Vier Millionen Menschen sind in Auschwitz ermordet worden, so las man es in zahlreichen Sprachen auf den Gedenksteinen im ehemaligen KZ. Schon 1990 wurden diese Steine entfernt. Seither ging man von 1,5 Mio. Toten in Auschwitz aus. Neue Untersuchungen belegen anderes.
In der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Osteuropa“ hat der leitende Redakteur der Wochenzeitschrift „Spiegel“, Fritjof Meyer, unter Bezugnahme auf jüngste amerikanische Publikationen eine neue Rechnung der Opferzahlen von Auschwitz aufgemacht. Danach könnten in den Krematorien kaum mehr als 483.000 Leichen verbrannt worden sein, davon 356.000 im Gas Ermordete. Die Gesamtzahl der Opfer des KZ inklusive aller Seuchentoten etc. würde knapp über einer halben Million liegen.
Jahrelang hatten nur „Revisionisten“ behauptet, die Opferzahlen von Auschwitz lägen zu hoch, die vorhandenen Krematorien hätten niemals diese Menge von Menschen verbrennen können. Ihre Rechnungen wurden nicht nur als unzulässig zurückgewiesen, sondern sogar strafrechtlich verfolgt. Jetzt plötzlich sind sie erlaubt und der Autor darf sogar schreiben, die Zahl von 4 Mio. Opfern sei „ein Produkt der Kriegspropaganda“ gewesen. Quot licet jovi non licet bovi.
Dies zeigte sich in extremer Weise im Fall des Historikers und Gymnasiallehrers Hans-Jürgen Witzsch, der lange Jahre für die CSU im Fürther Stadtrat gesessen war. Seine lediglich in einem persönlichen, nicht öffentlichen Brief geäußerte Behauptung, es gäbe keine Quelle, aus der hervorgehe, daß Adolf Hitler persönlich den Massenmord an den Juden befohlen habe, führte zu einer unbedingten Haftstrafe von drei Monaten. Und dies, obwohl tatsächlich niemals entsprechende schriftliche Dokumente gefunden werden konnten. Mehr noch: Die von Witzsch angesprochene Frage beschäftigt gerade die heutige Forschung und ungestraft dürfen die sog. „Funktionalisten“, wie der SPD-nahe Historiker Hans Mommsen, behaupten, die Vergasungen in Auschwitz wären nicht auf einen gro-en Plan zurückzuführen, sondern eine „Notlösung“ örtlicher Kräfte gewesen, die den riesigen Deportationszahlen nicht mehr gewachsen gewesen waren. Doch quot licet jovi non licet bovi.
Die unvorstellbare Zahl der Auschwitz-Toten geht auf Aussagen des ehemaligen Lager-Kommandanten Höß zurück. Wie sie zustandegekommen sind, schildert Spiegel-Redakteur Meyer ungeschminkt: Der britische Vernehmer hatte Höß Holzstückchen unter die Augenlider geschoben, ihm eine Fackel in Mund gerammt, ihn endlos geprügelt, zwangsweise unter Alkohol gesetzt und tagelang mit Gewalt am Schlafen gehindert – bis das gewünschte Geständnis geleistet wurde.
Soweit, so schlecht. Doch welche weiterreichenden Folgen haben die neuen Erkenntnisse? In Dokumentationen der Vertreibung der Sudetendeutschen beispielsweise finden sich recht genaue Aufstellungen darüber, wieviel Tote es in den einzelnen tschechischen Lagern gegeben hat, wieviele direkt in ihren Wohnorten umgebracht wurden oder bei Transporten ums Leben kamen etc. Insgesamt ergibt sich so ein Bild, wo und unter welchen Umständen die 272.000 Opfer ihr Leben verloren haben. Muß man jetzt nicht an die etablierte Holocaust-Forschung die Frage richten, ob sie es nie der Mühe wert gefunden hat, solche Aufstellungen für die 5 bis 6 Millionen jüdischen Opfer zu machen? Zusammenzufassen, wieviele etwa den Massenerschießungen der Einsatzkommandos zum Opfer gefallen sind, wieviele in die einzelnen Ghettos und KZs deportiert wurden und dort durch Seuchen, durch Gas oder durch andere Todesarten hingerafft wurden etc. Haben sich nicht auch die jüdischen Opfer eine solche akribische Erforschung ihrer Schicksale verdient? Oder gibt es solche Zusammenstellungen schon? Hätte man dann nicht schon viel früher dahinterkommen müssen, daß die Opferzahlen von Auschwitz viel zu hoch angesetzt sind? Oder haben diese Aufstellungen für die fünf bis sechs Millionen jüdische Opfer gar die vier Millionen Auschwitz-Toten berücksichtigt? Was dann? Reduziert sich jetzt die Gesamtzahl der jüdischen Opfer in entsprechender Weise oder sind die „fehlenden“ 3,5 Millionen an bisher unbekannten Orten ermordet worden?
Solche Fragestellungen sind alles andere als menschenverachtender Zynismus. Auch bei der Diskussion um die Opfer der Bombenangriffe auf Dresden wirft niemand jenen Wissenschaftlern Zynismus vor, die behaupten, die Zahl von mehr als 200.000 Toten sei um ein Vielfaches übertrieben und man müsse von „nur“ 50.000 Opfern ausgehen. Denn die Zahl der Opfer rührt überhaupt nicht an der Tatsache, daß der Bombenangriff auf die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt ein schweres Kriegsverbrechen war. Wenn Historiker über die konkreten Opferzahlen diskutieren, kann es ihnen also gar nicht darum gehen, ein tatsächlich geschehenes Kriegsverbrechen zu verharmlosen, sondern nur um möglichst genaue Kenntnis der historischen Fakten, die sich je nach Quellenlage und Forschungsstand auch verändern kann.
Genauso im Falle der jüdischen Opfer. Seriös betriebene historische Forschung kann niemals Verharmlosung sein, im Gegenteil ist es sogar ein Gebot des Respekts vor den Toten, ihr Schicksal möglichst wahrheitsgetreu zu rekonstruieren. Der Völkermord an den Juden, so wird betont, ist ein zentrales Ereignis in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Umso eher ist die Wissenschaft gerade hier zur detailgenauen Wahrheitsfindung berufen. Und offene Fragen scheint es – siehe Auschwitz – noch genügend zu geben.
Sie zu stellen, ist freilich gefährlich in einer Zeit, in der Gerichte historische Wahrheiten definieren und Menschen für bloß geäußerten Zweifel an der festgeschriebenen Zahl der 5 bis 6 Mio. Opfer strafrechtlich verurteilt werden. Und doch konnte 1990 in einem renommierten Verlag ein Buch erscheinen und in etlichen Auflagen nachgedruckt werden, das behauptete, diese Zahl sei um das vier- bis fünffache zu hoch gegriffen, da sich gar nicht so viele jüdische Menschen im Zugriffsbereich Hitlers befunden hätten. Obwohl die Argumentation des Autors sich auf nur schwer zugängliche und teils kaum nachvollziehbare populationsstatistische Daten bezog, wurde er nie gerichtlich belangt. Das mag vielleicht daran gelegen haben, daß es sich um einen ehemaligen tschechischen Offizier handelte, der im Stabe General De Gaulles gegen das Dritte Reich gekämpft hatte. Quot licet …