar Hostien-Schändung. Doch nicht einmal das führte zu einem Todesurteil. Die Frauen mußten öffentlich abschwören, ein Büßergewand tragen und durften ihre Wohnhäuser nur im Krankheitsfall und zum Meßbesuch verlassen. Zwei Jahre später stehen in Orvieto vier Frauen wegen des Verdachts der Hexerei vor einem weltlichen Gericht. Zwei sterben an den Folgen der Folter während der Einvernahme, eine dritte wird dabei vergewaltigt. Die Reaktion aus Rom läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Der Richter muß für sieben Jahre als Rudersklave auf die Galeeren, die Erben der Toten erhielten das während des Prozesses eingezogene Habe zurück, die beiden überlebenden Frauen darüber hinaus sogar einen Schadenersatz. Selbst gegen Bischöfe ging Rom vor, wenn diese vermeintliche Hexen ohne ausreichende Indizien foltern ließen, oder ihnen eine ausreichende Verteidigung bzw. eine Berufung an die höhere Instanz, also etwa nach Rom, verweigerten. Personen, die Mitbürgerinnen als Hexen denunziert hatten, mußten sogar mit einer Anklage wegen Meineinds, Aberglaube und Verleumdung rechnen, wenn die Beschuldigten, was gar nicht so selten vorkam, freigesprochen wurden.
Besonders aufschlußreich ist ein Blick auf die nüchternen Zahlen: Während zwischen 1626 und 1631, also inmitten des Dreißigjährigen Krieges, die europäische Hexenverfolgung in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte und tausende Menschen verbrannt wurden, kam in Rom genau ein Mann wegen Zauberei ins Feuer. Vom Jahre 1560 bis 1800, also im Verlaufe von fast 250 Jahren, wurden in Rom insgesamt 3.462 Menschen hingerichtet, davon aber nur 130 von der Inquisition. Die meisten von ihnen waren Häretiker. Nur zehn Menschen wurden in diesen zweieinhalb Jahrhunderten wegen des Betreibens teuflischer Magie hingerichtet, die Hälfte von ihnen Männer. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die von den Päpsten beauftragten Inquisitoren im 17. Jahrhundert keine „Hexenprozesse“ mehr durchführten, wie sie damals noch quer durch Europa Angst und Schrecken verbreiteten. Verfolgt wurden nur mehr Fälle tatsächlich ausgeübter Magie, insbesondere zauberischer Mordanschläge, wie sie weiter oben im Abschnitt „Wahre Hexer“ geschildert wurden. Ab den 1650er Jahren versuchte Rom sogar, Hexenverbrennungen außerhalb seines eigentlichen Machtbereiches zu unterbinden. Ein Beispiel dafür ist Vaduz:
Ab 1650 fielen im Gebiet von Graubünden und der Grafschaft Vaduz mehrere Hundert Menschen als „Hexen“ weltlichen Gerichten zum Opfer. Schon diese Verfahren wurden vom Papst wegen der schlechten Art der Prozeßführung gerügt. Als jedoch klar wurde, daß 15 Kinder zwischen acht und zwölf Jahren wegen derselben Anschuldigungen wie ihre Eltern verbrannt werden sollten, übte Rom, um dies zu verhindern, einen solchen Druck aus, daß diese Kinder schließlich den römischen Inquisitoren überantwortet wurden, die für sie Adoptiveltern fanden. Und das, obwohl diese Kinder sich selbst schon vor ihrer Verhaftung der Zauberei und Hexerei bezichtigt hatten. Darüber hinaus wurde der Nuntius als der päpstliche Gesandte in der Schweiz beauftragt, die Behörden zu überzeugen, daß ihre Art der Prozeßführung gegen das Naturrecht verstoße und Unschuldige zur Todesstrafe führe. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts kommt es in Graubünden zu einem Hexenprozeß gegen vier Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. Auch hier versucht der Ortspfarrer die Kinder zu retten und ruft den Inquisitor zur Hilfe. Beide sind sich einig, daß man gegen die beiden Jüngeren aufgrund ihres unschuldigen Alters nicht einmal einen Prozeß führen könne, selbst wenn deren Phantasie vom Teufel getäuscht sei, und man auch den beiden Älteren gegenüber, da sie bereits gestanden hätten, größte Milde zeigen müßte. Der Inquisitor verlangte daher die Herausgabe der Mädchen. Doch die weltlichen Richter dachten nicht daran, Milde walten zu lassen, sie überantworteten die beiden älteren Mädchen dem Henker und ließen die beiden jüngeren, 10 und 11 Jahre alt, von deren eigenen Eltern vergiften.
