Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker
Am 9. April 2011 ist meine Mutter, die Seniorchefin unseres Verlagshauses, verstorben. Bitte gestatten Sie mir, ihrer an dieser Stelle zu gedenken und zugleich einen kurzen Abriß der Verlagsgeschichte zu geben.
Der Leopold Stocker Verlag wurde 1917 vom aus dem Waldviertel stammenden Bauernsohn Dipl.-Agr. Leopold Stocker als landwirtschaftlicher Fachverlag gegründet, sein 14tägig erscheinender „Fortschrittlicher Landwirt“ war die erste Fachzeitschrift für den bäuerlichen Familienbetrieb in Österreich.
Ilse Stocker wurde am 19. Jänner 1922 als zweites Kind des Verlegers und seiner sudetendeutschen Frau Marianne in Graz geboren. Nach dem Soldatentod ihres Bruders Wolfgang bereitete sie sich mit einem Studium der Anglistik und Geschichte auf die Übernahme des väterlichen Verlagshauses vor. Im Dezember des Jahres 1950 – wenige Tage vor dem frühen Tod ihres Vaters – wurde sie an der Universität Graz zum Doktor der Philosophie promoviert. In den folgenden Jahren gelang es ihr, den Leopold Stocker Verlag als unabhängiges Verlagshaus trotz des tiefgreifenden Wandels in der Landwirtschaft zu konsolidieren. Bis heute ist der „Fortschrittliche Landwirt“ die führende agrarische Fachzeitschrift Österreichs. Da im Laufe der Zeit weitere Fachzeitschriften das Programm des Verlages ergänzten, wurde dieser Bereich vor einigen Jahren als „Landwirt Agrarmedien GmbH.“ organisatorisch vom Leopold Stocker Verlag getrennt. Dieser bringt weiterhin ein landwirtschaftliches Fachbuch- und Fachschulbuch-Programm heraus sowie das unter Dr. Ilse Dvorak-Stocker ab den 70er Jahren erfolgreich aufgebaute Ratgeber-Programm in den Bereichen Küche und Garten. Vor allem dank dieser „Praxisbuch“-Titel zählt der Stocker-Verlag zu den wenigen österreichischen Verlagshäusern, die auch am deutschen Markt Fuß fassen konnten und einen großen Teil ihres Umsatzes im Export erwirtschaften. Auch im Jagd- und Bergbuch-Bereich hat sich der Stocker-Verlag unter Ilse Dvorak-Stocker einen Namen gemacht, für eine Buchreihe, die neben der Natur auch die kulturellen Schönheiten Tirols behandelte, ist sie als Verlegerin schon 1982 mit dem Tiroler Adlerorden in Gold ausgezeichnet worden.
Sehr wichtig war meiner Mutter die Pflege überlieferter Volkskultur, so begründete sie die Reihe „Alte Volkskunst“, die vom Kreuzstich bis zum Korbflechten heimische Kulturtechniken vermittelt, auch wurden in mehreren Bänden Trachten aus verschiedenen österreichischen Bundesländern vorgestellt und etliche Bücher publiziert, die zum Erhalt und zur Sanierung historischer Bausubstanz in Österreich anleiten.
Ein ganz besonderes Anliegen war ihr das literarische und historische Programm. Obwohl im Leopold Stocker Verlag bis in die 80er Jahre bedeutende österreichische Autoren wie Peter Rosegger, Ernst von Dombrowski, Natalie Beer, Bruno Brehm, Walter Zitzenbacher, Wolfgang Arnold oder der „neue Peter Rosegger“ Fred Strohmeier publizierten, mußte diese Programmschiene dann doch eingestellt werden. Die im historischen Programm erschienenen Bücher widmeten sich nicht nur der österreichischen Geschichte, sondern behandelten auch weithin verdrängte Aspekte der Zeitgeschichte, wie das Schicksal der Heimatvertriebenen, der Kriegsgefangenen oder der Südtiroler. Eine militärgeschichtliche Reihe behandelte u. a. die Geschichte der Gebirgsdivisionen und verschiedener altösterreichischer Verbände, wie der Hoch- und Deutschmeister, der Kaiserjäger, der Kaiserschützen oder der Bosniaken. 1999 wurde die Zeitschrift „Neue Ordnung“ von Ernst Graf Strachwitz übernommen, dem Ilse Dvorak-Stocker seit gemeinsamen Tanzschultagen freundschaftlich verbunden war. Seit 2004 firmiert dieses Programmsegment als Ares Verlag GmbH.
Auch nach ihrem Ausscheiden aus der Geschäftsführung blieb meine Mutter unserem Familienunternehmen eng verbunden und war Anlaufstelle aller Mitarbeiter bei persönlichen Problemen sowie für viele Autoren und die oft jahrzehntelangen Bezieher des fortschrittlichen Landwirts ein Symbol des Verlagshauses. Daneben war es die wachsende Schar der Enkel, die ihr Leben nach dem Tode meines Vaters 1997, der ihr viele Jahre auch in der Firma treu zur Seite gestanden hatte, mit Sinn erfüllte.
Dr. Ilse Dvorak-Stocker hat mit ihrem unternehmerischen Wirken die Verlags- und Buchhandelslandschaft in Österreich entscheidend mitgeprägt. Zahlreiche Ehrungen gegen Ende des beruflichen Lebensweges bezeugen die Anerkennung, die sie damit in einer breiten Öffentlichkeit gefunden hat: So war sie Trägerin des Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich, des Großen Goldenen Ehrenzeichens des Landes Steiermark, des Goldenen Ehrenzeichens der Landeshauptstadt Graz und anderer Auszeichnungen, der Bundespräsident verlieh ihr 1992 den Berufstitel „Professorin“, und 1996 wurde sie zur Bürgerin der Stadt Graz ernannt. Ihr publizistisches Eintreten für die deutschen Opfer des Weltkrieges, für die eigene Kultur und Geschichte, für Meinungsfreiheit und unbequeme historische Wahrheiten sowie ihr unbeirrtes Festhalten am deutschen Charakter ihrer Heimat Österreich haben ihr neben Anerkennung – etwa durch die Verleihung des Ulrich-von-Hutten-Preises der Gesellschaft für freie Publizistik – aber auch viele Angriffe und Verleumdungen eingetragen. Als der Grazer Gemeinderat eine Schweigeminute für die Verstorbene einlegte, meinten jedoch nur die Grünen als Zeichen fanatischer Unversöhnlichkeit den Sitzungssaal verlassen zu müssen. Alle anderen Fraktionen, auch die Kommunisten, erwiesen der Verstorbenen die letzte Ehre, die Bürgermeister Nagl (ÖVP) als „bedeutende Persönlichkeit auch für das kulturelle Profil“ der Stadt Graz würdigte. An ihrem Begräbnis haben schließlich auch Altbürgermeister Stingl (SPÖ) und Altlandeshauptmann Krainer (ÖVP) teilgenommen, denen sie lange Jahre freundschaftlich verbunden war, denn vor allen möglichen weltanschaulichen Differenzen, vor jeder Ideologie, kam für meine Mutter immer zuerst der Mensch, das konkrete menschliche Gegenüber. In diesem, echt konservativen und wahrhaft christlichen Sinn hat sie ihr Leben und ihren Verlag geführt.