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Das Licht für Osteuropa?

Von Rudolf Grulich

Der Neuanfang der Freimaurerei im ehemaligen kommunistischen Machtbereich

Es wird seit der Wende viel gesprochen, geschrieben und berichtet über die Wiedergeburt der Kirchen im ehemaligen kommunistischen Machtbereich Ost- und Ostmitteleuropas. Nach der Wende erstarkten nicht nur die Kirchen dank der wiedererlangten Religionsfreiheit, sondern auch die Freikirchen und Sekten, die oft durch massive Hilfe aus dem westlichen Ausland in manchen Ländern des Ostens sogar zu ernsthaften Konkurrenten der traditionellen Kirchen wurden. Ein wenig erwähnter Aspekt des geistigen Neubeginns in Ost- und Mittelosteuropa ist auch das offizielle Wiederaufleben der Freimaurerei in diesem Gebiet. Sie ist heute wieder in allen Staaten Osteuropas vertreten.

Nach der Etablierung der sowjetischen Macht infolge des Zweiten Weltkrieges waren die Freimaurerlogen in allen kommunistischen Satellitenstaaten, wo sie sich 1945 nach der nationalsozialistischen Unterdrückung wieder etabliert hatten, bald verboten worden. In Ungarn erfolgte das Verbot erst 1950, in der Tschechoslowakei 1951.
In vielen Fällen kam es dann schon bald zu Logengründungen im politischen Exil. Tschechische Logen, die es bereits im Zweiten Weltkrieg in London gab und der auch Mitglieder der Exilregierung von Edvard Beneš angehörten, entstanden in Mannheim und München, eine polnische Loge „Copernicus“ gab es schon seit dem Zweiten Weltkrieg in Paris.
Die erste anerkannte Loge in einem kommunistischen Staat wurde bereits 1961 in Warschau durch die „Lichteinbringung“ errichtet, wie der maurerische Terminus für die Gründung einer Loge heißt. Sie nannte sich „Kopernik“ und kooperierte seit 1963 mit der gleichnamigen polnischen Pariser Exil-Loge. Ein echter Neubeginn setzte aber auch in Polen erst 1991 ein.
Diese Neugründungen im Osten sind kein Geheimnis, sondern in der Freimaurerliteratur nachzulesen, auch in der Zeittafel der Geschichte der Freimaurerei im neuen überarbeiteten „Internationalen Freimaurerlexikon“. Letzteres war 1932 erstmals erschienen und nach dem Tod der Herausgeber Eugen Lenhoff und Oskar Posner insgesamt zehnmal nachgedruckt worden, ehe Dieter A. Binder als Herausgeber und Autor eine überarbeitete Fassung vorlegte, die das Lexikon bis zum Jahre 2000 fortschreibt. Es „wendet sich in gleicher Weise an Freimaurer und an Profane, also Nichtfreimaurer. Damit entspricht es der Intention von Eugen Lenhoff und Oskar Posner, die 1932 erstmals diesen Band publizierten“, heißt es im Vorwort zur Auflage 2000.
Lenhoff wurde 1891 in Basel geboren, ging 1914 als Journalist nach Wien, wo er als Angehöriger eines neutralen Staates ins Kriegspressequartier zugelassen wurde und sich nach dem Krieg in der sich formierenden österreichischen Freimaurerei engagierte. Er war 1928 Herausgeber der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Großloge in Wien und deren Großbeamter, erster Großkommandeur des „Obersten Rates des Schottischen Ritus von Österreich“. Außerdem vertrat er die Großloge in der „Association Maconnique Internationale“ und leitete die Zentralstelle der „Allgemeinen Freimaurerliga“. Seine Bücher über die Freimaurer wurden auch ins Englische und Französische übersetzt. Lenhoff starb 1944 im englischen Exil. Der 1878 in Breslau geborene Mitherausgeber von 1932, Oskar Posner, war 1910 in seiner Heimatstadt in die Loge „Settegast zur deutschen Treue“ aufgenommen worden und wurde nach seiner Übersiedelung als Arzt nach Karlsbad Meister vom Stuhl der dortigen Loge „Munificentia zur Verbrüderung am Sprudel“. Als solcher betrieb er 1920 die Gründung der Großloge „Lessing zu den drei Ringen“ in der Tschechoslowakei, lehnte aber das Amt des Großmeisters ab. In enger Zusammenarbeit mit der Großloge „Zur Sonne“ in Bayreuth kam es 1927 zur Gründung einer Forschungsloge „Quattuor Coronati“ in Prag. Er leitete die Zeitschrift „Drei Ringe“ und starb 1932. Im Gegensatz zu Lenhoff blieb er stets innerhalb der Johannismaurerei und gehörte keinem Hochgradsystem an.
Das 951 Seiten umfassende und nun neu vorliegende Internationale Freimaurerlexikon verdient Beachtung, weil es eine Fülle von Fakten liefert, gerade über die Lage in den Ländern Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas. In kirchlichen Kreisen Deutschlands und Österreichs, von wo viel Hilfe für die Jahrzehnte hindurch unterdrückten Kirchen Osteuropas erfolgt, scheint man sich über das Ausmaß des Neueinstiegs der Freimaurer nicht im klaren zu sein. Dabei wird darüber in den Zeitschriften der Großlogen und eben auch in diesem Lexikon relativ offen berichtet. Grund für dieses scheinbare Desinteresse ist der Versuch, die Freimaurerei zu verharmlosen.