Zwischen 1656 und 1659 führte eine Welle von Hexenprozessen im Fürstbistum Paderborn in Westfalen zu großem Aufsehen. Selbst Papst Alexander VII. versuchte persönlich einzugreifen, erfolglos freilich, weil damals schon lange keine päpstliche Inquisition in Deutschland mehr agierte und die Hexenverfolgung von den weltlichen Gerichten monopolisiert worden war. Alles hatte mit zwei Mädchen begonnen, die sich seltsam verhalten und Phänomene der Besessenheit gezeigt hatten. Doch die Mönche des naheliegenden Kapuzinerklosters waren zur Überzeugung gelangt, daß beide Simulantinnen waren: So konnten sie im Zustand der Besessenheit nicht zwischen Reliquien und Tierknochen unterscheiden, doch ein in Paderborn an der Universität lehrender Jesuit nahm die Phänomene ernst und begann mit einem Exorzismus. Die „Dämonen“, die aus den Mädchen sprachen, versicherten dabei, sie könnten diese erst verlassen, wenn die „Hexe“ verbrannt würde, die sie in die Mädchen hinein gezaubert habe, und beschuldigten diesbezüglich eine Magd des Bürgermeisters. Rasch stieg die Zahl der „Besessenen“ auf über hundert Menschen an. Die Bevölkerung Paderborns war in der Frage völlig gespalten, auch der verantwortliche Bischof wußte nicht, wem er glauben sollte, und insbesondere, ob, selbst wenn die Besessenheit echt war, hier den Aussagen der Dämonen zu glauben war. Der Fall war mit dem in einem italienischen Dorf vergleichbar, wo auch ursprünglich nur vier Personen besessen waren, und die Dämonen beim Exorzismus antworteten, sie könnten erst die Körper verlassen, wenn die für die Besessenheit verantwortlichen Hexen und Zauberer verbrannt würden. Auch dort schaukelte sich die Besessenheit zu einem Massenphänomen auf, bis schließlich mehr als 2.000 Personen betroffen waren, was sich dadurch äußerte, daß sie auf den Straßen tobten und schrien.
Die zu diesem Fall hinzugezogenen Inquisitoren erkannten aber bald, daß es sich nicht um echte Besessenheit handeln könnte, führten keine Exorzismen durch und erklärten den Betroffenen, daß sie sich durch festen Willen, Beichte und Kommunion selbst befreien könnten, worauf das Phänomen tatsächlich binnen weniger Tage erlosch.
In Paderborn eskalierten die Dinge aber. Erst als der Papst sich persönlich einschaltete und den Bischof darauf hinwies, daß alle ihm bekannt gewordenen Fakten auf Simulation und nicht auf echte Besessenheit hindeuteten, befahl dieser dem Jesuitenpater, mit seinen Exorzismen aufzuhören. Doch es war zu spät. Die „Besessenheit“ verbreitete sich in ganz Paderborn auf 250 Personen. Der Bischof sah schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als eine allgemeine Inquisition zu beauftragen und nach verdächtigen Hexen zu forschen, hielt dabei aber fest, daß den Aussagen der „Besessenen“ kein Glaube geschenkt werden dürfe: Dutzende Hexer und Hexen fielen der folgenden Prozeßwelle zum Opfer, doch auch das genügte einem Teil der Bevölkerung nicht: zehn der Hexerei bezichtigte Personen wurden auf offener Straße totgeschlagen.
