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Die Herrscherhäuser Europas

Von Nikolaus v. Preradovich

Vom Unterschied zwischen dynastischen und genealogisch richtigen Namen


Auf unserem Kontinent, der eigentlich kein Erdteil, sondern nur das „Horn von Asien“ ist, existieren noch zehn Dynastien. Es handelt sich um die Königreiche Belgien, Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Spanien, das Großherzogtum Luxemburg und die Fürstentümer Liechtenstein und Monaco.

Die Namensführung der Dynastien wirft dabei gewisse Probleme auf. Das russische Kaiserhaus nannte sich bis zu seinem Sturze „Romanov“, wenngleich es in Wahrheit Holstein-Gottorp hieß. Die machtmäßig nicht besonders bedeutenden Herzoge von Lothringen, nahmen durch Heirat den Namen Habsburg an, wenngleich sie natürlich nach wie vor Lothringen heißen. Derartige Gewohnheiten finden sich bis in die neueste Zeit hinein.
Im Königreich der Belgier regiert oder repräsentiert bis heute das Haus Sachsen-Coburg und Gotha. Leopold Prinz von Sachsen-Coburg, Herzog zu Sachsen, wurde am 8. Juni 1831 von der belgischen Nationalversammlung zum erblichen König der Belgier erwählt. Diesem Ereignis ging eine Revolution voran, die das Königreich der Niederlande explodieren ließ. Der augenblickliche König ist der sechste Monarch aus dem Hause Sachsen-Coburg in Belgien.
Die Herrscherfamilie unseres nördlichen Nachbarn nennt sich Dänemark, wenngleich sie eigentlich Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg heißt. Sie entstammt dem heute Großherzoglichen Hause Oldenburg. Ebenso wie anderen Ortes wird auch in Kopenhagen die weibliche der männlichen Linie gleichgestellt. Daher ist das älteste Kind als Margarethe II. Königin von Dänemark geworden. Nach dem Tode der Königin wird nicht mehr die bisherige Dynastie den Herrscher stellen. Der Kronprinz heißt nach bürgerlichem Recht natürlich nach seinem Vater. Dieser entstammt der nicht sonderlich hervorgetretenen französischen Adelsfamilie „Laborde de Monpecat“.

Herrschen die Oldenburg in Britannien?

Großbritannien, bis 1707 England, wird seit dem Jahre 1603 nicht mehr von Engländern regiert. Mit kurzen Unterbrechungen herrschten die schottischen Stuarts 1603–1714. Sodann regierten bis 1901 die deutschen Hannoveraner, ab diesem Zeitpunkt die Sachsen-Coburg, da Königin Victoria einen Prinzen aus diesem Hause geheiratet hatte. 1917 aber anglisierte das Geschlecht seinen Namen und nannte sich von nun an „Haus Windsor“. Nach dem Tode der jetzigen Königin folgt ihr der Prinz of Wales oder einer seiner Söhne, womit Sachsen-Coburg abtritt und das Haus Oldenburg beginnt. Prinzgemahl Philipp ist nämlich ein Prinz von Griechenland, daher ein Prinz von Dänemark, daher ein Prinz von Holstein und daher ein Prinz von Oldenburg. Den Namen seiner Mutter – Mountbatten recte Battenberg – nahm er erst an, als er in die britische Marine eintrat.
Das Königreich der Niederlande besteht in seiner heutigen Form seit dem Jahre 1890. Im Zuge der Beendigung der Franzosenkriege erlangte der damalige Dynast 1815 den Titel König der Niederlande, Herzog von Luxemburg. Zwei Jahre danach wurde Luxemburg zum Großherzogtum erhoben. Seit 1814 war – für die Niederlande – die weibliche Erbfolge zugelassen. Belgien begründete sich 1831 durch ein Revolution. 1890 ging Luxemburg verloren, weil die weibliche Erbfolge nur in den Niederlanden selbst eingeführt worden war. – Der Begründer der niederländischen Dynastie ist Wilhelm der Schweiger von Nassau 1559 gewesen. Sein Großvater hatte die Tochter des letzten Fürsten von Orange (Oranien) in Südfrankreich geheiratet. Dessen Sohn nannte sich daher Graf von Nassau, Fürst von Oranien (Orange). Der nächste in der Stammreihe, eben der Schweiger, ist der erste „Niederländer“ in der nassau’schen Familie. Der rechte Name der augenblicklichen königlichen Familie ist somit Nassau-Oranien. Die letzte echte Oranierin war Wilhelmina, 1880–1962. Sie vermählte sich mit einem Herzog zu Mecklenburg. Somit war Königin Juliana eine geborene Herzogin zu Mecklenburg, wie immer sie sich auch aus dynastischen Gründen genannt haben mag. Sie ehelichte einen Prinzen zur Lippe-Biesterfeld. Diesem deutschen Geschlecht gehört daher die jetztige Königin Beatrix an. Nach ihrem Tode wird das „Herrschergeschlecht“ von Amsberg den Thron besteigen. Dieses Geschlecht läßt sich bis zum Jahre 1686 verfolgen, wo der Stammvater Schmiedemeister in Schwichtenberg gewesen ist. Sein Urenkel erscheint seit 1795 unter der Bezeichnung „v. Amsberg“. Er und seine Nachkommenschaft ist in dieser Namensführung nicht beanstandet worden. Normalerweise würde man derartige Gebräuche als „Namensschwindel“ bezeichnen.