Freimaurer und katholische Kirche

Als vor 20 Jahren – 1983 – das neue Kirchliche Gesetzbuch, der „Codex Juris Canonici“ (CIC), der katholischen Kirche in Kraft trat, wurde die Freimaurerei nicht mehr ausdrücklich unter den Vereinen genannt, deren Zugehörigkeit für einen Katholiken unter Strafe gestellt wird. Seit 1983 gilt nur ein generelles Verbot für die Mitgliedschaft in Vereinigungen, die gegen die Kirche arbeiten. Dies hat seither zu verschiedenen Meinungen darüber geführt, ob die Zugehörigkeit zur Freimaurerei einem Katholiken heute erlaubt sei.
Der CIC vom Jahre 1917 hatte im Canon 2335 für die Katholiken, die einer freimaurerischen Vereinigung beitraten, noch die Exkommunikation vorgesehen. Der Canon 2336 sah spezielle Strafbedingungen für Priester und Ordensleute vor, die gegen Canon 2335 verstießen. Wegen der Exkommunikation wurden die Freimaurer auch in den Paragraphen über das Erbrecht, über die Verweigerung kirchlicher Begräbnisse und beim Ausübungsverbot des Patronatsrechtes genannt.
Schon während des Zweiten Vatikanums plädierten verschiedene katholische Theologen für eine Neubewertung des beiderseitigen Verhältnisses. Damals wurde auch von einigen Großmeistern der Freimaurer die Bitte an katholische Bischöfe ausgesprochen, die katholische Position neu zu überdenken. 1968 forderte Kardinal Franjo Šeper als Präfekt der Römischen Glaubenskongregation die nationalen Bischofskonferenzen auf, zum Verhältnis Kirche und Freimaurertum in ihrem Amtsbereich Stellung zu beziehen. Die Gespräche in Österreich führten 1970 zur Lichtenauer Erklärung, in der die belastende Geschichte der Gegnerschaft angesprochen wurde. Die Deutsche Bischofskonferenz informierte am 12. Mai 1980 über ihre Gespräche mit den Freimaurern, mußte dabei aber klar die Unvereinbarkeit einer gleichzeitigen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und zur Freimaurerei feststellen.
Schon 1974 hatte die Römische Glaubenskongregation den Canon 2335 des CIC etwas revidiert und erklärt, er beziehe sich nur auf jene Vereinigungen, die eindeutig gegen die Kirche arbeiteten. Dies war eine erste Reaktion auf die unterschiedliche regionale Beurteilung, etwa in Skandinavien, wo die Bischöfe die Mitgliedschaft von Katholiken in den dortigen Logen für unbedenklich hielten. Katholische Theologen, die das Freimaurertum positiv würdigten, hoben hervor, daß nur die romanischen Freimaurer stark politisch, antiklerikal und antichristlich engagiert, die deutschen und skandinavischen dagegen mehr ethisch-spekulativ orientiert seien, während die anglo-amerikanische Freimaurerei mehr gesellig und wohltätig sowie wenig „öffentlichkeitsscheu“ sei. Bekanntlich erkennt die Mutterloge in London nur diejenigen  Freimaurervereinigungen als regulär an, die an den „Höchsten Baumeister aller Welten“ glauben. Diese Grundlage hatten die französischen Freimaurer im 19. Jahrhundert abgeschafft, um auch Atheisten den Logeneintritt zu ermöglichen.
1983, einen Tag vor dem Inkrafttreten des neuen Codex, erklärte Kardinal Josef Ratzinger in einer „Declaratio de associationibus massonicis“, daß das „negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen unverändert bleibt, weil ihre Prinzipien immer noch als unvereinbar mit der Kirche betrachtet werden und deshalb der Beitritt bei ihnen verboten bleibt“. Der Kardinal betonte ausdrücklich: „Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand schwerer Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen.“ Das gilt auch noch heute. 1991 hat der kanadische Kardinal Eduard Gagnon, der bis 1990 Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie war, betont, daß auch Papst Johannes Paul I. gegenüber Kardinalstaatssekretär Jean Villot die Freimaurerei als „lebendiger denn je“ sah und eine „Kraft des Bösen“ nannte. Gagnon dankte Kardinal Ratzinger für seine Entschlossenheit.
Obwohl bereits Papst Clemens XII. im Jahre 1738 über den Beitritt zur Freimaurerei die Exkommunikation verhängt hatte und diese Bestimmung von Benedikt XIV. 1751 erneuert wurde, hielten sich viele Katholiken, ja selbst Geistliche und Bischöfe des 18. Jahrhunderts, nicht daran. Reinhold Taute nennt in seinem 1909 erschienenen Buch „Die katholische Geistlichkeit und die Freimaurerei“ über 500 Priester und Kirchenmänner als Mitglieder, doch nur für das 18. Jahrhundert und mit ganz wenigen Ausnahmen bis in die ersten zwei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Geistliche deutsche Kurfürsten und Erzbischöfe sind ebenso darunter zu finden wie verschiedene Bischöfe in Belgien, Polen oder Ungarn, Äbte und Obere von Orden wie der Hochmeister des Deutschen Ordens, aber auch katholische Komponisten wie Joseph Haydn und Wolfgang A. Mozart. Und dennoch hat am Ende des 19. Jahrhunderts Leo XIII., ein aufgeklärter Papst, der als frei von Vorurteilen galt, die Freimaurerei erneut mehrfach verurteilt.

