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Der Mensch als Verwalter der Schöpfung

Vom 4. bis 17. Mai 2000 sendete das BBC Radio 4 eine Vortragsserie zum Thema „Nachhaltige Entwicklung“, in der fünf bedeutende Fachleute referierten. Als eine Art „Nachwort“ kam der englische Thronfolger Prinz Charles zu Wort. Seine kurze Ansprache hat weltweit großes Aufsehen erregt. Wir danken Seiner Königlichen Hoheit und dem St. James Palace für die Genehmigung zur Wiedergabe in deutscher Übersetzung.

Wie Millionen anderer Menschen bin ich fasziniert, fünf so bedeutende Redner gehört zu haben die, zum Thema nachhaltige Entwicklung ihre Gedanken auf eigene Erfahrungen basierend, Hoffnungen und Ängste mit uns geteilt haben. Jeder dieser fünf Beiträge war äußerst gedankenvoll und jeder für sich eine Herausforderung. Es gab zwischen den Vortragenden klare Unterschiede – in Meinung und Schwerpunktsetzung –, aber ebenso einige wichtige Gemeinsamkeiten – implizit wie explizit. Eine dieser Gemeinsamkeiten war der Gedanke, daß nachhaltige Entwicklung einfach das Prinzip eines aufgeklärten Eigennutzes sei. Zwei der Redner benutzten diese Worte, und ich glaube, daß sich die anderen drei, so wie ich, dem anschließen. Eigennutz ist für uns alle eine stark motivierende Kraft, und wenn wir uns irgendwie selbst überzeugen können, daß nachhaltige Entwicklung in unser aller Interesse ist, haben wir einen wertvollen ersten Schritt gemacht, sie zu erreichen.
Aber Eigennutz tritt in vielen, einander bekämpfenden Formen auf, die nicht alle – fürchte ich – auf längere Sicht in die richtige Richtung führen und auch den Bedürfnissen der zukünftigen Generationen dienen. Ich bin überzeugt, daß wir viel tiefer graben müssen, um die Inspiration, das Gefühl für die Dringlichkeit und die moralische Notwendigkeit zu finden, die wir brauchen, wenn wir auf dem langen Weg zur nachhaltigen Entwicklung mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert werden. Obwohl es anscheinend ganz und gar aus der Mode gekommen ist,  möchte ich heute über die spirituelle Dimension unserer Existenz sprechen.
Die Vorstellung, daß es ein geheiligtes Treueverhältnis zwischen der Menschheit und unserem Schöpfer gibt, nach dem wir die Pflichten eines Verwalters der Erde übernommen haben,  ist durch alle Zeiten hindurch ein wichtiges Merkmal der meisten religiösen und spirituellen Ideen gewesen. Sogar jene Religionen, die nicht an die Existenz eines Schöpfers glauben, vertreten bezüglich dieser moralischen und ethischen Grundsätze eine ähnliche Position. Erst seit kurzem ist dieser Leitgedanke unter einer undurchdringlichen Schicht von wissenschaftlichem Rationalismus begraben worden.
Ich glaube, wenn wir das Ziel der nachhaltigen Entwicklung tatsächlich erreichen wollen, müssen wir zuerst ein Gefühl für die Heiligkeit bei unserem Umgang mit der Natur und jedem anderen wieder entdecken und uns erneut dazu bekennen. Wenn uns – im wahrsten Sinne des Wortes – nichts mehr heilig ist, weil wir darin nur Aberglauben oder Irrationalität sehen –, was hindert uns dann daran, die ganze Welt als großes „Lebenslabor“ zu betrachten, und das mit wahrscheinlich katastrophalen Langzeitfolgen?
Grundsätzlich hilft uns das Verstehen des Heiligen anzuerkennen, daß es in der Natur Gesetze des Gleichgewichts, der Ordnung und Harmonie gibt, die unseren Ambitionen Grenzen setzen und die Parameter der nachhaltigen Entwicklung definieren.
In manchen Fällen werden die natürlichen Grenzen auch auf der rational-wissenschaftlichen Ebene gut verstanden. Ein einfaches Beispiel: Jedem ist bekannt, daß die Überweidung eines Stück Landes durch Schafe früher oder später kontraproduktiv ist - für die Schafe, das Land oder beide. Wir wissen auch, daß der exzessive Einsatz von Insektiziden und Antibiotika zu Resistenzproblemen führt. Und wir fangen an zu verstehen, was für schreckliche Folgen es hat, wenn wir zuviel Kohlendioxyd in die Erdatmosphäre pumpen. Aber obwohl wir das wissen, sind die Maßnahmen, die wir ergreifen, um die schädlichen Folgen dieses Überschreitens der natürlichen Grenzen abzuwenden für ein nachhaltiges Ergebnis nicht ausreichend.
