Archiv > Jahrgang 2003 > NO I/2003 > Die Wiedergeburt deutscher Dichtung 

Die Wiedergeburt deutscher Dichtung

Von Karl Betz

Friedrich Gottlieb Klopstock zum 200. Todestag

Friedrich Gottlieb Klopstock, der als der erste große Klassiker Deutschlands gefeiert wurde, starb am 14. März 1803. Er wurde, so ein Zeitbericht, „unter Anteilnahme des ganzen Volkes“ auf dem Friedhof des hamburgischen Elbvororts Ottensen „wie ein Fürst zu Grabe getragen“.

Während man zu seiner Zeit in höfischen und bürgerlichen Kreisen das Französische pflegte, weil die Bildung den Weg zur eigenen deutschen Sprache nicht fand, wandte sich Klopstock schon in jungen Jahren gegen die „Tyrannei französischen Geschmacks“. Fraglos ist es auch sein Verdienst, die deutsche Poesie aus den Zwängen des Gleichklangs der Reime hin zum Klang der Worte nach ihrer Bedeutung entwickelt zu haben. Er kultivierte den griechischen Hexameter und machte damit die Verskunst der Alten der deutschen Sprache eigen. Das erhabene Werk Klopstocks, die Gefühls- und Sprachgewalt seiner Lyrik, klingt in den Gedichten des jungen Goethe genau so nach, wie es die Werke von Schiller, Hölderlin und viel später Rilke und Stefan George beeinflußte.
Friedrich Gottlieb Klopstock wurde am 2. Juli 1724 als ältestes von 17 Kindern eines wohlhabenden Advokaten in Quedlinburg geboren. Pietistisch erzogen, studierte er, nach dem Besuch der berühmten Fürstenschule Schulpforta, in Jena und Leipzig Theologie. Bereits 1748 erschienen die ersten drei Gesänge seines Hauptwerkes „Der Messias“, das er erst 1774 fortsetzte und 1780 vollendete. Es schildert in wortgewaltigem Epos in nahezu 20.000 Hexametern die Leidens- und Auferstehungsgeschichte Christi vor dem Hintergrund himmlischer und höllischer Gewalten. Schon die ersten Gesänge erregten großes Aufsehen, lösten wahre Begeisterung aus für die reine Sprache einer neuen deutschen Dichtkunst. Den interessierten Leser von heute schreckt nicht nur der Umfang des Werkes, sondern sicherlich auch das überhöhte Pathos, und dennoch kündet schon der Anfang der Ode von der die Seele tief bewegenden Sprachgewalt:

„Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet…“

Nach einer Hauslehrertätigkeit in Langensalza folgte Klopstock einer Einladung nach Zürich. 1751 rief ihn der dänische König nach Kopenhagen und ermöglichte ihm eine sorgenfreie Schaffenszeit. 1754 heiratete er die vermögende, selbst literarisch tätige Hamburger Kaufmannstochter Meta Moller, deren früher Tod 1758 die glückliche Verbindung beendete. 1774 folgte Klopstock einer Einladung des Markgrafen Karl Friedrich von Baden. In dieser Zeit pflegte er intensive Kontakte mit dem jungen Goethe. 1791 heiratete er die verwitwete Frau von Winthen; auch diese Verbindung blieb kinderlos. Während Klopstocks theoretische Schriften zu Fragen der Poetik, Metrik, Grammatik und Orthographie ebenso wie sein utopisches Werk „Die deutsche Gelehrtenrepublik“ (1774) heute nur noch geringes Interesse finden, sind die freirhythmischen, reimlosen Oden auch in unserer Zeit immer noch (oder wieder?) bedeutungsvoll.
Der große Historiker Johannes Haller (1865–1947), der vor seiner Professur in Tübingen auch in Marburg und Gießen lehrte, publizierte nach 1945 „mit dem festen Willen…, daß aus dem Elend der Gegenwart eine bessere Zukunft hervorgehen muß“, über die Oden Klopstocks: „Heute noch ist es Pflicht, sich der Worte zu erinnern, mit denen Deutschlands erster großer Dichter im Jahre 1768 sein Vaterland begrüßte: „…Ich schweige – Und sinne dem edlen, schreckenden Gedanken nach, Deiner wert zu sein, mein Vaterland!“ Haller doziert weiter über Klopstocks Oden: „Auch die empfindliche Schwäche seiner Nation hat dieser vaterländische Dichter schon richtig getroffen in seiner Ode von der „Überschätzung der Ausländer“ (1781):

Verkennt denn euer Vaterland,
Undeutsche Deutsche! Steht und gafft
Mit blöder Bewunderung großem Auge
Das Ausland an!
Dem Fremden, den ihr vorzieht, kam’s
Nie ein, den Fremden vorzuziehen.
Er haßt die Empfindung dieser Kriechsucht,
Verachtet euch!

Zu Zeiten Klopstocks waren es die französischen Kultureinflüsse, die dazu führten, daß „Deutsche wie Franzosen halb römisch“ (Klopstock) redeten und denen Klassiker wie Lessing, Voß, Wieland, Herder, Goethe und Schiller entschieden und mit Erfolg entgegentraten. In unserer Zeit ist es der anglo-amerikanische Einfluß, der unserer Sprache und Kultur schweren Schaden zufügt und schließlich zum Verlust unserer nationalen Identität führen kann.
Um nicht mißverstanden zu werden: Nichts gegen Englisch als große Handels- und Weltsprache. Hier geht es einzig und allein um die Pflege und Bewahrung deutscher Kultur und um die Erhaltung der kulturellen und fruchtbaren Vielfalt in Europa als dem „Vaterland der Vaterländer“ (de Gaulle). Und Klopstock lehrt uns: Wer nur anderer Meinung oder Geschmack hat oder wer nur nachahmt, ist ein Knecht; wer selbst denkt und selten nachahmt, ist ein Freier!

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com