Freimaurer und nichtkatholische Christen

Ganz anders war das Verhältnis zu den Freimaurern stets in den evangelischen Kirchen, wo man bis heute in Deutschland und Holland evangelische Geistliche als Großmeister der Freimaurerei oder Träger anderer Funktionen findet. 1973 fanden in Deutschland Gespräche zwischen Freimaurern und der evangelischen Kirche statt. Dabei wurde festgestellt, daß es für die kirchlichen Gesprächspartner nicht möglich war, sich über das Ritual in seiner Bedeutung eine abschließende Meinung zu bilden. Die Schlußerklärung vom 13. Oktober 1973 überläßt die Doppelmitgliedschaft dem freien Ermessen des einzelnen. In den USA sollen allein in der Großloge von Alabama unter insgesamt 53.000 Brüdern 1.550 Geistliche verschiedener protestantischer Kirchen sein.
Daß in den USA seit dem ersten Präsidenten George Washington fast alle Präsidenten Freimaurer waren und sind, ist eine bekannte und nicht geleugnete Tatsache. Auch Vater und Sohn Bush sind Hochgradfreimaurer, die, wie andere Präsidenten, ihren Eid mit der Hand auf der ehrwürdigsten Freimaurer-Bibel der Welt abgelegt haben, welche sonst im Livingston-Museum der Loge vom Heiligen Johannes in New York aufbewahrt wird. Den Grundstein für die Freiheitsstatue von New York legte die dortige Großloge. Die Dollarnote zeigt eine ganze Reihe von freimaurerischen Zeichen wie die von einem Auge gekrönte Pyramide, die Staatssekretär Morgenthau 1935 in die Banknote einfügen ließ. Das Internationale Freimaurerlexikon geht wie andere Standardwerke über die Freimaurerei davon aus, daß von fünf Millionen Freimaurern der Welt mindestens drei Millionen in den USA leben. Unter den Stichworten sind alle Staaten der USA aufgeführt und werden konkrete Zahlen genannt, oft sogar Adressen, wie bei New York, wo die Großloge zu Beginn der achtziger Jahre 153.000 Brüder in 848 Logen hatte, dazu kam die 1845 gegründete „Prince Hall Grand Logde“ mit 77 weiteren Logen. In Texas, der Heimat von George Bush, entstanden schon 1837 die ersten drei Logen. Für 1998 nennt das Lexikon 144.884 Brüder in 907 Logen, dazu kommt auch hier die „Prince Hall-Großloge“ mit 424 weiteren Logen.
In England ist es seit langem üblich, daß manche Ämter der Freimaurer mit anglikanischen Geistlichen besetzt sind. Eine große Anzahl anglikanischer Bischöfe war in den letzten beiden Jahrhunderten Inhaber hoher freimaurerischer Würden. Im Jahr 1930 waren z. B. die Bischöfe von Birmingham, Bradford, Bristol, Buckingham, Coventry, Derby, Liverpool, Rochester und Worchester „Grand Chaplains“ bzw. „Past Grand Chaplains“ der Großloge von England, in Übersee auch die anglikanischen Bischöfe von Kalkutta und Perth. Auch die englischen Könige waren stets Freimaurer; Prinz Charles soll der erste Thronfolger sein, der eine Mitgliedschaft abgelehnt hat.
Auch in den orthodoxen Kirchen ist es immer wieder der Fall, daß sogar Bischöfe Logen angehören. Schon Ende des 18. Jahrhunderts war der orthodoxe Bischof Methodios von Belgrad Mitglied der dortigen Loge, in Griechenland der Erzbischof von Patras, der auch Mitglied der ersten provisorischen Regierung nach dem Befreiungskrieg 1821–1829 war. Von den früheren Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel sind hier Meletios und Athenagoras zu erwähnen.

