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Eine Weltanschauung der Fülle

Von Vandana Shiva

Der Versuch multinationaler Konzerne, Saatgut immer umfassender zu patentieren und gentechnisch veränderte Pflanzen weltweit durchzusetzen, um so die Lebensmittelproduktion zu monopolisieren, ist nicht nur ökologisch gefährlich und sozial ungerecht, sondern darüber hinaus ein Diebstahl an der jahrtausendealten Entwicklungsarbeit der Bauern und landwirtschaftlichen Kulturen auf der ganzen Welt. Die Autorin, Trägerin des alternativen Nobelpreises, ist eine der führenden Vorkämpfer gegen diese verderbliche Entwicklung.

Im Jahre 1987 wurde ich nach Genf zu einer Tagung über Biotechnologie eingeladen. Dort waren Leute, die wie ich in der Umweltschutzarbeit, die Landwirtschaft betreffend, tätig waren, Vertreter der UNO und Vertreter der großen Samenzucht- und Agrochemiekonzerne. Zwei Aussagen eines leitenden Angestellten der Fa. Sandoz jagten mir einen Schrecken ein. Er erwähnte, daß ein genetisch entwickeltes Bakterium im Kongo freigesetzt worden sei, um die dortige Flußblindheit zu bekämpfen. Ich fragte, ob ökologische Versuche vorangegangen seien. Darauf antwortete er: „Wir können es uns nicht leisten, aufzuhören, um ökologische Versuche vorzuschalten.“ Das zweite, was er sagte, war: „Am Ende des Jahrhunderts werden Gesundheit und Nahrungsmittel von fünf Konzernen beherrscht werden, und wir müssen einer dieser fünf sein, sonst gehen wir unter.“ In der dann folgenden Pressekonferenz fragte mich ein Journalist, wie ich denn überhaupt reagieren könnte, wenn ich mit solchen Mächten konfrontiert sei. Ich schloß meine Augen und überlegte kurz. Dann sagte ich: Es gab einen anderen Augenblick in der Geschichte, als 85 % der Erdoberfläche von einem einzigen Inselvolk beherrscht wurden. Ein alter Mann holte ein Spinnrad hervor, aber die Menschen fragten: Wie kann man denn damit das Britische Reich besiegen? Er sagte: Gerade weil es so klein wirkt und weil es in jedermanns Händen sein kann, ist es ein so mächtiges Mittel.
In dieser Periode der industriellen Revolution waren es die Textilien, welche kolonisiert und monopolisiert wurden. Heute werden Nahrungsmittel und die biologische Vielfalt monopolisiert und kolonisiert. Ich erkannte, daß es heute der Same ist, welcher das Bild des (nötigen) Wandels in unserer Zeit ist.
Nahrungsmittel sind eine grundsätzliche Notwendigkeit, die wahre Grundlage des Lebens. Von den uns heute bekannten 250.000 bis 300.000 Pflanzenarten sind etwa 10.000 bis 50.000 eßbar. 7.000 Arten werden angebaut und als Nahrung verwendet. Seit über 10.000 Jahren haben Bauern mit der Natur zusammen gearbeitet, um eine Sortenvielfalt entsprechend den Verschiedenheiten des Klimas und der Kulturen zu entwickeln. Die Bauern der Anden in Südamerika haben 3.000 Sorten von Kartoffeln entwickelt. Entsprechend wurden in China 10.000 Arten Weizen, in Papua-Neuguinea 5.000 Sorten Süßkartoffeln angebaut. Diese enorme Vielfalt bildete die Grundlage unserer Nahrungsvorräte.
Örtliche Märkte und landschaftlich bedingte Kulturen erlaubten es dieser Vielfalt, auf unseren Feldern zu gedeihen. So hatten die Bauern weiterhin die Möglichkeit, neue Sorten zu züchten, alte Arten als Saatgut zu bergen und somit für eine Vielfalt an Nutzpflanzen zu sorgen. Der Same ist das erste Glied der Nahrungskette. Die Bauern wählen aus einer guten Ernte das Beste als Saatgut aus, um es im nächsten Jahr auszusäen. Der freie Austausch des Saatgutes unter den Bauern ermöglicht es, die biologische Vielfalt wie auch die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten.
Indem Weltmärkte die örtlichen Märkte ersetzen und neue Rechtstitel in Zusammenhang mit dem Besitz geistiger Schöpfungen (z. B. Patentrecht) entstehen, welche durch die „World Trade Organisation“ global verbindlich gemacht werden, wird den Konzernen die Möglichkeit gegeben, das Wissen um die Saatzucht an sich zu reißen und zu ihrem privaten Besitz zu erklären. Dies führt mit der Zeit zum Monopol der Konzerne über das Saatgut insgesamt.
Hier wende ich mich besonders Indien zu, wo die Kontrolle der Konzerne über die Nahrungsmittel wie auch die Globalisierung der Landwirtschaft Millionen ihrer Existenz und ihres Rechtes auf Nahrung berauben. Ich tue dies, weil ich eine Inderin bin und weil besonders die indische Landwirtschaft Ziel dieser Weltkonzerne ist. Dieses Phänomen ist jedoch nicht allein auf Indien beschränkt. Es zeigt sich überall. Kleine Höfe und Kleinbauern werden verdrängt, Monokulturen ersetzen die Vielfalt des Anbaues, das Bauerntum wird verwandelt vom Erzeuger gesundheitsfördernder Nahrungsvielfalt in einen Markt für gentechnisch erzeugtes Saatgut, für Herbizide und Pestizide.

