Germanische Siedlungen lassen sich in Böhmen und Mähren schon für die frühgeschichtliche Zeit vor der Völkerwanderung nachweisen. Die sudetendeutsche Volksgruppe entstand aber erst, als im 14. Jahrhundert die Könige von Böhmen deutsche Siedler in das böhmische Königreich und insbesondere in dessen Randgebiete riefen. Die Neusiedler wurden mit verschiedenen kulturellen, rechtlichen und steuerlichen Privilegien ausgestattet, die die Pflege ihres nationalen Eigenlebens sicherstellen sollten. Die Deutschen rodeten Urwald, bebauten Felder und brachten auch den Eisenpflug mit, der damals in Böhmen noch unbekannt war. Ganze Städte wurden von ihnen aufgebaut und sogar Böhmens Hauptstadt Prag trägt Kennzeichen deutscher Baukunst, war sie doch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine mehrheitlich deutsche Stadt, zumindest, wenn man das sich zur deutschen Kultur bekennende Judentum mitzählt. Über Jahrhunderte lebten Deutsche und Tschechen meist friedlich nebeneinander, bis die österreichisch-ungarische Monarchie 1918 zerfiel. Der neu ausgerufenen tschechoslowakischen Republik wurden die 3,5 Millionen Deutschen, die in den Randgebieten Böhmens und Mährens 90 bis 100 % der Bevölkerung stellten, ohne Berücksichtigung ihres Selbstbestimmungsrechtes eingegliedert. In rein deutsche Ortschaften kamen tschechische Beamte, Polizisten und Lehrer, verbunden mit Kommunikationsschwierigkeiten, da die Deutschen die neue tschechische Amtssprache kaum beherrschten.
Am 4. März 1919 demonstrierten die Deutschen in zahlreichen Städten Böhmens und Mährens für ihr Selbstbestimmungsrecht und gegen die Tschechisierung ihrer Siedlungsgebiete. In mehreren Orten eröffneten die tschechischen Sicherheitskräfte das Feuer auf die friedlichen Demonstranten und töteten insgesamt 56 Deutsche. Die Demonstrationen blieben folgenlos. Das vom amerikanischen Präsidenten Wilson proklamierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ fand auf die Sudetendeutschen keine Anwendung. 3,5 Millionen Deutsche wurden dem tschechoslowakischen Staat einverleibt, in dem die Tschechen selbst mit 7,4 Millionen knapp mehr als die Hälfte der Einwohner stellten.
Deutsche Beamte wurden aus allen Bereichen entfernt und das deutsche Schulwesen zurückgedrängt. Eine fast ausschließlich zugunsten der tschechischen Bevölkerung durchgeführte Bodenreform erfaßte 30% der Fläche des Sudetenlandes. In rein deutschen Städten und Ortschaften wurden neue Wohnsiedlungen und Schulen für tschechische Neusiedler gebaut. Wenn in einer Ortschaft mit 600 deutschen Einwohnern drei neue tschechische Familien mit sechs Kindern angesiedelt wurden, so wurde bereits für diese Kinder eine Schule gebaut und die deutschen Kinder aufgefordert, diese Schule zu besuchen.
Die ersten Jahre in der tschechoslowakischen Republik waren noch von einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet, wobei die Deutschen zwar nur 23 % der 14,7 Millionen Einwohner stellten, aber 40 % der Steuerleistungen erbrachten. Von der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre waren aber in erster Linie deutsche Unternehmer und Landwirte betroffen, da die Behörden ausschließlich die tschechischen Produzenten förderten. Die Arbeitslosenrate lag daher in den deutschen Randgebieten Böhmens und Mährens um vieles höher als im tschechischen Kernland. So verwundert es nicht, daß sich die Blicke der Sudetendeutschen immer mehr nach Deutschland richteten, insbesondere als dort die Arbeitslosigkeit verschwand. Lange Zeit hatten sudetendeutsche Politiker in erster Linie eine Autonomie für ihre Gebiete im Rahmen der tschechoslowakischen Republik angestrebt. Doch die tschechischen Machthaber waren zu keinerlei Zugeständnissen bereit gewesen. Als sich schließlich die Prager Regierung gesonnen zeigte, doch eine Autonomie einzuräumen, war es zu spät: Durch das Münchner Abkommen von 1938 wurde das Sudetenland mittels eines völkerrechtlich gültigen Vertrages, abgesegnet von den Großmächten England, Frankreich und Italien, dem deutschen Reich angeschlossen. Da die deutsche Regierung bis zu diesem Zeitpunkt nur dem Prinzip des „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gefolgt war, hatte sie auch die Unterstützung der anderen europäischen Großmächte gewinnen können. Doch 1939 brach Adolf Hitler mit allen seinen Zusicherungen, als er militärisch die sogenannte „Resttschechei“ besetzte, nachdem sich die Slowakei zuvor als selbständiger Staat abgespalten hatte. Auch die Sudetendeutschen hatten in der Zwischenzeit ihre Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur gemacht, insbesondere jene, die zuvor sozialdemokratisch oder christlich-sozial orientiert waren. Auch im Sudetenland wurde jede Opposition gegen das NS-Regime unterdrückt.