Freimaurer in den islamischen Ländern

Im Judentum lehnt nur die strenge Orthodoxie – ähnlich wie die katholische Kirche – das Freimaurertum ab, um die Glaubensreinheit nicht zu gefährden; die liberalen Juden, von denen viele den Logen angehören, tun dies dagegen nicht. Während in England seit den Anfängen der Freimaurerei auch Juden zugelassen waren und es später jüdische Logen gab, lagen die Dinge auf dem Kontinent anders, und noch Ende des 19. Jahrhunderts nahmen manche deutschen Logen keine Juden auf.
In Palästina bestand schon 1932 eine Großloge von Palästina, daneben gab es weitere Logen unter englischer, schottischer und deutscher Jurisdiktion, mit jüdischen, christlichen und muslimischen Brüdern. 1953 wurde die heutige Großloge von Israel gegründet, wobei unter schottischer Regie die Lichteinbringung erfolgte. Heute zählt Israel in der Großloge rund 75 Logen, daneben existieren auch Logen des Royal Arch und der Oberste Rat des Alten und Angenommenen schottischen Ritus. Im Siegel der Großloge von Israel sind die Symbole der drei monotheistischen Religionen vertreten.
Entgegen landläufiger Meinung ist die 1843 in New York gegründete Vereinigung „B’nai B’rith“ eine unabhängige Gesellschaft, die nur Juden aufnimmt. Sie hat teilweise Gebräuche und Riten übernommen, doch wird von seiten der Logen betont, daß diese Gesellschaft nicht zu den Freimaurern gehört. Immer noch ruft in christlichen Kreisen der Hinweis auf Freimaurerlogen  in islamischen Ländern Überraschung und ungläubiges Staunen hervor. Deshalb ist es interessant, daß das Internationale Freimaurerlexikon vom Jahre 2000 viele detaillierte Angaben über das Verhältnis der Freimaurer zum Islam enthält, über verschiedene Logen in islamischen Staaten sowie über islamische Einzelpersönlichkeiten, die Logenmitglieder waren.
Über islamische Bruderschaften und Derwisch-Bünde läßt sich manche Wesensverwandtschaft islamischer geheimer Gruppen mit der Praxis der Freimaurer erschließen. Andererseits tagte vom 8. bis 10. April 1974 die Islamische Welt-Liga in Mekka und erklärte in einem Abschlußdokument die Freimaurerei als unvereinbar mit dem Islam. Mit Bedauern nahmen damals die muslimischen Vertreter zur Kenntnis, daß die katholische Kirche nicht mehr an ihrer traditionellen Ablehnung der Freimaurerei festhalte. Die Islamische Welt-Liga forderte 1974 alle Muslime, die einer Loge angehörten, zum Austritt auf und schloß jeden dort verbleibenden Muslim von allen islamischen Ämtern aus. Jordanien, der Libanon und die Türkei wehrten sich gegen diese Bestimmungen; in den anderen islamischen Ländern waren rund 20.000 Freimaurer davon betroffen. In einzelnen Ländern aber wurden nun die Logen verboten.
Die älteste Freimaurertradition in der islamischen Welt hat die Türkei. Im Bereich der Osmanischen Türkei, die sich bis 1912 auf drei Erdteile (Europa, Asien, Afrika) erstreckte, ist es früh zur Gründung von Freimaurer-Logen gekommen. Sie waren oft von Nicht-Muslimen, auch von Ausländern, getragen, was nach 1918 im Vorderen Orient noch durch die Mandatsmächte England und Frankreich verstärkt wurde. Schon am 24. Mai 1738 war in der Londoner Zeitung „St. James Evening Post“ zu lesen: „Wir hören aus Konstantinopel, daß die Logen von Smyrna und Aleppo stark anwachsen und daß einige Türken von Distinktion Aufnahme gefunden haben.“ Aleppo ist heute neben Damaskus die wichtigste Stadt Syriens, und dies zeigt, daß nicht nur im türkischen, sondern auch im arabischen Raum Freimaurer tätig waren. Um das Jahr 1800 entstand eine Loge im heutigen Iskenderun, dem alten Alexandrette. Zur gleichen Zeit gab es im damaligen Register der Großloge von Schottland einen Großmeister für „all Armenia in the East Indies“.