Patentierter Reis

In Indien wird der Reis gleichgesetzt mit „Prana“, was „Lebensatem“ bedeutet. Bevor die Grüne Revolution in den sechziger Jahren Monokulturen einführte, hatten indische Bauern 20.000 Sorten Reis entwickelt. Diese bodenständigen Reisarten wurden entwickelt, um sowohl Überschwemmungen standzuhalten als auch Dürreperioden, um im Hochland zu gedeihen oder im Küstenbereich. Sie wurden geschmacklich verbessert und für medizinische Zwecke einsatzfähig gemacht. Die Bauern züchteten roten, braunen und schwarzen Reis. Sie bauten einen Reis an, der in den Flutgewässern des Ganges sechs Meter hoch wuchs, züchteten aber auch einen Salzwasser tolerierenden Reis für die Gegend der Meeresküste.
Basmati-Reis wird seit Jahrhunderten angebaut. Er wird bereits in alten Schriften, Sagen und Dichtungen erwähnt. Diese von Natur aus aromatische Reissorte war immer beliebt und begehrt bei Ausländern. Jahrelange Entwicklung durch Bauern aus Indien und Pakistan führte zu einer Vielfalt von Basmati-Sorten. Heute werden 27 eigenständige Arten von Basmati, die wissenschaftlich dokumentiert sind, in Indien angebaut. Ihre hervorragenden Eigenschaften sind der Erfolg der Zuchtbemühungen, welche diese Bauern rein privat, nur unter sich, durchgeführt haben. Und diese Forschungen und Entwicklungen gehen weiter. Die in der Zucht engagierten Bauern sind bemüht, das bodenständige Saatgut in seiner Vielfalt zu erhalten und neue, bessere Sorten daraus zu züchten.
Seit ein paar Jahren ist der Basmati-Reis der am raschesten wachsende Export Indiens. Jährlich exportiert das Land zwischen 400.000 und 500.000 Tonnen Basmati. Mit 850 Dollar pro Tonne ist der indische Basmati-Reis der teuerste Reis, den die EU importiert.
1997 hat das U.S. Patentamt der in Texas ansässigen Firma Rice Tec das „Inc. Patent Nr. 5663484“ über Basmati-Reissorten und Saatgut ausgestellt. Dieses Patent ermöglicht der Firma den Verkauf von Basmati einer neuen Sorte, wie Rice Tec behauptet, am internationalen Markt. Die patentierte Basmati-Sorte von Rice Tec stammt aus der jahrhundertelangen Zuchtarbeit der Bauern des indischen Subkontinents. Die Methode von Rice Tec, verschiedene Sorten dieser bäuerlichen Arten zu kreuzen, ist eine sehr gewöhnliche Züchtungsart.
Das Problem, das dem Patentieren von Lebendigem zugrunde liegt, wird veranschaulicht durch die Patentvergabe für Basmati an Rice Tec. Indem man für sich in Anspruch nimmt, neue Pflanzensorten zu „erfinden“, verleugnet man die Schöpferkraft der Natur einerseits und das Geschick der Bauern andererseits. Falls dieser falsche Anspruch auf eine Erfindung aufrechterhalten wird, könnte er verwendet werden, um Basmati-Anbauer wegen Nichtbeachtung des Patentrechts zu bestrafen. Diese könnten gezwungen werden, Lizenzgebühren an Rice Tec zu zahlen. Die sich hieraus ergebenden Kosten für die indische Landwirtschaft wären riesig. Ferner zwingt diese Saatgesetzgebung die Bauern, nur „registrierte“ Sorten anzubauen. Da die bäuerlichen Sorten nicht registriert sind und einzelne kleine Bauern sich die Kosten der Registrierung nicht leisten können, werden sie langsam in die Abhängigkeit von der Saatgutindustrie getrieben.

