Die USA versuchen alles, um ihre eigenen Staatsbürger vor der Zugriffsmöglichkeit des geplanten Internationalen Strafgerichtshofes für Kriegsverbrechen auszunehmen. Diese Haltung mag verständlich sein, gerade für den, der solchen internationalen Gerichtshöfen aufgrund historischer Erfahrungen prinzipiell skeptisch gegenüberzustehen geneigt ist. Doch wie kann ein Land, das solche Internationale Gerichtshöfe mehrfach selbst auf die Beine gestellt und ihnen Delinquenten zur Aburteilung überliefert hat, so eine Haltung rechtfertigen? Ausgehend von der klassischen europäischen Lehre der Souveränität der Staaten mag ein solcher Internationaler Gerichtshof als höchst problematisch angesehen werden. Doch die USA scheinen diese Lehre von der Souveränität der Staaten selbst abzulehnen. Bestes Beispiel ist die Irak-Politik: Saddam Hussein hat in der Vergangenheit genügend Verbrechen begangen, auch gegenüber Minderheiten im eigenen Lande. Doch welche Gefahr geht heute vom Irak aus? Dank des von den USA durchgesetzten Boykotts lebt die Bevölkerung in Not, die Kindersterblichkeit hat ungeheure Ausmaße erreicht. Saddam Hussein ist kein muselmanischer Fanatiker, sondern schlicht ein machtgieriger Despot. Er weiß, daß jeder Versuch, die Sicherheit seiner Nachbarn oder gar der USA bzw. Israels zu bedrohen, zu seiner endgültigen Vernichtung führen würde. Warum sollte ein Mann wie er dies riskieren? Böse Buben wie ihn gibt es unter den Staatsmännern dieser Welt zuhauf. Auch solche, deren Politik gerade heute, gerade jetzt zu hunderttausenden Opfern führt, wie die Robert Mugabes. Würde es den USA also tatsächlich in erster Linie um Recht und Gerechtigkeit gehen, müßten sie andere Prioritäten setzen. Doch die, auf die es ankommt, verstehen die Signale sehr wohl: Oberste Priorität für die USA haben freilich die Interessen des eigenen Landes, das – siehe Strafgerichtshof – offenbar als einziger noch souveräner Staat dieser Welt betrachtet wird, während alle andere Länder sich internationalen Gremien zu beugen haben. Entsprechend hat Washington auch schon deutlich gemacht, einen Angriff auf den Irak selbst bei gegenteiligen UNO-Beschlüssen durchzuführen. Die Souveränität anderer Staaten zählt für die USA genausowenig wie die Beschlüsse der vielbeschworenen Staatengemeinschaft: Sie allein betrachten sich noch als berechtigt, souverän zu entscheiden. Das Motto der „new world order“ lautet also: pax americana. Dies hat es im „freien Westen“ bisher noch nicht gegeben. Modell scheint eher der Warschauer Pakt seligen Angedenkens zu stehen, dessen Mitglieder gegenüber der Sowjetunion ebenfalls nur begrenzte Souveränität genossen. Wer es humanistisch mag, kann auch das Konzept der „pax romana“ nachlesen.
Dieser Bezug zur Antike ist übrigens doppelt aktuell. Ein New Yorker Bezirksgericht hat sich vor einigen Wochen als „zuständig“ für die Katastrophe von Kaprun erklärt. Freilich nur – herzlichen Dank dafür! – nach österreichischem Recht. Dies kann nur zweierlei bedeuten: Entweder man hält die österreichischen Gerichte nicht für vertrauenswürdig und meint daher, die Sache selbst in die Hand nehmen zu müssen, oder man ist der Ansicht, daß amerikanische Gerichte prinzipiell für amerikanische Staatsbürger zuständig sind, egal, wo immer auf der Welt sie sich aufhalten und von welchen Ereignissen immer sie betroffen werden. Oder auch: welche Verbrechen immer sie selbst begehen – siehe Strafgerichtshof.
Und das wird’s wohl auch sein: Im internationalen Luftverkehr sind die USA dabei durchzusetzen, daß bei Unfällen amerikanische Staatsbürger immer das Recht haben, in den USA zu klagen, also auch dann, wenn sie auf einem Binnenflug innerhalb Europas unterwegs sind. Ohne Frage sehr angenehm, sprechen doch amerikanische Gerichte gerne astronomische Entschädigungssummen zu, die so in Europa niemals zu erhalten sind. Dabei muß es gar nicht um Abstürze und Todesfolgen gehen. Millionen Dollar an Entschädigung haben Amerikaner auch schon erhalten, weil sie sich mit zu heißem Tee verbrüht haben (sie waren vom Kellner nicht gewarnt worden!) und in einem laufenden Prozeß klagen Übergewichtige Schokoladefabriken wegen fehlender Hinweise auf den Verpackungen, daß der Genuß von mehreren Kilo Schokolade pro Woche die Gefahr einer Gewichtszunahme mit sich bringt. Wenn die angestrebte Luftfahrts-Regelung durchgeht, dürfen sich die Europäer freuen: Die Luftlinien müssen sich gegen diese
Risiken versichern, und das werden die Passagiere via höherer Preise zu bezahlen haben – alle Passagiere, auch solche, die nicht die Möglichkeit haben, bei Unbill aller Art auf Entschädigung zu klagen, weil sie nicht amerikanische Staatsbürger sind.
Die Zukunft soll also wohl diese sein, daß jeder Amerikaner, egal, wo er sich auf dieser runden Welt aufhält, ein Stück wandelnder Exterritorialität ist. Sein Tun und Lassen hat andere Folgen als das der Menschen um ihn herum, weil er als unsichtbare Schutzhülle stets das amerikanische Rechtssystem mit sich herumträgt. Und genau für diesen Fall gibt es ein historisches Beispiel aus der Antike: den civis romanus!
Armer George Bush, der da meint, die Amerikaner seien so unbeliebt in der Welt, weil ihre Absichten mißverstanden würden: Das nämlich sind sie heute weniger denn je – mißverständlich.