Nicht nur in Konstantinopel und Smyrna, auch in Mazedonien, im damals noch türkischen Belgrad und in Thrakien entstanden Logen unter verschiedenen Obedienzen. Die Zahl der Türken war relativ klein, meist gehörten Fremde sowie einheimische Christen und Juden den Logen an. Neben den Großlogen von England und Schottland war die „Grande Loge Nationale“ von Genf tätig, aber auch der „Grand Orient“. 1784 z.B. errichtete der Großorient von Polen die Loge „Morgenröte von Konstantinopel“. In Belgrad gehörte der Loge am Ende des 18. Jahrhunderts der türkische Pascha an. Während des Krimkrieges, als England und Frankreich mit der Türkei gegen Rußland verbündet waren, kam es zu weiteren Gründungen, etwa der „Oriental Lodge No. 687“, die es noch heute in Istanbul gibt. Die Loge „L’Etoile du Bosphore“ wurde 1858 vom Grand Orient de France begründet.
Die Gründungen von Logen nahmen in der Folgezeit zu, so daß es für die Türkei bald das innere Problem „irregulärer Gründungen“ und von Nichtanerkennungen gab, aber auch verstärktes Interesse von Muslimen an der Freimaurerei. Sogar der osmanische Kronprinz und spätere Sultan Murad V. wurde Mitglied. Da der Sultan auch Kalif war, also „Beherrscher der Gläubigen“ und Stellvertreter Mohammeds, spielte bei der Absetzung Murads durch seinen Stiefbruder Abdulhamid diese Zugehörigkeit zur Loge eine Rolle. Abdulhamid unterband als Sultan die Tätigkeiten der Freimaurer, die er als politischen Faktor Englands sah; es gab Verfolgungen und Verbannungen, aber dadurch auch verstärkte Sympathien der Jungtürken für die Logen.
In Saloniki wurden manche türkischen Offiziere in die Logen „Macedonia risorta“, „Veritas“, „Labor et lux“, „Perseverancia“ u. a. aufgenommen, darunter der spätere Großwesir Talat Pascha und Kemal Pascha, der spätere Atatürk und Gründer der modernen Türkei. Eine wichtige Rolle spielte die Freimaurerei bei der Gründung des Türkischen Roten Halbmondes, dessen Präsident auch Großmeister der Freimaurer war. Zwischen den beiden Weltkriegen gab es neben türkischen, griechischen, armenischen, englischen, italienischen und französischen Logen auch eine deutschsprachige Loge „Stambul“ des Großorients.
Heute sind 98 Logen in der Türkei bekannt, außer in Istanbul und in Ankara auch in Izmir und anderen Städten, darunter in Istanbul noch zwei griechischsprachige. Dachorganisation ist die „United Grand Lodge of Turkey“, die in Anlehnung an die „United Grand Lodge of England“ steht. Die türkischsprachigen Logen haben das französische Ritual angenommen.
Ob die Nachbarländer der Türkei, wie Syrien, der Irak oder der Iran, ob nordafrikanische Staaten, wie Ägypten oder Algerien – es gibt kaum einen islamischen Staat, der nicht eine Geschichte von Freimaurerlogen hätte. Selbst in Saudi-Arabien, wo Einheimischen der Eintritt verboten ist, haben die „American Canadian Grand Lodge“ und die Vereinigten Großlogen von Deutschland unter den ausländischen Fachleuten seit 1962 Logen gegründet, „die jedoch sehr zurückhaltend auftreten“. Ihre Existenz wurde bekannt, als 1977 die Mitglieder der Loge „Red Sea Lodge No. 919“ in Dschidda verhaftet und ausgewiesen wurden.
Verboten ist die Freimaurerei außer in Saudi-Arabien auch im Iran, wo die Todesstrafe auf ihre Ausübung steht. Schon im 19. Jahrhundert waren persische Diplomaten und Adelige in europäischen Logen aufgenommen worden, andere Perser aber auch in Logen Istanbuls und Palästinas. Die erste Loge im Iran enstand 1919, 1969 kam es unter dem Schah zur Gründung einer Großloge, die 1978 von Khomeini als Ausdruck des Imperialismus und Zionismus verboten wurde. Auch im Irak gibt es ein solches Verbot, ebenso in Ägypten, wo es bis zum Verbot unter General Nasser Logen unter der Jurisdiktion zweier Nationaler Großlogen gab, aber auch solche, die unter dem Großorient von Frankreich oder den Großlogen Englands standen. Offiziell ist nach dem Abzug der Franzosen auch in Algerien das Freimaurertum erloschen. Aber wie nach 1945 das osteuropäische Freimaurertum in Exil-Logen weiterlebte, gibt es auch ein solches Weiterleben von Logen mit muslimischen Mitgliedern aus Ländern, in denen dies nicht offiziell möglich ist, in westlichen Staaten, insbesonders in Frankreich und Großbritannien, aber auch in den muslimischen Regionen des Balkans und Rußlands.