Nach dem von Deutschland verlorenen Zweiten Weltkrieg konnte der Führer der tschechischen Exilregierung Eduard Benesch das in die Tat umsetzen, was er nach eigenem Bekunden am liebsten schon nach dem Ersten Weltkrieg getan hätte: Die blutige und brutale Austreibung der 3,5 Millionen Sudetendeutschen, bei der rund 270.000 Menschen ihr Leben verloren und alles Hab und Gut der Heimatvertriebenen vom tschechischen Staat eingezogen wurde. Ein Vorgang, der nach dem Urteil des bekannten österreichischen Völkerrechtlers Prof. Felix Ermacora eindeutig den Tatbestand des Völkermordes erfüllt. 200.000 Sudetendeutsche wurden allerdings zurückgehalten, davon ca. 80 % unentbehrliche Facharbeitskräfte, 15 % in Mischehen lebende Deutsche und 5 % sudetendeutsche Kommunisten oder Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Aber auch diesen Zurückgehaltenen wurden das Eigentum mit wenigen Ausnahmen konfisziert und die Bürgerrechte aberkannt. Erst 1952 bekamen diese Deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, allerdings keinerlei Minderheitenrecht. Anfängliche zaghafte Versuche einer deutschen kulturellen Wiederbelebung, etwa in Form von sogenannten „Wandertheater- und Spielgruppen“ wurden nach kurzer Zeit seitens der Regierung verboten. Bis 1968 war es offizielle Linie, daß in der tschechoslowakischen Republik keine deutsche Minderheit existierte. Der Gebrauch der deutschen Muttersprache war verboten, und wer sich als Deutscher bekannte, wurde im öffentlichen Leben benachteiligt und diskriminiert.
Im Laufe des „Prager Frühlings“ 1968 konnten sich die Deutschen aber wieder zusammenfinden und den „Kulturverband der CR-Bürger deutscher Nationalität“ gründen, der bald 30.000 Mitglieder umfaßte und sogar eine deutsche Zeitung herausbrachte. In rund 50 Volksgruppen entfaltete dieser Kulturverband sehr schnell eine aktive kulturelle Tätigkeit. Nach dem Ende des Prager Frühlings und dem Einmarsch der Sowjets blieb der Kulturverband sogar erhalten, wurde aber der kommunistischen Ideologie der CSSR angeglichen. Alle Funktionäre mußten der KP beitreten, der Kulturverband wurde von den Parteispitzen und dem Staatssicherheitsdienst streng beaufsichtigt, seine deutsche Zeitung ideologisch zensuriert. In den folgenden Jahren verringerte sich die Mitgliederzahl auf ca. 10.000 im Jahr 1989.
Erst nach der sogenannten „samtenen Revolution“ im November 1989 konnte sich die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei frei entfalten, neue Ortsgruppen wurden gegründet und schließlich, 1992, sogar eine neue Dachorganisation, die „Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien“. Heute gehören zu dieser Dachorganisation 22 deutsche Regionalverbände mit ca. 10.000 Mitgliedern. Daneben blieb aber auch der Kulturverband erhalten mit heute 10 Ortsgruppen und ca. 4.000 Mitgliedern, womit zwei sich gegenseitig konkurrierende deutsche Organisationen in Tschechien existieren, zum Nachteil der deutschen Minderheit und zum Vorteil des Staates, der kein Interesse an einer starken Minderheitsorganisation hat. Geschwächt durch diese Spaltung ist die deutsche Minderheit auch nicht in der Lage, sich für eine Ausweitung der Minderheitenrechte im politisch-gesellschaftlichen Bereich einzusetzen. So forderte die „Landesversammlung“ von der tschechischen Regierung eine Entschädigung der Deutschen, wogegen der „Kulturverband“ eine solche Forderung ausschließt.
