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Franz Conrad von Hötzendorf – der Prophet des Präventivkriegs

Von Lothar Höbelt

In den letzten Monaten war viel von „pre-emptive strikes“ die Rede, dem verlockenden, wenn auch verrufenen Vorgehen, erkannte Bedrohungen militärisch auszuschalten, bevor sie ihr volles Gefährdungspotential entfalten können. Wie immer man dazu stehen mag: Wenn der Gedanke des Präventivkriegs – und sei es auch bloß quasi-kolonialen Zuschnitts – eine Rehabilitierung erfährt, so sei daran erinnert, wer sich als Schutzheiliger des „pre-emptive strike“ geradezu aufdrängt: Nämlich Franz Conrad von Hötzendorf (1852-1925), der österreichisch-ungarische Generalstabschef des Jahres 1914, ein Wiener (mit mährischen Vorfahren), der sich schon vor Kriegsausbruch einen legendären Ruf erworben hatte.

Einen Präventivkrieg hatte Conrad schon bald nach seiner Ernennung im Jahre 1906 gefordert, und dann immer wieder, mit geradezu ermüdender Regelmäßigkeit. Pikanterweise war der Gegenstand seines Verdachts mit Vorliebe ein Verbündeter, das Königreich Italien, von dem er überzeugt war, daß es Österreich im geeigneten Augenblick in den Rücke fallen würde – weise Voraussicht oder self-fulfilling prophecy? Wenn es gerade nicht Italien war, das man rechtzeitig ausschalten sollte, dann eben Serbien (und Montenegro), Balkanfürstentümer, die begehrliche Blicke über die Grenze warfen, wo ihre Volksgenossen im „Völkerkerker“ schmachteten, in Bosnien und anderswo. Freilich: Konnte ein Staat wie Serbien einer Großmacht wie Österreich-Ungarn überhaupt gefährlich werden? Da begann das Dilemma erst so richtig: Auf sich allein gestellt, natürlich nicht – doch mit Hilfe Rußlands? Oder anders – und in Richtung Berlin – gefragt: Würde im Falle eines großen Krieges Österreich-Ungarn seine Bündnisverpflichtungen noch erfüllen können, wenn es von Serbien abgelenkt würde? Mußte es nicht allein deshalb Serbien schon ausschalten? Aber würde Rußland überhaupt zulassen, daß Serbien ausgeschaltet würde? Wenn es das aber nicht tat, war der Sinn des ganzen Präventivkriegs dann nicht von vornherein hinfällig? Oder hätte es 1909 oder 1912, noch geschwächt vom Russisch-Japanischen Krieg, hinnehmen müssen, was es 1914 nicht mehr zuließ?
Damals hatte Österreich-Ungarn immer wieder Ultimaten gestellt, mit großen Kosten seine Reservisten einberufen und nach Srebrenica und Umgebung expediert – bloß die Serben hatten im letzten Moment nachgegeben. Conrad hatte immer auf Krieg gedrängt, und war damit stets abgeblitzt, bis man nach der vierten vergeblichen Teilmobil machung so seine Lehren daraus zog: Noch einmal dürfe das nicht passieren. Damit waren die Weichen gestellt. Natürlich hatten auch alle anderen Mächte ihre Gründe, den Krieg anzunehmen oder zumindest nicht den geringsten Nachteil inkauf zu nehmen, um ihn zu vermeiden. Doch Österreich-Ungarn hat ihn sehr bewußt begonnen. Einer hätte ihn vielleicht aufhalten können, der Thronfolger Franz Ferdinand, der sich mit Conrad auch aus anderen Gründen überworfen hatte. Doch der war eben in der Julikrise nicht mehr da.