Neuanfang bereits 1989

In Ungarn nahm die erste Loge bereits 1989 ihre Tätigkeit auf, in Rußland 1990, in Bulgarien 1992, in der Ukraine 1994, in Litauen und Estland 1995, in Lettland 1996, in Bosnien 1999. Dort, wo alte Freimaurertraditionen erneuert werden konnten, schlossen sich die zunächst vom Ausland abhängigen Einzellogen bald zu Nationalen Großlogen zusammen. Dies erfolgte bereits 1990 in der Tschechoslowakei, als die Nationale Großloge erneuert wurde, die nach der Trennung der Slowakei dann zur Großloge von Tschechien wurde. 1991 wurde die Nationale Großloge von Polen errichtet, 1993 folgten die Großlogen von Rumänien und Jugoslawien und 1995 in Moskau die Nationale Großloge von Rußland. In Kroatien und Slowenien wurden eigene Großlogen 1997 und 1998 gegründet.
Die Geschichte der freimaurerischen Logen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa im 18. und 19. Jahrhundert ist relativ gut dokumentiert, auch für Griechenland und die Türkei. Die Grenzveränderungen durch die Balkankriege 1912/13, der Zerfall der Großreiche Österreich-Ungarn, Rußland und der Osmanischen Türkei 1918 und die Entstehung neuer Staaten nach dem Ersten Weltkrieg spielten dabei ebenso eine wichtige Rolle wie das Deutschtum als wichtiger kultureller Faktor in Osteuropa. So gab es deutsche Logen im Sudetenland und in der Slowakei, in Polen, Ungarn, Rußland und im Baltikum, wo bereits 1766 Herder in Riga in die Loge „Zum Schwert“ aufgenommen worden war. In Belgrad war schon Ende des 18. Jahrhunderts, noch in türkischer Zeit, eine Loge entstanden, welcher neben dem türkischen Pascha Hadschi Mustafa und dem bereits erwähnten orthodoxen Metropoliten Methodios auch der spätere Führer im ersten serbischen Aufstand Janko Katic und der spätere griechische Märtyrer und Dichter Konstantin Rhigas angehörten. In verschiedenen Ländern waren Könige und Fürsten Logenmitglieder, so die russischen Zaren Peter III., Paul I. und Alexan der II., in Bulgarien Fürst Alexander I. von Battenberg, in Polen vor den Teilungen des Landes die Könige Stanislaus I. und Stanislaus II. August Poniatowski.

