Friedrich Schiller verkörpert in seinen Werken den freien Menschen, der aus sich heraus verantwortlich für das Wahre, das Gute und das Schöne handeln will. Er beschrieb also den mündigen Bürger. Den ungestümen Mann aus dem Schwabenland verehrten die Gleichaltrigen seiner Zeit, namentlich die studentischen Jugendlichen. Die Beliebtheit Schillers übersprang politische Grenzen. Die Franzosen ernannten ihn zum Ehrenbürger ihrer Nation. Die slawischen Völker im Osten sahen in ihm einen Erwecker ihres nach Selbstbestimmung drängenden Volkstums. Zündende Wirkung entfachten die Texte Schillers bei den Deutschen Böhmens, Mährens und Österreichisch-Schlesiens wie bei allen Grenzlanddeutschen. Friedrich Schiller war Geistesgröße und Vorbild bei fast allen Nationen. Was ist von diesem Phänomen geblieben?
Zwar wirkten noch viele Jahrzehnte nach dem frühen Ableben des Dich
ters, Historikers und Philosophen seine Ideale fort. Wohl galt während des 19. Jahrhunderts Friedrich Schiller im gesamten deutschen Kulturraum als der Größte überhaupt. Doch ökonomische, naturwissenschaftliche und vor allem gesellschaftliche Entwicklungen bewirkten – namentlich im Gefolge zweier Weltkriege – ein Abflauen des idealistischen Denkens.
Als Schüler der Militärakademie, die Friedrich Schiller auf Befehl des „Landesvaters“, des Herzogs Karl Eugen, besuchen mußte, lernte der Zögling den Feudalismus von seiner schlimmsten Seite kennen. Die „Landeskinder“ waren Eigentum des Herzogs. Eine freie Nation kann aber nur aus freien Bürgern entstehen. Zur Durchsetzung der selbstverantworteten Freiheit bringt der junge Schiller sogar der Gewalt Verständnis entgegen. Der Räuberhauptmann Karl Moor spricht zu seinen Leuten: „Stellt mich vor ein Heer Kerls wie ich, und aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollen.“
Der Mensch besitzt die unverlierbare Fähigkeit, die Freiheit auch um den Preis des Lebens zu behaupten oder die verlorengegangene Freiheit wiederzugewinnen. Zugleich warnte der Dichter immer wieder vor der egoistischen, zügellosen, nicht an Moral und göttliches Gebot gebundenen Freiheit.
Der Räuberhauptmann Karl Moor will Rache an der verkommenen Welt nehmen. Dazu muß er alle gesetzlichen Bindungen zerreißen. Als seine Taten in den böhmischen Wäldern auch Menschenleben kosten, erschrickt Karl Moor vor der Anarchie, die sein Denken und Handeln herbeiführen: „O über mich Narren, der ich wähnte, die Welt durch Gräuel zu verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten! Ich nannte es Rache und Recht… (Ich) erfahre nun…, daß zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden.“
In der „Verschwörung des Fiesco zu Genua“, dem zweiten Drama Schillers, will der Freiheitsheld Fiesco den Tyrannen Doria stürzen. Mit einer republikanisch gesinnten Bürgerelite gelingt dies auch. Doch nun wird Fiesco selbst zum Diktator, an dem sich die Republikaner rächen.
Für Schiller sollte der Staat eine Republik, eine Sache des Volkes sein (lat.: res publica). Tief enttäuscht mußte er feststellen, daß die Uraufführung seines „Fiesco“ in Mannheim beim Publikum ohne Wirkung blieb; seine bittere Bemerkung: „Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne Bedeutung, ein blutleerer Name – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut.“
Fließt in den Menschen unserer Zeit römisches, also staatsbürgerlich handelndes Blut, das Friedrich Schiller vor mehr als zwei Jahrhunderten anmahnte? Bei kritischer Beobachtung sehen wir viele Zeitgenossen, die sich nur um sich selbst kümmern. Man umgeht die Tätigkeit in Vereinen und Wohlfahrtsverbänden, und die kirchliche Zugehörigkeit bemerkt man nur am Eintrag auf der Lohnsteuerkarte. Teilnahmslos stehen vorwiegend um sich selbst besorgte Verbraucher einem Trachtenverein, einer Landsmannschaft oder einer anderen Kulturgruppe gegenüber. Es genügt ihnen, Schlafbürger in der Wohngemeinde zu sein. Orientierung wird nicht an der Kultur, sondern an der täglichen Werbeflut gefunden. Die Medien schreiben das Menschenbild vor: was man verbrauchen soll, wie man sich zu kleiden hat, wo der Urlaub zu verbringen ist, welche Freizeitbeschäftigung en vouge zu sein hat … Eine neue Art der Diktatur ist entstanden. Sie geht nicht mehr, wie während der Schiller-Zeit, von einem einzelnen mit seinem Hofstaat aus, sondern von anonymen Mächten. Ihre Gefährlichkeit liegt in der Verführbarkeit ihrer Opfer.