Conrad bekam seinen Krieg. War es noch der seine? Diesmal bedurfte es der Tiraden des Generals gar nicht mehr. Der Kaiser und der Außenminister, die jungen Falken am Ballhausplatz, darunter der Schwager des jungen Bismarck, Alexander Hoyos, nahmen das Heft in die Hand. Doch es vergingen nur wenige Monate, bis der Präventivkrieger die Herren Diplomaten mit Vorwürfen überhäufte. Früher hätte man es machen müssen. Da wäre es eine sichere Sache gewesen, jetzt nur noch ein Vabanquespiel. Bis ihn ein Kamerad fragte, warum er denn dann nicht gegen den Krieg plädiert habe – und er die Achseln zuckte: „Als Soldat konnte er doch nicht vom Krieg abraten…“
Zu dem Zeitpunkt hätte der Krieg auch schon wieder vorbei sein sollen. Ein Feldzug im August konnte die Planungen für den Weihnachtsurlaub doch nicht in Mitleidenschaft ziehen. So oder so würde der Krieg bis dahin vorbei sein. Auf die ersten Schlachten kam es an. Darum war es auch so wichtig, keinen Tag zu verlieren. Mobilmachung bedeutete Krieg. Das war der Automatismus der Computersimulationen von 1914, der Eisenbahntabellen. Für Österreich-Ungarn galt das ganz besonders. An Masse konnte man mit Rußland nicht mithalten. Doch Rußland war groß: Bis auch die letzte Kosaken-Sotnie zur Stelle war, würde einige Zeit vergehen. Wenn man da überhaupt eine Chance haben wollte, mußten die Österreicher schon in Polen einmarschieren, bevor sich die Russen versammelt hatten.
Seltsam nur, daß die Österreicher 1914 genau dieses Argument Lügen straften. Da waren sie nun tatsächlich die ersten und machten nichts daraus. Die Verantwortung dafür wurde hin- und hergeschoben: Die militärische Logik und der deutsche Verbündete plädierten für eine Konzentration an der entscheidenden Stelle, an der russischen Front; die Politik und der Kaiser hätten gern einen vernichtenden Schlag gegen Serbien gesehen. Das Ergebnis war eine jener klassischen Halbheiten, wie sie schon Grillparzer den Habsburgern ins Stammbuch geschrieben hatte, „auf halbem Weg und zu halber Tat, mit halben Mitteln zauderhaft zu streben“. Bevor es nicht sicher war, ob Rußland tatsächlich ein- und angreifen wollte, schickte man einen beträchtlichen Teil der Armee gegen Serbien. Nach fünf Tagen wurde dann Kehrtmarsch befohlen. Eine von vier Armeen – die sogenannte B-Staffel – traf daraufhin nicht vor, sondern erst nach den Russen in Galizien ein.