Osteuropa im Überblick

Heute sind in den ehemaligen kommunistischen Ländern folgende Logen und Großlogen aktiv und werden auch in der offiziellen Freimaurerliteratur genannt:
Der Großloge der Tschechischen Republik gehören die Prager Logen „Dilo“ (Tat), „Narod“ (Volk), „Most“ (Brücke) und „U tri hvezd“ (Zu den drei Sternen) an, ferner die slowakischsprachige Loge „Jan Kollar“. Ein Zirkel arbeitet in Brünn. In der Slowakei begann in der Hauptstadt Preßburg eine selbständige slowakische Maurerei.
In Polen arbeitet die Nationale Großloge mit verschiedenen Logen in Warschau und Krakau. In Ungarn waren 1989 die Budapester Logen „Galilei“, „Deak Ferencz“, „Gyerseg“ (Gleichheit) und die Loge „Arpad“ in Szeged als Grenzlogen zunächst der Großloge von Österreich unterstellt, doch noch im gleichen Jahr genehmigte das Budapester Innenministerium die „Symbolische Großloge von Ungarn“, die Dr. Istvan Galambos zum ersten Großmeister wählte. Heute gibt es acht Logen in Ungarn.
Rumänien zählte in den dreißiger Jahren in der Nationalen Großloge und im Großorient von Rumänien über 60 Logen, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg durch die Faschisten der Eisernen Garde unterdrückt wurden, aber dann teilweise im Exil weiterlebten. Vor allem in Paris und Argentinien erhielt sich die rumänische Freimaurerei.
Sie bekam 1993 als wiedererstandene Großloge von Rumänien das Patent des Grande Oriente d’Italia. Eine weitere rumänische Großloge erhielt ihre Anerkennung von Frankreich.
In Bulgarien reaktivierte die Münchner Loge „Lessing zum Flammenden Stern“ die bulgarische Loge „Zora“ (Morgenröte). In der Maurersprache liest sich das so, daß „sieben Suchende aus Bulgarien in München das Licht erhalten hatten und am Tag darauf zu Gesellen befördert wurden … Am 24. Oktober 1992 wurde durch die Vereinigten Großlogen von Deutschland das Licht in die Loge Morgenröte in Sofia eingebracht.“ Die Großloge von Jugoslawien installierte 1993 die Großloge von Bulgarien, eine weitere „Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Bulgarien“ bekam das Patent von der Vereinigten Großloge von Deutschland. Außer „Zora“ sind die Logen „Serdika“, „Swetlina“, „Zarja“ und „Tschernomorski Prijatel“ bekannt.
Die von den Sowjets unterdrückte russische Freimaurerei hatte ebenfalls im Exil überlebt, wo bereits 1920/21 die ersten russischen Exillogen in Paris entstanden und später weitere russische Logen in allen drei großen französischen Freimaurersystemen wirkten. Es waren die Großoriente von Frankreich, die sich 1990 in Rußland um die Lichteinbringung engagierten. Heute sind die Logen in Moskau (bereits 1993 sieben Johannislogen), St. Petersburg, Woronesh und andernorts tätig. Sechs Logen sind in der benachbarten Ukraine bekannt.
Auf dem Gebiet der drei baltischen Staaten gibt es maurerische deutsche Traditionen seit dem 18. Jahrhundert. In Lettland brachte 1996 der Meister vom Stuhl der Bremer Loge „Roland zu den alten Pflichten“ das Licht in die Loge „Januguns“ in Riga ein, weitere Logen folgten, auch eine unter der Jurisdiktion der „Großloge Alter Freier und Angenommener Maurer von Deutschland“. In Litauen wurde schon 1993 die Loge „Renaissance“ in Wilna von der Hamburger Loge „Die Brückenbauer“ gegründet, zwei weitere folgten. Die estnischen Logen von Reval (Tallinn), Dorpat (Tartu) und Pernau (Pärnu) erhielten das Licht aus Finnland. Eine Großloge von Estland besteht seit 1999.