Und noch ein Oldenburg

Christian Prinz von Dänemark aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg a. d. H. Oldenburg wurde am 18. November 1905 zum König von Norwegen erwählt. Er regierte als Haakon VI. bis 1957, gefolgt von seinem Sohn Olaf V. bis 1991. Der augenblickliche Monarch Harald hat bürgerlich geheiratet, ebenso wie seine beiden Schwestern. Kronprinz Haakon hat diese Tradition fortgesetzt. Er hat aber noch eine besondere Note ins Bild gebracht: Seine bürgerlich geborene Frau hat nicht allein einen unehelichen Sohn, sondern auch dessen natürlichen Vater in die Ehe mitgebracht.
Jedermann weiß, daß in Schweden das Haus Wasa regiert. Dieses Geschlecht ist allerdings 1654 erloschen. Danach folgten folgende Familien auf dem Thron: Pfalz-Zweibrücken, Hessen-Kassel und Holstein-Gottorp. Das heutige Königsgeschlecht aber geht auf Johann Bernadotte zurück, der Sohn eines Schreibers bei einem Advokaten im Süden Frankreichs war. Er diente als Soldat und wurde bald Unteroffizier. Im Zuge der französischen Revolution brachte er es zum Offizier. Unter Napoleon wurde er zum Marschall befördert und zum Fürsten von Pontecorvo erhoben. 1810 wurde er von den schwedischen Ständen zum Thronfolger erwählt. Ab 1818 regierte er das nordische Königreich. Die Familie Bernadotte ist bis heute im Besitze der schwedischen Krone. 1980 jedoch ist die Thronfolge geändert worden. Es sollte nicht der erste Sohn, sondern das erste Kind die Thronfolge antreten. Dies ist Viktoria Herzogin von Vestergotland. Nach dem neuen Nachfolgerecht könnte die „Dynastie“ in jeder Thronfolge wechseln. Wen die Prinzessin heiraten wird, weiß man nicht: einen königlichen Prinzen oder den Speiseeisverkäufer um die Ecke. Jedenfalls ist der Betreffende der Stammvater eines neuen schwedischen Herrschergeschlechtes.
Spanien als Einheitsstaat wurde von 1516 bis 1714 von der spanischen Linie des deutschen Hauses Habsburg regiert. Dann folgte von 1714 bis 1934 die Linie Bourbon des Hauses Capet. Nach Republik und Francismus folgte im Jahre 1975 Juan Carlos I., a. d. H. Bourbon. Der Kronprinz, Fürst von Asturien, ist noch nicht verheiratet.