In anderen Bereichen, wie dem künstlichen und ungezügelten Transfer von Genen zwischen Pflanzen- und Tierarten, wird das Fehlen konkreter wissenschaftlicher Beweise für schädliche Folgen in weiten Kreisen als hinreichender Grund gesehen, die Fortführung solcher Entwicklungen zu erlauben. Die Idee einer vorbeugenden Vorsicht bei dieser und vielen anderen potentiell zerstörerischen Entwicklungen erhält von der Öffentlichkeit überwältigende Unterstützung, stößt aber von offizieller Seite her auf solche Opposition, daß man meinen könnte, auch nur die Möglichkeit eines Zweifels zuzugeben, wäre ein Zeichen von Schwäche oder gar der Wunsch, den „Fortschritt“ aufzuhalten. Ganz im Gegenteil, denke ich, ist es ein Zeichen von Stärke und Weisheit.
Haben wir wissenschaftliche Beweise für die Zerstörung der Umwelt durch unser Verhalten, unternehmen wir zuwenig, um den Schaden zu beheben; und haben wir keine, neigen wir ungeachtet der Risiken dazu, gar nichts zu tun. Ein Teil des Problems ist die weitverbreitete Auffassung, die versucht, die Natur und den Menschen  auf die Stufe eines rein mechanischen Prozesses zu reduzieren. Während die Natur-Theologen des 18. und 19. Jahrhunderts wie Thomas Morgan von der „perfekten Einheit, Ordnung, Weisheit und Planung“ der Natur sprachen, lehnten Wissenschafter wie Bertrand Russell diese Idee als Unfug ab. Er sah das Universum als zusammenhangs- und ordnungslos, ohne Einheit und Kontinuität. Sir Julian Huxley schrieb in „Schöpfung: Eine moderne Synthese“, daß die moderne Wissenschaft einen Schlußstrich unter die Begriffe von Schöpfung und göttlicher Führung setzen müsse. Aber weshalb? Wie Professor Alan Linton von der Universität in Bristol geschrieben hat – „Evolution ist eine vom Menschen geschaffene Theorie, um Herkunft und Kontinuität des Lebens auf diesem Planeten ohne Bezug zu einem Schöpfer zu erklären.“ Aufgrund unseres Unwillens, die Existenz einer führenden Hand zu akzeptieren, wird die Natur als System betrachtet, das für unsere Bequemlichkeit beliebig organisiert werden kann, oder als Plage, die man umgeht oder manipuliert – und in der alles, was geschieht, von Technologie und menschlicher Erfindungsgabe bestimmt werden kann. Fritz Schumacher erkannte die dieser Sichtweise innewohnenden Gefahren, als er sagte, daß „es zwei Wissenschaften gibt – die Wissenschaft der Manipulation und die Wissenschaft des Verstehens“.
In diesem technologiegesteuerten Zeitalter ist es nur allzu einfach für uns zu vergessen, daß die Menschheit ein Teil der Natur ist und nicht abgesondert von ihr. Deshalb müssen wir trachten, in allem, was wir tun, mit der Natur zu arbeiten. Denn die Natur ist die Hülle, wie der Ökonom Herman Daly sagt, „die die Wirtschaft beinhaltet, trägt und versorgt“, und nicht umgekehrt. Welche Sichtweise wird wohl gewinnen – die lebende Welt als Einheit oder die Welt, erschaffen aus Zufalls-Teilen, als Produkt des bloßen Zufalls, und so die Rechtfertigung liefernd für jede Art der Entwicklung? Meiner Meinung nach zielt diese Frage auf den Kern dessen, was wir nachhaltige Entwicklung nennen.
Wir müssen die Ehrfurcht vor der Natur wiederentdecken – unabhängig von ihrem Nutzen für uns –, um dessen gewahr zu werden, was Philip Sherrard ausdrückt: „Die Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit, gegenseitiger Durchdringung und gegenseitigen Austausches zwischen Gott, der Menschheit und der Schöpfung.“ Vor allem müssen wir größeren Respekt vor der genialen Gestaltung und Zweckmäßigkeit der Natur haben, unermüdlich getestet und verbessert über Millionen von Jahren. Das heißt, vorsichtig zu sein, das heißt, die Wissenschaft einzusetzen, um zu verstehen, wie die Natur arbeitet - und nicht, um die Natur zu verändern, wie wir es unternehmen, wenn genetische Manipulation versucht, den Prozeß der biologischen Evolution in etwas gänzlich anderes zu transformieren. Der Gedanke, daß die verschiedenen Teile der Natur miteinander verbunden sind durch ein verschlungenes System von Kontrollen und gegenseitigem Ausgleich, das wir auf unsere eigene Gefahr hin zerstören, wird allzu leicht als nicht mehr relevant abgetan. Was für eine Chance haben wir, mit der Natur zu arbeiten, in einer Zeit, in der uns gesagt wird,  daß die Wissenschaft alle Antworten kennt?