In Jugoslawien gaben bereits 1990 die Vereinigten Großlogen von Deutschland das Patent für eine Großloge von Jugoslawien mit vier Logen. Der Zerfall des Landes brachte bald eine weitere eigene Großloge von Kroatien, wo die Großloge von Österreich das Licht einbrachte. Logen in Zagreb sind „Graf Ivan Draškovic´“, „Hrvatska vila“ (Kroatische Fee) und „Tri Svjetla“ (Drei Leuchten). Auch für die Großloge von Slowenien brachte die Großloge von Österreich das Licht ein.
Die Bedeutung der Freimaurerei für die Entwicklung in Ostmitteleuropa wird widersprüchlich gesehen. Interessant ist, daß ein „Maurerisches Vokabularium“ im Anhang des Internationalen Freimaurerlexikons vom Jahre 2000 (ebenso wie die Erstausgabe von 1932) neben den Weltsprachen Französisch, Englisch, Spanisch und Deutsch auf den Seiten 935 und 937 auch die Maurertermini und ihre Fachsprache in Tschechisch aufführt, obgleich sonst Tschechisch nicht gerade eine Weltsprache ist. Aber Namen wie Beneš oder Jan Masaryk als im Lexikon vorgestellte Freimaurer geben einem konservativen Europäer ebenso zu denken wie Hinweise auf Logen vor dem Zweiten Weltkrieg, wo es auch im Sudetenland solche in Saaz und Reichenberg, Brünn, Bodenbach, Aussig und anderen Orten gab. Andererseits wird in diesem Lexikon ein kritisches, ja entlarvendes Buch über die Freimaurer wie jenes des Kroaten Ivan Muzic´, das in kroatischer Sprache schon in 6. Auflage vorliegt, systematisch verschwiegen.
Muzic´, der sich mit seinem Buch über das nicht ratifizierte Jugoslawische Konkordat vom Jahr 1935 einen Namen machte, hatte die erste Auflage 1983 veröffentlicht. Von Auflage zu Auflage erweiterte er dieses Werk „Die Freimaurerei bei den Kroaten“. Nach 1991 brachte er interessante Fakten über den maurerischen Neubeginn nach der Selbständigkeit Kroatiens und fügte Kapitel hinzu wie „Kardinal Stepinac und die Freimaurer“ und „Tudjman und die Freimaurer“. Als Erzbischof Frane Franic von Split 1984 dem Papst die erste Auflage überreichte, erhoffte sich Johannes Paul II. bald eine Übersetzung in eine Weltsprache. Sie steht bis heute aus, sollte aber in Angriff genommen werden. Muzic´ bringt interessante Fakten über den von den Freimaurern stets abgestrittenen Anteil am Thronfolgermord von 1914 und die Rolle der Freimaurer bei der Zerstörung Österreich-Ungarns. Auch wenn in der Vergangenheit die Rolle der Freimaurer manchmal überbetont wurde, so sollte heute nicht das Gegenteil geschehen. Mit Recht hat Heinz Fidelsberger in der Nr. I/03 dieser Zeitschrift in seinem Beitrag „Europa der Zukunft. Neubau ohne Gott“ darauf hingewiesen, daß nicht nur der Entschluß, über Österreich Sanktionen zu verhängen, von den Freimaurern der EU kam, sondern auch die Absicht, jeden Bezug auf Gott in der EU-Verfassung zu vermeiden. Der „Corriere della Sera“ warnte am 6. Februar 2003, der Weltfreimaurerei zu dienen. Die römische Zeitschrift „Trenta giorni“ tat dies schon 1991 im ersten Golfkrieg. Wenn sich die christlichen Kräfte nicht zusammentun, wird es wohl so kommen, daß die EU in ihrer Verfassung nur vage von „Werten des Respektes vor der Würde des Menschen, der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaates“ spricht. Wenn sich solchem Laizismus auch die Völker der neuen Beitrittsländer, wie Polen, Slowakei, Litauen, oder Kandidaten wie Kroatien, die streng christliche Werte noch kennen, beugen müssen, kann man mit Recht von einem Sieg der Freimaurer und ihres Engagements in Osteuropa sprechen.

 
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