Luxemburg, Monaco und ­Liechtenstein

Mit dem alten Herrschergeschlecht Luxemburg haben die augenblicklichen Großherzoge nichts zu tun. Sie entstammen dem deutschen Hause Nassau. Die ältere Linie blieb in den ererbten Landen, die jüngere stellte anfangs die Erbstatthalter, zuletzt die Könige der Niederlande. Dieser Ast ist 1890 im Mannesstamm erloschen. So erbte die ältere nassauische Linie das Großherzogtum. Ebenso wie in den Niederlanden starb der Mannesstamm aus. Die Erbfolge ging damit auch hier auf den weiblichen Stamm über. Charlotte Großherzogin von Luxemburg, Herzogin von Nassau, vermählte sich 1919 mit Felix Prinz von Bourbon-Parma. Somit gehört der augenblickliche Großherzog – Jahrgang 1921 – der Linie Bourbon des Hauses Capet an. Für einen Erbgroßherzog ist gesorgt, der wiederum mit zwei Söhnen aufwarten kann.
Die Lichtenstein erscheinen anno 1133 als Ministeriales Austriae. Sie sind somit Angehörige der oberen Schicht des niederen Adels gewesen. Die Bezeichnung „Austria“ bezieht sich allein auf das Land Niederösterreich. Durch die hervorragende Teilnahme an der Niederwerfung des böhmischen Aufstandes zu Beginn des 30jährigen Krieges erlangte das Geschlecht den Fürstenstand und kurz danach den Titel „Herzog von Troppau und Jägerndorf“. In den Jahren 1699 und 1712 sind die reichsunmittelbaren Herrschaften Schellenberg und Vaduz gekauft worden. Sie wurden zum reichs­unmittelbaren Fürstentum Liechtenstein erhoben. Der einzige Fall in der deutschen Geschichte, wo das Land nach der Familie und nicht umgekehrt benannt wurde. Gleichzeitig ist Liechtenstein heute das einzige Gebiet, in welchem eine deutsche Familie noch eine deutsche Bevölkerung regiert. Díe Hymne wurde allerdings umgestellt. Ursprünglich hieß es „Oben am deutschen Rhein“, während es jetzt lautet: „Oben am jungen Rhein.“
Die Grimaldi tauchen 1133 in Genua auf. Carlo Grimaldi ist seit 1331 Herr von Monaco gewesen. Der Reichsfürstenstand gelangte 1528 an die Familie. Die Fürstin Luise von Monaco war die letzte ihres Stammes. Sie vermählte sich 1715 mit Jakob Goyon de Matignon. Honore Goyon war der erste Fürst aus der neuen Familie. Die nächsten sechs Geschlechterfolgen regierten die Goyon de Matignon das Fürstentum. Der letzte dieser Reihe war Ludwig II. Er verfügte über eine „natürliche“, also uneheliche Tochter, die 1898 in Constantine in Algerien geboren wurde. Sie lebte die ersten zwei Jahrzehnte ihres Lebens unter dem Namen Louvet. 1919 – also mit 21 Jahren – wurde sie legitimiert. Sodann konnte sie sich Erbprinzessin von Monaco nennen. 1920 folgte ihre Vermählung mit Pierre Comte de Polignac. 1944 verzichtete sie auf ihre Rechte. Vier Jahre danach starb der letzte Fürst von Monaco a. d. H. Goyon de Matignon. Es folgte ihm sein Enkel, der heutige Fürst, der an sich  Graf Polignac heißt. Mit den vor fast 300 Jahren erloschenen Grimaldi hat Monaco nur wenig zu tun.

Die Herkunft der gekrönten ­Geschlechter

Soweit die zehn Dynastien! Welcher Herkunft sind sie nun eigentlich? Hochfreier Abkunft können sich rühmen: Sachsen-Coburg in Belgien und Großbritannien, Bourbon in Luxemburg und Spanien, Oldenburg in Dänemark und Norwegen. Zwei der augenblicklich regierenden Häuser gehörten von ihrem Ursprung her dem Stand der Ministerialen an. Diese waren die Angehörigen der oberen Schicht des niederen Adels: Lichtenstein und Polignac in Monaco. Die Bernadotte – fast zweihundert Jahre Könige in Schweden – kommen ursprünglich aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Einer „Spezialität“ gehören die Lippe-Biesterfeld an, die mit Königin Beatrix augenblicklich das Staatsoberhaupt der Niederlande stellen. Bernhard Prinz zur Lippe heiratete 1909 unstandesgemäß Armgard v. Cramm. In demselben Jahr wurde ihr der Titel „Gräfin v. Biesterfeld“ verliehen. Zwei Jahre danach wurde ein Sohn geboren, der nach dem Vater Bernhard benannt worden ist. 1916 wurden ihm und seinem Bruder Aschwin der Titel „Prinz zur Lippe-Biesterfeld“ nachgereicht. Der augenblickliche Prinz der Niederlande hieß die ersten fünf Jahre seines Lebens „Graf v. Biesterfeld“!
Die Lage der Monarchien wird sich in absehbarer Zeit grundlegend verändern. Der weitere Fortgang wird sich nach menschlichem Ermessen normal in Belgien, Liechtenstein, Luxemburg, Monaco und Spanien darbieten. In Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden erfolgt die Ablösung der einen durch eine andere Familie: Oldenburg gegen Laborde, Sachsen-Coburg gegen Oldenburg und Lippe-Biesterfeld gegen Amsberg. Völlig offen ist die Fortführung der Monarchie in Schweden. Es hängt davon ab, mit wem sich die augenblickliche Kronprinzessin Viktoria zu vermählen gedenkt. Dessen Familie wird – zumindest eine Generation lang – die schwedische Monarchie repräsentieren. Augenblicklich sind sechs deutsche und vier französische Geschlechter als Monarchie tragend festzustellen. Durch den Thron­auf­stieg der Laborde vermindert sich der deutsche Anteil auf vier. Was in Stockholm passiert, steht bei der Kronprinzessin. Mit bürgerlichen Heiraten sind vor allem die skandinavischen Herrscherfamilien hervorgetreten. Die Königinnen von Norwegen und Schweden sind ebenso bürgerlich geboren wie die Kronprinzessin in Oslo. Solches wird heute gern als besonders „fortschrittlich“ gepriesen. Es heißt: Das wären „Könige zum Anfassen“! Kaiser, Könige und Päpste sind aber nicht zum „Anfassen“. Sie sollen als Staatsrepräsentanten über der Allgemeinheit stehen. Tun sie dies nicht, sind sie also „zum Anfassen“, dann erscheinen sie völlig überflüssig und sollten am besten zurücktreten.

 
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