Wenn wir nur einen Teil des Geldes, das heute für die Entwicklung von genmanipuliertem Mais ausgegeben wird, dafür verwenden würden, die traditionellen Systeme der Landwirtschaft zu verstehen und zu verbessern, jene Systeme, die den einzig entscheidenden Test der Zeit bestanden haben, wären die Ergebnisse, so meine ich, bemerkenswert. Es gibt schon genug Beweise dafür, was alles erreicht werden kann, wenn man mehr Wissen und weniger Chemikalien für verschiedene Anbausysteme einsetzt. Dies sind echt nachhaltige Methoden. Und sie sind weit entfernt von jenen Monokulturen, die sich bestens für groß angelegte kommerzielle Ausbeutung eignen und die Vandana Shiva in ihrem Vortrag so überzeugend entlarvte und verurteilte.
Unsere bedeutendsten Wissenschafter akzeptieren, daß es noch immer ungeheuer viel gibt, was wir über unsere Welt und ihre Lebensformen nicht wissen. Wie Sir Martin Rees, der königliche Astronom, betont, ist es die Komplexität, nicht die Größe, die es schwer macht, Dinge zu verstehen, und beschreibt, nur ein Astronom kann das, einen Schmetterling als eine größere intellektuelle Herausforderung als den Kosmos! Andere, wie Rachel Carson, haben uns beredt daran erinnert, daß wir nicht wissen, wie man einen einzigen Grashalm erschafft. Und der heilige Matthäus in seiner Weisheit betonte, daß nicht einmal Salomon in seiner Pracht  so geschmückt sei wie die Lilien auf  dem Feld…
Konfrontiert mit so viel Unwissenheit, ist es nicht schwer, ein Gefühl von  Bescheidenheit zu verspüren und sich in aller Ehrfurcht nach unserem Platz in der Natur zu fragen. Und das überhaupt zu fühlen, rührt von dieser inneren Herzens-Einsicht, welche uns manchmal, ungeachtet unserer selbst, sagt, daß wir innig mit den Mysterien des Lebens verbunden sind und nicht alle Antworten besitzen. Vielleicht sogar, daß wir nicht alle Antworten haben müssen, um zu wissen, was wir in bestimmten Situationen tun müssen. Wie Blaise Pascal im 17. Jahrhundert schrieb: „Es ist das Herz, welches Gott erkennt, nicht die Vernunft.“
Fühlen Sie nicht auch, daß tief in jedem von uns ein instinktives, vom Herzen gefühltes Bewußtsein ruht, das – wenn wir es erlauben – der verläßlichste Ratgeber ist, ob oder ob nicht unser Handeln langfristig gesehen im Interesse unseres Planeten und des Lebens auf ihm ist? Dieses Bewußtsein, diese Weisheit des Herzens, mag nicht mehr sein als die Erinnerung einer fernen Harmonie,
flüsternd wie Wind in den Blättern, und doch genug, um uns daran zu erinnern, daß die Erde einzigartig ist und wir die Pflicht haben, uns um sie zu kümmern.
Weisheit, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl haben keinen Platz in der empirischen Welt, doch traditionelle Weisheit würde fragen: „Sind wir ohne sie wirklich Menschen?“ Und das wäre eine gute Frage. Sokrates antwortete auf die Frage nach seiner Definition der Weisheit: „Zu wissen, daß man nichts weiß.“
 Ich behaupte, daß wir viel mehr auf den gesunden Menschenverstand, der aus unseren Herzen kommt, hören müssen, wenn wir die nachhaltige Entwicklung erreichen wollen. Ich leugne aber auch nicht, daß die Informationen, die uns die wissenschaftliche Forschung bringt, essentiell sind.
