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Catilinarische Existenzen

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

In der Wochenzeitung „Zur Zeit“ berichtete Andreas Mölzer von einem Gespräch, das er, mehr als zehn Jahre ist’s her, mit dem Doyen des österreichischen Journalismus, Otto Schulmeister, geführt hat. Schulmeister, selbst dem deutsch-nationalen Lager zuneigend, fragte den damaligen Chef der Politischen Akademie der FPÖ, ob Jörg Haider eine „Catilinarische Existenz“ sei.  
Catilina, aus einer verarmten Patrizierfamilie stammend, versuchte im Rom des Jahres 63 v. Chr. durch eine Verschwörung die Macht zu erlangen, da er auf legalem Wege das Consulat nicht erreichen konnte. Der Begriff der „Catilinarischen Existenz“, von Bismarck geprägt, meint also den wurzellosen Revolutionär, der aus Machtgier einen Umsturz anstrebt.Mölzer hat die Frage damals verneint, nicht zu Unrecht, war doch Haider im Jahre 2000 aus staatsmännischer Räson zum Machtverzicht bereit – und auch sein späteres Verhalten hat weniger die res publica destabilisiert als vielmehr die eigene Partei ins Trudeln gebracht. Dennoch wird der FPÖ von vielen Medien dieses Landes vorgeworfen, nach wie vor eine Partei der Selbstdarsteller zu sein. Ganz falsch ist das nicht, wie ja jede rasch wachsende Bewegung zwangsläufig Existenzen anlockt, denen es um die eigene Karriere und nicht um eine wie auch immer geartete Sache geht. Hier personalpolitisch zu wenig oder nur das Falsche getan zu haben, war einer der großen Fehler Haiders.
Doch um die Frage Schulmeisters nach den catilinarischen Existenzen neu zu stellen: gibt es nicht eine ganze Partei in Österreich, die zweimal bei drohendem Machtverlust bereit war, mit ausländischen Interessensgruppen zusammenzuarbeiten und der Republik Österreich dabei schweren Schaden zuzufügen? Vor der Wahl Waldheims einerseits nämlich und bei der Bildung der schwarz-blauen Regierung andererseits – nicht anders als die Anhänger Catilinas, die für innenpolitische Auseinandersetzungen Rückendeckung bei den äußeren Feinden Roms suchten.
Faßt man den Begriff der „Catilinarischen Existenz“ noch weiter, zur Bezeichnung eines Politikertypus nämlich, dem es überhaupt nur mehr um die eigene Sache und nicht um die Anliegen der res publica geht, dann scheint die gegenwärtige politische Landschaft vor Zwerg-Catilinas zur so zu wimmeln. Besonders extrem in der Bundesrepublik Deutschland, wo die politische Kaste geradezu von Haß gegen das eigene Volk geprägt zu sein scheint. Da gibt es einen Bundeskanzler, der eine Delegation ehemaliger deutscher Zwangsarbeiter nicht nur nicht empfängt, sondern dessen Beamte im Kanzleramt nicht einmal eine Petition aus deren Händen entgegennehmen dürfen; da gibt es einen Außenminister, der jedes Gedenken an die deutschen Vertriebenen ablehnt, weil Täter nicht zu Opfern gemachte werden dürften; da gibt es eine grüne Ministerin, die auf Journalistenfragen bekundet, die Zukunft des deutschen Volkes sei ihr „verhältnismäßig wurscht“. Geisteshaltungen, denen Helmut Kohl auch die Tore der CDU weit geöffnet hat, Geisteshaltungen, auf die die FDP – Möllemanns Populismus hin, der ehrliche Patriotismus mancher Ortsgruppen her – seit den späten sechziger Jahren ohnedies ein Abo hat. Catilinarische Existenzen allerorten, denen es nicht um Wohl und Zukunft ihres Volkes, ihres Landes geht, sondern um Pfründe und Macht – denn nicht nur Geiz, auch Macht ist geil.
In Österreich fällt es schwerer, ein solches Urteil zu fällen. Alle Parteien haben hier Repräsentanten, denen man eine ehrliche Sorge um die Zukunft des Landes abnimmt. Und doch fragt man sich, warum bei der Diskussion um eben diese Zukunft immer noch nicht tacheles gesprochen wird. Rot und Grün wissen sehr wohl, welch gewaltige Auswirkungen das Geburtendefizit und die steigende Lebenserwartung auf das Kranken- und Pensionsversicherungssystem noch haben werden. Sie wissen, daß alle diesbezüglichen Reformversuche von Schwarz-Blau nur erste zaghafte Schritte sind – und tun dennoch so, als ginge das alles ohne schmerzhafte Einschnitte ab und verkaufen den Wähler für blöd, mit Unterstützung von Zeitgeistmagazinen wie News, Profil und Standard freilich. Frau Gehrer weiß sehr wohl, daß ein Ausgleich des Geburtendefizits durch Zuwanderung binnen dreißig Jahren dazu führt, daß die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in diesem Lande nichteuropäischen Ursprungs sein wird – und stellt trotzdem Forderungen in diese Richtung, ohne dem Wählervolk über die Konsequenzen reinen Wein einzuschenken.
Die Frage läßt sich also nicht so einfach vom Tische wischen: Wie vielen unserer Politiker geht es wirklich, ganz und gar um Wohl und Wehe der gemeinsamen Sache, der res publica, – und wie vielen ist deren Zukunft „verhältnismäßig wurscht“?.

 
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