In Friaul stießen die päpstlichen Inquisitoren auf ein seltsames Phänomen: Eine Gruppe von Männern und Frauen, die sogenannten Benandanti, behauptete, nächtens im Geist ihren Körper zu verlassen, durch die Lüfte zu fliegen und dort böse Hexen zu bekämpfen. Die Benandanti waren überzeugt, auf diese Weise das Gedeihen des angebauten Getreides zu beschützen. Obwohl sie in den Augen der Inquisition schließlich auch unter Verdacht gerieten, sich mit Dämonen zu verbünden, wurde kein einziger von ihnen zum Tode verurteilt.
Wie vergleichsweise milde die römische Inquisition im 18. Jahrhundert insgesamt mit Zauberinnen umging, sofern sich diese keinen Hostienfrevel zuschulden kommen ließen, zeigt der Fall einer Hexe aus Venedig, die 30 Jahre lang professionell als Magierin tätig gewesen war und gegen Honorar Liebeszauber, Abwehrzauber gegen böse Magie, ja sogar Schadenszauber gegen mißliebige Personen ausgeübt hatte. Als sie das erste Mal vor dem Inquisitionsgericht stand, lautete das Urteil auf Abschwörung und 1 Jahr Haft. Beim zweiten Mal setzte es 10 Jahre Gefängnis, doch beschloß das Inquisitionstribunal aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes und des bereits in Untersuchungshaft verbüßten Jahres, von einer Vollstreckung des Urteils abzusehen und es bei einer Bußstrafe (regelmäßiges Beten eines Rosenkranzes über den Zeitraum von 3 Jahren) zu belassen. Einige Jahre später wurde sie erneut zu 10 Jahren Haft verurteilt, von denen ein Teil tatsächlich verbüßt werden mußte. Als eine vierte Verhaftung bevorstand, starb die 59jährige im Jahr 1660 beim Versuch, durch ein Dachfenster ins Nebenhaus zu flüchten.
Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert werden Hexenprozesse für einen Zeitraum von etwa drei Generationen zu einer Massenerscheinung, die europaweit zu 50–60.000 Hinrichtungen geführt hat. Die Jahrzehnte zwischen 1580 und 1600 und die zwischen 1630 und 1650 bilden Höhepunkte der Verfolgungswellen. Später werden diese Prozesse zu Ausnahmefällen. Männliche Wahrsager etc. waren übrigens ebenso bedroht, in katholischen Regionen waren bis zu 30 % der Opfer männlich, in protestantischen hingegen nur 10 bis 20 %. Deutschland ist mit Polen das unbestrittene Kernland der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in Europa, doch gibt es auch dort Regionen wie die Kurpfalz, die Reichsstädte Nürnberg und Rothenburg, oder auch Friesland und die Nordseeküste, wo man (fast) keine Prozesse findet, wie Ernst Schubert in seiner Rechtsgeschichte ausführt. Ein genereller Unterschied hinsichtlich der Verfolgungsintensität zwischen katholischen und evangelischen Gebieten läßt sich aber nicht feststellen. Allerdings werden in Reichsstädten verhältnismäßig wenige Prozesse geführt, viele enden mit Freispruch, Hexenprozesse sind mehr eine Massenerscheinung des ländlichen Gebiets.
Im Saarland bestanden etwa wie Angenendt schildert, in den Dörfern Hexenausschüsse, die bei verdächtigen Vorfällen die Ermittlungen aufnahmen. Die Hexenprozesse wurden von der ganzen dörflichen Bevölkerung getragen,
10–20 % der erwachsenen Bewohner beteiligten sich in der Regel aktiv als Zeugen – und in 96–98 % der Fälle kam es zu einer Hinrichtung. Ganz anders etwa in der Stadt Münster: Bei allen insgesamt 29 Hexenprozessen wurden nur 5 mit Todesurteil beendet, mehrmals aber kam es zu Lynchjustiz an den Freigesprochenen. Als dann in der Mitte des 17. Jahrhunderts, also durchaus zur Hoch-Zeit der Hexenverfolgungen der Fürstbischof der Stadt ihnen ihre Freiheiten nahm und selbst die Gerichtshoheit ausübte, kam es nicht, wie man nach dem verbreiteten Vorurteil annehmen würde, zu vermehrten Hexenprozessen – im Gegenteil wurden diese offiziell beendet und örtliche Adelsgerichte in Westfalen, die immer noch die von Seiten der Kirche längst verbotene Wasserprobe betrieben, mit exorbitanten Geldstrafen belegt.