Diebstahl an der Natur

Das Plagiat des Basmati-Reises ist nur ein Beispiel für die Art und Weise, wie Konzerne die geistigen Eigentumsrechte über die biologische Vielfalt und die bodenständigen Entwicklungen der Dritten Welt für sich beanspruchen, dabei die Armen ihrer letzten Existenzquellen beraubend, die es ihnen ermöglichen, außerhalb des globalen Marktes zu existieren.
Dieses perverse System, welches Pflanzen und Saatgut als Erfindungen der Konzerne betrachtet, verwandelt der Bauern höchste Pflicht, nämlich Samen zu bewahren und unter den Nachbarn auszutauschen, in ein Verbrechen.
Heute kontrollieren zehn Konzerne 32% des gewerblichen Saatgutmarktes, der auf 23 Milliarden Dollar geschätzt wird, und 100% des Marktes für gentechnisch entwickelte Saat. Diese Konzerne haben ebenfalls die weltweite Kontrolle über die Märkte für Agrochemie und Pestizide. Indem Konzerne die geistigen Eigentumsrechte über Saatgut und Pflanzen für sich beanspruchen, werden Jahrhunderte gemeinsamer bäuerlicher Entwicklung und Erfindung enteignet. Nur fünf Konzerne kontrollieren den Welthandel. Die reiche Ernte an Samenvielfalt, welche uns die Natur und die Landbau treibenden Kulturen über die Jahrtausende überlieferten, werden durch Monokulturen und Monopole zerstört.
Alle lebenden Wesen brauchen Nahrung. Deshalb wird in einem alten Hindutext, der „Taittreya Upanishade“, die Menschheit aufgerufen, alle Wesen in ihrem Umkreis zu ernähren. In den Kulturen, welche eine ökologische Landwirtschaft betreiben, beruht das System auf einer Integration von Feldfruchtanbau und Tierhaltung. Die Abfälle des einen liefern Nahrung für den anderen, gegenseitig im Kreislauf. Die Nebenprodukte der Ernte dienen als Futter für das Vieh, der Mist des Viehs wiederum nährt den Boden, welcher die Pflanzen gedeihen läßt. Die Feldfrüchte erzeugen nicht nur Korn, sondern auch Stroh, welches Viehfutter und organische Substanz liefert. Somit sind die Feldfrüchte Nahrung für Menschen, Tiere und die vielen Mikroorganismen der Erde.
Es wird oft behauptet, daß die sogenannten Wundersorten der Grünen Revolution eine Hungerperiode verhindert hätten, da sie mehr Ertrag lieferten. Diese reicheren Erträge verschwinden jedoch in der Zusammenschau der Gesamterträge der Höfe. Die Saatsorten der Grünen Revolution erzeugten mehr Getreide, aber weniger Stroh. Weniger Stroh aber bedeutet weniger Futter für das Vieh und weniger organische Substanz für den Boden. Da Vieh und Regenwürmer unsere Partner in der Nahrungsmittelproduktion sind, bedeutet deren Nahrungsberaubung, daß es unmöglich sein wird, die teilweise höheren Erträge auf Dauer aufrechtzuerhalten. Somit wurzelt der Mehrertrag durch industriell betriebene Landwirtschaft auf dem Nahrungsraub an anderen Lebenswesen wie auch an den im ländlichen Raum lebenden Armen der Dritten Welt.
Während der Debatte um die Zulassung der globalen Saatgutorganisation Cargill in Indien im Jahre 1992 sagte einer ihrer Angestellten: „Wir bringen den indischen Bauern intelligente Technologie, die die Bienen daran hindert, die Pollen zu stehlen.“ Während der Biosicherheitsverhandlungen der Vereinten Nationen verteilte Monsanto Schriften, die behaupteten, daß „Unkraut das Sonnenlicht stiehlt“. Eine Weltanschauung, welche die Bestäubung durch Bienen als „Diebstahl“ bezeichnet und behauptet, daß manche Pflanzen „das Sonnenlicht stehlen“, ist eine Haltung, die auf den Diebstahl der Ernte der Natur zielt, indem sie die offenen, durch Bestäubung befruchteten Arten durch Hybride und Arten, die sterile Samen erzeugen, ersetzt und die natürliche Vielfalt der Flora mit Herbiziden zerstört.
Diese Weltanschauung wurzelt in der Eintönigkeit, im Wenig. Eine Weltanschauung des Reichtums und Überflusses ist jene der Frauen in Indien, welche den Ameisen Nahrung auf  ihre Haustreppe tun und die schönsten Mandalas aus Reismehl herstellen. Überfluß ist die Anschauung der Bauersfrauen, die Muster aus Rohreis flechten, um sie den Vögeln aufzuhängen, wenn diese keine Körner mehr auf den Feldern finden. Diese Weltanschauung des Reichtums erkennt, daß wir, indem wir andere Arten und Wesen ernähren, die Bedingungen für unsere eigene Ernährung sichern. In der „Ischo Upanishade“ heißt es: „Das Universum ist die Schöpfung der höchsten Macht und dem Wohle der gesamten Schöpfung zugedacht. Laßt nicht eine Art die Rechte der anderen schmälern.“