Im heutigen Tschechien bekennen sich noch 40.000 Bürger zur deutschen Nationalität, wobei die tatsächliche Zahl etwa doppelt so hoch sein dürfte. Viele tschechische Bürger deutscher Abstammung fühlen sich assimiliert und legen keinen Wert mehr auf ihre deutsche Nationalität, die Mehrzahl aber, insbesondere der älteren Bürger, ist aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte heute noch so eingeschüchtert, daß sie vor einem öffentlichen Bekenntnis zur deutschen Abstammung zurückschreckt. Eine „sudetendeutsche“ Minderheit wird es in Tschechien aber bereits in ca. 15 Jahren nicht mehr geben. Zwar bekennen sich grob geschätzt immer noch ca. 1.000 Jugendliche in der tschechischen Republik zu ihrem deutschen Erbe, wobei sich diese aber nicht mehr als „Sudetendeutsche“ verstehen, sondern einfach als Deutsche, wobei viele von ihnen aus gemischten Familien kommen.
Ein deutsches Minderheitenschulwesen existiert nicht. Lediglich die deutschen Verbände organisieren Sprachkurse auch für Jugendliche und werden dabei von der deutschen Bundesregierung unterstützt. Öffentliche Unterstützung seitens der österreichischen Regierung gibt es nicht – obwohl die Sudetendeutschen jahrhundertelang österreichische Bürger waren, Bürger eines deutschen Reiches aber gerade einmal sechs Jahre. Die sudetendeutschen Altösterreicher sind im offiziellen Wien nach wie vor vergessen, nur von privaten Organisationen wie verschiedenen österreichischen Burschenschaften wird unsere Jugendarbeit unterstützt.
Die deutsche Minderheit hat auch keine Vertreter in den politischen Parteien, den Kommunen, im Parlament oder gar in der Regierung. Für die Belange der nationalen Minderheiten in Tschechien wurde allerdings ein sogenannter „Nationalitätenrat“ eingerichtet. Als Beratungsorgan der tschechischen Regierung ist er für sämtliche Fragen der Minderheiten zuständig. Jeweils zwei Vertreter von Deutschen, Polen, Slowaken, Roma, Ukrainern und Bulgaren sind in ihm vertreten und treffen dort auf Repräsentanten des Kulturministeriums, des Schulministeriums, des Parlaments und der Präsidialkanzlei. Eine der wichtigsten Aufgaben des Nationalitätenrates besteht in der Verteilung von staatlichen Förderungsmitteln für kulturelle Aktivitäten der Minderheiten, sonstige Befugnisse hat der Nationalitätenrat aber keine. Er kann lediglich Empfehlungen an Regierung, Parlament oder Ministerien aussprechen. In dem angesprochenen kulturellen Bereich kann man tatsächlich von einer gewissen öffentlichen Förderung der finanziellen Bedürfnisse der deutschen Minderheit sprechen. Neben den verschiedenen Kulturgruppen sind insbesondere die zwei wöchentlich erscheinenden deutschen Zeitungen ein Beweis für die Existenz der deutschen Minderheit in Tschechien.
Durch einen Staatsvertrag, den 1992 Tschechien und die BRD schlossen, wurde vereinbart, sogenannte deutsch-tschechische Begegnungszentren aufzubauen, die sich in der Verwaltung der deutschen Minderheit befinden sollten. 12 solcher Begegnungszentren im ehemaligen Sudetenland wurden seither, gefördert durch die deutsche Bundesregierung, errichtet und leisten einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung des deutschen Kulturgutes.
Entgegen den Behauptungen tschechischer Politiker, daß die Benesch-Dekrete erloschen seien, ist das Dekret Nr. 108 vom 25. Oktober 1945 über die Konfiskation feindlichen Vermögens weiterhin in Kraft und wird nach wie vor gegen tschechische Staatsbürger deutscher Nationalität angewandt. Ebenso ist das Dekret Nr. 115 vom 8. Mai 1946 nach wie vor in Kraft, das sämtliche Straftaten von Tschechen an Deutschen – einschließlich Mord – amnestierte, wodurch bis heute alle noch lebenden Täter straffrei blieben!
Zwar fordern einige tschechische Intellektuelle wie der Politologe Dr. Dolezal oder der Historiker Dr. Kucera eine Aufhebung dieser Dekrete, aber nach allen Meinungsumfragen sind mehr als 80 % der heutigen tschechischen Bevölkerung für ihre Aufrechterhaltung.
Walter Sitte ist der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen in Nordmähren-Adlergebirge.
Die Kontaktadressen der 23 deutschen Begegnungszentren sind unter folgender Adresse zu erfragen: Shromázdeni Nemcu v Cechách, na Morave a ve Slezsku
Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien Na Ocechoce
58 162 00 Praha 6, Tel.: (00420/233) 344 410; (0042/233) 344 416, Fax: (00420/233) 344 372,
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