Die Haltung der Bevölkerung war nach Schubert durchaus unterschiedlich: „So kam es 1694 im mecklenburgischen Wittenberg zu tumultartigen Protesten, als sich die Stadtbevölkerung die Hexenprozesse durch die Ratsobrigkeit nicht mehr gefallen lassen wollte.“ Anders 1657 in Paderborn: Als der dortige Bischof, Dietrich Adolf, die Hexenprozesse beenden wollte, kam es zu Unruhen, bei denen die Bürger ihren Bischof als Hexenanwalt bezeichneten.
Etliche Fallbeispiele aus Österreich bringt Isabella Ackerl in ihrem leider gänzlich ohne Fußnoten oder auch nur Literaturhinweise auskommenden Buch „Als die Scheiterhaufen brannten. Hexenverfolgung in Österreich“. Das etwas naiv geschriebene Buch – etwa wirft Ackerl Richtern des 17. Jahrhunderts(!) vor, nicht erkannt zu haben, wenn Angeklagte ihre Aussagen aufgrund von einer Haftpsychose(!) gemacht hätten – dokumentiert dennoch eine Fülle erschütternder Fälle, etwa die Welle von Bettelbuben-Prozessen in Salzburg und Tirol, denen hunderte Jugendliche zum Opfer fielen. Fast 45 % der Verurteilten in Österreich waren übrigens Männer. In Steiermark und Kärnten wurden sogar zahlreiche Priester der Hexerei bezichtigt und hingerichtet, so ein Riegersburger Pfarrer, den die Bevölkerung für die starken Hagelschläge des Jahres 1673 verantwortlich machte.
Insgesamt läßt sich aber zumindest für das 17. Jahrhundert festhalten, daß sich keines der deutschen (weltlichen) Gerichte mit der Milde der spanischen und päpstlichen Inquisition, also der Kirchengerichte messen konnte. In Deutschland bilden allerdings auch die geistlichen Herren bis auf wenige keine Ausnahme. Auch in den kirchlichen Gebieten Deutschlands operierten mit Laien-Schöffen besetzte Orts- und Stadtgerichte im Rahmen der Hexenverfolgung. Auf dem Gebiet der drei geistlichen Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier wurde insgesamt ein Fünftel der deutschen Hexen verbrannt und auch manche andere katholische Fürstbischöfe haben die Hexenvernichtung besonders intensiv mitbetrieben. Sie standen damit freilich nicht im Widerspruch zum Zug der Zeit, haben sich doch zwei der bedeutendsten rational-aufklärerisch und kirchenkritisch gesinnten Staatsdenker der Neuzeit vorbehaltlos für die Hexenverfolgung ausgesprochen, nämlich der Franzose Jean Bodin und der Engländer Thomas Hobbes.
Isabella Ackerl
Als die Scheiterhaufen brannten.
Hexenverfolgung in Österreich
232 Seiten, S/W-Abb., geb.
Amalthea 2011
Arnold Angenendt
Toleranz und Gewalt.
Das Christentum zwischen Bibel und Schwert
798 Seiten, geb.
Aschendorff Verlag 2007
Reinhard Becker
Die Päpste und die Hexen.
Die geheimen Akten der Inquisition
184 Seiten, kart.
Primus Verlag 2003
Walter Brandmüller
Licht und Schatten
Kirchengeschichte zwischen Glaube,
Fakten und Legenden
222 Seiten, geb.
St. Ulrich Verlag 2007
Kay Peter Jankrift
Henker, Huren, Handelsherren.
Alltag in einer mittelalterlichen Stadt
236 Seiten, 16 Seiten Farbabb., geb.
Klett-Cotta 2008
Petra Klages (Hg.)
Serienmord und Kannibalismus
in Deutschland
Fallstudien, Psychologie, Profiling
212 Seiten, S/W-Abb., HC
Verlag F. Sammler 2011
Jörg Oberste
Ketzerei und Inquisition im Mittelalter
150 Seiten, brosch.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
Ernst Schubert
Räuber, Henker, arme Sünder
Verbrechen und Strafe im Mittelalter
389 Seiten, Primus Verlag 2007