Die gentechnische Revolution

Die Weltkonzerne stehlen die Ernte der Natur nicht nur durch die Patentierung lebender Arten, sondern auch mittels gentechnischer Eingriffe. Feldfrüchte, die gentechnisch gegen Herbizide immun gemacht wurden, können höchst aggressive „Überunkräuter“ verursachen, indem die Gene, die die Immunität gegen Herbizide bewirken, auf Unkräuter weiterspringen. Feldfrüchte, aus welchen Pestizidfabriken gemacht werden und welche gentechnisch dahin gebracht werden, Gifte zu bilden mittels Genen von Bakterien, Skorpionen, Schlangen und Wespen, können eine Bedrohung für nicht giftige Arten sein und zur Immunisierung von Schädlingen beitragen, wodurch dann „Überschädlinge“ entstehen. Bei jeder Anwendung von Gentechnologie wird den anderen Arten Nahrung gestohlen, um die Profite der Konzerne zu maximieren.
Die Grüne Revolution zielte auf hohe Erträge an Grundnahrungsmitteln wie Reis, Weizen und Mais, wobei sie verschiedene nahrhafte Getreide verdrängte und Monokulturen der genannten Getreide verbreitete. Die Gentechnische Revolution hebt den geringen Gewinn der Grünen Revolution auf, indem sie nicht nur die Vielfalt an Grundnahrungsmitteln vernachlässigt, sondern auch ihr Hauptaugenmerk auf die Immunität gegen Herbizide richtet und nicht auf höhere Erträge. Nach Clive James sind transgenetische Feldfrüchte nicht mit dem Ziel höherer Erträge entwickelt worden. 54% der Zunahme an transgenetischen Feldfrüchten besteht aus jenen, welche herbizidresistent sind, aber keine höheren Erträge bringen. Von gentechnisch veränderten Feldfrüchten weltweit werden 39% mit Soja, 25% mit Mais, 13% mit Tabak, 11 % mit Baumwolle, 10% mit Canola und je 1% mit Tomaten und Kartoffeln angebaut.
Tabak und Baumwolle sind keine Lebensmittel, sondern Handelsrohstoffe. Feldfrüchte wie Sojabohnen sind für die meisten Kulturen außerhalb Ostasiens keine Grundnahrungsmittel. Soja bietet den anders sich ernährenden Indern keine Sicherung ihrer Nahrungsgrundlagen, wie auch Mais im Sorghumgürtel Afrikas das nicht tut. Gewährleistung der Ernährungsgrundlagen bedeutet jedoch nicht nur, ausreichend zu essen zu haben, vielmehr müssen es auch Nahrungsmittel sein, welche der jeweiligen Kultur zuzuzählen sind. Vegetarier können verhungern, wenn man von ihnen verlangt, sich von Fleisch zu ernähren. Ich habe erlebt, wie Asiaten unter der europäischen Fleisch-, Kartoffel- und Brotkost litten.
Die Tendenz zum Anbau von gentechnisch veränderten Feldfrüchten weist deutlich in Richtung einer Schmälerung der genetischen Grundlage unserer Nahrungsmittelvorräte. Augenblicklich gibt es nur drei kommerzialisierte Grundnahrungsmittel. Statt der hunderterlei Leguminosen und Bohnen, welche in der Welt gegessen werden, gibt es nur die Sojabohne. Statt der Vielfalt an Ölsamen gibt es nur Canola. Statt der verschiedenen Sorten Hirse, Weizen und Reis gibt es nur Mais. Indem die biotechnologische Industrie sich global ausbreitet, werden diese Tendenzen hin zu Monokulturen zunehmen und weiter die biologische Vielfalt der Landwirtschaft verdrängen. Dadurch wird ökologische Anfälligkeit geschaffen.