Im Gegenteil. Aber ich denke, daß wir das Gleichgewicht zwischen der Herzens-Vernunft, der instinktiven Weisheit, und den rationalen Einsichten der wissenschaftlichen Analysen wiederherstellen müssen. Keines von beiden hat allein viel Sinn. Nur wenn wir beide, die intuitive und die rationale Hälfte unserer Natur – unser Herz und unseren Kopf – gebrauchten, leben wir gemäß dem Heiligen Bund, welcher uns  gegeben wurde von unserem Schöpfer oder unserem „Erhalter“, wie alte Weisheit den Schöpfer nannte.
Wie Gro Harlem Brundtland uns erinnert, geht es bei der nachhaltigen Entwicklung nicht nur um die Natur, sondern auch um die Völker. Sie bezieht sich darauf, ob wir auf die große Anzahl derer schauen, die nicht genug Nahrung und Zugang zu reinem Wasser haben, aber auch auf die, welche in Armut und ohne Arbeit leben. Obwohl es keinen Zweifel gibt, daß die Globalisierung Vorteile gebracht hat, bringt sie auch Gefahren. Ohne die Bescheidenheit und die Menschlichkeit, die John Browne in seiner Idee von der „verbundenen Wirtschaft“ zum Ausdruck brachte – einer Wirtschaft, die den sozialen und ökologischen Zusammenhang berücksichtigt, innerhalb dessen sie arbeitet –, besteht die Gefahr, daß die Ärmsten und Schwächsten nicht nur wenig Nutzen haben, sondern, sogar noch schlimmer, daß sie ihren Lebensunterhalt und ihre Kultur verlieren.
Wenn wir die nachhaltige Entwicklung also ernst nehmen, müssen wir uns daran erinnern, daß die Lehren der Geschichte besonders wichtig sind, wenn wir beginnen, uns mit der Zukunft zu beschäftigen. In einer Zeit, in der es oft scheint, als ob nichts anderes gelten darf als das, was „modern“ ist, kann es natürlich höchst gefährlich sein, über die Lehren der Vergangenheit zu sprechen. Und werden diese Lehren entsprechend gelehrt oder verstanden, in einer Zeit, in der die Überlieferung alten Wissens als eine Art Vorurteil gegenüber dem „Fortschritt“ betrachtet wird?
Gewiß werden unsere Nachkommen wissenschaftliche und technologische Sachkenntnisse besitzen, die wir uns nicht vorstellen können. Aber werden sie die Einsicht und Selbstkontrolle haben, sie weise zu nützen, nachdem sie von unseren Erfolgen und Mißerfolgen gelernt haben? Ich glaube nicht, daß sie das können, wenn wir uns nicht vermehrt bemühen, in der Erziehung ein Gleichgewicht zwischen dem Rationalen und dem Intuitiven herzustellen.
Ohne dieses Gleichgewicht wird die nachhaltige Entwicklung zum Scheitern verurteilt sein. Sie wird zum hohl klingenden Mantra werden, das bis zum Überdruß wiederholt wird, damit wir uns alle besser fühlen. Deshalb müssen wir uns sicher bemühen, größere Ausgewogenheit zu finden in der Art, wie wir Menschen erziehen. So kann die praktische und intuitive Weisheit der Vergangenheit mit der passenden Technologie und dem Wissen der Gegenwart kombiniert werden, um einen Typ des Praktikers zu schaffen, der sich beider Welten, der sichtbaren und der unsichtbaren, die den ganzen Kosmos erfüllen, bewußt ist.
Die Zukunft wird Menschen brauchen, die verstehen, daß es bei der nachhaltigen Entwicklung nicht um eine bloße Serie technischer Werkstücke geht, um eine neu konstruierte Natur als Erweiterung einer globalisierten Industrialisierung –, sondern um eine Wiederverbindung mit der Natur und um ein profundes Verstehen des Gedankens der Bewahrung, der die langfristige Verwalterrolle untermauert. Nur wenn wir die innere Einheit und Ordnung der lebenden und spirituellen Welt wiederentdecken – wie im Fall der organischen Landwirtschaft und der ganzheitlichen Medizin oder in der Art, wie wir bauen – und indem wir die zerstörerische Kluft zwischen dem zynischen Säkularismus und der Zeitlosigkeit der traditionellen Religion überbrücken, werden wir die Zerstörung unserer ganzen Umwelt verhindern.
Vor allem möchte ich den Tag nicht erleben, an dem uns unsere Enkel umringen und anklagend fragen, wieso wir nicht mehr auf die Weisheit unserer Herzen gehört haben als auf die rationale Analyse unseres Kopfes, wieso wir nicht mehr achtgegeben haben auf die Erhaltung der Artenvielfalt und der traditionellen Gemeinschaften und wieso wir nicht klarer über unsere Rolle als Verwalter der Schöpfung nachgedacht haben.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com