Gegen die russische Übermacht

Die Russen waren überlegen. Das Zauberwort hieß „Innere Linie“, im großen wie im kleinen. Im Großen würde Deutschland mit neun Zehnteln seiner Armee Frankreich niederwerfen, um sich nach vollbrachter Tat gegen Osten zu wenden. In der Zwischenzeit fiel den Österreichern die heroische, doch wenig beneidenswerte Aufgabe zu, die russische Dampfwalze aufzuhalten. Wie erwehrte man sich einer Übermacht? Bereits ein Jahr später sollten die Österreicher das in den Alpen vorexerzieren: Man ließ die Truppe sich eingraben, gab den uralten Standschützen brandneue Maschinengewehre – und siehe da, das Wunder geschah. Nachher weiß man’s eben immer besser. Außerdem bot die sarmatische Ebene im Osten wenig natürliche Hindernisse. 1914 war man sich deshalb einig, die Aufgabe könne nur angriffsweise gelöst werden. Ein Zangenangriff gegen das russische, sogenannte Kongreß-Polen schien ziemlich utopisch. Dazu waren die Zangen zu schwach und selbst zu sehr von Flankenstößen bedroht. Doch auch da bot sich die innere Linie an: Die Russen konnten Ostpreußen und Ostgalizien von zwei Seiten angreifen. Und zwar jeweils von Osten und von Polen her. Wenn man mit den eigenen Truppen zwischen den Gegnern pendelte, zuerst den einen zurückschlug, dann den anderen abwehrte, konnte man sie zumindest solange hinhalten, bis die versprochenen Verstärkungen aus dem Westen anrollten. Soweit die Theorie. In Ostpreußen gelang das wider Erwarten auch; in Ostgalizien nicht.
Das lag nicht am mangelnden Elan der Österreicher. Sobald die Kader der Berufssoldaten aufgerieben waren und die Schwejks der Ersatzmannschaften einrückten, die ukrainischen Landsturmmänner und die tschechischen Reserveoffiziere, die sich so ihre Gedanken machten, ob sie auch wirklich auf der richtigen Seite fochten, begannen sich zwar in der multinationalen Wehrpflichtigenarmee erste Auflösungserscheinungen bemerkbar zu machen. Doch davon war im August 1914 noch nicht die Rede: Zugegeben, in Prag war von der Kriegsbegeisterung nichts zu spüren, die in diesem Sommer alle anderen Großstädte heimsuchte, bis hinüber nach Chicago, wo Deutsche und Iren Arm in Arm gegen das perfide Albion demonstrierten. Doch wer die k.u.k. Regimenter zum „Exerzierplatz-Sturm“ im feindlichen Feuer antreten sah, mußte den Eindruck haben, daß Bismarck wieder einmal recht behalten hatte: „Wenn der alte Kaiser zu Pferde steigt, werden alle seine Völker ihm folgen…“ Die Moral war ausgezeichnet, die Ausrüstung weniger – die „rückständigen“ Russen verfügten über mehr und bessere Artillerie – und die Taktik noch weniger. „Die Leute schießen nicht mehr, sie stürmen nur. Daher die kolossalen Verluste“, schrieb der General Dankl und fügte selbstkritisch hinzu: „Gegen die Russen erreicht man noch, wenn auch mit großen Opfern, einen Erfolg, aber gegen anders ausgebildete Truppen nicht.“
Dieser Erfolg schien sich anfangs auch noch tatsächlich einzustellen. Dankl war einer der beiden Armeekommandanten des österreichischen Offensivflügels, der ab 22. August nach Polen vordrang.
Militärisch war Dankl das Glück hold – in seinem Tagebuch räsoniert er, wie man den ersten Sieg des Großen Krieges nennen sollte: Eigentlich war es bei Palichna-Goraj gewesen, doch dann überkam ihn das Mitleid mit den zukünftigen Geschichtsstudenten, und er entschied sich für das einfachere Krasnik. Seinem Nachbarn im Osten, dem ehemaligen Kriegsminister Auffenberg – bald darauf wegen „insider-trading“ mit Rüstungsaktien (auch damals schon!) arretiert – schien sogar eine Umfassungsschlacht zu gelingen: Sein Adelstitel, ein paar  Monate vor der Haft verliehen, trug das Prädikat Komarow. Wenn, ja wenn nicht ein Erzherzog gepatzt hätte (Josef  Ferdinand, nach Auffenbergs Auffassung), so seufzte er, dann wäre die russische 5. Armee ihm nicht entkommen. Auch so waren die Kommuniqués recht vollmundig.
Und doch mischte sich ein Wermutstropfen in die Siegesnachricht, wie sie am 2. September hinausging. Der letzte Satz lautete kryptisch und lakonisch: „Lemberg noch in unserer Hand.“ Denn während sich die Österreicher im Norden gut schlugen, drangen die Russen von Osten her nach Galizien ein. So langsam, wie man geglaubt hatte, waren sie nicht. Die französischen Gelder, die in ihren Eisenbahnausbau geflossen waren, machten sich bezahlt. Der 3. Armee, die ihnen hier gegenüberstand, fehlten die Truppen, die eben erst nach dem Umweg über Serbien durch die Puszta schaukelten. Biegsamer, hinhaltender Widerstand war ihre Sache nicht; im Gegenteil: Frontalangriffe gegen einen überlegenen Feind verschlimmerten die Situation noch.
In Ostpreußen hatte der Hindenburg die Russen inzwischen bei Tannenberg „in die Sümpfe getrieben“ und machte kehrt, um der anderen russischen Armee den Weg zu versperren, die auf Königsberg marschierte. Conrad schwebte etwas ähnliches vor. Bloß die Verhältnisse, sie waren nicht danach. Komarow war eben doch kein Tannenberg. Außerdem: Es gab kein gut ausgebautes Netz von Rochadebahnen, die es erlaubten, Bewegungen schnell und unerkannt durchzuführen, keine Befestigungen, wie in den Masuren, die dem Gegner das Nachstoßen erschwerten, sondern nur endlose Straßen und weite Ebenen, Sumpf und Sand.