Vielfalt statt Monokultur

In der indischen Landwirtschaft verwenden Frauen bis zu 150 verschiedene Pflanzen zu medizinischen Zwecken, als Nahrung und als Futter. Für die Ärmsten ist die biologische Vielfalt die wichtigste Quelle der Sicherung ihrer Existenz. In Westbengal sind 124 „Unkraut“-Arten, welche von Reisfeldern gesammelt werden, von wirtschaftlicher Bedeutung für  die örtlichen Bauern. Im tansanischen Dorf bestehen 80 % der Gemüsegerichte aus Wildpflanzen. Herbizide wie Roundup und transgenetischen Feldfrüchte, welche herbizidresistent sind, zerstören somit die Wirtschaftsgrundlage der Ärmsten. Was für Monsanto ein Unkraut ist, ist für das Landvolk Nahrung oder Medizin.
Nachdem die Kritik an den herbizidresistenten und toxinproduzierenden Feldfrüchten – entwickelt durch Gentechnologie – wächst, fängt diese Industrie davon zu reden an, daß sie Feldfrüchte entwickelt, die Stickstoff binden, hohe Salzverträglichkeit haben oder hohen Nährwert. Solche Sorten gibt es aber bereits, von den Bauern entwickelt und angebaut. Die biologische Vielfalt bietet bereits die Lösung vieler Probleme, für welche uns die Gentechnologie als Lösung empfohlen wird.
Das Bergbauerntum des Garhwal Himalaya hat eine besondere Anbauweise, „branaja“ genannt, was wörtlich „zwölf Samen“ bedeutet. Die Samen von 12 oder mehr verschiedenen Feldfrüchten werden gemischt, dann wird diese Mischung auf ein mit Mist gedüngtes Feld ausgebracht. Nach der Aussaat versetzt der Bauer die Pflänzchen, um eine gleichmäßige Verteilung zu erzielen. Wie bei anderen Anbaumethoden ist dauerndes Jäten nötig. Gesät wird im Mai, geerntet wird zu verschiedenen Zeiten: vom späten August bis zum frühen November. So stellt sich der Bauer einen dauernden Nahrungsvorrat sicher für diese Zeit und darüber hinaus.
Die verschiedenen Feldfrüchte wurden von den Bauern während langer Zeiträume gewählt, indem sie die Beziehungen der Pflanzen untereinander und die des Bodens zu den Pflanzen beobachteten. So klettert z. B. die Rajmaranke nur auf die Marschapflanze und auf sonst keine. Die Symbiose zwischen verschiedenen Pflanzen trägt zur Ertragssteigerung bei. Indem die Bauern nach der Branajamethode arbeiten, erhalten sie höhere Erträge, eine größere Fruchtvielfalt und bessere Preise für ihre Produkte, als wenn sie z.B. Sojabohnen als Monokultur anbauen würden.
Der Anbau einer Vielfalt von Früchten kann demnach eine Methode sein, um reichere Ernten und somit ein besseres Einkommen zu erzielen. Da aber diese Ernte und dieses Einkommen von verschiedenen Feldfrüchten stammen, hat der zentralisierte Kommerz kein Interesse an ihnen. Er verlangt Einheitlichkeit und Monokulturen.
Was wir also erleben, ist die Entstehung eines Nahrungsmitteltotalitarismus, in dem eine Handvoll Konzerne die ganze Nahrungsmittelkette kontrolliert und die Alternativen zerstört, so daß die Menschen keinen Zugang mehr haben zu sicheren, vielfältigen, ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln. Durch die neuen Handelsgesetze können die Konzerne die Weltbevölkerung mit kulturell nicht adäquaten, ökologisch riskanten Nahrungsmitteln zwangsfüttern. Dabei behandelt man das Recht auf Nahrung, das Recht auf Sicherheit, das Recht auf (die eigene) Kultur als Handelsbarrieren, welche abgebaut werden müssen.
Diesem Nahrungsmitteltotalitarismus kann nur Einhalt geboten werden durch die weltweite Mobilisierung breitester Kreise, um eine Demokratisierung des Ernährungswesens zu erreichen. In Zeiten, beherrscht von Unrecht und Fremdbestimmung, kann die wirtschaftliche und politische Freiheit nur durch friedlichen Ungehorsam gegenüber den ungerechten Regierungen und Gesetzen erreicht werden. Diese friedliche Nichtkooperation war die demokratische Tradition Indiens, welche durch Mahatma Gandhi als „satyagraha“ wiederbelebt wurde. Wörtlich übersetzt bedeutet „satyagraha“ „das Ringen um die Wahrheit“. Das Salzsatyagraha verlieh der Weigerung Indiens, die ungerechten Salzgesetze hinzunehmen, Ausdruck.