Neben der Verführbarkeit der gleichgültigen Menschen bildet auch ihre große Zahl eine Bedrohung. In den harmlosen Fällen paßt sich die Mehrheit aus motivationslosen Menschen dem jeweils niedrigeren Grad der Kultur an. Dadurch entsteht im Staatswesen ein Kulturverlust. Gegen gefährlichere Mehrheitsmeinungen haben die demokratischen Gesellschaften der Gegenwart in ihren Verfassungen Mechanismen zur Verhinderung eingebaut. Moderne Demokratien waren zur Zeit Schillers noch unbekannt. Deshalb verstehen wir die Skepsis Schillers gegenüber Mehrheiten und ihrem Wollen besonders.
Im unvollendet gebliebenen Spätwerk des Dichters, im „Demetrius“, verlangt die breite Masse – die Subkultur – nach Krieg. Doch der weise Fürst Sapieha beugt sich dem Druck der Menge nicht. Er widersteht ihr mit folgenden Worten: „Was ist Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.“
In diesem Zusammenhang gewinnt ein Wort des Bischofs von Regensburg, Dr. Gerhard Ludwig Müller, Bedeutung, das die „Mittelbayerische Zeitung“ am 25. Februar 2005 abgedruckt hat: „Es kommt nicht darauf an, daß wir uns bei der Mehrheit wissen, sondern daß wir unsere Überzeugung leben.“
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
der Mensch kann sie üben im Leben,
und sollt’ er auch straucheln überall,
er kann nach der göttlichen streben.
Dieses Bekenntnis ist Teil der „Worte des Glaubens“, die Friedrich Schiller im Jahre 1797 verfaßt hat. Es subsumiert seine vielen Balladen, die die Lesebücher zurückliegender Zeiten füllten. Das Auswendiglernen war oft lästige Schülerpflicht, begeisterte aber auch durch die Inhalte der Handlungen: die Treue in der „Bürgschaft“, der Todesmut im „Taucher“, die gute Tat im „Graf von Habsburg“, der verletzte Stolz im „Handschuh“, die Rache der bösen Tat in den „Kranichen des Ibykus“, die Liebe über den Tod hinaus in „Hero und Leander“…
In unserer heutigen Spaßgesellschaft erscheinen Ideale nicht selten als hinderlich oder gar lächerlich. Immer häufiger kommt jedoch die Meinung auf, daß der Verlust der Ideale zu bedauern sei, ja daß man zu den „Werten“ zurückfinden müsse. Vielleicht leistet das „Schillerjahr 2005“ den ersten Beitrag.
Neben der Religion zählt die Sprache wohl zum bedeutendsten Kulturgut. Friedrich Schiller: „Die Sprache ist der Spiegel einer Nation. Wenn wir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen.“
Vergleichen wir die Spiegelbilder von damals mit heute! Im „Lied von der Glocke“ erläutert Friedrich Schiller die Eigenschaften mit 210 Adjektiven: fast kein Eigenschaftswort kommt doppelt oder gar dreifach vor.
In der heutigen Umgangssprache herrschen im wesentlich nur zwei Adjektive: „super“ und „toll“; ihre Gegenteile werden mit Hauptwörtern ausgedrückt: „Mist“ und ein Wort für Fäkalien.
Gemessen an dieser Trostlosigkeit unserer Kultur nehmen sich die Amerikanismen in unserer Sprache noch harmlos aus, obwohl der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Gustav Heinemann, bereits im Jahre 1973 gewarnt hat: „Die seit Kriegsende bei uns in alle Bereiche des Lebens eingedrungene Flut von Amerikanismen muß endlich wieder zurückgedrängt werden … Es geht allein um die Verpflichtung gegenüber unserer eigenen Sprache …“
Zweihundert Jahre nach dem Ableben des Olympiers blickt die Kulturnation von einst in drohende Abgründe: verarmter Wortschatz, abnehmende Lesekompetenz, steigender Analphabetismus.