Die Wende bei Rawa Ruska

Max Hoffmann, einer der klugen Köpfe hinter dem Sieg von Tannenberg, bemitleidete Conrad: „Das Unglück des genialen Mannes bestand darin, daß das Instrument, seine Ideen in die Tat umzusetzen, ihm fehlte. Die Truppe versagte.“ Anders ausgedrückt: Conrad gehörte zu den Planern, die es mit dem Satz hielten, wenn die Realität nicht mit der Theorie übereinstimmt – umso schlimmer für die Realität. Während man im Westen dem jüngeren Moltke vorwerfen sollte, die Nerven verloren zu haben, als er die Marneschlacht zu früh abgebrochen hatte, klammerte sich Conrad im Osten viel zu lange an die Hoffnung, das Schicksal doch zwingen zu können, jetzt wo endlich auch die letzten Truppen vom Balkan eintrafen. Doch von einem Operieren auf der inneren Linie konnte längst nicht mehr die Rede sein. Bei Rawa Ruska vereinigten sich die von Osten vordringenden Russen mit den aus Norden nachstoßenden Armeen. Jetzt zählte nur mehr deren zahlenmäßige Überlegenheit; die österreichische Aufstellung wurde im rechten Winkel zurückgebogen. „Jetzt waren wir die Umzingelten“, schrieb einer der Sieger von Komarow wenige Tage später. Man konnte von Fortune sprechen, daß ihnen am 11. September der Rückzug überhaupt noch gelang.
Rawa Ruska war für Conrad eine doppelte Tragödie. Denn dort fiel auch sein Lieblingssohn. Besucher fanden den Generalstabschef deprimiert und aus dem Gleichgewicht. Er „lebe ganz abgeschieden und weint viel“.
Die Malaise nach Rawa Ruska löste auch Unstimmigkeiten zwischen den Verbündeten aus. Details von der Marneschlacht erfuhr man im Osten zwar keine. Aber das Ergebnis war klar. Verstärkungen aus dem Westen trafen nur tröpfchenweise ein. Der Zweifrontenkrieg ging in seine Verlängerung. Der Krieg schleppe sich hin, schrieb Conrad, wie ein Schwerkranker, der nicht sterben und nicht genesen könne. „Deutschland hat geglaubt, es wird Frankreich im Hand umdrehen niederringen und Rußland hat geglaubt, es wird mit seiner überwältigenden Macht uns einfach wegwischen – beide haben sich geirrt.“

Buddhistische Selbstverleugnung

Freilich, um die Front zu halten, brauchte man deutsche Unterstützung. Die wurde letzten Endes meist auch gewährt. Doch die gutmütige Herablassung, mit der Conrad sich dabei behandelt sah, setzte ungeahnte Ressentiments frei. „Am Anfang haben wir uns für Deutschland verblutet – und jetzt spielt es die Rolle des großmütigen Helfers in der Not. Die Gesellschaft hätte es verdient, daß die Kosaken nach Berlin gekommen wären – was zweifellos geschehen wäre, wenn wir anders gehandelt hätten.“ Die preußischen Militärs, Ludendorff und Falkenhayn, gegeneinander auszuspielen, dabei noch bei Wilhelm II. zu antichambrieren, war eine Kunst, die er bald beherrschte, doch: „Ich trete damit, um mich buddhistisch auszudrücken, in das zehnte Stadium der Selbstverleugnung.“
Paradoxerweise war es das deutsche Zögern, das Conrad einen Karriereknick ersparte. Österreich-Ungarn hätte sein Heer schon 1914 Ludendorff unterstellt, unter dem bloß nominellen Oberbefehl seines Erzherzogs Friedrich, eines Nicht-Charismatikers von hohen Graden, um das deutsche Interesse für den Osten zu wecken. Man war bereit, die Person zu opfern, um in der Sache recht zu behalten. Doch in Berlin ging man darauf nicht ein. Die Westfront hatte weiterhin Vorrang. Das Resultat war: Conrad überlebte, ja er entwickelte sich im Kreise seiner „Kollegen“, der allesamt glücklosen Heerführer des Sommers 1914, zu einem Überlebenskünstler.
Überleben, das war für die Habsburgermonarchie schon Triumph genug. Wenn ihn im Dezember 1914 jemand gefragt hätte, ob „Österreich-Ungarn den Krieg noch über Jahr und Tag aushalten würde, hätte ich unbedingt verneinend geantwortet“, schrieb Freytag-Loringhoven, der preußische Verbindungsoffizier bei den Österreichern. Dabei war damals noch nicht einmal von den Italienern die Rede, die Österreich im Mai 1915 den Krieg erklärten. In Berlin drängte man, den Italienern durch Gebietsabtretungen entgegenzukommen. Doch Kaiser Franz Joseph blieb stur. Damals – nicht 1914 – fielen die Worte, dann werden wir eben anständig zugrunde gehen. Selbst Conrad war zuletzt – ein weiteres Stadium der Selbstverleugnung – für Konzessionen an den ungetreuen Verbündeten eingetreten. Denn wie Österreich einen Dreifrontenkrieg durchstehen sollte, war nicht abzusehen.