Der Widerstand formiert sich

Am 5. März 1998, dem Jubiläum von Gandhis Aufruf zur Salzsatyagraha, rief ein Zusammenschluß von über 2.000 Gruppen die Bija Satyagraha ins Leben, eine Bewegung des Widerstandes gegen die Patentierung von Samen und Pflanzen. Diese Bewegung weigert sich, die Kolonisierung des Lebens durch die Patentierung von Lebewesen und durch perverse Technologien hinzunehmen, und wendet sich auch gegen die Zerstörung der Versorgungssicherheit durch die Regeln des Freihandels der World Trade Organisation. Die Bija Satyagraha ist ein Ausdruck der Sehnsucht aller Menschen und Lebewesen nach Selbständigkeit und die Betonung des Rechtes auf Nahrung.
Ein weiterer Versuch, Demokratie im Nahrungsmittelbereich zu erlangen, war, das Saatgut der zerstörenden Kontrolle der Konzerne zu entziehen. Indische Bauern und Umweltschützer riefen vor über zehn Jahren Navdanya ins Leben – eine Bewegung, welche Samen sammelt. Navdanya hat 16 Gemeindesaatbanken in sechs Staaten Indiens gegründet. Tausende von Mitgliedern betreiben chemiefreie Landwirtschaft und haben sich verpflichtet, weiterhin Saatgut zu sammeln und mit anderen zu teilen wie auch die biologische Vielfalt zu erhalten, welche sie der Natur und ihren Ahnen verdanken.
In Indien wird ökologische Landwirtschaft „ahimsic krishi“ (gewaltlose Landwirtschaft) genannt, weil sie im Mitgefühl mit allen Naturwesen wurzelt und somit die biologische Vielfalt schützt. ARISE, das nationale Netzwerk für biologische Landwirtschaft in Indien, hält Kurse auf den Dörfern innerhalb des ganzen Landes ab, um Bauern zu helfen, die ohne Chemie arbeiten wollen. Obwohl biologische Landwirtschaft mit geringen Kosten und geringem technischen Aufwand verbunden ist und somit eine Lösung für die Armen, wird sie häufig hingestellt als „Luxus für die Reichen“. Das stimmt nicht. Die Billigkeit der Nahrungsmittel aus industriellen Erzeugnissen spiegelt nicht die Produktionskosten wider, sondern ist Ausdruck der hohen Subventionen, welche die Agrarindustrie erhält.
Millionen Menschen auf der ganzen Welt wenden die Grundsätze der ökologischen Landwirtschaft an. Die Herausforderung nach Seattle besteht darin, die Welthandelsregeln und die nationale Nahrungsversorgungs- und Landwirtschaftspolitik dahingehend zu ändern, daß diese Methoden gepflegt und verbreitet werden und die ökologische Landwirtschaft, welche die Existenzgrundlage der Kleinbauern sichert und risikofreie Nahrungsmittel erzeugt, nicht an die Wand gedrängt und kriminalisiert wird. Es ist an der Zeit, die gestohlene Ernte zurückzufordern und das Erzeugen guter Nahrung als das größte Geschenk und die revolutionärste Handlung zu feiern.