Schiller schuf in den „Räubern“ das Wort:
Tintenklecksendes Säkulum.
Ebendort sagt Schweizer:
Franz heißt die Canaille?
Und die letzten Worte des Schauspiels:
Dem Mann kann geholfen werden.
Im Gedicht „Resignation“ steht:
Die Weltgeschichte ist das Weltgericht
Aus dem Gedicht „Teilung der Erde“ stammt:
Was tun? spricht Zeus
Aus dem Gedicht „Würde der Frauen“ ist:
Ehret die Frauen! sie flechten und weben,
himmlische Rosen ins irdische Leben.
Aus den Distichen „Erwartung und Erfüllung“:
In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling.
Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis;
In den „Tabulae votivae“ die Distichen
„Pflicht für Jeden“:
Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!
„Der Schlüssel“:
Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben, willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.
Im „Ring des Polykrates“ steht:
Mir grauet vor der Götter Neide,
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil,
„Die Worte des Glaubens“ geben uns im Anfang der zweiten Strophe:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
und würd er in Ketten geboren.
In seinem „Prolog zu Wallensteins Lager“ schuf Schiller die Worte:
Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.
Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.
Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt,
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.
Aus der „Bürgschaft“:
Der fühlt ein menschliches Rühren.
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der Dritte,
Im Musenalmanach erschien Schillers „Lied von der Glocke“; daraus werden u. a. als Zitate verwendet:
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß.
Doch der Segen kommt von oben.
Errötend folgt er ihren Spuren.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Alles rennet, rettet, flüchtet.
In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen.
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten.
Da werden Weiber zu Hyänen.
Gefährlich ists, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Aus Schillers Drama „Die Piccolomini“ wird zitiert:
Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!
Der weite Weg entschuldigt Euer Säumen.
Der Krieg ernährt den Krieg.
Was ist der langen Rede kurzer Sinn?
Des Dienstes immer gleich gestellte Uhr.
In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.
Die Uhr schlägt keinem Glücklichen.
Vor Tische las mans anders.
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Daß sie fortzeugend immer Böses muß gebären.
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort.
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.
Das war kein Heldenstück, Octavio!
Daran erkenn ich meine Pappenheimer.
Aus der „Jungfrau von Orleans“ wird zitiert:
Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn.
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
Dann die Umschreibung für Theaterbühne:
Die Bretter, die die Welt bedeuten.
Aus der „Braut von Messina“ ist bekannt der Anfangsvers:
Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb.
Ferner zitieren wir daraus:
Der Siege göttlichster ist das Vergeben.
Auf den Bergen ist die Freiheit!
Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
Der Übel größtes aber ist die Schuld.
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.
Zitate aus „Wilhelm Tell“ sind Tells Worte an Ruodi:
Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt.
Der kluge Mann baut vor.
Dem Mutigen hilft Gott.
Aus derselben Szene zitieren wir:
Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.
Im nächsten Kapitel:
Wir sind ein Volk, und einig wollen wir handeln
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr.
Das Wort Walters:
Was da kreucht und fleucht
Wir gebrauchen die Worte Tells:
Früh übt sich, was ein Meister werden will.
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.
Und des Rudenz Worte:
Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen.
Aus Tells Monolog wird zitiert:
Durch diese hohle Gasse muß er kommen.
In gärend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt.
Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen.
Aus dem Gespräch Tells mit dem Flurschützen ist bekannt:
Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben,
Wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Und es singen die barmherzigen Brüder:
Rasch tritt der Tod den Menschen an.
Aus dem infolge von Schillers Tod unvollendet gebliebenen „Demetrius“ zitieren wir Sapiehas Worte
Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.
Büchmann, Georg, Geflügelte Worte, Berlin 1941
Deutsche Sprachwelt, Ausgabe 19, 20. März 05
Dr. Marinovic, Walter, Friedrich Schiller – er ist unser, Österr. Landsmannschaft, Wien
Schiller, Friedrich, Werke, Deutsche Buchgemeinschaft 1954
Wilpert, Gero von, Schiller-Chronik, Kröners Taschenausgabe