Das Wunder am Isonzo

Doch wieder kam alles ganz anders. Das Wunder, das niemand für möglich gehalten hatte, stellte sich ganz selbstverständlich ein. Die Truppe quittierte den italienischen Kriegseintritt mit „Abscheu und Begeisterung“, wie ein erstaunter General notierte. Die Front am Isonzo hielt nicht bloß, im selben Monat brach die Offensive von Tarnow-Gorlice los, die mit der Eroberung Polens endete. Conrad stand am Zenith seiner Laufbahn. Zugegeben: Die Östereicher waren nicht die Speerspitze des Siegeszuges im Osten. Ohne deutsche Kapitalzufuhr wäre sich das nicht mehr ausgegangen, doch noch hielten sie statistisch gesehen einen Mehrheitsanteil am erfolgreichsten Feldzug des Weltkrieges.
Zum Schluß hatte Conrad sogar mit seiner Abberufung Glück. Der junge Kaiser Karl schickte ihn 1917 zwar nicht in die Wüste (auch dort hatten die Österreicher Truppen, nämlich in Palästina), sondern nach Tirol. So hatte er das Ende nicht zu verantworten. Im Felde vielleicht doch nicht ganz unbesiegt, blieb sein Nimbus erhalten, wurde mit dem Ende des Reiches sogar verklärt. Im Reich hatte man Moltke und Falkenhayn zu Sündenböcken erklärt; Ludendorff aber galt bei all seinen Meriten als esoterisch-überspannt und war mit der Erinnerung an 1918 belastet, als er die letzte Chance ergriffen – und vergeben hatte. Conrad dagegen, der tote mehr noch als der lebende, erwies sich als ein Mann für alle Jahreszeiten.
Während der „Räuber des Kirchenstaats“, das Königreich Italien, seine Armeen dem General Cadorna anvertraute, den sich die Österreicher schmeichelten, über den Papst beinflussen zu können, und es im Offizierskorps des republikanischen Frankreich von verkappten Monarchisten nur so wimmelte, führte die Armeen der letzten katholischen Großmacht ein erklärter Freigeist ins Feld, der vom Thronfolger extra zur Messe befohlen werden mußte. Conrad war ein schwarz-gelber „Freiheitlicher“ gewesen, das hieß: bei allem Patriotismus antiklerikal und deutschnational, trotz all seiner Klagen über den „preußischen Egoismus“. Als er 1925 starb, erhielt er ein Staatsbegräbnis, wie es die Erste Republik nicht wieder erleben sollte. Seinem Nachruhm vermochte kein Regimewechsel etwas anzuhaben. Der österreichische „Ständestaat“ kehrte 1933 ohnehin zur altösterreichischen Tradition zurück; das Dritte Reich war zwar argwöhnisch gegen die Habsburger und setzte den Thronerben auf seine Schwarze Liste, doch es ehrte ihre Heerführer; auch die Zweite Republik klammerte sich mit Vorliebe an die Österreicher, die einen Weltkrieg zuvor gefochten hatten. Selbst bei den Sozialdemokraten hatte er seine heimlichen Bewunderer, z. B. den General Karl Schneller, der einst seinem Tagebuch anvertraute: Conrad sei zwar vielfach am Standpunkt des Divisionärs stehengeblieben. Aber: „Die Geschichte wird das Bild anders zeichnen: Ich täte es selbst aus Verehrung und Liebenswürdigkeit.“

 
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