Bewegungen für Selbstbestimmung im Lebensmittelbereich gewinnen an Kraft. Wir haben gesehen, daß Bürgerbewegungen gegen Gentechnik und Kontrolle der Konzerne über die Landwirtschaft weltweit die Sorge über Gentechnologie vom Rand in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Handel und Wirtschaft rücken. Im Jahre 1999 entfachte eine fachübergreifende Gruppe in England, bestehend aus Bauern, Konsumenten, Entwicklungsgruppen und Umweltfachleuten, eine Kampagne für einen fünfjährigen Stopp der Gentechnik. In ganz Europa nehmen ähnliche Ächtungen und Moratorien zu. Widerstand gegen die Gentechnologie schafft Zusammenschlüsse der verschiedensten Richtungen: Naturwissenschafter und Laien, Produzenten und Konsumenten, Menschen des Nordens und des Südens.
Wissenschaftler, dem öffentlichen Interesse verschrieben, welche sich mit den Auswirkungen ökologischer Wandlungen  befassen, spielten eine wichtige Rolle in dieser Bewegung. Ohne den Zusammenhalt solcher Wissenschaftler mit den Bürgerbewegungen hätte der Versuch der Industrie, die Debatte zu polarisieren, als ob es sich um eine Auseinandersetzung zwischen „Fachleuten“ und „Laien“, oder zwischen „Vernunft“ und „Emotion“ handelt, wohl Aussicht auf Erfolg gehabt. Man hätte die Proteste nicht beachtet, und die Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Organismen wäre ohne Fragen und Pausen weitergegangen.
Solidarität zwischen Produzenten und Konsumenten ist ebenfalls notwendig. Da die Mehrheit der Menschen der Länder des Südens Bauern sind, aber von den Bauern im Norden weltweit nur 2% die Verdrängung überstanden haben, werden die Bewegungen für freiheitliche Regelung im Lebensmittelbereich im Norden die Form von Konsumentenbewegungen und im Süden von Bauern- wie auch von Konsumentenbewegungen annehmen.
Die Demokratisierung (= Selbstbestimmung) des Nahrungswesens wurzelt in den Bewegungen zur Wiedererlangung der biologischen Vielfalt. Die Weigerung, die Vielfalt des Lebens als Besitz und Erfindung der Konzerne zu betrachten, bedeutet die Anerkennung des inneren Wertes aller Arten mit der ihnen innewohnenden Fähigkeit der Selbstregelung. Die Privatisierung lebender Ressourcen  durch Patentierung zu verweigern, dient der Verteidigung der Existenz jener Zweidrittel betragenden Mehrheit, welche des Kapitals der Natur bedarf, um zu überleben. Es ist auch eine Verteidigung der Vielfalt der Kulturen, da die meisten Kulturen der Welt in anderen Arten und Pflanzen nicht „Besitz“, sondern „Verwandtschaft“ sehen. Diese größere Demokratie des Lebens, welche ihre Wurzeln in der „Demokratie der Erde“ hat, oder, wie wir es nennen, „Vasudhaiva kutumbakum“, ist die eigentliche Widerstandskraft gegen die brutale Macht der sogenannten „Industrie der Wissenschaften des Lebens“, welche Millionen Arten zum Aussterben und Millionen Menschen an den Rand der Existenz bringt.
Indem Demokratie in der Nahrungsproduktion zurückgefordert wird, fordert man das Recht aller Arten auf ihren Anteil an Nahrung zurück und dadurch auch das Recht aller Menschen auf Nahrung, einschließlich der kommenden Generationen. Eine Demokratie im Nahrungsbereich, welche in besagter Weise umfassend ist, kann uns reichlich ernähren.


Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Beate Buchinger.

 
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